DDR von A-Z, Band 1979

 

Deutschlandpolitik der SED (1979)

 

 

Siehe auch:

 

I. Grundzüge

 

 

Die Geschichte der Teilung Deutschlands und der Wandel der deutschlandpolitischen Vorstellungen der KPD/SED seit dem Ende des II. Weltkrieges sind aufs engste verknüpft mit jenem internationalen Konflikt, der seit 1947 als „Kalter Krieg“ bezeichnet worden ist. Der Zerfall der Staatenkoalition, die sich während des Krieges gegen das Deutschland Hitlers vereinigt hatte, die Entstehung zweier Blöcke, zweier politischer, wirtschaftlicher und militärischer Allianzsysteme, schließlich das Bemühen, die zwischen Ost und West bestehenden friedensgefährdenden Spannungen abzubauen und die zwei Jahrzehnte andauernde Konfrontation durch neue Formen der Kooperation (Friedliche Koexistenz) zu ersetzen — dieser weltpolitische Entwicklungsgang setzte die Rahmenbedingungen für die D. der SED. Die Frage, ob und inwieweit die SED überhaupt imstande war, ihren politischen Kurs autonom zu bestimmen und in welchem Ausmaß sie auf die Deutschland- und Europapolitik der Sowjetunion einzuwirken vermochte, läßt sich nicht beantworten. Als die SED 1946, kurz vor den ersten Wahlen in der Sowjetzone, hinsichtlich der künftigen Grenzziehung an Oder und Neiße eine von der sowjetischen Position abweichende Haltung einnahm und sich gegen die Abtrennung der Ostgebiete wandte, war dies nur eine Episode. Ende der 40er und im Laufe der [S. 262]50er Jahre hielt sich die SED strikt, bis in Nuancen, an die von der Sowjetunion vertretene Linie. In den 60er Jahren mehrten sich Anzeichen dafür, daß das politisch-ökonomische Gewicht der DDR groß genug geworden war, um ihr im Verhältnis zur Sowjetunion und zu anderen Partnern ein Mitspracherecht zu sichern. Die DDR-Regierung achtete jedoch stets sorgsam darauf, daß ihre D. bis in Einzelheiten mit der der Sowjetunion abgestimmt war. Ihre Sprecher betonten stets die Führungsrolle der KPdSU innerhalb der kommunistischen Weltbewegung.

 

Als Mitglied des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe seit 1950 und als einer der an der Gründung des Warschauer Paktes 1955 beteiligten Staaten betrachtet die DDR ihre Zugehörigkeit zum östlichen Bündnissystem als eine fundamentale Bedingung ihrer politischen Existenz. Ihre enge Bindung an die Sowjetunion ist völkerrechtlich durch die Verträge vom 20. 9. 1955, vom 12. 6. 1964 und vom 7. 10. 1975 bekräftigt worden; ihre Beziehungen zu den übrigen Staaten der Allianz gründen sich auf bilaterale Bündnis- und Beistandsverträge, die in den Jahren 1967/68 und in modifizierter Form 1977 abgeschlossen wurden. Im Artikel 6 Abs. 2 ihrer neuen Verfassung vom April 1968 hat die DDR die „allseitige Zusammenarbeit und Freundschaft mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und den anderen sozialistischen Staaten“ zum Verfassungsgrundsatz erhoben. Nach der Verfassungsänderung vom 7. 10. 1974 lautet der entsprechende Artikel 6 Abs. 2 Satz 1: „Die Deutsche Demokratische Republik ist für immer und unwiderruflich mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken verbündet.“ Diese Vertrags- und Verfassungsnormen spiegeln die Bereitschaft der DDR-Führung, in ihrer D. stets die Bündnissolidarität zu wahren. Dies allerdings stellt keinen Verzicht auf die Vertretung spezifischer eigener Interessen der DDR bei der Festlegung des generellen außenpolitischen Kurses der Allianz dar; spätestens seit Mitte der 60er Jahre haben die Bündnispartner der DDR ihrerseits dieser besonderen Interessenlage Rechnung zu tragen versucht.

 

Die D. der KPD/SED läßt verschiedene Phasen erkennen.

 

1941–1945: Während des Krieges bereitete sich die Führung der KPD in Moskau in doppelter Weise auf die Rückkehr nach Deutschland vor. Einerseits bemühte sie sich um ein Bündnis mit antifaschistischen, bürgerlich-konservativen Kräften unter kriegsgefangenen Offizieren und Soldaten, die sie für die Gründung des Nationalkomitees Freies Deutschland und des Bundes Deutscher Offiziere zu gewinnen wünschte. Dabei bekundeten die Repräsentanten der KPD allgemeine demokratisch-republikanische Zielvorstellungen. Zu dieser Zeit vermieden sie es, von der Notwendigkeit tiefgreifender gesellschaftlicher Strukturreformen zu sprechen. Andererseits setzte die KPD-Führung im Februar 1944 eine 20köpfige Arbeitskommission ein, die während der folgenden Monate eine Reihe von Entwürfen zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Fragen vorbereitete. Im Oktober 1944 wurde ein „Aktionsprogramm des Blocks der kämpferischen Demokratie“ im Entwurf fertiggestellt. Anfang April 1945 verabschiedete das Politbüro der KPD Richtlinien für die Tätigkeit der im Gefolge der Sowjetarmee nach Deutschland zurückkehrenden Initiativgruppen, deren wichtigste die Gruppe Ulbricht in Berlin war.

 

Während des Krieges hatte die D. der KPD Rücksicht auf die zwischen der Sowjetunion und den Westmächten getroffenen Vereinbarungen zu nehmen. Die von den „Großen Drei“ in den Konferenzen von Teheran (28. 11.–1. 12. 1943), Jalta (4.–11. 2. 1945) und Potsdam (17. 7.–2. 8. 1945) erörterten Pläne für eine gemeinsame Nachkriegspolitik gegenüber Deutschland erwiesen sich jedoch nicht als tragfähige Basis, da die Großmächte die vor allem im Potsdamer Abkommen umrissenen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen auf unterschiedliche Weise auslegten.

 

1945–1947: Solange die Kriegsalliierten noch bemüht blieben, trotz wachsender Spannungen zwischen Ost und West ihre Zusammenarbeit im Alliierten Kontrollrat und auf den Außenministerkonferenzen fortzusetzen, verfolgte die KPD — ebenso wie nach ihrer Gründung 1946 die SED — einen gesellschaftspolitisch behutsamen Kurs, für den die Feststellung im KPD-Aufruf vom 11. 6. 1945, es wäre falsch, „Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen“, und die 1946/47 propagierte These vom „eigenen deutschen Weg zum Sozialismus“ das Leitmotiv bildeten.

 

In dieser Phase unterstützten die deutschen Kommunisten das Verlangen der Sowjetunion nach Reparationen — auch aus der laufenden Produktion neuer Güter — im Wert von 10 Mrd. Dollar sowie nach einer Vier-Mächte-Kontrolle der Ruhrindustrie.

 

1948–1952: Nach dem Scheitern der Außenministerkonferenzen von Moskau (10. 3.–24. 4. 1947) und London (25. 11.–15. 12. 1947) begann im Frühjahr 1948 eine neue Phase der D.; die SED fing an, sich auf eine fortdauernde Teilung Deutschlands einzustellen. Ihr Wandel zur „Partei neuen Typus“ signalisierte einen neuen gesellschaftspolitischen Kurs: Das sowjetische Vorbild galt in allen Bereichen bis in Details hinein als nachahmenswert.

 

Die Spaltung Berlins während der Blockade ging der Konstituierung der DDR am 7. 10. 1949 voraus. In den der Staatengründung folgenden beiden Jahren stagnierte der politisch-diplomatische Disput der Großmächte über Deutschland. Die SED-Führung versuchte mit harten repressiven Mitteln die Umformung der Gesellschaft zu einer volksdemokrati[S. 262]schen Ordnung voranzutreiben, eine Politik, die sie auf der II. Parteikonferenz im Juli 1952 als beginnenden „Aufbau des Sozialismus“ bezeichnete (Periodisierung).

 

1952–1955: Vier Monate vor dieser II. Parteikonferenz der SED hatte die Sowjetunion jedoch, offensichtlich beunruhigt über die seit dem Ausbruch des Korea-Krieges im Sommer 1950 auf westlicher Seite mit Nachdruck betriebene Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der atlantischen Allianz, eine neue diplomatische Initiative eingeleitet, die zwar das Angebot einer Wiedervereinigung Deutschlands enthielt, jedoch auf Ausklammerung eines gesamtdeutschen Staates aus dem östlichen und westlichen Bündnissystem gerichtet war und ihn auf einen neutralen Status verpflichten wollte. Mit der Parole „Deutsche an einen Tisch“ warb die SED — wie schon in den frühen 50er Jahren — um die Anerkennung der DDR als gleichrangigen Gesprächs- und Verhandlungspartner des westlichen Deutschland.

 

1955–1957: Nach dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Nordatlantischen Vertrag (NATO), der im Mai 1955 völkerrechtlich wirksam wurde, änderte sich die D. der SED ebenso wie die der UdSSR in mehreren wichtigen Punkten: Die These von der Existenz zweier deutscher Staaten, die man nicht mehr auf „mechanische Weise“, also durch freie gesamtdeutsche Wahlen vereinigen könne, wurde mit der Forderung nach einer Garantie der Sozialistischen ➝Errungenschaften der DDR im Falle einer Wiedervereinigung verbunden. Die SED leitete daraus ihren Vorschlag für die Bildung einer deutschen Konföderation ab, der zum ersten Mal gegen Ende des Jahres 1956 kurz erwähnt und in der Folgezeit mehrfach präzisiert, kommentiert und ergänzt wurde.

 

1958–1961: Die seit Beginn des Jahres 1958 von der SED erhobene Forderung nach Abschluß eines Friedensvertrages mit zwei deutschen Staaten hatte zum Ziel, das Deutschlandproblem erneut auf internationaler Ebene zu erörtern, um einerseits die Anerkennung der DDR, andererseits bestimmte Rüstungsbegrenzungen für die Bundesrepublik — vor allem deren verbindlichen Verzicht auf Verfügungsmacht über Kernwaffen — zu erreichen. Als der Westen keine Bereitschaft zeigte, auf den von der Sowjetunion und der DDR eingeleiteten Friedensvertragsvorstoß positiv zu reagieren, entschloß sich die sowjetische Führung im November 1958, auf die vorgeschobene Position des Westens in Berlin Druck auszuüben. Die folgenden Jahre standen im Zeichen der zweiten schweren Berlin-Krise, die ihren Höhepunkt in der Errichtung der Mauer im August 1961 fand.

 

1962–1966: Nach der Absperrung West-Berlins konzentrierte die SED ihre Anstrengungen auf die innere Konsolidierung ihres Herrschaftssystems und auf eine Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz (Neues Ökonomisches System). Im Anschluß an die sowjetisch-amerikanische Machtprobe während der Kuba-Krise sprach W. Ulbricht im Dezember 1962 von der Möglichkeit eines nationalen Kompromisses zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland. Die Passierscheinabkommen der Jahre 1963–1966 galten als Ausdruck einer „Politik der kleinen Schritte“, zu der die DDR — wenn auch widerstrebend — offenbar unter dem Eindruck internationaler Entspannungstendenzen nach dem Abschluß des Test-Stopp-Vertrages im Sommer 1963 einen Beitrag leistete, obwohl ihr die erhoffte völkerrechtliche Anerkennung durch westliche Staaten, vor allen durch die Bundesrepublik Deutschland, weiterhin versagt blieb.

 

1967–1969: Gegenüber der Ende 1966 gebildeten Regierung der Großen Koalition in Bonn bezog die SED eine verhärtete Position, zumal ihr bei der Vorbereitung des zunächst mit der SPD vereinbarten, dann jedoch von der SED abgesagten Redneraustausches im Frühjahr und Sommer 1966 bewußt geworden war, daß eine Intensivierung der Kontakte innenpolitische Wirkungen zeitigte, die der Parteiführung bedrohlich und ein Sicherheitsrisiko zu enthalten schienen (Sozialdemokratismus). In dieser Phase fand sich die Bundesregierung zum ersten Mal bereit, offizielle Kontakte zu Regierungsinstitutionen der DDR aufzunehmen, ohne damit allerdings eine Anerkennung des SED-Regimes zu verbinden. Die Entwicklung seit Herbst 1969 wurde schließlich von der Absicht der sozialliberalen Regierung bestimmt, auf vertraglicher Basis ein geregeltes Nebeneinander zweier Staaten in Deutschland zu erreichen, um so den Zusammenhalt der deutschen Nation trotz fortdauernder Teilung zu wahren. In Reaktion auf die „Neue Ostpolitik“ der Regierung Brandt-Scheel, die aus der These vom Fortbestand einer Nation in zwei deutschen Staaten ihren Anspruch auf besondere innerdeutsche Beziehungen ableitete und einer völkerrechtlichen Anerkennung der DDR — „als Ausland“ — widersprach, änderte die SED zu Beginn des Jahres 1970 ihre Haltung zur „nationalen Frage“ (Nation und nationale Frage).

 

Hatte die DDR sich selbst in ihrer Verfassung vom April 1968 als „sozialistischen Staat deutscher Nation“ bezeichnet, so wurde dieser Begriff zu Beginn des Jahres 1970 — ohne formelle Änderung der Verfassung — im politischen Sprachgebrauch der SED durch die Formel vom „sozialistischen deutschen Nationalstaat DDR“ ersetzt.

 

Die SED berief sich auf die marxistisch-leninistische Deutung der Klassenstrukturen in beiden deutschen Staaten und behauptete, in der DDR entwickle sich die „sozialistische Nation“, die mit der in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden „bürgerlichen Nation“ nichts mehr gemein habe.

 

[S. 263]Der um die Jahreswende 1969/70 erfolgte Positionswandel der SED in der „nationalen Frage“ läßt sich eindrucksvoll an dem veränderten Verhalten der DDR gegenüber den Vereinten Nationen ablesen. Als die DDR 1966 zum ersten Mal einen Aufnahmeantrag an die Weltorganisation richtete, legte sie in einem Memorandum ihres Außenministeriums an die Vereinten Nationen großen Wert auf die Feststellung, daß ein Beitritt „die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands fördern“ könnte. Beide deutschen Staaten hätten sich konsolidiert und selbständig entwickelt, jeder von ihnen habe seine eigene Verfassung, seinen eigenen Staatsapparat, seinen eigenen Wirtschaftsorganismus und seine selbständige Armee: „Diese beiden deutschen Staaten bilden ungeachtet dessen eine Nation“ (Dokumente zur Außenpolitik der DDR, Berlin [Ost] 1966, XIV/1, S. 643). Als dagegen Außenminister O. Winzer am 1. 10. 1973 nach vollzogener Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die Vereinten Nationen vor der Vollversammlung sprach, erklärte er, aus der Gegensätzlichkeit der gesellschaftlichen und politischen Ordnungen in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR ergäbe sich als „zwingende Schlußfolgerung“, daß zwischen ihnen „eine Vereinigung niemals möglich“ sein werde.

 

Bis Ende der 60er Jahre war die D. der SED noch auf eine Wiedervereinigung Deutschlands gerichtet — gemeint war allerdings, wie Art. 8 der DDR-Verfassung vom April 1968 bekräftigte, eine „Vereinigung auf der Grundlage von Demokratie und Sozialismus“, wobei diese beiden Begriffe im Sinne der marxistisch-leninistischen Lehre verstanden wurden. Die in jener Verfassungsnorm geforderte „schrittweise Annäherung der beiden deutschen Staaten“ ist seit 1970 nicht mehr postuliert worden. Statt dessen spricht die SED-Führung von einem objektiven Prozeß der Abgrenzung, der sich zwischen ihnen vollziehe.

 

1972–1978: Die Abgrenzungspolitik der SED ist zugleich Bestandteil und Voraussetzung einer D., die erstmals in ihrer Geschichte (abgesehen vom Innerdeutschen Handel) zu zahlreichen vertraglichen Regelungen zwischen beiden deutschen Staaten führte. Nach Unterzeichnung des „Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik“ (Grundlagenvertrag) am 21. 12. 1972 konnten Folgevereinbarungen über die Beziehungen auf verkehrspolitischem, gesundheitspolitischem, wirtschaftlichem, kommunikativem Gebiet sowie bezüglich Fragen des Reise- und Sportverkehrs, der Markierung der innerdeutschen Grenze und der Errichtung von Ständigen Vertretungen in Berlin (Ost) und Bonn abgeschlossen werden.

 

In dieser Phase hatte die D. der SED der sowjetischen Entspannungspolitik zu folgen, die seit Unterzeichnung des Viermächte-Abkommens über Berlin im September 1971 auf allen Ebenen die Abhaltung einer Sicherheitskonferenz über Europa anstrebte. Die Ablösung W. Ulbrichts durch E. Honecker als Ersten Sekretär des ZK der SED im Frühjahr 1971 schuf auch personell die Voraussetzung einer verstärkten Unterordnung unter die sowjetische Europapolitik. Um den Preis einer begrenzten Öffnung der DDR für rasch anwachsende millionenfache Kontakte auf privater Ebene auf der Grundlage völkerrechtlich gültiger Vereinbarungen führte diese D. aber auch zur internationalen Anerkennung der DDR durch die Mehrzahl der Staaten, zu ihrer Aufnahme in die UN und zu ihrer gleichberechtigten Teilnahme an der „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE), deren Schlußakte auch von SED-Chef Honecker unterzeichnet wurde.

 

Die D. der SED besteht gegenwärtig (1979) vor allem darin, die innenpolitischen Folgen der innerdeutschen Vertragspolitik abzufangen und neue Verträge mit der Bundesrepublik Deutschland — abgesehen von der Regelung von Verkehrsfragen — nur noch zu schließen, wenn damit auch grundsätzliche deutschlandpolitische Positionen der SED-Führung nicht berührt werden. In der Staatsbürgerschaftsfrage (Staatsbürgerschaft), in Fragen der Einbeziehung von Berlin (West) in Verträge und wegen Ansprüchen der DDR auf Teile der Bestände der Stiftung Preußischer Kulturbesitz stehen sich gegensätzliche Auffassungen gegenüber. Die DDR-Führung verhandelt zwar über einige der zuletzt genannten Bereiche zögernd weiter, Übereinkünfte sind jedoch nicht in Sicht.

 

Rückschauend lassen sich in der D. der SED vier entscheidende Wendepunkte aufzeigen: 1948 der Kurswechsel in Richtung auf eine eigene Staatsgründung, 1955 die Proklamation der Zwei-Staaten-These in Verbindung mit der gesellschaftspolitisch relevanten Forderung nach Garantie der „sozialistischen Errungenschaften“, 1960–1962 ideologische Absicherung des Rückzugs auf die „Nationale Mission“ der DDR als souveräner deutscher Staat sowie endgültige Spaltung Berlins und gewaltsame Unterbrechung des Flüchtlingsstroms durch Bau der Mauer, 1970 die Abkehr von der Formel „zwei Staaten — eine Nation“ und der grundsätzliche Verzicht auf das Ziel einer deutschen Wiedervereinigung. Diese Phasen sollen im folgenden genauer beschrieben werden.

 

II. Von der Kapitulation bis zur Gründung der DDR

 

 

In der „Atlantik-Charta“ (12. 8. 1941) hatten die USA und Großbritannien ihre Kriegsziele verkündet. Sie versicherten darin u. a., daß „ihre Länder keinerlei Gebiets- und sonstige Vergrößerungen erstrebten“, die „nicht mit den frei zum Ausdruck gebrachten Wünschen der betreffenden Völker über[S. 264]einstimmten“. Auf der Sitzung des Interalliierten Rates in London vom 24. 9. 1941 hatte u. a. die UdSSR dieser Proklamation voll zugestimmt.

 

Ohne eine freie Willensäußerung des deutschen Volkes abzuwarten, erörterten die Alliierten auf ihren folgenden Kriegskonferenzen Pläne für eine Aufteilung Deutschlands in 5 Teile (28. 11.–1. 12. 1943 in Teheran) und einigten sich vorläufig auf eine Ausdehnung Polens von der Curzon-Linie bis zur Oder. Auf der Konferenz in Jalta (3.–11. 2. 1945) wurden, insbesondere auf Veranlassung Stalins, schließlich die „völlige Entwaffnung, Entmilitarisierung und Zerstückelung Deutschlands“ beschlossen. Da es außer dieser Formulierung im Protokoll der Konferenz keinen förmlichen Beschluß über die Aufgliederung Deutschlands und die Art ihrer Durchführung gab, sollten diese Fragen von dem „Ausschuß für die deutsche Teilungsfrage“ (Dismemberment Committee) in London weiterberaten werden. Die UdSSR hat sich an den Beratungen dieses Komitees weitgehend uninteressiert gezeigt. Gleichzeitig einigte man sich in Potsdam, der Moskauer Reparationskommission als „Diskussionsgrundlage“ eine deutsche Wiedergutmachung von 20 Mrd. Dollar (50 v. H. an die UdSSR) zu empfehlen. Sicher haben die Frage der Reparationen und die Sorge der Sowjets, bei einer Aufteilung Deutschlands von den Industrie-Zentren des Rheinlandes abgeschnitten zu werden, entscheidend dazu beigetragen, daß Stalin seit dem Abschluß des sowjetisch-polnischen Bündnispaktes am 21. 4. 1945 alle sowjetischen Pläne einer „Zerstückelung“ Deutschlands in Abrede stellte (Stalins Rundfunkansprachen vom 9. 5. 1945 aus Anlaß der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde in Reims/Karlshorst am 8. 5. 1945).

 

Das Potsdamer Protokoll legt fest. Deutschland als eine wirtschaftliche Einheit zu behandeln und, soweit „praktisch durchführbar“, die „deutsche Bevölkerung in ganz Deutschland“ gleich zu behandeln. Als Folge der hinsichtlich der deutschen Frage ergebnislosen alliierten Konferenzen der Jahre 1947 und 1948 begann in beiden Teilen Deutschlands eine Entwicklung, die 1949 zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR führte.

 

In der SBZ schuf die Sowjetische Militäradministration (SMAD) am 25. 7. 1946 11 deutsche Zentralverwaltungen, deren Errichtung eine einseitige Vorwegnahme der nach dem Potsdamer Abkommen für ganz Deutschland vorgesehenen Zentralverwaltungen darstellte und insofern die Abspaltung der SBZ von den anderen Besatzungszonen verstärkte. Im September und Oktober 1945 erließen die 5 Landesregierungen Verordnungen über die Durchführung der Bodenreform. Gleichzeitig begann die Enteignung, die sich zunächst nur gegen Betriebe ehemaliger Nationalsozialisten richtete.

 

Der im August 1946 von den Sowjets geschaffenen „Deutschen Verwaltung des Inneren“ wurden bereits die Polizeien aller 5 SBZ-Länder unterstellt, wodurch eine weitgehende Zentralisierung der Verwaltung der SBZ erreicht wurde. Durch SMAD-Befehl Nr. 138 vom 27. 6. 1947 wurden die 11 Zentralverwaltungen zur Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) zusammengefaßt und deren Zuständigkeit seit Februar/März 1948 erheblich ausgeweitet. Außerhalb der DWK wurden noch einige Zentralverwaltungen (für Justiz, Volksbildung, Gesundheitswesen und Inneres) eingerichtet, die formal dem ersten DWK-Präsidenten (Heinrich Rau [SED]) unterstanden. Die DWK nahm von Anfang an gewisse Funktionen einer Zentralregierung wahr. In den westlichen Zonen gab es zu dieser Zeit keine vergleichbaren zentralen deutschen Verwaltungen. Das Scheitern der Münchner Ministerpräsidentenkonferenz (6.–7. 6. 1947) zeigte, daß die Westmächte einerseits damals nicht bereit waren, vor einer grundsätzlichen Einigung zwischen den Alliierten, Vertreter deutscher Verwaltungsorgane über politische Fragen der Wiedervereinigung beraten zu lassen. Andererseits bewiesen SED und Sowjets durch den von ihnen erzwungenen Auszug der 5 Vertreter der SBZ, daß sie der ersten gesamtdeutschen Beratung nach dem Krieg nur unter ihren Bedingungen zuzustimmen bereit waren.

 

Sowohl die Schaffung der „Bi-Zone“ (2. 12. 1946) als auch die Gründung eines „deutschen Wirtschaftsrates“ (29. 5. 1947) und die Zusammenlegung aller 3 westlichen Zonen zur „Tri-Zone“ (Sommer 1948) hatten überwiegend wirtschaftliche Gründe, da sich die Alliierten über die Behandlung Deutschlands als wirtschaftlicher Einheit nicht zu einigen vermochten (Vier-Mächte-Außenministerkonferenz vom 23. 5. bis 20. 6. 1949 in Paris) und die Durchführung einer Währungsreform notwendig geworden war. Diese und ihre Nichtbeteiligung an der inoffiziellen Londoner Sechsmächtekonferenz (23. 2.–3. 6. 1948) nahmen die Sowjets zum Anlaß, den Alliierten Kontrollrat zu verlassen (20. 3. 1948) und gegen Berlin die Blockade (24. 6. 1948) zu verhängen. Gleichzeitig „bestätigte“ der 3. Deutsche Volkskongreß der SBZ am 30. 5. 1949 die 1. Verfassung der „Deutschen Demokratischen Republik“.

 

Er wählte einen Deutschen Volksrat, der sich am 7. 10. 1949 zur „provisorischen Volkskammer“ erklärte. Die ersten Wahlen zur 1. Volkskammer (15. 10. 1950) erfolgten nach Einheitslisten der Nationalen Front. Am 10. 10. 1949 wurde die SMAD in eine Sowjetische Kontrollkommission (SKK) umgewandelt und die Regierung der DDR für Außenpolitik und Außenhandel zuständig erklärt. Die Bundesregierung hat von Anfang an die Gründung der DDR als „rechtswidrig“ bezeichnet, da keine freie Willensäußerung des deutschen Volkes stattgefunden habe.

 

[S. 265]Auf der New Yorker Außenministerkonferenz der 3 Westmächte (18. 9. 1950) wurde dieser Standpunkt der Bundesregierung bestätigt und die Bundesregierung erstmalig offiziell für berechtigt erklärt, als einzige deutsche Regierung bis zur Wiedervereinigung für das gesamte Deutschland zu sprechen.

 

Die SED behauptete dagegen, die Westmächte hätten das Potsdamer Abkommen gebrochen, die „Bildung der Bonner Marionettenregierung“ habe den „nationalen Notstand und die Kriegsgefahr verstärkt“. Sie forderte die Schaffung einer „provisorischen Regierung des demokratischen Deutschland“ und den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland („Neues Deutschland“ vom 5. 10. 1949).

 

III. Gesamtdeutsche Politik bis zur Gründung des Warschauer Paktes

 

 

Zur D. sagte Wilhelm Pieck, Präsident der DDR, am 10. 11. 1949 vor der Volkskammer: „Niemals wird die Spaltung Deutschlands … von der Deutschen Demokratischen Republik anerkannt werden … Es geht nicht darum, ob die westdeutsche Bundesregierung und die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik sich gegenseitig anerkennen, sondern darum, gemeinsam oder nebeneinander den nationalen Interessen des deutschen Volkes zu dienen … wir wollen ein demokratisches, nationales und wirtschaftlich selbständiges Deutschland …“ („Dokumente zur Außenpolitik der DDR“, Bd. I, Berlin [Ost] 1954, S. 15–16). In seiner ersten Regierungserklärung vom 12. 10. 1949 bezeichnete O. Grotewohl die Gründung des „Bonner Separatstaates“ als „Vollendung der Spaltung Deutschlands“. Gleichzeitig wurde „die Wiedervereinigung aller Teile Deutschlands zu einer einheitlichen demokratischen Republik“ gefordert, deren „Rechtsgrundlage“ im Potsdamer Abkommen enthalten sei. Die im Westen beginnende Diskussion um die Schaffung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft unter Einschluß der Bundesrepublik Deutschland und die vorerst versteckte, später offene Aufrüstung in der DDR (bereits 1950 wurde mit dem Aufbau paramilitärischer Verbände in Form der Kasernierten Volkspolizei begonnen) leiteten die Phase der Einbeziehung beider Teile Deutschlands in das östliche und westliche Bündnissystem ein.

 

Im folgenden zeigte es sich, daß die Regierungen in beiden deutschen Staaten (und die hinter ihnen stehenden Mächtegruppierungen) in der deutschen Frage auf entgegengesetzten Positionen beharrten und keine praktischen Schritte unternahmen, die zu einer Annäherung hätten führen können. Die Bundesregierung forderte stets als ersten Schritt zur Wiederherstellung der deutschen Einheit gesamtdeutsche, freie, geheime, gleiche und von den Besatzungsmächten unbeeinflußte Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung (so in ihrer Erklärung vom 25. 3. 1950 und in der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 14. 9. 1950 zu den bevorstehenden Volkskammerwahlen am 15. 10. 1950).

 

Die Regierung der DDR schlug in Anlehnung an die Empfehlungen der Prager Außenministerkonferenz (20.–21. 10. 1950) vor, zunächst einen „Gesamtdeutschen Konstituierenden Rat unter paritätischer Zusammensetzung aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands“ zu bilden, der die Einsetzung einer „gesamtdeutschen souveränen demokratischen und friedliebenden provisorischen Regierung vorzubereiten, mit der Ausarbeitung eines Friedensvertrages zu beginnen und Vorbereitungen für die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen zu treffen hätte“ (so in einer Regierungserklärung Otto Grotewohls vom 15. 9. 1950, in einem „Beschluß des Ministerrates der DDR“ vom 25. 10. 1950 und einem Brief Grotewohls an Bundeskanzler Adenauer vom 30. 11. 1950).

 

Die SED hat ihr Wahlsystem — Einheitsliste der Kandidaten der Nationalen Front, Beteiligung der Massenorganisationen an der Kandidatenaufstellung, faktische Ausschaltung aller nicht im „Demokratischen Block“ zusammengeschlossenen politischen Parteien und Organisationen — stets als vorbildlich bezeichnet.

 

Am 15. 9. 1951 modifizierte Grotewohl in einer Regierungserklärung seinen Vorschlag über die Bildung eines Gesamtdeutschen konstituierenden Rates bzw. einer „Gesamtdeutschen Beratung“, indem er dessen paritätische Zusammensetzung als „nicht von grundlegender Bedeutung“ bezeichnete.

 

Als der Bundestag am 27. 9. 1951 „14 Grundsätze einer neuen Wahlordnung für gesamtdeutsche Wahlen“ verabschiedete und deren internationale Kontrolle forderte, erklärte Grotewohl in einer Regierungserklärung vom 10. 10. 1951 diese Vorschläge in der Mehrzahl als „annehmbar“ und eine internationale Kontrolle als diskutabel, falls es vorher zu einer „gesamtdeutschen Beratung“ käme. Eine solche Beratung wurde jedoch am 16. 10. 1951 erneut von Bundeskanzler Adenauer vor dem Bundestag abgelehnt.

 

Auf Vorschlag der 3 Westmächte verabschiedete die UN-Vollversammlung am 20. 12. 1951 (u. a. gegen die Stimmen des Sowjetblocks) eine Resolution über die Einsetzung einer UN-Kommission, die die Voraussetzung für freie Wahlen in ganz Deutschland prüfen sollte. Die Resolution wurde am 9. 1. 1952 von der Regierung der DDR als „rechtsungültig“ bezeichnet und am 23. 3. 1952 der UN-Kommission in Berlin die Einreise in die DDR verweigert.

 

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen standen sowohl die Frage des Wahlmodus — wie die beiden Wahlgesetzentwürfe der Volkskammer vom 9. 1. 1952 und des Deutschen Bundestages vom [S. 266]6. 2. 1952 zeigen — als auch die Reihenfolge der Schritte, die zur Wiedervereinigung führen sollten. Der Notenwechsel zwischen der UdSSR und den Westmächten im Jahre 1952 zeigte, daß die UdSSR nicht bereit war, freien Wahlen vor dem Abschluß eines Friedensvertrages zuzustimmen. Aus diesem Grunde lehnten die Westmächte auch den Entwurf eines Friedensvertrages und den Vorschlag zur Bildung einer „Provisorischen gesamtdeutschen Regierung“ ab, den Molotow auf der Berliner Außenministerkonferenz im Februar 1954 unterbreitete. Darüber hinaus stieß der sowjetische Vorschlag im Westen auf Ablehnung, da er als diplomatischer Schachzug gegen den geplanten Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur NATO (im Oktober 1954 auf der Londoner Neunmächtekonferenz beschlossen) verstanden wurde.

 

Um die Ratifizierung der Pariser Verträge durch die Bundesrepublik Deutschland zu verhindern, erklärte sich die UdSSR am 14. 1. 1955 bereit, „Gesamtdeutschen Wahlen“ unter internationaler Aufsicht zuzustimmen, falls sich „die Regierungen der DDR und der BRD damit einverstanden erklären“. Unter Abkehr von seiner bisherigen Haltung stimmte der Ministerrat der DDR am 20. 1. 1955 einer internationalen Aufsicht über gesamtdeutsche Wahlen zu. Die Bundesregierung lehnte diesen Vorschlag am 22. 1. 1955 mit der Begründung ab, daß die UdSSR zwar einer internationalen Aufsicht von Wahlen (endlich) zugestimmt habe, diese Kontrolle sich hingegen nicht auf „wirkliche freie Wahlen“ erstrecken solle.

 

Am 5. 5. 1955 traten die Pariser Verträge in Kraft, das Besatzungsstatut wurde aufgehoben, und die Bundesrepublik Deutschland trat der WEU bei, am 9. 5. 1955 wurde sie in den Nordatlantikpakt aufgenommen. Die DDR trat dem am 14. 5. 1955 gegründeten Warschauer Pakt bei. Damit war die Einbeziehung beider Teile Deutschlands in die Militärblöcke des Westens und Ostens vollzogen, eine neue Etappe der D. begann.

 

IV. Die UdSSR lehnt Verantwortung für Wiedervereinigung ab

 

 

In einer TASS-Erklärung vom 12. 7. 1955 hatte die UdSSR eine deutschlandpolitische Schwenkung vollzogen. Sie bezeichnete nunmehr die „Gewährleistung der europäischen Sicherheit“ als „wichtigste Frage“, der gegenüber das „Verfahren der Durchführung von Wahlen“ (in Deutschland) eine „untergeordnete Frage“ sei.

 

Zwar einigten sich die Regierungschefs der Vier Mächte auf der Genfer Gipfelkonferenz (17.–23. 7. 1955) in der Direktive an ihre Außenminister, die „Regelung des deutschen Problems und der Wiedervereinigung Deutschlands mittels freier Wahlen“ anzustreben. Jedoch schon auf der Rückreise von Genf nannte Chruschtschow am 26. 7. 1955 die „mechanische Vereinigung beider Teile Deutschlands“ (durch Wahlen zu einer gesamtdeutschen Nationalversammlung) eine „unreale Sache“. Er lehnte es ab, die „deutsche Frage“ auf „Kosten der Interessen der Deutschen Demokratischen Republik zu lösen“. In einer Regierungserklärung vom 12. 8. 1955 schloß sich Grotewohl dem sowjetischen Standpunkt an und betonte, daß eine Wiedervereinigung „nur Schritt für Schritt auf dem Wege der Zusammenarbeit und der Annäherung der beiden deutschen Staaten herbeigeführt werden kann“ („Dokumente zur Außenpolitik der DDR“, Bd. III, Berlin [Ost] 1956, S. 32). „Freie demokratische Wahlen“ würden ― so Grotewohl ― erst stattfinden, wenn ihre „Ausnutzung zu Aggressionszwecken“ nicht mehr möglich sei.

 

Als konkrete Maßnahmen zur „Annäherung beider deutscher Staaten“ schlug er eine Beteiligung an der Ausarbeitung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa vor und regte verstärkte wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zwischen ihnen und eine „Verbesserung der Bedingungen für den Verkehr der Bevölkerung zwischen beiden Staaten“ an.

 

Erstmalig wurde von Grotewohl offiziell gefordert, daß in der Bundesrepublik Deutschland die „Herrschaft der Monopolkapitalisten und Großgrundbesitzer“ gebrochen werden müsse, wenn „die friedliebenden Kräfte des deutschen Volkes“ die „realen Voraussetzungen für die Vereinigung Deutschlands“ schaffen wollten.

 

Im folgenden hat die DDR ihre Vorstellungen zur D. und zur Lösung des deutschen Problems mehrmals formuliert. Die verschiedenen Modifikationen enthielten aber stets ein feststehendes Grundmuster, indem eine Wiedervereinigung durch freie Wahlen im westlichen Sinne abgelehnt. Vereinbarungen „zwischen beiden deutschen Regierungen“ jedoch befürwortet wurden. Am 31. 12. 1956 schlug Ulbricht im „Neuen Deutschland“ im „Interesse der Wiedervereinigung der Arbeiterklasse ganz Deutschlands“ vor, zunächst eine „Annäherung“ der zwei deutschen Staaten mit verschiedenen gesellschaftlichen Systemen herbeizuführen, um „später eine Zwischenlösung in Form der Konföderation zu finden“. Erst daran anschließend könnten „wirkliche demokratische Wahlen“ zu einer Nationalversammlung stattfinden.

 

V. Über eine Konföderation zur Wiedervereinigung

 

 

Was die SED unter einer „Konföderation“ verstand, hat sie mehrmals präzisiert. Am 30. 1. 1957 nannte Ulbricht zunächst die Vorbedingungen für eine „Annäherung beider deutscher Staaten“: u. a. Erweiterung des westdeutschen Betriebsverfassungsgesetzes, Beseitigung aller Vorrechte der Groß[S. 267]grundbesitzer, Volksabstimmung über die Überführung der Schlüsselindustrien in Volkseigentum, demokratische Boden- und Schulreform. Danach könnten die Mitglieder eines paritätisch zusammengesetzten „Gesamtdeutschen Rates“ auf der Basis der geltenden Wahlgesetze gewählt werden. Dieser Rat wäre als Regierung der Konföderation, eines Staatenbundes aus DDR und Bundesrepublik Deutschland, befugt, „freie gesamtdeutsche Wahlen“ vorzubereiten.

 

Während der Diskussion über den ersten Rapacki-Plan im Jahre 1957 erneuerte der Ministerrat der DDR am 26. 7. 1957 seinen Konföderationsvorschlag. jedoch mit der wichtigen Einschränkung, daß ein „Gesamtdeutscher Rat“ nur „beratenden Charakter“ haben sollte. Da einerseits in einer Konföderation jeder der beiden deutschen Staaten seine bestehende gesellschaftspolitische Verfassung unverändert beibehalten sollte, blieb unklar, wie sich die SED die „Schaffung eines einheitlichen, demokratischen, friedliebenden und antiimperialistischen deutschen Staates“ vorstellte.

 

Am 2. 8. 1957 bekannte sich die UdSSR zwar zur Viermächte-Verantwortung für Deutschland, jedoch wurde eine Konföderation nur als „erster Schritt“ auf dem Weg zur Beseitigung der deutschen Spaltung bezeichnet. Die UdSSR hatte ― zum wiederholten Male in einer Note vom 8. 1. 1958 an die Bundesregierung ― den Plan der SED entschieden befürwortet, während die Bundesregierung eine Konföderation am 20. 1. 1958 mit der Begründung ablehnte, die Wiedervereinigung sei nicht Sache zweier Regierungen, sondern liege in der „ausschließlichen Zuständigkeit des deutschen Volkes“. Schon am 22. 1. 1958 antwortete Chruschtschow darauf in einer Rede in Minsk und bestritt, daß sich die UdSSR jemals zur Abhaltung freier Wahlen als erstem Schritt auf dem Weg zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands verpflichtet hätte. Auf dem Boden Deutschlands existierten jetzt „zwei souveräne Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung“, deren Aufgabe es in erster Linie sei, die „nationale Einheit Deutschlands als einheitlichen, friedliebenden demokratischen Staat wiederherzustellen“.

 

Worauf es jedoch der SED mit ihrem Vorschlag für eine Konföderation in erster Linie ankam, bekannte Ulbricht am 13. 2. 1958 in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Demnach sollte die Bildung eines Staatenbundes durch den Abschluß eines völkerrechtlich gültigen Vertrages zwischen Bundesrepublik Deutschland und DDR vorgenommen werden. Gleichzeitig machte er alle Schritte auf eine Wiedervereinigung hin davon abhängig, daß sich die Bundesrepublik Deutschland positiv zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa im Sinne des Rapacki-Planes äußere. Die „Vereinigung der beiden deutschen Staaten“ ― so sagte Ulbricht bei dieser Gelegenheit ― sei kein „einmaliger Akt, sondern ein Prozeß“. Die Bestimmung eines Zeitpunktes für „gemeinsame Wahlen“ nannte er „reine Spekulation“.

 

Die Forderung nach Bildung einer „Konföderation“ ist für die D. der SED bis Mitte der 60er Jahre kennzeichnend gewesen. Der Begriff Konföderation wurde von der SED ideologisch interpretiert und als „dialektische Einheit von friedlicher Koexistenz und Selbstbestimmung“, als eine „besondere Form des Klassenkampfes zwischen Sozialismus und Kapitalismus auf deutschem Boden“ bezeichnet.

 

Das Jahr 1958 war gleichzeitig auch von verstärkter sowjetischer Aktivität hinsichtlich der Durchsetzung der internationalen Anerkennung der DDR charakterisiert. Jedoch haben die Westmächte und die Bundesregierung alle von der UdSSR unterstützten Konföderations-Vorschläge der DDR zurückgewiesen, da sie darin keinen Weg zur Überwindung der deutschen Spaltung, sondern lediglich ein Vehikel zur Aufwertung und letztlich zur völkerrechtlichen Anerkennung der DDR sahen.

 

Der V. Parteitag der SED (Juli 1958) führte zu einer weiteren Verhärtung der D. der SED. Nunmehr sollten die „sozialistischen Errungenschaften“ nicht mehr nur in der Phase des Zusammenschlusses „beider deutscher Staaten“ geschützt werden, sondern jetzt wurden sie als „für immer unantastbar“ bezeichnet. Die DDR repräsentiere den einzigen „rechtmäßigen souveränen deutschen Staat“ — bisher war von „zwei souveränen deutschen Staaten“ gesprochen worden. Da der Parteitag weiterhin offen an die „friedliebenden Kräfte“ in der Bundesrepublik appellierte, eine „bürgerlich-demokratische Ordnung“ (d. h. vor allem Wiederzulassung der im August 1956 durch das Bundesverfassungsgericht verbotenen KPD) als Voraussetzung für eine Wiedervereinigung zu errichten und aus der NATO auszutreten, fanden die SED-Vorschläge selbst bei oppositionellen Kräften in der Bundesrepublik Deutschland wenig Unterstützung.

 

VI. Statt Wiedervereinigung --- Abschluß eines Friedensvertrages

 

 

Bis zum VI. Parteitag 1963 weist die D. der SED einige Grundzüge auf, die in erster Linie den Abschluß eines „Friedensvertrages mit beiden deutschen Staaten“ und die Konsolidierung der DDR zum Inhalt haben.

 

Entsprechend der sowjetischen Deutschlandpolitik trat nunmehr die Forderung nach Abschluß eines Friedensvertrages vor der Abhaltung von Wahlen in den Vordergrund (Note der Regierung der DDR an die Bundesregierung vom 4. 8. 1958, in der die Bildung einer gesamtdeutschen Kommission vorgeschlagen wird, die die Vier Mächte bei der Ausarbeitung eines Friedensvertrages für Deutschland bera[S. 268]ten soll). Die Frage eines deutschen Friedensvertrages wurde akut, als Chruschtschow (so u. a. am 5. 3. 1959 in Leipzig, am 14. 1. 1960 in Moskau, am 15. 6. 1961 im Moskauer Fernsehen) und Gromyko (auf der Genfer Außenministerkonferenz am 10. 6. 1959) mit dem Abschluß eines Friedensvertrages mit der DDR allein und allen sich daraus möglicherweise ergebenden Konsequenzen drohten. Am deutlichsten kommen die Bestrebungen der SED im „Friedensplan“ zum Ausdruck, den die Volkskammer am 6. 7. 1961 (einen Monat vor Errichtung der Berliner Mauer) verabschiedete. Darin wird die Bildung einer „Deutschen Friedenskommission“ vorgeschlagen, die deutsche Vorschläge für einen Friedensvertrag ausarbeiten sollte.

 

Von besonderer Bedeutung für die Beurteilung der D. der SED war, welche Interpretation der von Chruschtschow (seit dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956) vertretenen Koexistenz-Konzeption gegeben wurde und wieweit Ulbricht sie auch bei der Gestaltung der innerdeutschen Verhältnisse praktizieren würde. Sofern Koexistenz auch Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines nichtsozialistischen Gesellschaftssystems bedeutet, hat die SED diese Auffassung durch Betonung der „einen gesamtdeutschen Arbeiterklasse“ in ganz Deutschland und der „Aktionsgemeinschaft mit allen friedliebenden Kräften“ in der Bundesrepublik Deutschland zurückgewiesen.

 

„Die Anwendung des Prinzips der friedlichen Koexistenz auf das Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten würde bedeuten, den Klassenstandpunkt der Arbeiterklasse zu verraten. Wir betrachten auch die Beseitigung der Macht der Monopolherren und Militaristen (in Westdeutschland) nicht nur als eine Angelegenheit der Werktätigen Westdeutschlands. Deshalb hat unsere Partei auch niemals eine Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik proklamiert“ (W. Horn, Der Kampf der SED um die Festigung der DDR und den Übergang zur zweiten Etappe der Revolution, Berlin [Ost] 1959).

 

Diesem Konzept von politischer Nichteinmischung entsprach der vom ZK der SED im April 1960 veröffentlichte „Deutschlandplan des Volkes — Offener Brief an die Arbeiterklasse Westdeutschlands“. Um über die Anhängerschaft der verbotenen KPD hinaus breitere Kreise in der Bundesrepublik anzusprechen, forderte die SED darin „sozialdemokratische, christliche und parteilose Arbeiter, ehrliche Patrioten in Stadt und Land“ und „fortschrittliche Unternehmer“ auf, den „westdeutschen Militarismus zu beseitigen und so die Voraussetzung für eine Konföderation beider deutscher Staaten zu schaffen“. Die SED hat zu diesem Zeitpunkt nicht nur eine grundlegende Umgestaltung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland als Vorbedingung für eine Wiedervereinigung gefordert, sondern wollte selbst diese Umgestaltung aktiv fördern. Dabei wurde stets betont, daß die DDR der „rechtmäßige deutsche Staat“ sei und jede innerdeutsche Verständigung eine Anerkennung ihrer Souveränität voraussetze.

 

Diese Forderungen sind von der SED in dem am 25. 3. 1962 vom Nationalrat der Nationalen Front der DDR vorgelegten Dokument „Die geschichtliche Aufgabe der DDR und die Zukunft Deutschlands“ zusammengefaßt worden. Der Gedanke der Konföderation wurde zwar beibehalten, jedoch hieß es jetzt: Ob „mit oder ohne Konföderation — der Sozialismus ist auch die Zukunft Westdeutschlands“, und: „der sozialistische deutsche Staat verkörpert die Zukunft der ganzen Nation“. Trotz der von der SED seit 1960 gelegentlich erklärten Kompromißbereitschaft in nationalen Fragen (erstmalig wurde von „nationalem Kompromiß“ in einem Brief W. Ulbrichts an Bundeskanzler Adenauer vom 28. 1. 1960 gesprochen), war in grundsätzlichen Fragen von ihr kein Entgegenkommen zu erwarten. Ulbricht selbst hat diese Befürchtungen teilweise bestätigt, als er am 13. 9. 1962 im „Neuen Deutschland“ erklärte, daß „die Grenzlinie in Deutschland nicht an der Elbe verläuft, sondern die Frontlinie mitten durch Westdeutschland geht“. Und im Rechenschaftsbericht des ZK auf dem VI. Parteitag hieß es noch, daß nur „die Vereinigung aller patriotischen Kräfte unter der Führung der Arbeiterklasse in beiden deutschen Staaten zum Erfolg der Volksbewegung in Westdeutschland“ führen würde.

 

Diese Auslegung des Koexistenzprinzips wurde von der SED erst im Anschluß an den Ausgang der Kuba-Krise im Okt. 1962 inhaltlich der sowjetischen angepaßt. So sprach Ulbricht bereits am 2. 12. 1962 in Cottbus von „Kompromissen“, die die Politik der friedlichen Koexistenz auch bei der „Lösung der nationalen Frage“ erfordere. Da aber seit Anfang der 60er Jahre als „Hauptinhalt der nationalen Frage“ die „Entmachtung der westdeutschen Militaristen und Monopolkapitalisten“ bezeichnet wurde, hat die SED nie deutlich gemacht, in welchen Punkten sie zu Kompromissen bereit war.

 

VII. Der VI. Parteitag --- innere Konsolidierung der DDR vor Wiedervereinigung

 

 

Entgegen der Meinung einiger westlicher Beobachter bedeutete der VI. Parteitag der SED vom 15. bis 21. 1. 1963 eine Korrektur ihrer bisherigen D. Es gab deutliche Anzeichen, die für eine verstärkte Hinwendung der SED zur inneren Konsolidierung ihres Herrschaftssystems sprachen. Dies bedeutete eine relative Abkehr von ihrer bis dahin eher offensiven D. Die Proklamation des Neuen Ökonomischen Systems, die verstärkten Bemühungen in den folgenden Jahren, die Herausbildung eines eigenen [S. 269]DDR-Staatsbewußtseins zu fördern, und die gewandelte Einschätzung der „Klassenkampfsituation“ in der Bundesrepublik sind Kennzeichen einer vorsichtigen Umorientierung der D. der SED. So sah sie nun „die historische Mission der DDR darin, durch eine umfassende Verwirklichung des Sozialismus im ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat die feste Grundlage dafür zu schaffen, daß in ganz Deutschland die Arbeiterklasse die Führung übernimmt“. Andererseits hieß es an gleicher Stelle: „Die günstigen Voraussetzungen für den umfassenden Aufbau des Sozialismus wie für den Übergang zum Kommunismus in der DDR werden gegeben sein, wenn in Westdeutschland Imperialismus und Militarismus überwunden sind und die beiden deutschen Staaten im Rahmen einer Konföderation in gesicherter friedlicher Koexistenz miteinander wetteifern“ (Programm der SED, ND vom 25. 1. 1963).

 

Damit wurden als „günstige Voraussetzungen“ für den gesellschaftlichen Fortschritt in der DDR Änderungen der innenpolitischen Verhältnisse in der Bundesrepublik angesehen. Die Möglichkeit einer solchen Änderung wurde etwa seit 1966 von der SED wesentlich skeptischer beurteilt als in früheren Jahren. Da die Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig die gesellschaftliche Periode des „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ durchlaufe und in dieser Epoche das Eintreten zyklischer Krisen nicht mehr mit derselben Zwangsläufigkeit erfolge, schienen die Hoffnungen der SED auf eine Mobilisierung der westdeutschen Arbeiterschaft geringer geworden zu sein.

 

Auf dem VI. Parteitag wurde die These von der einheitlichen „gesamtdeutschen Arbeiterklasse“, deren anerkannte Avantgarde die SED sei, vollständig aufgegeben. Eine indirekte Begründung findet sich im Rechenschaftsbericht des ZK, in dem es heißt, daß die „lang anhaltende Nachkriegskonjunktur es der westdeutschen Großbourgeoisie gestattete, Teile der Arbeiterklasse, des Kleinbürgertums und der Intelligenz ökonomisch zu korrumpieren und eine starke Arbeiteraristokratie entstehen zu lassen“. Dadurch seien bei der westdeutschen Bevölkerung „Illusionen“ über den „Charakter der kapitalistischen Gesellschaftsordnung“ entstanden.

 

Auch in anderer Weise hatte sich der Schwerpunkt der Argumentation der SED verschoben. Nachdem Chruschtschow auf dem VI. Parteitag den Abschluß eines Friedensvertrages aufgrund der Existenz der Mauer in Berlin als nicht mehr dringend notwendig bezeichnet hatte, fehlte diese Forderung auch in Ulbrichts Parteitagsrede. Er forderte statt dessen ein „Abkommen der Vernunft und des guten Willens“, das von der „Existenz zweier deutscher Staaten“ ausgehen und folgende Punkte enthalten sollte: 1. Respektierung der Existenz des anderen deutschen Staates und seiner politischen und gesellschaftlichen Ordnung. Feierlicher Verzicht auf Gewaltanwendung in jeder Form; 2. Respektierung, Fixierung und Festigung der bestehenden deutschen Grenzen; 3. Verzicht auf Erprobung, Besitz, Herstellung und Erwerb von Kernwaffen und der Verfügung über sie; 4. Verhandlungen über Abrüstung in „beiden deutschen Staaten“; 5. Gegenseitige Anerkennung von Reisepässen und Staatsbürgerschaft der DDR und BRD als Voraussetzung für eine Normalisierung des Reiseverkehrs; 6. „Herstellung normaler, sportlicher und kultureller Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten“, Einstellung der Tätigkeit des Alliierten Reisebüros (Allied Travel Board) in Berlin (West); 7. Abschluß eines Handelsvertrages zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland.

 

VIII. Abrüstung und Selbstbestimmungsrecht in der Deutschlandpolitik der SED

 

 

Zwei Problemkreise standen im Jahre 1963 im Mittelpunkt der Propaganda: Abrüstung und Selbstbestimmungsrecht. Schon 1957 hatte die SED den Rapacki-Plan für eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa ― allerdings nur zurückhaltend ― unterstützt. Wäre hierüber ein Abkommen zustande gekommen. hätte dies die Unterschrift auch der DDR unter einen völkerrechtlich gültigen Vertrag erfordert.

 

Dies hätte der internationalen Anerkennung der DDR entscheidend genützt.

 

Daß die Abrüstungspolitik der SED eine deutschlandpolitische Funktion hatte, zeigten schon Passagen des Konföderationsplanes Grotewohls vom 27. 7. 1957, in denen ein Verbot der Lagerung und Herstellung von Atomwaffen auf deutschem Boden gefordert, das Ausscheiden von Bundesrepublik Deutschland und DDR aus NATO und Warschauer Pakt und „gemeinsames oder einzelnes Ersuchen an die Vier Mächte auf baldige schrittweise Zurückziehung ihrer Truppen aus ganz Deutschland“ vorgeschlagen wurden.

 

Auch andere Aktionen der DDR in der Abrüstungsfrage hatten stets eine gesamtdeutsche Stoßrichtung. In der Denkschrift der Regierung der DDR an die XV. Tagung der UN-Vollversammlung vom 15. 9. 1960 wurden z. B. der Bundesrepublik Deutschland „totale Militarisierung und atomare Aufrüstung“ vorgeworfen. „Schnellste Abrüstungsmaßnahmen“ in ganz Deutschland sollten deshalb die „Herstellung der Neutralität der beiden deutschen Staaten ermöglichen“ und die „Verständigung der beiden deutschen Staaten über ihre Wiedervereinigung“ fördern.

 

Auch der Beitritt der DDR zum Kernwaffenteststopp-Abkommen von Moskau (8. 8. 1963), der Entwurf eines Vertrages zwischen DDR und Bundesrepublik Deutschland über den „umfassenden Verzicht auf Kernwaffen“ vom 6. 1. 1964 und die [S. 270]Erklärung der DDR-Regierung an die UNO zur Nichtweiterverbreitung und zum Verbot der Anwendung von Kernwaffen (27. 10. 1966) dienten ähnlichen Zielen. Einerseits waren diese Schritte diktiert von der Solidaritätspflicht gegenüber der Abrüstungspolitik der UdSSR, andererseits boten sie eine ständige Möglichkeit, die Stellung der Bundesrepublik zur NATO einer unaufhörlichen Kritik zu unterziehen und dem westlichen Verteidigungsbündnis permanente Aggressionsabsichten gegen das „sozialistische Lager“ zu unterstellen. Indem das Schreckgespenst einer drohenden Aggression durch die „atombewaffneten westdeutschen Militaristen“ an die Wand gemalt wurde, sollte die Bevölkerung von der Notwendigkeit einer engen Bindung an die UdSSR und die übrigen Bündnispartner des Warschauer Paktes überzeugt werden.

 

Der 1. „Vertrag über Freundschaft, gegenseitigen Beistand und Zusammenarbeit“ zwischen der DDR und UdSSR vom 12. 6. 1964 hat in allen wesentlichen Punkten die D. der SED sanktioniert. Dieser Vertrag, der in einer bis dahin einmaligen Weise die vertragliche Bindung eines Ostblockstaates an die UdSSR fixierte, erhielt noch besondere Bedeutung dadurch, daß er die Diskussion um das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes wiederbelebte.

 

Die Politik der Bundesregierung ging und geht bis heute davon aus, daß das Recht auf Selbstbestimmung ein universales Prinzip des Völkerrechts sei und nur in freien Wahlen geltend gemacht werden könne. Da diese bisher in der DDR nicht stattgefunden hätten, habe sich die Bevölkerung nicht darüber äußern können, in welcher Staatsform sie leben und wie sie ihre inneren und äußeren Lebensverhältnisse gestalten wolle. Daher habe die Bundesrepublik Deutschland bis zur Gewährung dieses Rechtes an die Bevölkerung der DDR die Pflicht, in außenpolitischen Angelegenheiten diese Bevölkerung mitzuvertreten.

 

Von sowjetischer und DDR-Seite lagen zur Frage des Selbstbestimmungsrechts des deutschen Volkes widersprüchliche Äußerungen vor. Chruschtschow hatte am 28. 1. 1960 in einem Brief an Bundeskanzler Adenauer die Vier-Mächte-Verantwortung für die Wiedervereinigung ausdrücklich mit dem Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes bestritten. „Selbstbestimmung, der Völker bedeutet“, so schrieb Chruschtschow, „daß die Völker einer Nation oder eines Staates selber ihr Schicksal, das Schicksal ihres Staates bestimmen.“ Am 12. 6. 1964 äußerte Chruschtschow aus Anlaß der Unterzeichnung des Freundschaftsvertrages mit der DDR, daß das Selbstbestimmungsrecht auf die deutsche Frage nicht anwendbar sei und mithin die Wiedervereinigungsproblematik nicht berühre. Die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts sei eher ein soziales denn ein nationales Problem.

 

Diese Ansicht Chruschtschows stand — mindestens teilweise — im Widerspruch zu der von der SED vertretenen These, daß das Selbstbestimmungsrecht von den Deutschen in der DDR durch Errichtung des „ersten friedliebenden Staates in der deutschen Geschichte“ längst ausgeübt worden sei. In allen sozialistischen Ländern ist nach Meinung der Völkerrechtslehre der SED das Selbstbestimmungsrecht durch die politische Praxis der kommunistischen Parteien realisiert worden.

 

Damit wurde die postulierte Universalität eines geltenden Völkerrechtsprinzips in seiner erlaubten Anwendung auf eine konkrete gesellschaftspolitische Situation eingeschränkt. Es sei nur dann der Forderung nach Selbstbestimmung Rechnung zu tragen, wenn ihre Erfüllung dem „gesellschaftlichen Fortschritt“, d. h. der Errichtung oder Festigung eines sozialistischen oder kommunistischen Herrschaftssystems dient.

 

Jedoch mußte gerade die innerdeutsche Situation die Frage aufwerfen, wer in Deutschland dieses Selbstbestimmungsrecht zu beanspruchen hat und wie es ausgeübt werden soll. Insbesondere mußte die Völkerrechtslehre der SED versuchen zu begründen, daß dem „Volk der DDR“ ein eigenständiges, vom Volk in ganz Deutschland abgesondertes Selbstbestimmungsrecht zusteht.

 

Die Frage, was unter dem Begriff Volk zu verstehen sei, wurde mit der These beantwortet, daß es in Deutschland zwei „Subjekte des Selbstbestimmungsrechtes“. gäbe (vgl. R. Arzinger in: Deutsche Außenpolitik, H. 8, 1964, S. 768 ff.). Zu den herkömmlichen Begriffsmerkmalen (nationale, religiöse, kulturelle, sprachliche Gemeinsamkeiten) von Völkerrechtssubjekten, die ein Selbstbestimmungsrecht beanspruchen können, fügte Arzinger den „bestimmten Stand von gesellschaftlicher Entwicklung, (und) eine bestimmte ökonomische klassenmäßige Struktur“ hinzu. Er ist der Meinung, daß die Abgrenzung der Subjekte des Selbstbestimmungsrechtes nicht nur nach nationalen, sondern auch nach sozialen Gesichtspunkten erfolgen kann, und daß dementsprechend in Deutschland mit der „Bildung von zwei Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung“ sich auch zwei Subjekte des Selbstbestimmungsrechtes herausgebildet haben.

 

Internationale Anerkennung hat diese Auffassung weder im Westen noch im Osten gefunden. Selbst die SED bestritt die Existenz einer einheitlichen deutschen Nation bis gegen Ende der 60er Jahre nicht (Nation und nationale Frage).

 

IX. Die Bedingungen der SED für eine Wiedervereinigung Deutschlands

 

 

In den Jahren 1964/65 änderte sich die D. der SED prinzipiell nicht, auch wenn man zunächst im Angebot eines beschränkten Zeitungsaustausches [S. 271]durch Ulbricht am 25. 4. 1964 (von der Bundesregierung aus verfassungsrechtlichen Gründen am 2. 6. und 16. 7. 1964 abgelehnt) und in der Ausreisegenehmigung für Rentner am 9. 9. 1964 ein begrenztes Einlenken der Regierung der DDR vermuten konnte.

 

Dem stehen Maßnahmen und Erklärungen der SED gegenüber, die von der Bundesregierung als Vertiefung der Spaltung verstanden wurden: die Einführung eines zwangsweisen DM-Umtausches bei Besuchsreisen in die DDR (25. 11. 1964), die Aufforderung an die Bundesregierung (26./28. 4. 1964), 120 Mrd. DM „Schulden“ zu zahlen, die der DDR durch Reparationsleistungen und „Abwerbung“ entstanden seien, die weiteren Erschwernisse durch eine Verordnung über den „grenzüberschreitenden Binnenschiffahrtsverkehr“ vom 24. 6. 1965 und die direkte Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Bundesregierung durch die Erklärung Ulbrichts vom 1. 8. 1965, ein Wahlsieg der CDU/CSU beiden bevorstehenden Bundestagswahlen bedeute eine „dauernde“ Blockierung der Wiedervereinigung. Verbunden mit wachsender Polemik zeigte die SED in steigendem Maße eine Haltung, die von westlichen Beobachtern als „DDR-Alleinvertretungsanmaßung“ bezeichnet wurde. So sagte Ulbricht im September 1965 in Moskau, daß die DDR für „das ganze friedliebende Deutschland (spreche), für alle friedliebenden Menschen, auch für diejenigen, die heute noch jenseits unserer Staatsgrenzen in der westdeutschen Bundesrepublik oder auf dem besonderen Territorium Westberlin leben“ (ND vom 24. 9. 1965).

 

Die Gründung eines „Staatssekretariats für gesamtdeutsche Fragen“ (18. 12. 1965) und die Konstituierung eines „Rates für gesamtdeutsche Fragen“ (14. 1. 1966) hatten dagegen in erster Linie eine innenpolitische Funktion. Der Bevölkerung sollte gezeigt werden, daß die SED die Wiedervereinigung Deutschlands als politisches Fernziel keineswegs aufgegeben habe; wann dieses Ziel, ein „sozialistisches Deutschland“, jedoch erreicht würde, machte die Partei jetzt ganz von einer innenpolitischen Veränderung in der Bundesrepublik Deutschland (Austritt aus der NATO, Verzicht auf Kernwaffen, Entmilitarisierung, Herrschaft der Arbeiterklasse) abhängig. Dabei wurde die seit 1964 von der SED benutzte These von den „2 Staatsvölkern“ der „beiden deutschen Nationalstaaten“ zu einer Drei-Staaten-Theorie und Drei-Völker-Theorie (unter Einschluß von Berlin [West]) ausgedehnt (G. Kegel im ND vom 16. 1. 1966).

 

X. Das Scheitern des geplanten Redneraustausches zwischen SED und SPD

 

 

Im Februar, März und April 1966 kam es zu einem Briefwechsel zwischen SED und SPD, den die SED begonnen hatte und in dem sie zunächst ihren bekannten Standpunkt in der Deutschlandfrage wiederholte. Die SPD hatte im 1. Antwortbrief 7 konkrete Fragen an die SED gerichtet, in denen vor allem auf Entspannung in „kleinen Schritten“ zwischen DDR und Bundesrepublik Deutschland gedrungen wurde. Dieser Briefwechsel zeigte zunächst, daß es innerhalb der SED-Führung Kräfte gab, deren Selbstbewußtsein so gewachsen war, daß sie sich einer gesamtdeutschen Auseinandersetzung gewachsen fühlten. Die zögernde Veröffentlichung des 1. SPD-Briefes in der DDR machte jedoch auch deutlich, daß sich die Hoffnung der SED, zwischen SPD-Führung und Mitgliedern einen Keil treiben zu können, keineswegs erfüllt hatte. Als die SED eine im März 1966 von der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands angebotene Fernsehdiskussion zwischen Vertretern der SED, und SPD ablehnte, schien sie von der Leidenschaftlichkeit der besonders in der DDR im Gang gekommenen Diskussion überrascht und gleichzeitig besorgt zu sein, eine von ihr initiierte Entwicklung könnte ihrer Kontrolle entgleiten.

 

Den von der SED in ihrem 2. Brief an „die Delegierten des Dortmunder Parteitages der SPD und alle Mitglieder und Freunde der Sozialdemokratie in Westdeutschland“ (ND vom 26. 3. 1966) unterbreiteten Vorschlag eines Redneraustausches zwischen SED und SPD hielt sie jedoch zunächst aufrecht.

 

Am 22. 4. 1966 veröffentlichte das „Neue Deutschland“ eine Rede Ulbrichts. Darin wiederholte er den 6-Punkte-Plan seiner Neujahrsrede, in dem er „erste Schritte“ zur innerdeutschen Annäherung der Bundesregierung offeriert hatte: Verzicht beider Teile Deutschlands auf atomare Aufrüstung, Anerkennung der bestehenden Grenzen in Deutschland, Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten der NATO und des Warschauer Paktes, Verhandlungen über Abrüstung in Deutschland, Verzicht auf die „Notstandsgesetzgebung“ in der Bundesrepublik, Normalisierung der Beziehungen zwischen „den deutschen Staaten und ihren Bürgern“. Hinzu kam jetzt jedoch ein Katalog von Vorbedingungen für das Zustandekommen einer Konföderation. So forderte Ulbricht u. a. eine Parlamentsreform in der Bundesrepublik Deutschland, Mitbestimmung für die Gewerkschaften in den Betrieben, Veränderung der Machtverhältnisse in der westdeutschen Großindustrie, Enteignung des Springer-Konzerns, eine Bildungsreform in der Bundesrepublik, Säuberung des Staatsapparates der Bundesrepublik und dergleichen mehr. Erst danach könne durch eine Konföderation die „demokratische Umwälzung“ in der Bundesrepublik Deutschland vollendet werden.

 

Der 2. offene Brief des Parteivorstandes der SPD vom 14. 4. 1966 wurde zunächst vom „Neuen Deutschland“ am 30. 4. 1966 nur in stark entstellter [S. 272]Weise abgedruckt, der volle Wortlaut wurde erst am 29. 5. 1966 zusammen mit dem 3. offenen Brief der SED veröffentlicht. Gleichzeitig wurde auf dem 12. ZK-Plenum (27./28. 4. 1966) eine Vertagung des Redneraustausches auf Juli 1966 beschlossen.

 

Da die SED in dieser Zeit ihre öffentlichen Angriffe gegen Mitglieder des Parteivorstandes der SPD verstärkt fortsetzte und gleichzeitig Kontakte auf unterer Parteiebene forderte, liegt der Schluß nahe, daß es ihr vor allem um die Praktizierung der vom XXIII. Parteitag der KPdSU (Februar 1966) proklamierten „Volksfronttaktik“ auch in der innerdeutschen Auseinandersetzung ging.

 

Am 26. 5. 1966 legten Beauftragte der SPD und SED die Termine für den Redneraustausch fest (14. 7. in Karl-Marx-Stadt und 21. 7. in Hannover). Am 29. 6. 1966 sagte die SED den Redneraustausch dann mit der Begründung ab, das vom Bundestag verabschiedete „Gesetz über eine befristete Freistellung von der deutschen Gerichtsbarkeit“ sei ein „völkerrechtswidriges annexionistisches Gesetz, mit dem die westdeutsche Gerichtsbarkeit willkürlich auf Territorien und Bürger anderer europäischer Staaten, vor allem der DDR, ausgedehnt werden soll“ (Handschellengesetz); unter diesen Bedingungen sei eine „ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung in Hannover“ nicht mehr gewährleistet, da sich kein Bürger der DDR einem solchen Gesetz unterwerfen könne. Offensichtlich hatten sich diejenigen Kräfte im SED-Politbüro durchgesetzt, die von Anfang an den Redneraustausch unter Hinweis auf ein zu großes Sicherheitsrisiko für die Partei verhindern wollten. Angesichts der bevorstehenden Bukarester Gipfelkonferenz der Partei- und Regierungschefs des Warschauer Paktes wollte es diese Gruppe außerdem vermeiden, durch eigene Entspannungsschritte ihre Argumentation von der Gefährlichkeit des „Bonner Militarismus“ zu entkräften.

 

Zum Schwerpunkt der D. der SED wurde nun erneut der Kampf um internationale Anerkennung. Auf dem 13. ZK-Plenum vom 15. 9. 1966 hatte Ulbricht deutlich gemacht, daß er die Aufnahme diplomatischer Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu einzelnen Staaten des Warschauer Pakts ohne offiziellen Verzicht auf die „Alleinvertretungsanmaßung“ als einen Verstoß gegen die Bukarester Deklaration (Juli 1966) ansehe. In der Deutschlandfrage richtet sich die SED offenbar auf ein „längeres Nebeneinander der beiden deutschen Staaten“ ein.

 

XI. Die Haltung der SED zur Großen Koalition

 

 

Auf die Koalitionsverhandlungen in der Bundesrepublik im November 1966 hatte Ulbricht versucht, Einfluß zu nehmen. In einem Brief an den SPD-Parteivorsitzenden, Willy Brandt, plädierte der SED-Chef für eine SPD-FDP-Koalition in Bonn und schlug direkte Verhandlungen zwischen Spitzengremien der SED und SPD vor. Am Tage der Vereidigung des CDU/SPD-Kabinetts in Bonn (1. 12. 1966) wurde in Berlin (Ost) die 4. Durchführungsbestimmung zum „Paßgesetz der DDR“ veröffentlicht, die allen westdeutschen Besuchern, die die Politik der „Alleinvertretungsanmaßung“ vertreten, mit „unverzüglicher“ Ausweisung bzw. Einleitung eines Ermittlungsverfahrens droht (GBl. II, S. 855). Die D. der SED im Jahre 1967 war von einer weiteren Verhärtung („Alles-oder-Nichts-Standpunkt“) gekennzeichnet. Am 5. 1. 1967 forderte das DDR-Postministerium von der Bundespost 1,4 Mrd. DM „Gebührenausgleich“ für zusätzliche Leistungen seit 1948; am 14. 1. 1967 gab ADN bekannt, daß die DDR ihre Mitarbeit im alliierten Abrechnungsbüro für den innerdeutschen Post- und Fernmeldeverkehr in Berlin einstellt.

 

Die neue Ostpolitik der Großen Koalition führte am 31. 1. 1967 zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Rumänien, ohne daß die Partner ihren Rechtsstandpunkt in der deutschen Frage vorher revidiert hätten. Die SED reagierte mit heftigen offenen und versteckten Angriffen auf das „sozialistische Bruderland“ (ND vom 27. 1. bis 3. 2. 1967). Jede Normalisierung der Beziehungen der Bundesrepublik zu den osteuropäischen Staaten wurde von der vorherigen Aufnahme „zwischenstaatlicher Beziehungen“ zwischen Bundesrepublik und DDR, Aufgabe der „Ausschließlichkeitsanmaßung“ seitens der Bundesrepublik Deutschland, Anerkennung der bestehenden Grenzen in Europa und einer Nichtigkeitserklärung des Münchner Abkommens von Beginn an abhängig gemacht.

 

Die SED startete als Reaktion auf diese Entwicklung eine anti-gesamtdeutsche Kampagne, die ihre Befürchtung erkennen ließ, von der Ostpolitik der Großen Koalition könnten Impulse ausgehen, die ihre eigene D. langfristig zu unterlaufen drohten. Am 2. 2. 1967 wurde das „Staatssekretariat für gesamtdeutsche Fragen“ in Staatssekretariat für westdeutsche Fragen umbenannt. Staatssekretär Joachim Herrmann sagte dazu, durch „Schuld des westdeutschen Monopolkapitals und seiner Bonner Regierung“ seien „Begriffe wie gesamtdeutsch ihres Inhalts entleert und gegenstandslos geworden“ (ND vom 3. 2. 1967). Im „Gesetz über die Staatsbürgerschaft der DDR“ (ND vom 21. 2. 1967) wurde die seit 1913 bestehende einheitliche deutsche Staatsbürgerschaft abgeschafft und der Begriff „Staatsbürger der DDR“ eingeführt. Parallel dazu entfaltete „Neues Deutschland“ eine Leserbriefkampagne, die nicht nur die Forderung nach „Wiedervereinigung“ als „groteskes Geschwätz“ und diese „heute und in absehbarer Zeit“ als unmöglich bezeichnete (ND vom 21. 1. 1967), sondern auch gesamtdeutsches Denken auf dem Gebiet von Wissenschaft, Kultur und Kirche (ND vom 24. 1. 1967) entschieden ablehnte. Dies führte dazu, daß die SPD nur [S. 273]noch als „SP“ bezeichnet wurde, um den Namen „Deutschland“ aus der Diskussion zu verdrängen. Als letzter gesamtdeutscher Institution wurde nun auch der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland) von der SED ihre Arbeit zunehmend erschwert. Anfang April 1967 sollte in beiden Teilen Berlins die Teilsynode der EKD tagen. Die Synodalen der DDR-Landeskirchen mußten jedoch nach Fürstenwalde in die DDR ausweichen, da ihnen die Zusammenkunft in Berlin (Ost) untersagt wurde. Trotz heftigster Vorwürfe, insbesondere gegen den Ratsvorsitzenden, Bischof Scharf („irreale ‚Einheits‘-Euphorie“ hieß es in der „Neuen Zeit“ vom 2. 4. 1967), und großer Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Synoden gelang die gemeinsame Wahl eines neuen Rates der EKD.

 

Außenpolitisch versuchte sich die SED ein Mitspracherecht für den Fall zu sichern, daß weitere osteuropäische Länder ― dem Beispiel Rumäniens folgend ― ihre Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland zu normalisieren begonnen hätten. Die „Freundschafts- und Beistandspakte“ mit Polen, der ČSSR, Ungarn und Bulgarien im Jahre 1967 betonen demzufolge alle, daß es Sicherheit in Europa nur auf der Basis der „Existenz zweier deutscher Staaten“ und des territorialen Status quo geben könne und alle Politik des „westdeutschen Revanchismus“ diese Sicherheit in Frage stelle, wenn nicht zuvor die völkerrechtliche Anerkennung durch die Bundesregierung vollzogen sei (Außenpolitik).

 

XII. Die Entwicklung seit dem VII. Parteitag

 

 

Der VII. Parteitag der SED (17.–22. 4. 1967) bestätigte die allgemeine Verhärtung in der D. der SED. Durch den Brief Bundeskanzler Kiesingers (vom 12. 4.) und des SPD-Parteivorstandes („Die Welt“ vom 14. 4.) an die 2.200 Delegierten sah sich Berlin (Ost) in der Deutschlandfrage in die Defensive gedrängt; insbesondere der Brief Kiesingers, in dem ein ganzer Katalog von Entspannungsmaßnahmen aufgeführt worden war, schien im Politbüro der SED vorübergehend Unsicherheit ausgelöst zu haben. Dies zeigte die unterschiedliche Reaktion des „Neuen Deutschland“ vom 12., 13. und 14. 4. 1967, als einer ersten schroffen Ablehnung eine vorsichtiger formulierte Stellungnahme folgte. Die Tatsache, daß sich erstmalig ein westdeutscher Regierungschef an einen Parteitag der SED wandte, wurde als gefährliche Taktik der Beeinflussung der Delegierten und als Versuch angesehen, zwischen Parteiführung und Mitgliedern zu differenzieren. (Die SED selbst hatte diese Taktik gegenüber der SPD im Jahre 1967 betrieben.)

 

Schon bei der Vorbereitung des Parteitages hatte die Partei in einem internen Rundschreiben (FAZ vom 11. 4. 1967) den Mitgliedern der Grundorganisationen klarzumachen versucht, daß „friedliche Existenz der beiden deutschen Staaten mit der Vereinigung (nicht) in einen Topf“ geworfen werden dürfe und „Begriffe wie ‚Lösung der deutschen Frage‘ im Sinne der Vereinigung von Feuer und Wasser“ nicht anzuwenden seien. Auf dem Parteitag bezeichnete Ulbricht die „Vereinigung“ Deutschlands als „nicht real“. Eine „Vereinigung beider deutscher Staaten“ werde es erst im Sozialismus geben. Seine „Vorschläge für ein friedliches Nebeneinander der deutschen Staaten“ waren identisch mit den Forderungen aus der „Neujahrsbotschaft“ vom 31. 12. 1966. Die Existenz innerdeutscher Beziehungen wurde von der SED nun in immer stärkerem Maße geleugnet und statt dessen D. zur Außenpolitik im traditionellen Sinne deklariert. Dies dokumentiert u. a. die Umbenennung des „Ministeriums für Außenhandel und Innerdeutschen Handel“ in „Ministerium für Außenwirtschaft“ im Juli 1967 (seitdem 1. 1. 1974 Ministerium für Außenhandel).

 

Von besonderer politischer Bedeutung war der Briefwechsel zwischen Bundeskanzler Kiesinger und dem Vorsitzenden des Ministerrates der DDR. Willi Stoph. In Briefen vom 13. 6. und 28. 9. 1967 hatte Bundeskanzler Kiesinger Stoph seine Bereitschaft erklärt, wenn nötig in direkten, von der DDR seit langem geforderten Verhandlungen der Regierungschefs über menschliche Erleichterungen ungeachtet der bisherigen Rechtsstandpunkte zu verhandeln.

 

W. Stoph hatte am 10. 5. 1967 die Korrespondenz eröffnet und am 18. 9. 1967 den ersten Kiesinger-Brief beantwortet. Diesem zweiten Stoph-Brief war der „Entwurf eines Vertrages über die Herstellung und Pflege normaler Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland“ beigefügt worden, der als Verhandlungsvorschläge enthielt: Aufnahme normaler Beziehungen zwischen Bonn und Berlin (Ost), Vereinbarungen über Gewaltverzicht, Anerkennung aller bestehenden Grenzen in Europa. Herabsetzung der Rüstungsbudgets in beiden Teilen Deutschlands, Verzicht auf Stationierung, Besitz und Mitverfügung von Atomwaffen, Beteiligung beider deutscher Staaten an einer atomwaffenfreien Zone, Anerkennung von Berlin (West) als „selbständige politische Einheit“, Anerkennung der Nichtigkeit des Münchner Abkommens von Anbeginn, Einstellung einer „Diskriminierung“ von DDR-Bürgern im westlichen Ausland, Begleichung von „Schulden“-Rechnungen.

 

Daß die SED die Initiative zu diesem Briefwechsel ergriff, zeigte einerseits, daß sie offenbar die Gefahr einer Schwächung ihrer Position vor allem in Osteuropa als Folge der Entspannungspolitik der Großen Koalition erkannte und deren Wirkung auf das politische Klima in Europa richtig einschätzte. Andererseits verriet der Briefwechsel eine Verschärfung des SED-Kurses. Nachdem Bonn nach jahrelanger Weigerung den immer wieder von der SED geforderten Regierungsverhandlungen auf höchster Ebene zu[S. 274]stimmte, schlug die SED diese nun aus. Sie stellte nun ihrerseits eine Vorbedingung für solche Verhandlungen: Sie sollten nur auf der Grundlage ihres Maximalprogramms, d. h. in erster Linie völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch Bonn, stattfinden. Damit wurde deutlich, wie die Worte Ulbrichts auf dem VII. Parteitag der SED 1967 zu verstehen waren: „Unter die Grenze der formellen Anerkennung und der normalen Beziehungen können wir … nicht hinuntergehen“ (ND vom 18. 4. 1967).

 

Ob zu diesem Zeitpunkt die Bundesrepublik von der DDR-Führung als Ausland angesehen wurde, blieb zunächst unklar. Als Politbüromitglied Albert Norden auf einer Pressekonferenz am 18. 12. 1967 in Berlin (Ost) indirekt diese Meinung vertrat (er beklagte sich darüber, daß die DDR von Bonn nicht auch formaljuristisch als Ausland betrachtet werde) und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR forderte, wurde er vom „Neuen Deutschland“ umgehend korrigiert (19. 12. 1967). Es schien, daß die SED damals weder ihrer Bevölkerung eine weitgehende Absage an die Wiedervereinigung zumuten noch dadurch ihren Anspruch auf Hineinwirken in die Bundesrepublik Deutschland aufgeben wollte.

 

Die am 9. 4. 1968 verabschiedete 2. Verfassung bekannte sich zwar noch eindeutig zur Einheit der deutschen Nation (Art. 1 Abs. 1), jedoch gab es kein einheitliches deutsches Volk mehr, sondern neben dem Volk der Bundesrepublik Deutschland „das Volk der Deutschen Demokratischen Republik“ (Präambel). Art. 8 Abs. 2 spricht von der „Herstellung und Pflege normaler Beziehungen“ auf völkerrechtlicher Basis zwischen beiden deutschen Staaten. Eine Vereinigung sollte erst auf der „Grundlage der Demokratie und des Sozialismus“ möglich sein. Am 9. 8. 1968 wiederholte Ulbricht vor der Volkskammer seine bekannten Forderungen, ohne deren Annahme die SED keiner Entspannung in Deutschland zustimme. Neu war der Vorschlag, die Volkskammer solle den Ministerrat bevollmächtigen, „wenn die Bundesregierung auf solche Vorbedingungen wie Alleinvertretungsanmaßung und Hallstein-Doktrin verzichtet und bereit ist, Verträge über den Verzicht auf Anwendung von Gewalt in den gegenseitigen Beziehungen und über die Anerkennung der Grenzen abzuschließen, einen Staatssekretär zur Vorbereitung der Verhandlungen zu bestimmen“. Neu war außerdem die bekundete Bereitschaft Ulbrichts, im Falle eines Bonner Verzichts auf das Alleinvertretungsrecht der Schaffung „bevollmächtigter Missionen“ in Bonn und Berlin (Ost) zuzustimmen, deren Status er ausdrücklich offenließ,. (In dieser Frage ging Ulbricht auf eine Anregung des damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Helmut Schmidt, ein, der vorher den Austausch von „Generalbevollmächtigten“ beider deutscher Regierungen angeregt hatte.) Angesichts der weitgehenden Modifizierung des Alleinvertretungsrechtes durch die Bundesregierung (Außenminister W. Brandt am 9. 3. 1967 in Berlin: „keine Kompetenzen außerhalb des Grundgesetzes … Pflicht, uns um die gesamtdeutschen Dinge in ihrer Gesamtheit zu kümmern“) schienen sich mögliche neue Ansatzpunkte für eine innerdeutsche Entspannung zu bieten. Verstärkt wurde dieser Eindruck zunächst durch die offenbar bedingungslose Zusage, der DDR-Außenhandelsminister sei zu Gesprächen mit dem Bundeswirtschaftsminister bereit.

 

Die Beteiligung der Nationalen Volksarmee an der gewaltsamen Intervention von fünf Warschauer Pakt-Staaten in der ČSSR am 20./21. 8. 1968 erschwerte das Bemühen um Entspannung zwischen Bonn und Berlin (Ost).

 

Im Februar 1969 protestierte die DDR scharf gegen die Einberufung der Bundesversammlung nach Berlin (West), die dort ― wie 1954, 1959 und 1965 — den Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland wählen sollte. Das Innenministerium der DDR verhängte ein Durchreiseverbot für die Mitglieder der Bundesversammlung. In einem Schreiben an den SPD-Vorsitzenden Willy Brandt deutete Ulbricht ein Entgegenkommen in der seit 1966 ungelösten Passierscheinfrage an — vorausgesetzt, die Bundesversammlung würde in eine westdeutsche Stadt verlegt. Einen ähnlichen Vorstoß unternahm der sowjetische Botschafter in Bonn, Zarapkin, bei Bundeskanzler Kiesinger. Indessen führten Verhandlungen zwischen Senatsdirektor Grabert vom Senat von Berlin (West) und DDR-Staatssekretär Kohl zu keinem Ergebnis: Senat und Bundesregierung hielten in Übereinstimmung mit den westlichen Alliierten die von der DDR gestellten Vorbedingungen für unannehmbar. Vom 1. bis 7. 3. 1969 wurden wiederholte mehrstündige Unterbrechungen des Verkehrs auf den Zugangswegen von der DDR mit dem Hinweis auf militärische Manöver begründet — die Bundesversammlung trat am 5. 3. wie vorgesehen in Berlin (West) zusammen und wählte erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einen Sozialdemokraten, Gustav Heinemann, zum Bundespräsidenten.

 

Auf der 10. ZK-Tagung wies Ulbricht am 7. 5. 1969 Überlegungen westdeutscher Politiker und Publizisten zurück, anstelle einer völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik ein staatsrechtliches Verhältnis zwischen ihnen herzustellen. Der Erste Sekretär bezeichnete das als eine „Zweckkonstruktion, die darauf hinausläuft, die DDR zu einer Art westdeutschen Bundeslandes zu degradieren“.

 

Trotz des unverändert scharfen Gegensatzes in allen grundsätzlichen Fragen konnten im September 1969 Verhandlungen zwischen der Deutschen Bundesbahn und dem Verkehrsministerium der DDR (über die Wiederaufnahme des 1967 unterbrochenen [S. 275]Verkehrs westdeutscher Kalizüge auf DDR-Territorium im Raume Gerstungen), zwischen Beauftragten beider Verkehrsministerien (über die Koordinierung der Straßenbauplanung, den Transit von Binnenschiffen und den Eisenbahnverkehr) sowie zwischen Abgesandten der Postministerien beider Seiten (u. a. über Ausgleichszahlungen an die DDR für Mehrleistungen im innerdeutschen Postverkehr) aufgenommen werden.

 

XIII. Die Haltung der SED zur sozialliberalen Koalition (1969--1971)

 

 

Die Regierungserklärung Bundeskanzler Brandts vom 28. 10. 1969 ging von der Existenz zweier Staaten in Deutschland aus — allerdings mit dem Zusatz, daß sie füreinander nicht Ausland seien und daß ihre Beziehungen zueinander nur von besonderer Art sein könnten. Diese Modifikation der bisherigen Ostpolitik wurde von der DDR-Führung zwar aufmerksam registriert, aber sogleich mit dem Einwand abgewehrt, auch die neue Bundesregierung versuche, die „bankrotte Hallstein-Doktrin in veränderter Form weiter zu praktizieren“ (W. Stoph am 12. 11. 1969 in Rostock).

 

Am 17. 12. 1969 richtete der Staatsratsvorsitzende Ulbricht ein Schreiben an Bundespräsident Heinemann, dem der Entwurf eines Vertrages „über die Aufnahme gleichberechtigter Beziehungen“ zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland beigefügt war. Der Entwurf ging über die in dem Konzept Stophs vom 18. 9. 1967 geforderten Regelungen hinaus, insofern als er die Aufnahme diplomatischer Beziehungen in Form eines Botschafteraustausches vorschlug und die Aufhebung aller dem Vertrag entgegenstehender Gesetze, Normativakte und entsprechender Gerichtsentscheidungen in der Bundesrepublik Deutschland verlangte.

 

Unmittelbar nachdem Bundeskanzler Brandt in seinem Bericht zur Lage der Nation Mitte Januar 1970 den Begriff der Nation als das „Band um das gespaltene Deutschland“ charakterisiert und in diesem Zusammenhang auf das in der Verfassung der DDR 7 enthaltene Bekenntnis zur Nation verwiesen hatte, leitete W. Ulbricht am 19. 1. 1970 auf einer internationalen Pressekonferenz eine grundlegende Schwenkung in der Interpretation der „nationalen Frage“ durch die SED ein. Er verwarf die These vom Fortbestand der deutschen Nation in zwei Staaten („… unrealistische Behauptung, um der Herstellung normaler gleichberechtigter völkerrechtlicher Beziehungen mit der DDR aus dem Wege zu gehen“). Während in der Sowjetunion und in anderen osteuropäischen Staaten die „neue Ostpolitik“ der sozialliberalen Koalition — vor allem nach der Unterzeichnung des Vertrages über die Nichtweitergabe von Kernwaffen durch die Bundesrepublik — eine erste vorsichtige Klimaverbesserung gegenüber Bonn zur Folge hatte, zeigte sich die DDR weiterhin unversöhnlich. Am 16. 2. 1970 bezeichnete E. Honecker den Regierungswechsel in Bonn als ein taktisches Manöver der „westdeutschen Großbourgeoisie“ mit dem Ziel, „unter Ausnutzung der wirtschaftlichen Potenzen des westdeutschen Imperialismus und der sozialdemokratischen Ideologie“ das „Tor nach dem Osten“ zu öffnen, um so die „Vorherrschaft über Europa“ zu gewinnen.

 

Trotz fortgesetzter polemischer Angriffe der SED gegen die Regierung Brandt-Scheel gelang es, ein erstes Treffen beider Regierungschefs zu vereinbaren. Erfurt wurde als Treffpunkt ausgewählt, nachdem eine geplante Reise des Bundeskanzlers nach Berlin (Ost) zu Auseinandersetzungen über die geplante Einbeziehung von Berlin (West) in die Reiseroute Brandts geführt hatte.

 

In Erfurt trug Ministerpräsident Stoph am 19. 3. 1970 ein 7-Punkte-Programm vor. Er forderte 1. die „Herstellung normaler gleichberechtigter Beziehungen … unter Aufgabe des Alleinvertretungsanspruchs der Regierung der BRD“, 2. „Nichteinmischung in die außenpolitischen Beziehungen des anderen Staates“ und endgültigen „Verzicht auf die Hallstein-Doktrin“, 3. eine Vereinbarung über den Gewaltverzicht „unter uneingeschränkter gegenseitiger Anerkennung ihrer Völkerrechtssubjektivität, ihrer territorialen Integrität und der Unantastbarkeit ihrer bestehenden Staatsgrenzen“, 4. die Mitgliedschaft beider Staaten in den Vereinten Nationen, 5. Verzicht auf ABC-Waffen und „Herabsetzung der Rüstungsausgaben um 50 Prozent“, 6. „Beseitigung aller Überreste des Zweiten Weltkrieges“ und 7. Begleichung der ― von Stoph mit 100 Mrd. Mark bezifferten ― „Schulden der BRD gegenüber der DDR“ bzw. „Wiedergutmachungsverpflichtungen durch die BRD“.

 

Obwohl die wenige Tage nach dem Treffen von Erfurt beginnenden Botschafter-Gespräche über Berlin, die bereits zuvor aufgenommenen Gespräche von Staatssekretär Bahr in Moskau und Staatssekretär Duckwitz in Warschau der Entspannungspolitik deutlichere Konturen verliehen und obwohl am 29. 4. 1970 zwischen den Postministerien der Bundesrepublik Deutschland und der DDR eine erste Vereinbarung über den Kostenausgleich und zusätzliche Fernmeldeeinrichtungen getroffen werden konnte, verlief die zweite Begegnung zwischen Brandt und Stoph in Kassel am 21. 5. 1970 in einer frostigeren Atmosphäre als das Treffen von Erfurt. Ein wesentlicher Grund für das schroffe Verhalten der DDR-Delegation, der auch Außenminister Winzer angehörte, lag offenbar darin, daß die in Erfurt überraschend starken Sympathiebekundungen eines Teils der Bevölkerung für Brandt in der SED-Führung Besorgnis ausgelöst hatten, die Intensivierung der Kontakte könne höchst unwillkommene Folgen für die innere Stabilität der DDR haben. In [S. 276]Kassel nahm Stoph Übergriffe von rechtsgerichteten Demonstranten zum Anlaß, die Bundesregierung scharf zu kritisieren. Der Bundeskanzler dagegen zeichnete in seinen „20 Punkten von Kassel“ die Umrisse eines zwischen beiden deutschen Staaten abzuschließenden Grundlagenvertrages. Im Anschluß an das Kasseler Treffen sprach die DDR von einer „Denkpause“, die man in Bonn nutzen müsse. Auf der 13. ZK-Tagung am 10. Juni bezeichnete Stoph den 20-Punkte-Vorschlag Brandts als ein „geschlossenes Programm gegen gleichberechtigte völkerrechtliche Beziehungen zwischen der DDR und der BRD“.

 

Fortschritte in den Gesprächen zwischen Bonn und Moskau ließen es Ulbricht geraten erscheinen, am 16. Juli in Rostock der Bundesregierung eine „gewisse Anerkennung der Realitäten“ zu bescheinigen. Nachdem am 12. August der Moskauer Vertrag unterzeichnet und in den folgenden Wochen auch in den Verhandlungen über den Warschauer Vertrag Fortschritte sichtbar geworden waren, entsandte die Regierung der DDR Ende Oktober zwei leitende Funktionäre ihres Presseamtes nach Bonn. Im Anschluß an ihren Besuch wurde in Bonn und Berlin (Ost) eine gleichlautende Mitteilung veröffentlicht, derzufolge beide Regierungen „auf offiziellem Wege einen Meinungsaustausch“ über Fragen zu führen wünschten, „deren Regelung der Entspannung im Zentrum Europas dienen würde und die für beide Staaten von Interesse sind“.

 

Am 27. 11. 1970 trafen der Staatssekretär des Bundeskanzleramts, Egon Bahr, und der Staatssekretär des DDR-Ministerrats, Dr. Michael Kohl, zu einer ersten vertraulichen Begegnung zusammen, der zahlreiche Verhandlungsrunden folgen sollten.

 

Die DDR reagierte zur selben Zeit auf eine geplante Sitzung der CDU/CSU-Fraktion im Berliner Reichstag mit schleppender Abfertigung an den Grenzkontrollpunkten. Im Dezember 1970 kam es erneut zu schweren Verkehrsbehinderungen, als die Vorsitzenden der SPD-Bundestags- und Landtagsfraktionen in Berlin eine Sitzung abhielten. Ende Januar 1971 wurden an den Grenzkontrollpunkten zeitweise Wartezeiten bis zu 18 Stunden im Kraftfahrzeugverkehr zwischen der Bundesrepublik und Berlin (West) registriert.

 

Diese Zwischenfälle unterstrichen die Dringlichkeit eines Berlin-Abkommens, das den Zugang zum Westteil der Stadt gegen willkürliche Eingriffe schützen sollte. In den Verhandlungen der Botschafter der Vier Mächte bahnte sich ein Durchbruch allerdings erst im Mai/Juni 1971 an, nachdem W. Ulbricht durch E. Honecker als Erster Sekretär des ZK der SED abgelöst worden war und Honecker seine Bereitschaft bekundet hatte, die D. der SED wieder stärker an den inzwischen flexibleren Kurs der sowjetischen Führung anzupassen. Bereits im Januar 1971 war ein erster Schritt zur verbesserten Kommunikation von Berlin (West) mit seiner Umwelt erfolgt: Nach 19jähriger Unterbrechung war der Telefonverkehr zwischen Berlin (West) und dem Ostteil der Stadt mit zunächst je 5 Leitungen in beiden Richtungen wieder aufgenommen worden. Weitere Leitungen wurden in der Folgezeit geschaltet. Nachdem am 3. 9. 1971 das Viermächte-Abkommen über Berlin unterzeichnet worden war, konzentrierten sich die Staatssekretäre Bahr und Kohl auf den Abschluß eines die Vereinbarungen der Mächte ergänzenden und im einzelnen konkretisierenden Transitvertrages. Die am 6. 9. aufgenommenen Verhandlungen fanden nach 15 Gesprächsrunden am 3. 12. ihren Abschluß, so daß der ausgehandelte Vertragstext am 11. 12. paraphiert und 6 Tage später unterzeichnet werden konnte.

 

Parallel dazu verliefen die Verhandlungen zwischen dem Chef der Berliner Senatskanzlei, Senatsdirektor Müller, und Staatssekretär Günter Kohrt vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR über Verbesserungen des Besuchs- und Reiseverkehrs und eine Regelung der Frage von Enklaven durch Gebietsaustausch, die am 20. 12. mit der Unterzeichnung einer entsprechenden Vereinbarung beendet werden konnten. (Der Kommunikation zwischen den Deutschen in beiden Staaten und innerhalb Berlins diente auch das bald nach dem Ende der Botschafter-Gespräche von Vertretern der Postministerien beider Seiten ausgehandelte Protokoll über den Post- und Fernmeldeverkehr vom 30. 9. 1971.)

 

XIV. Der Weg zum Grundlagenvertrag 1972

 

 

Vor den Delegierten des VIII. Parteitages hatte Honecker am 15. 6. 1971 noch die Forderung nach „Aufnahme normaler Beziehungen entsprechend den Regeln des Völkerrechts auch zur BRD“ und die Absage an die These vom Fortbestand der deutschen Nation erneuert. Im Januar 1972 nannte der Parteisekretär die Bundesrepublik Deutschland in einer Rede vor Armeeangehörigen auf Rügen „imperialistisches Ausland“. Am 18. 4. sprach er dann in Sofia von einer Entwicklung, „die zu einem friedlichen Nebeneinander zwischen der DDR und der BRD führt, zu normalen gutnachbarlichen Beziehungen mit dem Ausblick zu einem Miteinander im Interesse des Friedens, im Interesse der Bürger beider Staaten“.

 

Acht Tage danach erzielten Bahr und Kohl Einigkeit über den Text eines Verkehrsvertrages, über den sie seit Januar 1972 in einer 3. Gesprächsphase verhandelt hatten. Nach der Unterzeichnung dieses Verkehrsvertrages am 26. 5. 1972 widmeten sich die beiden Staatssekretäre dem schwierigsten Thema: dem Grundlagenvertrag, der die Voraussetzungen für weitere Folgeverträge schaffen sollte. Diese Verhandlungen wurden mit der Paraphierung des Ver[S. 277]tragswerks am 8. 11. 1972 beendet. Unterzeichnet wurde der Grundlagenvertrag am 21. 12. 1972 in Berlin (Ost).

 

In einer ersten Stellungnahme wertete ADN das erzielte Verhandlungsergebnis als fair: es habe zum Ausdruck gebracht, was für beide Seiten real zu erreichen war.

 

In seinem Bericht an die 8. ZK-Tagung im Dezember 1972 betonte das Politbüro der SED, die Beziehungen zwischen beiden Staaten könnten sich positiv entwickeln, wenn der Vertrag ratifiziert und mit Leben erfüllt werde und sich „auch die andere Seite an seinen Text und Geist“ halte. Zugleich legte das Politbüro Wert auf die Feststellung, daß die Politik der friedlichen Koexistenz die gesellschaftlichen Gegensätze nicht einebne und schon „gar nicht zu einer Annäherung oder Aussöhnung der feindlichen Ideologien“ führe; der „Kampf an der ideologischen Front“ verschärfe sich in besonderem Maße.

 

In der Folgezeit unternahm die SED agitatorisch-propagandistische Anstrengungen, um trotz der sich anbahnenden Normalisierung des innerdeutschen Verhältnisses das überkommene Feindbild vom westlichen Deutschland aufrechterhalten zu können. Gegen wen die Parteiführung sich besonders wehren zu müssen glaubte, hatte sie in einem Politbüro-Beschluß zu Fragen der Agitation und Propaganda am Tage vor der Paraphierung des Grundlagenvertrages hervorgehoben ― gegen „den Antikommunismus, dieses politisch-ideologische Hauptinstrument der imperialistischen Bourgeoisie, den bürgerlichen Nationalismus, den Sozialdemokratismus, den Revisionismus und den ‚linken‘ Opportunismus“ (ND vom 11. 11. 1972).

 

Auf die nach dem Abschluß des Grundlagenvertrages einsetzende Anerkennungswelle anspielend, erklärte A. Norden am 19. 3. 1973 vor dem Nationalrat der Nationalen Front: „Zwischen der sozialistischen Nation in der DDR und der kapitalistischen Nation in der BRD hat sich, das anerkennt die Welt, die historische Tendenz der Abgrenzung durchgesetzt“ (ND vom 20. 3. 1973). Es könne mithin weder von „besonderen Beziehungen zwischen der DDR und der BRD“ noch von einer „Einheit der Nation“ die Rede sein. Vor dem ZK der SED bestritt E. Honecker am 28. 5. 1973, daß es noch eine „offene deutsche Frage“ gäbe, der Grundlagenvertrag sei eine „definitive völkerrechtliche Regelung der Beziehungen zwischen zwei souveränen Staaten“ und kein „Modus vivendi“ (ND vom 29. 5. 1973). Außenminister Winzer erläuterte am 13. 6. 1973 in einer Sitzung der Volkskammer, wie seine Regierung den Vertrag zu werten und zu interpretieren wünschte ― als Ausdruck der „legitimen Interessen beider Seiten“. Auf die in der Bundesrepublik Deutschland vertretenen Ansichten über den besonderen Charakter der deutsch-deutschen Beziehungen eingehend, erklärte Winzer, derartige „‚innerdeutsche‘ Pflichtübungen“ seien substanzlos: „Die DDR ist kein Inland der BRD und die BRD kein Inland der DDR.“ Für die Normalisierung der Beziehungen sei es „unumgänglich, daß sich die BRD auch in der Staatsangehörigkeitsfrage von rechtswidrigen und auch sachlich einfach unhaltbaren Konstruktionen trennt“ (ND vom 14. 6. 1973). Nachdem der Deutsche Bundestag und die Volkskammer ihre Zustimmung erteilt hatten, trat der Grundlagenvertrag am 21. 6. 1973 in Kraft. Damit waren der Beginn des grenznahen Reise- und Besucher-Verkehrs, die Eröffnung von 4 neuen Grenzübergängen sowie Verbesserungen im Reise- und Paketverkehr verbunden.

 

XV. Vom Grundlagenvertrag bis zum Abschluß der KSZE 1975

 

 

Die Interpretation des Grundlagenvertrages durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. 7. 1973 stieß in der DDR und bei ihren osteuropäischen Verbündeten auf scharfe Ablehnung. In seinem Bericht an das ZK am 2. 10. 1973 bezeichnete das Politbüro der SED den Spruch der Karlsruher Verfassungsrichter als „völkerrechtswidrig“. Zugleich verschärfte sich die Kritik der SED an einem angeblichen Mißbrauch der Transitwege durch westliche Fluchthilfeorganisationen. Absichten der Bundesregierung, in Berlin (West) ein Umweltbundesamt zu errichten, wurden als Verstoß gegen das Viermächte-Abkommen angeprangert.

 

Nachdem die SED bereits zu Beginn des Jahres 1973 damit begonnen hatte, Funktionäre des Partei-, Staats- und Wirtschaftsapparates nachdrücklich vor „West-Kontakten“ zu warnen, entschloß sie sich im November, den stark ausgeweiteten Besuchs- und Reiseverkehr auf administrativem Wege zu drosseln: Am 5. 11. 1973 erließ das Ministerium der Finanzen eine Anordnung über die Verdoppelung der Mindestumtauschsätze pro Person und Tag bei Besuchen in den Bezirken der DDR (von 10 auf 20 DM) und in Berlin (Ost) (von 5 auf 10 DM). Die neue Regelung betraf auch Rentner, die bis zu diesem Zeitpunkt von der Umtauschpflicht befreit waren (Währung/Währungspolitik).

 

Die Erhöhung des Mindestumtausches führte in der Folgezeit zu einem Rückgang der Zahl der Reisenden aus der Bundesrepublik und aus Berlin (West) in die DDR um mehr als ein Drittel. Bundesregierung und Senat werteten diesen Schritt der DDR als Verstoß gegen die Geschäftsgrundlagen der am 20. 12. 1971 zwischen dem Senat von Berlin und der Regierung der DDR abgeschlossenen „Vereinbarung über den Reise- und Besucherverkehr“ und forderten eine Herabsetzung der Mindestumtauschsätze.

 

Trotz wachsender Meinungsverschiedenheiten zwischen Bonn und Berlin (Ost) wurden die Verhand[S. 278]lungen zwischen den beiden Regierungen auf verschiedenen (insgesamt 14) Verhandlungsebenen fortgesetzt.

 

Bereits am 31. 1. 1973 hatte sich eine Grenzkommission konstituiert, die im September auf der Grundlage der Londoner Protokolle von 1944 mit der Markierung der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR begann und zwei erste Vereinbarungen ― über die Schadensbekämpfung im Grenzgebiet sowie über die Instandhaltung und den Ausbau von Grenzgewässern am 20. 9. 1973 ― erzielte. In der Folgezeit befaßte sich die Kommission mit dem Verlauf der Grenze zwischen den Küstenmeeren beider Staaten, mit den Rechten von Lübecker Fischern in einem zu den Territorialgewässern der DDR gehörenden Teil der Lübecker Bucht (am 29. 6. 1974 wurden Vereinbarungen darüber erzielt), mit der Wasserversorgung von Duderstadt (Regierungsvereinbarung am 3. 2. 1976) sowie mit dem Grenzverlauf auf der Elbe zwischen Lauenburg und Schnackenburg (die Frage, ob die Grenze am Ostufer der Elbe dem Verlauf der ehemaligen mecklenburgischen Landesgrenze folgt oder in der Mitte des Talwegs verläuft, blieb bis zur Unterzeichnung des Protokolls der Grenzkommission am 29. 11. 1978 strittig). Schließlich schuf die Grenzkommission auch Voraussetzungen für Gespräche über den Abbau des Braunkohlenvorkommens im Raum Helmstedt/Harbke und über die Ausbeutung eines Erdgaslagers bei Wustrow/Salzwedel.

 

Nachdem der Ministerrat der DDR am 21. 2. 1973 eine „Verordnung über die Tätigkeit von Publikationsorganen anderer Staaten und deren Korrespondenten“ (GBl. I, 1973, S. 99 f.) erlassen und damit im Westen Befürchtungen ausgelöst hatte, den in der DDR akkreditierten Journalisten aus der Bundesrepublik und aus Berlin (West) würden — abweichend vom Bahr-Kohl-Briefwechsel zu diesem Thema — erhebliche Beschränkungen in ihrer freien Berichterstattung auferlegt, waren erneut eingehende Erörterungen zwischen den für Pressefragen zuständigen Regierungsinstanzen erforderlich, bevor im September 1973 als erster akkreditierter Korrespondent der Vertreter der Deutschen Presseagentur (dpa) seine Tätigkeit in Berlin (Ost) aufnehmen konnte. (Anfang 1979 waren 21 Korrespondenten aus der Bundesrepublik Deutschland und Berlin [West] beim DDR-Außenministerium akkreditiert. In Bonn waren 6 ständige Korrespondenten aus der DDR tätig.)

 

Im November 1973 wurden Verhandlungen zwischen den zuständigen Ressortministerien beider Regierungen über gemeinsame Maßnahmen zum Umweltschutz, über kulturellen Austausch und über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit aufgenommen. Damit bestanden Kontakte in allen Bereichen, die im Artikel 7 des Grundlagenvertrages als regelungsbedürftig und möglicher Inhalt von Folgeverträgen beschrieben worden waren (Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten).

 

In Gesprächen über die nach Abschluß des Grundlagenvertrages zu errichtenden Ständigen Vertretungen bemühte sich die DDR, den diplomatischen Status dieser Vertretungen möglichst weitgehend dem einer Botschaft anzugleichen, während die Bundesrepublik Deutschland den Austausch derartiger Vertretungen als Element des von ihr angestrebten besonderen innerdeutschen Verhältnisses charakterisierte. Ein am 14. 3. 1974 in Bonn vom Staatssekretär im Bundeskanzleramt. Günter Gaus, und vom Stellvertretenden Außenminister der DDR, Kurt Nier, unterzeichnetes Protokoll schuf die Voraussetzungen für die Errichtung der beiden Ständigen Vertretungen in Bonn-Bad Godesberg und in Berlin (Ost). Sie nahmen Anfang Mai 1974 ihre Tätigkeit auf. Die DDR entsandte Dr. Michael Kohl als Leiter ihrer Ständigen Vertretung — er wurde beim Bundespräsidenten akkreditiert. Allerdings ist nicht das Auswärtige Amt, sondern das Bundeskanzleramt die Behörde, der die Ständige Vertretung der DDR — anders als Botschaften ausländischer Staaten — zugeordnet ist. Die Wiener Konvention über diplomatische Rechte und Immunitäten gilt nicht unmittelbar, sondern wird laut Protokoll „entsprechend“ angewendet. Im Herbst 1978 ist der stellv. Außenminister der DDR E. Moldt zum Nachfolger Kohls ernannt worden.

 

Am 25. 4. 1974 konnten erste Folgevereinbarungen zum Grundlagenvertrag unterzeichnet werden — ein Abkommen über die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen und Vereinbarungen über den nichtkommerziellen Zahlungsverkehr (Transfer von Unterhalts- und Schadenersatzzahlungen, beschränkter Transfer von Guthaben bei Geld- und Kreditinstituten).

 

Die zentralen Sportorganisationen beider Staaten, DSB und DTSB, einigten sich am 8. 5. 1974 in einem Protokoll über die Regelung der Sportbeziehungen. Die DDR gab dabei ihren jahrelangen Widerstand gegen die bestehende Integration des Landessportbundes Berlin (West) in den Deutschen Sportbund der Bundesrepublik Deutschland auf. Damit war ein deutlicher Fortschritt in den deutsch-deutschen Beziehungen erreicht worden, der allerdings von einer Spionage-Affäre im Bundeskanzleramt überschattet wurde. Den auf die Entdeckung des DDR-Spions Guillaume folgenden Rücktritt von Bundeskanzler Brandt bezeichneten die Massenmedien der DDR als Ergebnis „innerer Widersprüche“, an denen die Regierung Brandt gescheitert sei (ND vom 8. 5. 1974). Der Erste Sekretär des ZK der SED, E. Honecker, empfahl in einem Interview mit einer DKP-Zeitung, die Entwicklung der Beziehungen zwischen beiden Staaten nicht durch „Polit-Krimis“ unterbrechen zu lassen (ND [S. 279]vom 30. 5. 1974). Indessen wirkte sich bei der Entwicklung dieser Beziehungen auch weiterhin der Streit über den Status Berlins hemmend aus. Im Sommer 1974 protestierte die DDR heftig gegen die Errichtung des Umweltbundesamtes in Berlin (West).

 

Den 25. Jahrestag ihrer Gründung (7. 10. 1974) nahm die Volkskammer zum Anlaß, um aus der Verfassung der DDR alle Formulierungen zu entfernen, in denen sich bis Ende der 60er Jahre vertretene, jedoch seit Anfang 1970 im politischen Sprachgebrauch der SED kaum noch verbreitete Auffassungen zur Nation und nationalen Frage widerspiegelten. Aus der Präambel der Verfassung und aus den Artikeln 1 und 8 wurden Hinweise auf den Bestand einer deutschen Nation in zwei Staaten gestrichen. Ebenso entfiel ersatzlos die Absichtserklärung von 1968, auf dem Wege einer „schrittweisen Annäherung der beiden deutschen Staaten“ ihre „Vereinigung auf der Grundlage von Demokratie und Sozialismus“ anzustreben.

 

Gefördert durch einen — nicht veröffentlichten — Briefwechsel zwischen Honecker und Bundeskanzler H. Schmidt (seit 1974) sowie durch mehrere persönliche Begegnungen Honeckers mit dem Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR, Staatssekretär G. Gaus, führten die innerdeutschen Verhandlungen im November und Dezember 1974 zu weiteren Absprachen: Mit Wirkung vom 15. 11. 1974 reduzierte die DDR-Regierung den ein Jahr zuvor erhöhten Mindestumtausch (auf 13 DM bei Reisen in die Bezirke der DDR und 6,50 DM bei Besuchen von Berlin [Ost]); mit Wirkung vom 20. 12. 1974 wurden auch die Rentner wieder vom Zwangsumtausch ausgenommen, und, nachdem wesentliche Erleichtungen beim Reiseverkehr mit privaten Kraftfahrzeugen zugesagt worden waren, fand sich die Bundesregierung Anfang Dezember zu einer Verlängerung der 1968 abgeschlossenen Vereinbarung über den Swing im Innerdeutschen Handel bereit (der Swing sollte in den Jahren 1976–1981 einen Höchstbetrag von 850 Mill. Verrechnungseinheiten nicht überschreiten).

 

Am 9. 12. 1974 erklärte die DDR in einem Memorandum an die Bundesregierung ihre grundsätzliche Bereitschaft zu Verhandlungen über den Ausbau der Transitwege zwischen Berlin (West) und dem Bundesgebiet zu Lande und zu Wasser. Am selben Tag schlug die DDR dem Senat von Berlin die Lieferung von Elektroenergie aus ihrem Netz, Expertengespräche über die Öffnung der westlichen Zufahrt zum Teltow-Kanal, die Fortsetzung der Verhandlungen über den Bau einer zweiten Kammer der Spandauer Schleuse und über die Umgestaltung von Eisenbahnanlagen im Südbereich von Berlin (West) sowie eine Ausweitung wirtschaftlicher Beziehungen vor.

 

Im Mittelpunkt beider Memoranden der DDR an die Bundesregierung und den Berliner Senat stand die Verbesserung des Verkehrs auf Autobahnen und Binnenwasserstraßen durch technische Vorkehrungen und umfangreiche Baumaßnahmen. Darüber sind intensive Verhandlungen in den folgenden 12 Monaten mit dem Ergebnis geführt worden, daß am 19. 12. 1975 in einem Briefwechsel die Grunderneuerung der Transit-Autobahn Berlin-Helmstedt und der 6spurige Ausbau des Berliner Rings innerhalb einer 4jährigen Zeitspanne vereinbart wurden. Die DDR bezifferte die Gesamtkosten dieser Vorhaben auf 405 Mill. Mark — die Bundesrepublik Deutschland beteiligte sich daran mit 259,5 Mill. DM.

 

Zu dieser Absprache vom Dezember 1975 hatten auch der Briefwechsel und schließlich direkte Gespräche zwischen H. Schmidt und E. Honecker beigetragen: Der Bundeskanzler und der Erste Sekretär des ZK der SED führten am Rande der Gipfelkonferenz von Helsinki am 31. 7. und 1. 8. 1975 einen Meinungsaustausch.

 

Die Schlußakte der KSZE, in Helsinki von 35 Staats-, Partei- und Regierungschefs unterzeichnet, wurde in der DDR in vollem Wortlaut publiziert. Damit seien, schrieb das „Neue Deutschland“ am 4. 8. 1975, „die territorialen und politischen Ergebnisse des zweiten Weltkrieges und der Nachkriegsentwicklung in Europa zum erstenmal in dieser umfassenden Form besiegelt worden“. 2 der 10 Punkte aus dem in Helsinki verabschiedeten Prinzipien-Katalog werteten Sprecher der Einheitspartei als besonders wichtig: die Hinweise auf die Unantastbarkeit der bestehenden Grenzen und auf das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten.

 

Honecker erklärte nach dem Abschluß der Konferenz, man müsse auch in den Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland „den Geist von Helsinki wirksam werden“ lassen; es bestehe die Notwendigkeit, das „bereits Erreichte zu konsolidieren, es weiter auszubauen und alles Hemmende aus dem Weg zu räumen“ (ND vom 6. 8. 1975).

 

XVI. Die Entwicklung seit der Konferenz von Helsinki (1976--1978)

 

 

Die Schlußakte der KSZE enthielt auch Vorschläge für eine Verbesserung des Informationsaustausches zwischen Staaten und der Arbeitsbedingungen von Austauschjournalisten. Trotz dieser auf Entspannung gerichteten Empfehlungen entschloß sich die Regierung der DDR gegen Ende des Jahres 1975 — zum erstenmal in der kurzen Geschichte der offiziellen innerdeutschen Pressebeziehungen —, einem Korrespondenten aus der Bundesrepublik, dem „Spiegel“-Redakteur Mettke, die Akkreditierung [S. 280]zu entziehen, nachdem das Hamburger Nachrichtenmagazin über Zwangsadoptionen von in der DDR zurückgebliebenen Kindern geflüchteter Eltern berichtet hatte.

 

Die Verhandlungen über Folgevereinbarungen zum Grundlagenvertrag sind jedoch fortgesetzt worden, konnten aber wegen Meinungsverschiedenheiten nicht zu einem erfolgreichen Abschluß geführt werden: So gelang es beiden Seiten bis Ende 1978 nicht, sich über die Einbeziehung von Berlin (West) in eine Vereinbarung über die angestrebte wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit zu verständigen.

 

Bei den Bemühungen um ein Rechtshilfeabkommen erwies und erweist sich dagegen die umstrittene Staatsangehörigkeitsfrage als bisher nicht zu überspringende Hürde. In den Gesprächen über ein Kulturabkommen erhebt die Regierung der DDR Ansprüche auf Teile des ehemaligen Preußischen Kulturbesitzes, den eine von Bund und Ländern getragene Stiftung verwaltet. Die Bundesregierung hat diese Ansprüche stets als unberechtigt zurückgewiesen.

 

Lediglich die Postministerien beider Seiten erzielten am 30. 3. 1976 eine Verständigung über ein grundlegendes Abkommen auf dem Gebiet des Post- und Fernmeldewesens, das durch 3 Verwaltungsabkommen präzisiert worden ist.

 

Die Ergebnisse der KSZE — von den Medien der DDR publiziert und ausführlich kommentiert ― hatten unerwartete innenpolitische Konsequenzen: Eine zahlenmäßig nicht exakt erfaßbare Gruppe von Bürgern der DDR leitete aus der Schlußakte — insbesondere aus dem Abschnitt über die Menschenrechte im 10-Punkte-Prinzipienkatalog des „Korbes I“ und aus den humanitären Absichtserklärungen des „Korbes III“ — konkrete Forderungen an die Organe der DDR ab. Sie stellten Anträge auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR und Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland.

 

Diese Tendenzen sind noch durch das Inkrafttreten der beiden Menschenrechtspakte der UN vom Dezember 1966 verstärkt worden.

 

Die Bestimmungen des Bürgerrechts- und des Sozialrechtspaktes wurden Anfang 1976 völkerrechtlich wirksam, nachdem sie von einer ausreichenden Zahl von Staaten ― darunter von der Bundesrepublik Deutschland und der DDR (bereits 1974) ― ratifiziert worden waren (Außenpolitik). Der Wortlaut dieser Pakte ist auch im Gesetzblatt der DDR abgedruckt worden (II, 1974, S. 60). So heißt es z. B. im Art. 12 des Bürgerrechtspaktes („Internationale Konvention über zivile und politische Rechte“): „Es steht jedem frei, jedes Land, auch sein eigenes, zu verlassen.“

 

Auch die Ausführungen westeuropäischer KP-Führer auf der Konferenz der 29 kommunistischen und Arbeiterparteien Europas in Berlin (Ost) am 29. und 30. 6. 1976 trugen zu dem auch öffentlich vorgetragenen Verlangen nach Inanspruchnahme der bürgerlichen Freiheitsrechte durch Bürger der DDR bei (Bürgerrechtler).

 

Zur selben Zeit belastete indessen erneut der Schußwaffengebrauch an der Grenze das Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland. Internationales Aufsehen erregte die Erschießung des italienischen Fernfahrers Corghi am 5. 8. 1976 durch Grenzorgane der DDR.

 

Im Herbst 1976 deuteten Umstände darauf hin, daß sich die SED-Führung zu einem härteren innenpolitischen Kurs entschlossen hatte. Die Ausweisung des Liedermachers Wolf Biermann im November 1976 und die darauf folgende Kontroverse zwischen der SED und einem größeren Kreis von Schriftstellern und Künstlern (Kulturpolitik) hatte ebenso Konsequenzen für das Klima zwischen beiden deutschen Staaten wie die Ausweisung des ARD-Fernsehkorrespondenten Loewe im Dezember 1976.

 

Nachdem Ministerpräsident Stoph in seiner Regierungserklärung am 1. 11. 1976 nach längerer Pause wieder von einem „Anwachsen des Revanchismus“ in der Bundesrepublik Deutschland gesprochen und davor gewarnt hatte, das für 1977 geplante erste KSZE-Folgetreffen in Belgrad in eine „Tribüne der Konfrontation umzuwandeln“ (ND vom 2. 11. 1976), vertrat Honecker in einem Interview mit der „Saarbrücker Zeitung“ am 17. 2. 1977 die Ansicht, es verstärkten sich „die Tendenzen in der BRD, das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten auf den Stand zurückzudrücken, wie er vor dem Grundlagenvertrag bestand“; die DDR werde zu überlegen haben, ob es zumutbar sei, „Propagandisten des Hasses und der Feindschaft“ weiterhin einreisen zu lassen; tatsächlich seien die Beziehungen zwischen beiden Staaten „gegenwärtig stark belastet“ — die Verantwortung dafür trügen „Kreise in der Bundesrepublik Deutschland, die an geschlossenen Verträgen vorbei erneut eine revanchistische Politik gegen die DDR betreiben“ wollten (ND vom 22. 2. 1977).

 

Die nach dem Amtsantritt des amerikanischen Präsidenten J. Carter auf internationaler Ebene intensivierte Debatte über die Sicherung der Menschenrechte bezeichnete Honecker auf der 5. ZK-Tagung am 17. 3. 1977 als „großen Rummel“, als „viel Krach um nichts“; in der DDR seien die Menschenrechte „nicht nur verfassungsmäßig, sondern im täglichen Leben der Gesellschaft voll garantiert“ (ND vom 18. 3. 1977).

 

Die durch die Bundestagswahl vom Oktober 1976 bestätigte sozialliberale Koalition nahm in der ersten Hälfte des folgenden Jahres eine Bestandsaufnahme ihrer deutschlandpolitischen Bemühungen seit Beginn der Vertragspolitik vor und stellte einen Katalog weiterer Verhandlungsziele auf. Daraufhin trafen sich der Staatsminister im Bundeskanzleramt, Wischnewski, und der Ständige Vertreter der DDR [S. 281]in Bonn, M. Kohl, am 12. 8. 1977 zu einem ersten offiziellen Gespräch, das den Auftakt einer neuen Verhandlungsrunde bedeutete. Zuvor waren erneut durch einen Briefwechsel zwischen Bundeskanzler Schmidt und SED-Generalsekretär Honecker Verfahrensweise und Richtung dieser Verhandlungen umrissen worden.

 

In seiner Rede zur Eröffnung des Parteilehrjahres in Dresden warf Honecker der Bundesrepublik Deutschland am 26. 9. 1977 vor, sie weigere sich immer noch, die „Staatsgrenze der DDR mit allen sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen anzuerkennen“ und Bewohner der DDR als deren „Staatsbürger“ zu betrachten: „Hier liegt die eigentliche Wurzel dafür, daß es immer wieder Belastungen in den Beziehungen zwischen der DDR und der BRD gibt“ (ND vom 27. 9. 1977).

 

Am 19. 10. 1977 sind Delegationen beider Postministerien übereingekommen, bis 1982 die Zahl der Leitungen für den Selbstwählfernsprechdienst zwischen beiden deutschen Staaten um 702 zu erhöhen und damit praktisch zu verdoppeln. Ferner ist die Pauschale für die Abgeltung von Mehrleistungen der Deutschen Post der DDR (bis 1976 jährlich 30 Mill. DM) für die Jahre 1977–1982 auf 97 Mill. DM jährlich erhöht worden.

 

Im selben Monat nahm Staatssekretär Gaus in Berlin (Ost) Verhandlungen über den Ausbau von zwei jeweils 2,5 km langen Autobahnabschnitten an den Grenzübergängen Helmstedt-Marienborn und Herleshausen-Wartha auf. Dabei sind auch Möglichkeiten für den Abschluß eines Veterinärabkommens erörtert worden.

 

Weitere Verhandlungsergebnisse sind insbesondere in Verkehrsfragen erzielt worden. Am 22. 12. 1977 konnte der Ausbau des Autobahnabschnitts Helmstedt-Marienborn vereinbart werden; die Bundesrepublik übernahm Baukosten in Höhe von 2,73 Mill. DM.

 

Zu erneuten Belastungen des deutsch-deutschen Verhältnisses führte um die Jahreswende 1977/78 eine auffallende und von der Bundesregierung als unberechtigt bezeichnete Zunahme der Verdachtskontrollen auf den Transitwegen durch Grenzorgane der DDR, die Schließung des „Spiegel“-Büros in Berlin (Ost) nach der Publikation des einer Gruppe oppositioneller SED-Mitglieder zugeschriebenen „Manifests“ in zwei Ausgaben des Hamburger Nachrichtenmagazins, schließlich die Zurückweisung des CDU-Vorsitzenden Dr. Helmut Kohl und anderer Unionspolitiker an der innerstädtischen Grenze in Berlin. Dem daraufhin am 28. 1. 1978 zwischen Staatsminister Wischnewski vom Bundeskanzleramt und Politbüro-Mitglied Axen sowie dem Außenminister der DDR, Fischer, arrangierten Gespräch bescheinigte Honecker in einer Rede vor den 1. Kreissekretären der SED am 17. 2. 1978 eine „offene und sachliche Atmosphäre“; man müsse eine „erneute Vergiftung des Klimas“ verhindern und die gegebenen Möglichkeiten nutzen, um „die Verhandlungen auf den verschiedenen Gebieten erfolgreich fortzuführen“ (ND vom 18. 2. 1977).

 

Nachdem Staatssekretär Gaus in der ersten Hälfte des Jahres 1978 in Berlin (Ost) Gespräche über ein Veterinärabkommen geführt hatte, konzentrierte er sich — im Anschluß an eine Unterredung mit E. Honecker am 12. 6. 1978 — auf Verhandlungen über weitere Verbesserungen im Berlin-Transitverkehr. Dem Fortgang dieser Bemühungen waren die Gespräche, die der sowjetische Parteichef L. Breshnew mit Bundeskanzler H. Schmidt während seines zweiten Besuches in der Bundesrepublik im Mai geführt hatte, förderlich.

 

Am 16. 11. 1978 unterzeichneten Gaus und der Stellvertretende DDR-Außenminister K. Nier in Ostberlin Dokumente, die wichtige Vereinbarungen für die 80er Jahre enthielten: Die DDR verpflichtete sich zum Bau einer Autobahn Berlin–Hamburg — an den Kosten der 4jährigen Bauarbeiten beteiligte sich die Bundesregierung mit 1,2 Mrd. DM. Die neue Nord-Autobahn sollte nach ihrer Fertigstellung die bisherige Transitstrecke F 5 (Berlin-Lauenburg) ersetzen. Außerdem kündigte die DDR eine grundlegende Reparatur der Transitwasserstraßen einschließlich des Schiffshebewerks Rothensee sowie die Öffnung der westlichen Zufahrt zum Teltow-Kanal in Berlin an. An den Kosten des Ausbaus der Wasserstraßen beteiligte sich die Bundesregierung mit 190 Mill. DM. Die Transitpauschale — seit 1975 jährlich 400 Mill. DM betragend — wurde für die Jahre 1980–1989 mit 525 Mill. DM beziffert (Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten).

 

Zur Verbesserung des nichtkommerziellen Zahlungs- und Verrechnungsverkehrs versprach die DDR, aus ihren Deviseneinnahmen bis 1982 200 Mill. DM für den Transfer von Guthaben bereitzustellen, die Bürger der Bundesrepublik bei DDR-Banken und -Sparkassen unterhielten.

 

Nachdem die Grenzkommission Einverständnis über die Errichtung eines Hochwasserrückhaltebeckens an der Itz erzielt hatte, konnten die Leiter der beiden Delegationen, Ministerialdirigent Dr. G. Pagel und Botschafter K. Kormes vom DDR-Außenministerium. am 29. 11. 1978 ihre Unterschriften in Bonn unter ein umfangreiches Regierungsprotokoll über die „Überprüfung, Erneuerung und Ergänzung der Markierung der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bestehende Grenze, die Grenzdokumentation und die Regelung sonstiger mit dem Grenzverlauf in Zusammenhang stehender Probleme“ setzen (Grenze).

 

Am 12. und 13. 1. 1979 führte Staatsminister Wischnewski in Ostberlin Gespräche mit DDR-Außenminister O. Fischer und dem inzwischen aus Bonn in das DDR-Außenministerium zurückge[S. 282]kehrten und zum Stellvertretenden Außenminister ernannten Dr. M. Kohl über Möglichkeiten eines Energieverbundsystems unter Einbeziehung von Berlin (West) und über gemeinsame Maßnahmen zum Umweltschutz, insbesondere zur Reinhaltung von Gewässern.

 

Während der Leipziger Frühjahrsmesse im März 1979 reiste Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff in die DDR. Mit dem Wirtschaftsexperten des SED-Politbüros, G. Mittag, erörterte er Möglichkeiten einer Ausweitung des innerdeutschen Handels und insbesondere der industriellen Kooperation.

 

XVII. Wertung

 

 

Ein Rückblick auf die 7jährige Phase der D. seit dem Abschluß des Transitabkommens vom 17. 12. 1971 zeigt, daß die DDR mit widersprüchlichen Entwicklungen konfrontiert worden ist und immer wieder Mühe hatte, die Erfordernisse der inneren Sicherheit mit dem „Preis“ in Einklang zu bringen, den sie für die Entspannungspolitik auf außen- und deutschlandpolitischem Gebiet zu zahlen hatte:

 

Im Zeichen dieser Entspannungspolitik der 70er Jahre hat die DDR einerseits ihre Stellung in der „sozialistischen Staatengemeinschaft“ festigen und sich endgültig aus den Beschränkungen ihres außenpolitischen Handlungsfeldes lösen können, die ihr auferlegt waren, solange sie von westlichen und blockfreien Ländern völkerrechtlich nicht anerkannt wurde.

 

Während die SED immer wieder von „Abgrenzung“ zum westlichen Deutschland als vermeintlich „objektivem historischem Prozeß“ sprach, war sie durch die Vertragspolitik andererseits gehalten, die Erneuerung und Vertiefung der persönlichen Beziehungen zwischen Millionen Deutschen in beiden Staaten zuzulassen.

 

Ihre These von der Herausbildung zweier ganz unterschiedlicher Typen von Nationen ― einer sozialistischen Nation in der DDR und einer bürgerlichen, die in der Bundesrepublik Deutschland fortbestehen soll ― wurde durch die tägliche Erfahrung im Umgang der Bürger beider Staaten miteinander ständig widerlegt.

 

Die Ideologen der SED-Führung behaupten ohne Unterlaß, daß sich im Zeichen friedlicher Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen der „ideologische Kampf“ verschärfen müsse; sie mußten jedoch die Erfahrung machen, daß der Einfluß westlicher Ideen und Ideologien auf ihre eigene Bevölkerung durch millionenfache persönliche Begegnungen und durch die westlichen elektronischen Medien stetig zugenommen hat. Daher waren die Korrespondenten dieser Medien, die nun auch aus der DDR über die DDR berichten konnten, in besonderem Maß den Auswirkungen der Abgrenzungspolitik der SED unterworfen. Wenngleich in zahllosen Einzelfällen durch die zwischen beiden Regierungen vereinbarte Regelung humanitärer Fragen Bürgern aus der DDR aus persönlicher Bedrängnis herausgeholfen werden konnte (seit 1970 haben 20.000 Bürger der DDR im Zuge der Familienzusammenführung in den Westen übersiedeln können — im gleichen Zeitraum sind 8.700 politische Häftlinge aus Gefängnissen der DDR „freigekauft“ worden), so nahm doch der Kreis derer, die die DDR zu verlassen wünschten, nicht ab.

 

Mit der Öffnung der Grenzen für einen zunächst sprunghaft anwachsenden Strom von Besuchern und Reisenden aus dem Bundesgebiet und aus Berlin (West) entstanden neue wirtschaftliche und währungspolitische Probleme („Intershop-Sozialismus“). Insbesondere unter jenen Bürgern der DDR, die über keine sog. West-Kontakte verfügen bzw. verfügen dürfen, wächst der Unwillen über neue Formen von sozialer Ungleichheit, die mit dem Besitz von westlichen Devisen verbunden sind.

 

Insgesamt befand sich die D. der SED während der 70er Jahre in einer überwiegend defensiven Position. Nach dem Abschluß der Konferenz von Helsinki (1975) deutete manches darauf hin, daß die UdSSR, die während der ersten Hälfte der 70er Jahre die DDR-Führung wiederholt zu einem Beitrag zur Entspannungspolitik ermuntert hatte, nunmehr eine Vertiefung der deutsch-deutschen Beziehungen angesichts der davon ausgehenden innen- und gesellschaftspolitischen Wirkungen nur noch in behutsamen Schritten zulassen wollte.

 

Der Schwung der Verhandlungen, der zu Beginn des Jahrzehnts die Ostpolitik der Bundesrepublik Deutschland charakterisierte, ist dadurch deutlich gebremst worden. Das durch die inzwischen abgeschlossenen Verträge geschaffene Geflecht von deutsch-deutschen Beziehungen hat sich jedoch auch in immer wieder auftretenden Konfliktsituationen als tragfähig erwiesen. Die Ausgestaltung dieses Beziehungsgeflechts macht aber langsamere Fortschritte, als das zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages im Dezember 1972 möglich erschien.

 

Manfred Rexin / Johannes Kuppe


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 261–282


 

Deutschlandplan des Volkes A, B, C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U, V, W, Z Deutschlandsender

 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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