
Deutsche Reichsbahn (DR) (1979)
Siehe auch:
- Deutsche Reichsbahn: 1969
Bedeutendster Verkehrsträger und größter Volkseigener Betrieb der DDR; 240.000 Beschäftigte, davon 70.000 Frauen. Neugründung durch Befehl Nr. 8 der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) vom 11. 8. 1945 unter Beibehaltung des alten Namens. 1949 wurden alle Privatbahnen auf dem Gebiet der DDR der DR übergeben. Die materielle Basis der DR war durch Krieg und Kriegsfolgen (Demontage) zu 60 v. H. vernichtet. Erschwerend wirkte sich vor allem der Abbau der zweiten [S. 255]
Gleise aus. Bis auf die sog. Magistrale der Freundschaft Berlin-Frankfurt/Oder) als Hauptabfuhrstrecke für die UdSSR gab es ― ausgenommen betrieblich wichtige, kurze Streckenabschnitte ― nur noch eingleisige Strecken.
Bis Ende der 60er Jahre mußte die DR zugunsten anderer Zweige der Wirtschaft bei der Bereitstellung von Investitionsmitteln zurücktreten. Wiederholt ist es deswegen, vor allem bis 1962, zu Transportkrisen gekommen, die sich nachteilig auf die Wirtschaft ausgewirkt haben, Inzwischen ist die DR wieder zu einem zuverlässigen, technisch relativ modernen Verkehrsmittel geworden. Schwierigkeiten bereitet allerdings noch der Oberbau, durch die Beanspruchung der Gleise in beiden Richtungen ist der Verschleiß besonders hoch. In der Unterhaltung des Oberbaues wirkt sich die Eingleisigkeit auch deshalb erschwerend aus, weil die Strecken nicht lange genug für Aufarbeitungszwecke gesperrt werden können. Der Einsatz von modernen Gleisbaugeräten ist begrenzt.
Auch bei der DR werden unwirtschaftliche Strecken stillgelegt, vor allem Schmalspurstrecken. Seit 1960 waren es ca. 1.870 km. Anfang 1976 hatte das Streckennetz der DR eine Länge von 14.306 km, davon 321 km Schmalspur; 7.609 gelten als Hauptbahnen und 6.697 km als Nebenbahnen; 1508 km sind elektrifiziert. Die Kriegs- und Kriegsfolgeschäden sind beim Triebfahrzeugpark überwunden. Anfang der 50er Jahre wurde in der Lokomotivfabrik VEB Babelsberg mit dem Bau von Dampfloks begonnen. Bis 1960 sind mehrere 100 Dampflokomotiven (Reisezug-, Güterzug- und Rangierloks) in Dienst gestellt worden.
Anfang der 60er Jahre setzte die Traktionsumstellung ein, die etwa 1980 abgeschlossen sein wird. Die Dampfloks werden hauptsächlich durch Dieselloks ersetzt. Im Jahr 1978 bestand der Traktionspark der DR aus 70 v. H. Dieselloks, 15 v. H. E-Loks und 15 v. H. Dampfloks. Zunächst lieferte der VEB Babelsberg verschiedene Typen von Diesellokomotiven (600, 1000, 1800 PS) mit hydraulischer Kraftübertragung. Der VEB Babelsberg hat inzwischen die Lokomotivproduktion eingestellt. Leichte Dieselloks werden im Werk LEW Hennigsdorf gebaut. Die schweren Dieselloks der DR für den Güter- und Reisezugdienst werden nur noch in der Sowjetunion beschafft. Seit 1966 hat die sowjetische Lokomotivfabrik Lugansk etwa 1000 Dieselloks mit elektrischer Kraftübertragung an die DR geliefert. Es handelt sich um Standardtypen für 2.000 und 3.000 PS, die im ganzen RGW-Bereich den Hauptteil des Triebfahrzeugparks bilden (Höchstgeschwindigkeit 100/120 km/h).
Nachdem 1952 ein Teil der nach dem Kriege demontieren Eisenbahn-Anlagen für den elektrischen Betrieb der DR zurückgegeben worden waren, setzte langsam eine Reelektrifizierung im Raum Magdeburg ― Halle ― Leipzig-Erfurt ein, die inzwischen auf das sächsische Dreieck Dresden–Leipzig–Werdau und neuerdings auf den Raum Dresden–Bad Schandau erweitert worden ist. Ursprünglich war vorgesehen, 4.000 km des Hauptnetzes der DR zu elektrifizieren. Von diesem Plan ist 1966 wieder Abstand genommen worden, so daß es praktisch nur einen elektrischen Inselbetrieb in der DDR gibt, der häufige Wechsel der Triebfahrzeuge bedingt. Die großen Vorzüge der elektrischen Traktion bei langen durchgehenden Strecken können deshalb in der DDR nicht voll genutzt werden. Dennoch sind im Vergleich zur früheren Dampftraktion auf diesen Strecken beträchtliche Leistungssteigerungen zu verzeichnen. 1977 wurde beschlossen, das elektrifizierte Streckennetz von derzeitig 1.508 km in etwa nach den alten Plänen auszuweiten. Zuerst soll die Strecke Berlin–Dresden bis 1981 elektrifiziert werden. Während die Reelektrifizierung allgemein nach dem früheren und auch bei der Deutschen Bundesbahn gebräuchlichen Stromsystem (16⅔ Hz, 15 kV) erfolgte, wurde für die Abfuhr der im Oberharz geförderten Erze sowie der Kalkvorkommen im Gebiet von Rübeland die eingleisige Steilstrecke Blankenburg ― Rübeland ― Königshütte mit 50 Hz, 50 kV elektrifiziert. Diese Strecke hat zugleich die Aufgabe, Erfahrungen für den Betrieb mit 50-Hz-Wechselstrom-Lokomotiven zu liefern, die von der DDR-Lokindustrie (LEW-Hennigsdorf) für die UdSSR gebaut werden.
Für die E-Traktion hat die DR zusammen mit dem VEB-LEW Hennigsdorf Lokomotiven entwickelt (E 211, E 242, E 250, E 251). Daneben sind noch E-Lokomotiven aus der Vorkriegszeit im Einsatz.
Etwa 1980 wird auf etwa 13 v. H. des Streckennetzes elektrisch und auf 87 v. H. mit Diesel-Triebfahrzeugen gefahren werden können. Von den gesamten Transportleistungen wird im Endstadium der E-Lok-Anteil 40 v. H. und der Diesellokanteil 60 v. H. betragen.
Seit mehreren Jahren werden auch in der DDR Güter- und Reisezugwagen in eigens für diesen Zweck hergerichteten Ausbesserungswerken gebaut. Dennoch entspricht der Reisezugpark noch nicht dem internationalen Niveau, und der Güterzugpark reicht mengenmäßig für den Bedarf nicht aus.
Rechtliche Stellung, Aufgabe und Organisationsstruktur der DR sind im „Statut der Deutschen Reichsbahn“ festgelegt. Demnach „hat die DR durch quantitativ und qualitativ gute Erfüllung der ihr im Volkswirtschaftsplan gestellten Transportaufgaben und durch pünktliche und störungsfreie Arbeit die sozialistische Entwicklung der Volkswirtschaft zu fördern und die Verteidigungskraft der DDR ständig zu stärken“. Im „Statut“ ist auch festgelegt, daß die DR „nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung zu arbeiten hat“. Bilanzen der DR werden jedoch nicht veröffentlicht. Das 18 Paragraphen mit Gesetzeskraft umfassende „Statut“ verpflichtet die Leitungsorgane auch zur „Bewußtseinsbildung der Eisenbahner“ und „zur ständigen Verbesserung der sozialistischen Arbeitsweise und der politisch-ideologischen Erziehungsarbeit“. Für die Leitungstätigkeit gelten die „Grundsätze des Demokratischen Zentralismus“.
Der Minister für Verkehrswesen ist zugleich Generaldirektor der DR. Die obersten Verwaltungsorgane der DR sind im Ministerium für Verkehrswesen (MfV) eingegliedert. Es handelt sich um 6 Hauptverwal[S. 256]tungen (HV): 1. HV Betrieb und Verkehr, 2. HV Maschinenwirtschaft, 3. HV Wagenwirtschaft, 4. HV Reichsbahn-Ausbesserungswerke, 5. HV Bahnanlagen, 6. HV Sicherungs- und Fernmeldewesen. Sie unterstehen jeweils einem Stellvertreter des Ministers. Außerdem gibt es im MfV eine „Politische Verwaltung der DR“, die für die politische Ausrichtung und für die militärische Ausbildung (Kampfgruppen) der Eisenbahner zuständig ist. Der Leiter der Politischen Verwaltung ist zugleich einer der 7 Stellvertreter des Ministers. Jede Hauptverwaltung besteht aus mehreren (in der Regel 5) Abteilungen.
Der Betrieb wird von 8 Reichsbahndirektionen (Rbd) geleitet mit Sitz in Berlin (Ost), Dresden, Erfurt, Halle, Schwerin, Cottbus, Greifswald, Magdeburg. Die Gliederung der Rbd entspricht denen der Reichsbahn-Hauptverwaltungen im MfV. Dasselbe gilt auch in bezug auf die Gliederung der Reichsbahnämter (Rba), die den Rbd unterstehen. Den Rba unterstehen Betriebsdienststellen: Bahnhöfe, Güterabfertigungen, Fahrkartenausgaben, Wagendienststellen. Signal- und Fernmeldemeistereien, Bahnmeistereien usw.
Außer den für den operativen Betrieb zuständigen 8 Rbd gibt es noch eine Reichsbahn-Baudirektion (Rbbd) mit Gleisbaubetrieben in Naumburg, Berlin (Ost), Dresden und Magdeburg.
Der operative Dienst der DR wird von Dispatchern geleitet. Höchstes Organ des Dispatcherdienstes der DR ist die Chefdispatcherleitung im Ministerium für Verkehrswesen mit dem Chefdispatcher an der Spitze. Ihm unterstehen der Brigadehauptdispatcher, der Hauptlokdispatcher, der Hauptwagendispatcher und mehrere Hauptbezirksdispatcher. Zur Unterstützung des Chefdispatchers gibt es Gruppenleiter für Fahrdienst, Wagendienst, Lokbetriebsdienst und Hauptdispatcher für Regulierungsaufgaben. Auch auf den unteren Ebenen, denen der Rbd, Rba und im Bahnhofsbereich, gilt das Dispatchersystem, das mit Hilfe der Nachrichten-, Signal- und Fernmeldetechnik eine zentrale Lenkung und Kontrolle des gesamten operativen Dienstes der DR ermöglicht.
Dieses straff organisierte System, das mit den Dispatchersystemen aller Eisenbahnen im RGW-Bereich gekoppelt ist, bewirkt nicht zuletzt, daß die DR trotz der Eingleisigkeit ihres Betriebes Beförderungsleistungen erbringt, die denen westlicher Eisenbahnen mit mehrgleisigen Strecken nicht nachstehen. Das Dispatchersystem hat sich besonders in Krisenzeiten gut bewährt. Auch bei der DR ist der Volkswirtschaftsplan „oberstes Gesetz“. Neben einer Fülle von Einzelplänen steht an erster Stelle der Transportbedarfsplan für verschiedene Güter. Er ist die Grundlage für die Pläne der „technisch-ökonomischen Produktion“. Außerdem existieren u. a. Einsatzpläne für die Eisenbahner („Vierbrigadepläne“), Pläne für Fahrzeuge und Ausrüstungen, Materialpläne, Pläne für Grundmittel und für alle Mechanismen, die eine Abwicklung des „Reproduktions“- bzw. Transportprozesses gewährleisten sollen. Ein wichtiger Plan ist der „Plan Neue Technik“, der die Grundlage für Rationalisierungsvorhaben ist. Er beeinflußt auch den Fahrplan und die Pläne für die Transporttechnologie sowie die Kostenpläne, die im gesamten Planungsprozeß eine übergeordnete Rolle spielen.
Oberstes Planungsorgan der DR ist die Zentrale Abteilung Planung des MfV. In allen Reichsbahndirektionen gibt es einen eigenen Planungsapparat mit zahlreichen Mitarbeitern. Hinsichtlich der Planvergabe als auch der Überwachung des Planvollzugs verfügen alle Planungsgremien über außergewöhnliche Vollmachten. Ihre Aufgabe erstreckt sich auch auf die sog. Planangebote für den Volkswirtschaftsplan, die Grundlage für den Jahresplan des MfV sind. Die Präsidenten der Reichsbahndirektionen haben auf besonderen Veranstaltungen ihre Pläne bzw. Planangebote vor dem Minister für Verkehrswesen zu verteidigen.
Die VO über die Pflichten und Rechte der Eisenbahner (Eisenbahnerverordnung) in der Neufassung vom 28. 3. 1973 regelt ergänzend zum Gesetzbuch der Arbeit der DDR vom 23. 11. 1966 und zu den dazu erlassenen Rechtsvorschriften die Beziehungen der Angehörigen der DR zu „ihrem“ Unternehmen. Für hervorragende Leistungen und vorbildliche Einsatzbereitschaft werden der Titel „Verdienter Eisenbahner der DDR“ sowie die „Verdienstmedaille der Deutschen Reichsbahn“ verliehen. Außerdem gibt es die „Medaille für treue Dienste bei der DR“.
Jeder Eisenbahner muß die seit 1970 in der Tauglichkeitsvorschrift DV 107 festgelegten körperlichen und geistigen Bedingungen erfüllen. Mit Wirkung vom 1. 1. 1974 wurden neue Bestimmungen für die Gewährung von Alters-, Invaliden-, Hinterbliebenen- und Unfallversorgung der Eisenbahner eingeführt. U. a. werden bei Abschluß einer Freiwilligen ➝Zusatzrentenversicherung neben den ― allerdings bescheidenen Versorgungsrenten der DR ― Zusatzalters- und Zusatzinvalidenrenten sowie Zusatzhinterbliebenenrenten gezahlt. In der DR gibt es 5 Dienstgruppen: Assistenten, Inspektoren bzw. Amtmänner, Räte und Direktoren. Sie entsprechen dem unteren, mittleren, gehobenen und oberen Dienst bei der Deutschen Bundesbahn.
Bei Verletzung der Arbeitspflichten sind wahlweise folgende Disziplinarmaßnahmen vorgesehen: Verweis, strenger Verweis, Herabsetzung im Dienstrang, fristlose Entlassung.
Sowjetische Arbeitsmethoden werden bei der DR stark propagiert. Sie sind einerseits als Grundlage von „persönlich schöpferischen Plänen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität“ gedacht, andererseits sollen sie „Produktivitätsreserven“ aufdecken.
Jede DR-Dienststelle muß gemäß „Gesetz für den Luftschutz“ die Zivilverteidigung organisieren. Die Belegschaft gehört Zivilverteidigungs-Kollektiven an. Neben Waffenkammern für die Angehörigen der Kampfgruppen gibt es bei jeder Eisenbahndienststelle auch Bekleidungs- und Ausrüstungskammern für die Zivilverteidigung.
Die Schienenverbindungen mit anderen Ländern Europas bieten der DR viele Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit anderen Eisenbahnverwaltungen. Ein Stellv. des Ministers für Verkehrswesen ist in der ständigen [S. 257]Kommission für Transport des RGW als Stellv. des Leiters der DDR-Delegation tätig. Im RGW-Bereich gibt es die „Organisation für die Zusammenarbeit der Eisenbahnen (OSShd)“, Sitz Warschau, in der die DR seit 1957 Mitglied ist und in der seit 1963 ihre Mitarbeiter verantwortliche Funktionen bekleiden. Die DR hat hier wesentlichen Anteil an dem Abkommen der RGW-Länder für den Internationalen Personen-, Gepäck- und Expreßgutverkehr (SMPS) und den Eisenbahngüterverkehr (SMGS).
Seit 1966 existiert im Rahmen der OSShd ein gemeinsames Konstruktionsbüro für eine einheitliche Mittelpufferkupplung, in dem die DR führend mitwirkt.
1954 wurde die DR in den Internationalen Eisenbahnverband (UIC), Sitz Paris, aufgenommen, und seit 1960 ist sie auch im Forschungs- und Versuchsamt (ORE) des UIC tätig. Außerdem gehört die DR folgenden internationalen Gremien an: Internationales Büro für Dokumentation (BDC), Internationales Eisenbahnfilmbüro (BFS), Internationaler Verband für den bahnärztlichen Dienst (UJMF). Ferner ist die DR Mitglied der Europäischen Reisezugfahrplankonferenz (EFK), der Europäischen Wagenbeistellungskonferenz (EWK), der Europäischen Güterzugfahrplankonferenz (LIM), des Internationalen Personen- und Gepäckwagenverbandes (RIC) und des Internationalen Güterwagenverbandes (RIV).
1964 haben die RGW-Länder einen gemeinsamen Güterwagenpark (OPW) geschaffen mit einem eigenen Betriebsbüro in Prag. Auch hier übt die DR einen großen Einfluß aus. Der OPW-Wagenpool ist ein Mittel, die Verkehrsintegration der Länder des Ostblocks zu verbessern. Er umfaßt derzeitig 240.000 Güterwagen. Alle Wagen bleiben Eigentum der Eisenbahnverwaltung, die sie bereitgestellt hat. Die Wagen können in allen Ländern freizügig verkehren, solange ihre Gesamtzahl die eingebrachten Wagen nicht übersteigt. Etwa 70 v. H. der Transporte zwischen RGW-Mitgliedsländern werden mit OPW-Wagen abgewickelt.
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 254–257
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