
Eurokommunismus (1979)
Siehe auch das Jahr 1985
In der Auffassung der KPdSU wie der SED werden der Bewegung des E., d. h. der Politik der Parteiführungen, insbesondere der kommunistischen Parteien Italiens, Frankreichs und Spaniens, die Absicht der Spaltung der internationalen Arbeiterbewegung, das Motiv des mehr oder minder offenen Antisowjetismus und die direkte oder indirekte Hilfestellung bei der Schaffung eines demokratisch-sozialistischen Westeuropas unterstellt. Insofern werden das politische Autonomiestreben der eurokommunistischen Parteiführungen und die Kritik am sowjetischen politisch-ideologischen Hegemonialanspruch von den osteuropäischen Parteien einschließlich der SED scharf kritisiert.
Die SED-Führung hat sich, vor allem in der Ideologie, schon deshalb vom Autonomiestreben der eurokommunistischen Parteien abzusetzen, weil für sie das ungetrübte Verhältnis zur KPdSU sowie die ― von dieser garantierten ― Sicherung und Konsolidierung der DDR den Prüfstein für die Solidarität des Proletarischen ➝Internationalismus bilden. Darüber hinaus hat die SED-Führung im Zusammenhang mit der KPdSU versucht, auch direkt auf solche kommunistischen Parteien einzuwirken (wie die KP Österreichs), deren reformkommunistische Konzeptionen für die politisch-ideologische Lage der DDR als Gefahr angesehen wurden. Für die SED-Führung sind die Vorstellungen der eurokommunistischen Parteien, besonders der KP Italiens zwar nicht identisch mit denen der SPD, sie werden jedoch gelegentlich als beinahe wesensgleich definiert. So hat das Politbüro-Mitglied Kurt Hager 1976 den Ausdruck „eurokommunistisch-sozialdemokratischer Kurs“ gebraucht.
Auf der Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas (Berlin [Ost], 29./30. 6. 1976) ist diese Haltung der SED gegenüber den großen eurokommunistischen Parteien einerseits erneut deutlich geworden; andererseits hat sich die SED-Führung seit 1976 sichtlich bemüht, einen differenzierteren Kurs gegenüber dem E. einzuschlagen. Zahlreiche Anzeichen deuten daraufhin, daß die SED-Führung eine tatsächliche Spaltung zwischen ost- und westeuropäischen kommunistischen Parteien nicht nur zu vermeiden, sondern Divergenzen des E. mit der KPdSU auch abzumildern sucht. So hat z. B. der Generalsekretär der SED. E. Honecker, im Februar 1977 mit Blick auf den E. „gewisse Meinungsunterschiede“ zwischen Sozialisten durchaus bejaht.
[S. 340]Die Motive dieser ambivalenten Haltung der SED-Führung gegenüber dem E. sind nicht ganz deutlich. Es bietet sich allerdings die Hypothese an, daß besonders die kommunistischen Parteien Italiens und Frankreichs als (potentielle) Akteure im zwischenstaatlichen wie auch im internationalen Raum betrachtet werden; ein völliger Bruch ― oder auch nur eine wesentliche Verschlechterung der Beziehungen ― mit diesen Parteien würde möglicherweise die Beziehungen Italiens und Frankreichs zur DDR auf staatlicher Ebene tangieren. Revisionismus; Reformismus; Sozialdemokratismus; Außenpolitik; Europapolitik der SED.
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 339–340
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