
Erziehung zu bewußter Disziplin (1979)
Siehe auch die Jahre 1975 1985
Ein wesentliches Merkmal der für die Gestaltung und Sicherung der sozialistischen Gesellschaftsordnung erforderlichen „sozialistischen Persönlichkeit“ und ein sichtbarer Ausdruck ihres „sozialistischen Bewußtseins“ (Politisch-Ideologische bzw. Staatsbürgerliche ➝Erziehung) soll das bewußt-disziplinierte Verhalten in allen gesellschaftlichen Bereichen, besonders aber beim Arbeiten, Lernen und militärischen Dienst sein. Alle für die Bildung und Erziehung verbindlichen Gesetze und Bestimmungen fordern daher die zielstrebige, systematische und permanente Erziehung der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen zur bewußten Disziplin, d. h. zur Fähigkeit und Bereitschaft, ihr Verhalten entsprechend den Normen der sozialistischen Gesellschaft aktiv und selbständig aus innerem Antrieb zu steuern. Diszipliniertes Verhalten ― als „sozialistische Diszipliniertheit“ und „bewußte Disziplin“ ― wird vor allem als Arbeitsdisziplin, Lerndisziplin (Schul-, Studiendisziplin) und Wehrdisziplin (militärischer Gehorsam) ― diese zusammenfassend auch als Staatsdisziplin bezeichnet ― gefordert und erzieherisch angestrebt. Da der Produktionsprozeß infolge der Wissenschaftlich-technischen Revolution immer komplizierter wird und in ihm immer wertvollere Maschinen und Anlagen benutzt werden, müssen die Arbeitskräfte nicht nur über eine hochqualifizierte fachliche Ausbildung, sondern sollen auch ― und das gilt auch schon für die Lehrlinge und für die Schüler während der produktiven Arbeit im Rahmen des polytechnischen Unterrichts ― über die Fähigkeit und Bereitschaft zu Selbststeuerung und Selbstkontrolle im Arbeitsprozeß verfügen, d. h. bewußte Arbeitsdisziplin üben, die vor allem in der gewissenhaften, ordnungs- und fristgemäßen Erfüllung der gestellten Arbeitsaufgaben sowie in der sorgsamen und ökonomischen Verwendung von Maschinen, Material und Arbeitszeit zum Ausdruck kommt.
Auch die EzbD. in der Schule besteht nicht nur (aber auch) in der Erziehung der Schüler zur strikten Unterordnung unter Schulordnung und Lehrkräfte, sondern man versucht bei den Schülern auch eine „aktive und schöpferische Haltung den gesellschaftlichen Normen gegenüber“, also eine bewußte Schuldisziplin zu entwickeln. Dies führt allerdings auch dazu, daß sich vor allem die älteren Schüler „aktiv, schöpferisch und bewußt“ mit den geltenden Verhaltensregeln auseinandersetzen. Dies wird jedoch nur so weit zugelassen, wie sich diese Auseinandersetzung im Rahmen der normativen Grundlinien hält. Mit der EzbD. soll also die Spannung zwischen der Erziehung zu selbständigem und kreativem Denken und Handeln einerseits und der Erziehung zu strikter Einhaltung der politisch-ideologischen Normen andererseits dialektisch aufgehoben werden. Dies gelingt jedoch nicht — wie zahlreiche Klagen von Lehrern und Erziehern erkennen lassen —, zumindest nicht in dem gewünschten Maße, so daß das ge[S. 339]zeigte disziplinierte Verhalten hauptsächlich der Ausdruck einer (meist wohl kalkulierten) Anpassung ist.
In der DDR wird vor allem die Auffassung vertreten und praktiziert, daß diszipliniertes Verhalten nicht nur bzw. nicht zuerst das Ergebnis, sondern vor allem die unerläßliche Voraussetzung für einen effektiven Unterricht darstellt.
Um das nötige disziplinierte Verhalten der Schüler zu erreichen, wird „das einheitlich handelnde Erzieherkollektiv“ gefordert, das „die Forderungen an die Schüler konsequent durchsetzt und ihre Erfüllung dauernd kontrolliert“. Im Zusammenhang mit dem Bemühen, Fragen der Kollektiverziehung differenzierter zu sehen und zu lösen, wird auch der Einfluß der Gruppen innerhalb einer Schulklasse in den Problemkreis der Erziehung der Schüler zu bewußter Lern- bzw. Schuldisziplin einbezogen und die Möglichkeit berücksichtigt, daß die Normen der Gruppe von den Schülern häufig ernster genommen werden als die Normen des Lehrers bzw. der Schule, wenn diese im Widerspruch zueinander stehen. Auch der Einfluß anderer Erziehungs- bzw. Sozialisationskräfte, so angeblich besonders der „Westsender“, macht es der Schule offensichtlich bei älteren Schülern immer schwerer, ihre Hauptaufgabe zu erfüllen, nämlich die Vielfalt der erzieherischen Einflüsse den Zielen und Normen der politisch-ideologischen bzw. staatsbürgerlichen Erziehung entsprechend zu koordinieren, zu kanalisieren und zu integrieren. Die EzbD. zielt daher auf das Bewußtwerden (Bewußtheit) der Bedeutung und Notwendigkeit der Einhaltung der von den Lehrern, dem Schülerkollektiv, wie überhaupt der „sozialistischen Gesellschaft“ gesetzten Normen. Sie will aber auch auf die Disziplin der Mitschüler des Schülerkollektivs positiv regulierend einwirken (Kollektivität), damit sich die Schüler auch in neuen und für sie ungewohnten Situationen, ohne auf besondere Anordnungen und Befehle zu warten, selbständig und aus eigenem Antrieb diszipliniert verhalten und notfalls auch bei speziellen Bedingungen notwendige ergänzende Verhaltensnormen festlegen (Selbständigkeit); sie sollen die Forderungen, die an sie gestellt werden oder die sie an sich selbst stellen, nicht nur überhaupt, sondern so vollkommen wie möglich erfüllen (Vollständigkeit) und schließlich ihre Diszipliniertheit als ein konstantes und habituelles Verhalten ohne größere situations- oder stimmungsabhängige Schwankungen durchhalten (Stetigkeit).
Im Rahmen der Wehrerziehung unterliegen auch bereits Schüler und Lehrlinge der Wehrdisziplin. Da für die Durchführung der Wehrerziehung die „Überzeugungen und Persönlichkeitsmerkmale des sozialistischen Soldaten der NVA“ gelten, ist eine wesentliche Zielstellung der Wehrerziehung der noch nicht wehrpflichtigen Schüler und Lehrlinge die Fähigkeit und Bereitschaft, „jeden Auftrag der Partei und Regierung, jeden Befehl bedingungslos zu erfüllen“, und zwar in der Überzeugung, „daß die bewußte militärische Disziplin unerläßliches Element des Sieges ist“. Mit den in jüngster Zeit verstärkten Bemühungen zur Erziehung der Kinder und Jugendlichen zur Diszipliniertheit ― nach Möglichkeit zu „bewußter Disziplin“ ― soll offensichtlich eine zusätzliche, verstärkende Wirkung auf die angestrebte Abgrenzung und Immunisierung der gesamten Bevölkerung der DDR gegenüber dem Westen, insbesondere der Bundesrepublik Deutschland erzielt werden. Einheitliches sozialistisches Bildungssystem.
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 338–339
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