DDR von A-Z, Band 1979

Entwicklungshilfe (1979)

 

 

Siehe auch:


 

Der Begriff E. wird in der DDR offiziell nicht verwendet. Statt dessen spricht man von „einer besonderen Form der Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern“, die langfristig auch der DDR „ökonomischen Nutzen“ bringen muß.

 

Bis zum Zeitpunkt der weltweiten völkerrechtlichen Anerkennung der DDR nach Abschluß des Grundlagenvertrages 1972 bestand die Funktion ihrer E. vor allem darin, die Empfängerländer zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR zu bewegen. Erfolge konnte die SED auf diesem Wege jedoch nicht erzielen. Darüber hinaus verfolgt sie mit ihrer E.-Politik aber auch das Ziel, einzelne Entwicklungsländer für das „sozialistische Lager“ zu gewinnen, um auf diese Weise ― entsprechend ihrer ideologisch bestimmten außenpolitischen Doktrin ― die „Basis des Imperialismus“ in den Ländern der Dritten Welt zu schwächen. Sofern schließlich einzelnen Formen des Außenhandels der DDR mit unterentwickelten Ländern von der SED die Bedeutung von E. zugemessen wird, geht es der DDR auch darum, sowohl Zugang zu den Rohstoffmärkten der Dritten Welt zu bekommen, als auch auf dem Wege langfristiger handelspolitischer Vereinbarungen jene auf dem („kapitalistischen“) Weltmarkt schwer verkaufbaren Erzeugnisse der Industrie der DDR günstig abzusetzen. Potentielle Empfänger von E. der DDR sind:

 

Staaten, die den „nichtkapitalistischen Entwicklungsweg“ eingeschlagen haben und sich auch politisch an das „sozialistische Lager“ anlehnen;

 

Staaten, die sich (noch) auf dem kapitalistischen Entwicklungsweg befinden, aber eine „antiimperialistische“ Außenpolitik betreiben;

 

die nationalen Befreiungsbewegungen in einigen Ländern, die noch „halbkolonialen Status“ besitzen.

 

Der materielle Umfang der E. ist u. a. aufgrund der vergleichsweise (zur Bundesrepublik Deutschland) geringen Liefer- und Leistungskapazität der Wirtschaft der DDR entsprechend gering.

 

Der Anteil des Außenhandelsumsatzes mit den Entwicklungsländern am gesamten Außenhandel der DDR ist von 1969 bis 1973 von 4,2 v. H. auf 3,4 v. H. gesunken. Seitdem ist jedoch wieder ein stetiger Anstieg zu beobachten; 1977 betrug der Anteil 4,9 v. H. Dieser Warenaustausch ist damit nur etwa halb so groß wie der vergleichbarer anderer RGW-Staaten (z. B. Polens und der ČSSR).

 

Der Umfang der E. im engeren Sinne, also der Kapitalhilfe, läßt sich nicht genau angeben, da zwischen angebotener und tatsächlich erfolgter Leistung nicht unterschieden werden kann. Westliche Schätzungen der von der DDR vergebenen langfristigen Regierungskredite einschließlich (geringfügiger) kostenloser Zuwendungen und kommerzieller Handelskredite im Rahmen von Handelsabkommen und Vertragsabschlüssen der Außenhandelsorganisationen und -betriebe (kommerzieller Kredite) schwanken zwischen 1 und 3 Mrd. Mark an Kreditzusagen, insgesamt bis zum Jahr 1970. Neuere Angaben liegen nicht vor, die E. dürfte sich jedoch etwa verdoppelt haben. Damit lag die Netto-Kapitalhilfe der DDR in diesem Zeitraum (bis 1970) bei 0,02 v. H. ihres Bruttosozialprodukts zu Marktpreisen (RGW insges. 0,04 v. H.). Die Vereinten Nationen fordern einen Transfer von 1 v. H.

 

Die E. erfolgt vor allem im Rahmen von langfristigen Abkommen über „wirtschaftliche und technische“ bzw. „wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit“ (bisher ca. 100 derartiger Abkommen mit 37 Entwicklungsländern) und wird zu Konditionen gewährt, die z. T. ungünstiger als die der Bundesrepublik Deutschland sind: 10–15jährige Laufzeit, 2–4jährige Karenzzeit, 2,5 v. H. Jahreszinsen (Bundesrepublik Deutschland: 30jährige Laufzeit, 7–8 Jahre Karenzzeit, 2,5 v. H. Zinsen).

 

In der Regel offeriert die DDR keine Kredite in konvertibler Währung, sondern bietet Waren- bzw. Lieferkredite an.

 

Ferner sind hier E.-Maßnahmen der DDR zu nennen, die sich nicht genau beziffern lassen, vermutlich aber hohe Kosten verursachen:

 

Regelmäßige Aus- und Fortbildungskurse für Gewerkschaftsfunktionäre aus Entwicklungsländern an der Hochschule des FDGB „Fritz Heckert“ in Bernau;

 

Kurse für Kommunalpolitiker aus Entwicklungsländern an der Fachschule für Staatswissenschaften „Erwin Hoernle“ in Weimar;

 

Kurse für angehende Journalisten, insbesondere aus afrikanischen und asiatischen Ländern, an der „Schule [S. 335]der Solidarität“, die dem Verband der Journalisten der DDR untersteht, in Berlin (Ost);

 

Einrichtung von sog. technisch-wissenschaftlichen (nichtkommerziellen) Informationsbüros vor allem in den arabischen Staaten und Entsendung von Experten und Spezialisten (1971–1974: rd. 2.600);

 

Abwicklung eines meist auf Einladung der DDR stattfindenden umfangreichen Besucherverkehrs, der Vertreter staatlicher und gesellschaftlicher Organisationen aus den Entwicklungsländern in die DDR führt;

 

die Vergabe von Stipendien an Studenten aus den Entwicklungsländern;

 

die Ausbildung von ungelernten Arbeitern aus den Entwicklungsländern zu Facharbeitern an Fachschulen und in Betrieben der DDR (1971–1974: 2.700);

 

die Ausbildung von Leistungssportlern an der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport in Leipzig;

 

die Entsendung von sog. FDJ-„Brigaden der Freundschaft“ (bisher mindestens 6 mit ca. 250 Mitgliedern) nach Tansania, Mali und Algerien, deren Mitglieder aufgrund ihrer Fachausbildung (Agronomen, Landmaschinentechniker usw.) am Aufbau infrastruktureller Projekte anleitend und ausbildend beteiligt sind;

 

Unterhaltung und Betrieb eines veterinärmedizinischen Forschungs- und Pflegezentrums in Tansania und einer Landwirtschaftsschule in Guinea.

 

Regionale Schwerpunkte der E. der DDR (ohne Nordvietnam, Nordkorea) waren bis 1970 in Mittel- und Südamerika: Kuba, Chile, Kolumbien (im Handel: Brasilien),

 

Asien: Indien, Burma, Sri Lanka (Ceylon), Afghanistan, Indonesien. Kambodscha,

 

Afrika: Ägypten, Syrien, Irak, Tansania, Mali, Guinea, Somalia, VR Kongo, Sudan.

 

Nach Berechnungen der Friedrich-Ebert-Stiftung konzentrierte sich die reine Kredithilfe der DDR (mit 90 v. H. aller Zusagen) auf (in dieser Reihenfolge): Algerien, Ägypten, Irak, Syrien, Kambodscha, Sri Lanka, Ghana, Sudan, Burma und Indonesien, wobei der arabische Raum mit rd. 75 v. H. den größten Anteil der E. der DDR erhalten hat.

 

In den 70er Jahren hat sich dieses Bild erheblich verändert. Im Jahr 1978 lag das Schwergewicht der E. der DDR in Afrika: Syrien, Irak, Algerien, Südjemen, Angola, Mocambique, Äthiopien und Tansania. E.-Programme gegenüber lateinamerikanischen und asiatischen Staaten (Ausnahme: Bangladesh ) sind dagegen reduziert worden. An Bedeutung gewonnen haben gemeinsam mit anderen RGW-Staaten geförderte Entwicklungsprojekte u. a. in Indien (Schwarzmetallurgie), der VR Kongo (Buntmetallurgie), Afghanistan, Bangladesh, Guinea (Energiewirtschaft), Syrien und Irak (Erdöl, Erdgas), Algerien, Ägypten, Syrien (Maschinenbau).

 

Die außenpolitische Dimension der E. der DDR hat mit deren weltweiten diplomatischen Anerkennung seit 1972/73 zunehmend an Bedeutung verloren. Im „Wettbewerb der Systeme“ muß sie jedoch beachtet werden, da sich ihre Methoden ― vor allem der ständige Versuch ideologischer Beeinflussung und die zum Teil geschickte Anpassung an die Bedürfnisse der Entwicklungsländer ― von denen westlicher E.-Politik unterscheiden und sich möglicherweise langfristig auswirken werden.

 

Im industriellen Bereich ist es bisher zu konkreten gemeinsamen E.-Maßnahmen der RGW-Staaten nur in wenigen Fällen gekommen. Allerdings scheint es im Ausbildungssektor eine gewisse Koordination zu geben. Nach Angaben aus der DDR hat der RGW bisher insgesamt 450.000 „nationale Kader“ aus Entwicklungsländern ausgebildet, 25.000 befinden sich gegenwärtig noch in der Ausbildung.

 

Unter „Mitwirkung der RGW-Länder“ sollen „26 Hoch- und Fachschulen sowie fast 100 Ausbildungszentren“ in Entwicklungsländern errichtet worden sein. Weitere 70 Lehranstalten befänden sich im Bau (Das Hochschulwesen, Nr. 3, 1978, S. 69 ff.). Nationale Demokratie; Außenpolitik.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 334–335


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.