
Finanzsystem (1979)
Siehe auch die Jahre 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1985
Die Wirtschaftsordnung der DDR gründet sich auf die ausschließliche Nutzungsmacht der politischen Führung über die in Staatseigentum überführten Produktionsmittel nahezu sämtlicher Betriebe. Kernstück der Wirtschaftsordnung ist die Lenkungsordnung zur Steuerung der wirtschaftlichen Aktivitäten. Diese wird in der DDR durch die zentrale Planung und Leitung der Wirtschaftsprozesse auf der Ebene der Unternehmen geprägt.
In Übereinstimmung mit dem Staatseigentum an Produktionsmitteln und der zentralen Lenkung der Volkswirtschaft sind in der DDR auch die Betriebsfinanzen der staatseigenen Produktionsorganisationen (VEB, Kombinate. VVB) Teil der öffentlichen Finanzwirtschaft. In der DDR wurden
- die Finanzen der volkseigenen Wirtschaft,
- die Bankgeschäfte der Kreditinstitute und
- die Finanzoperationen der Versicherungen
zusammen mit der Mittelbeschaffung des Fiskus und der Ausgabenpolitik der Regierung zum einheitlichen sozialistischen F. verschmolzen.
I. Operationsbereiche des Finanzsystems
Das F. umfaßt 5 Bereiche:
1. Die vereinigten Haushalte aller Gebietseinheiten zusammen mit dem in den öffentlichen Gesamthaushalt integrierten Sonderetat der Sozialversicherung. Zum Gesamthaushalt des Einheitsstaates gehören neben dem Etat der Republik (= Budgets der zentralen Staatsorgane) die Haushalte der Bezirke, Kreise und Gemeinden. Ferner zählt zum [S. 386]F. im engeren Sinne der Finanzausgleich zwischen dem Haushalt der Republik und den Einzeletats der Räte der regionalen Gebietseinheiten.
2. Bestandteil des F. sind ferner die Etats der gesellschaftlichen Organisationen.
3. Die Finanzen der Volkseigenen Betriebe sind in das F. integriert worden. Dazu gehören nicht nur die Finanzen der staatseigenen Wirtschaftsunternehmen, sondern auch das Finanzwesen derjenigen „sozialistischen“ Produktionsorganisationen, die in der Rechtsform kollektiv geleiteter Produktionsgenossenschaften in den Wirtschaftssektoren Bauwirtschaft, Landwirtschaft und Handwerk bestehen (z. B. der LPG).
4. In das öffentliche F. sind außerdem die Staatsbank, die Geschäftsbanken und die Sparkassen zusammen mit den von ihnen betriebenen Geld- und Kreditgeschäften einbezogen worden. Diese Verschmelzung war insbesondere deshalb erforderlich, um die Geldschöpfung, die Bargeldzirkulation und die Abwicklung des Zahlungs- und Verrechnungsverkehrs innerhalb der DDR und zwischen dem In- und Ausland der staatlichen Steuerung und Kontrolle zu unterwerfen.
5. Das staatliche F. erstreckt sich auch auf die Versicherungsunternehmen und ihre speziellen Geschäfte. Zum staatlichen Versicherungswesen rechnet sowohl die obligatorische als auch die freiwillige Sach- und Personenversicherung.
Einen Sonderfall bilden die Währungsordnung und die Währungspolitik. Diese werden von der Wirtschaftswissenschaft der DDR zwar auch als Operationsgebiete des Finanzwesens betrachtet. Jedoch werden sie selten als eigenständiger Bereich des F. ausgewiesen. Zur Währungsordnung und Währungspolitik gehören die Festlegung der Währungseinheit, die Absicherung der Rolle der Mark als einer reinen Binnenwährung, die Wahrnehmung des Valutamonopols durch den Staat, die Devisenbewirtschaftung und die Wechselkurspolitik.
Das F. umfaßt somit nahezu die Gesamtheit der im Lande zu einem Zeitpunkt angesammelten Geld(kapital)bestände (= Geldfonds) der Wirtschaftseinheiten und der zwischen ihnen umlaufenden Geldströme.
Außerhalb dieses umfassenden „sozialistischen F.“ bleiben nur 2 Ausnahmebereiche. Es sind a) die Finanzen der restlichen kleinen privaten Gewerbebetriebe und der privat wirtschaftenden Handwerker und b) die Geldeinkommen und Geldausgaben der privaten Haushalte sowie die Ersparnisse der natürlichen Personen und Vereine. Allerdings werden diese Geldströme und Geldbestände ständig durch die Finanzbehörden. Banken und Sparkassen überwacht. Diese nehmen darüber hinaus auf die Verwertung der Geldeinkommen und Geldvermögensbestände der privaten Haushalte Einfluß, um die Bevölkerung zu einem plankonformen Wirtschaftsverhalten zu veranlassen und um die Kaufkraft der Währung zu stabilisieren.
II. Wirtschaftspolitisches Zielprogramm und Zweckmäßigkeit der finanzpolitischen Instrumente
Die Hauptaufgabe des F. besteht darin, an der vorrangigen Erfüllung des wirtschaftspolitischen Zielprogramms der Staatsführung mitzuwirken. Dieses wird in Jahres- und Mehrjahresplänen konkretisiert und ist mit den politischen Absichten und Interessen der SED-Führung identisch.
Um das wirtschafts- und gesellschaftspolitische Programm durchzusetzen, müssen alle Steuerungsinstrumente, Belohnungsangebote, Kontrollmittel und Sanktionen des F. zweckmäßig miteinander verkoppelt werden. Dabei richten sich sämtliche Anstrengungen der Wirtschaftspolitiker stets darauf, die Wirksamkeit von monetären Impulsen, Belohnungen und Restriktionen zu erhöhen, um über diese Hebel die gewünschten Reaktionen im Bereich der Güterwirtschaft zu erzeugen.
Durch die monetäre Wirtschaftslenkung sollen u. a. folgende Ziele erreicht werden: Eine bessere Ausnutzung der Rohstoffe, die Senkung des spezifischen Materialverbrauchs, die Steigerung der Produktion, die Stimulierung der Leistungsbereitschaft, die Erhöhung der Arbeitsproduktivität und, bei Versorgungskrisen, sogar eine zeitweise Senkung des privaten Verbrauchs (= mehr Sparen durch Konsumverzicht).
Die Regierung der DDR hat während der vergangenen 30 Jahre in Anpassung an den gewählten wirtschaftspolitischen Kurs ihre währungs-, geld- und finanzpolitischen Steuerungsinstrumente häufig gewechselt. Dabei ging es im Verlauf zahlreicher wirtschaftspolitischer Experimente stets um Reorganisationsmaßnahmen der zentralen Planung und Umgestaltungen der Lenkungsmethoden, insbesondere auch der monetären, um die Effizienz der Wirtschaftsprozesse zu steigern.
Welche Art von monetären Impulsen und Regulierungsmitteln jeweils benötigt werden, hängt im wesentlichen von 2 Einflußfaktoren ab. Erstens von der Art und Zahl der Ziele, die in den Jahresvolkswirtschaftsplänen und in den Perspektivplänen als vorrangig festgelegt worden sind. Zweitens kommt es darauf an, welchen Zentralisierungsgrad bei ökonomischen Führungsentscheidungen die Regierung der DDR in einer bestimmten Zeitetappe bevorzugt, wenn es darum geht, wie die Wirtschaftsprozesse in den VEB, Kombinaten und VVB gestaltet werden sollen. Zu diesen Entscheidungen gehören Beschlüsse über die Produktionsprogrammgestaltung, über Investitionen, Importe, Ausfuhren, Rationalisierungsmaßnahmen, die Werbung und die auszuwählende Absatzstrategie.
Dabei läßt sich folgendes feststellen: Je mehr der [S. 387]zentralen Wirtschaftsverwaltung Entscheidungsbefugnisse entzogen und den Leitungen der staatlichen Konzerne. Kombinate und Betriebe übertragen werden, um so mehr gewinnt die Geld- und Finanzpolitik für den Staat an Bedeutung. Denn sobald güterwirtschaftlich ausformulierte Planbefehle nicht mehr die führende Rolle bei der Wirtschaftslenkung spielen, müssen „monetäre Regulatoren“ (= Preise, Steuern, Kredite, Zinsen, Prämien usw.) die Steuerung der Wirtschaftsentwicklung übernehmen und [S. 388]für die Beseitigung von Disproportionen sorgen. Sobald jedoch die Entscheidungsbefugnisse über die Gestaltung der Wirtschaftsprozesse an der Produktionsbasis erneut in die zentrale Wirtschaftsadministration zurückverlagert werden, verlieren die monetären Steuerungsinstrumente ihren dominierenden Einfluß.
III. Die Funktionen des Finanzsystems
Im Prinzip erfüllt das F. der DDR die gleichen Grundfunktionen in der staatlichen Wirtschaftspolitik wie das öffentliche Finanzwesen in der Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland. Insgesamt sind ihm 6 Aufgaben übertragen worden: 1. eine Meß- und Rechnungslegungsfunktion; 2. eine Mittelbeschaffungsfunktion; 3. eine Allokations- und Lenkungsfunktion; 4. eine Stabilisierungs- und Stimulierungsfunktion; 5. eine Verteilungsfunktion (Distributionsaufgabe) und 6. eine Kontrollfunktion.
Im Sprachgebrauch der marxistisch-leninistischen Ökonomie werden häufig die an 3. und 4. Stelle genannten Aufgaben als die „Hebelfunktionen“ der Finanzen charakterisiert.
A. Funktion der Rechnungslegung
In Verbindung mit der administrativen Preisfestsetzung dienen Geld- und Finanzwesen als Instrument der Rechnungslegung über Aufwand und Ertrag der wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen (= Meßfunktion).
B. Mittelbeschaffungsfunktion
Um dem Staat die notwendigen Geldmittel für die Finanzierung öffentlicher Leistungen zu verschaffen, konzentriert der Fiskus über das Steuer- und F. einen bedeutenden Teil des jährlichen Volkseinkommens im Zentralhaushalt und in den Haushalten der Gebietsverwaltungen (= Räte der Bezirke, Kreise und Gemeinden). Grenzt man das Ausgabenvolumen des „einheitlichen Staatshaushalts“ der DDR nach der in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Methodik für die Aufstellung des „öffentlichen Gesamthaushalts“ ab (Bund, Länder, Gemeinden), so beanspruchte der Staat in der DDR im Jahr 1974/75 rd. 70 v. H. vom Volkseinkommen (= Nationaleinkommen) für seine Zwecke.
C. Allokations- und Lenkungsfunktion
Mit Hilfe der Instrumente der Finanzpolitik ist die Regierung laufend darum bemüht, die individuellen Wünsche der Bürger in bezug auf den Konsum, die Freizeit und das Sparen zu steuern und zu korrigieren. Damit sollen die Bedürfnisse der Individuen dem jeweils vom Staat bevorzugten Prioritätenkatalog für die Erzeugung und Verwendung von Gütern und Dienstleistungen angepaßt werden.
So nimmt die Wirtschaftsführung a) durch die Erhebung und die Gestaltung der Einkommensteuer, der Umsatz- und der Verbrauchssteuern und b) durch die Verwendung der erzielten Etateinkünfte Einfluß darauf, welcher Anteil vom jährlich erzeugten Güterfonds auf die privaten Haushalte entfällt und welchen Anteil der Staat erhält, um seine öffentlichen Aufgaben zu erfüllen.
Darüber hinaus werden in der DDR die kombinierten Umsatz- und Verbrauchssteuern auch dazu benutzt, um die Kaufentschlüsse der Konsumenten zu steuern. Daher vermag die Wirtschaftsführung über diese „steuerpolitischen Hebel“ zugleich die Struktur des Angebotes bei der Herstellung von Verbrauchsgütern zu beeinflussen.
I). Stabilisierungs- und Stimulierungsfunktion
In dieser Funktion hat die Geld- und Finanzpolitik in der DDR vor allem 2 Aufgaben zu erfüllen: 1. Sie soll Wohlfahrtsverluste vermeiden helfen, die durch unerwünschte Aktivitätsschwankungen bei der Auslastung der Produktionskapazitäten entstehen und 2. müssen alle Störungen im Wirtschaftsablauf unterbunden werden, die durch Disproportionen aufgrund der unterschiedlichen Expansion des Geld- und des Güterkreislaufs verursacht werden.
Solche Disproportionen zwischen der Geld- und der Gütersphäre und die verschiedenen gesamtwirtschaftlichen Instabilitäten können in den Wirtschaftssystemen mit zentraler administrativer Lenkung nicht durch das freie Spiel der relativen Preise der Konsumgüter und Produktionsfaktoren abgebaut werden, da die Preise für Güter und Dienste festgesetzt sind und meist über viele Jahre hinweg konstant bleiben. Wettbewerb und Marktpreisbildung fehlen somit als relativ selbsttätig funktionierende dynamische Korrektur- und Stabilisierungsinstrumente zur Absorption von Störungen im Wirtschaftsablauf und zur Herstellung immer wieder neuer Gleichgewichte zwischen den mikro- und makroökonomischen Geld- und Gütergrößen. Deshalb fällt in der Zentralplanwirtschaft der DDR diese Aufgabe zu einem großen Teil der Finanzplanung und der Finanzpolitik zu.
Es muß hier darauf hingewiesen werden, daß sich die Finanzpolitik in den Zentralplanwirtschaften auf einem wichtigen Gebiet der monetären Wirtschaftslenkung vollständig von der Finanzpolitik unterscheidet, wie sie vorrangig in den marktwirtschaftlich organisierten Industriestaaten zur Anwendung kommt (= Marktwirtschaften mit Globalsteuerung). Diese Finanzpolitik basiert hauptsächlich auf der makroökonomischen Theorie und den wirtschaftspolitischen Empfehlungen des englischen Wirtschaftswissenschaftlers und Diplomaten J. M. Keynes. Sie besteht im wesentlichen aus einer konträr zum Konjunkturverlauf vorgenommenen Erhöhung oder Verminderung der Staatsausgaben (= antizyklische Budgetpolitik). Diese Ausgabenpolitik wird [S. 389]auf der Einnahmenseite des Staatsetats durch gleichgerichtete Einnahmenverzichte des Fiskus (z. B. in Form von Steuererleichterungen) oder durch die Stillegung der in Hochkonjunkturzeiten reichlich fließenden Steuereinnahmen unterstützt (= Bildung von Konjunkturrücklagen).
Im Mittelpunkt der fiskalischen Konjunkturtherapie stehen somit im Westen kompensatorische Einnahmen- und Ausgabenvariationen. Sie sollen erreichen, daß gesamtwirtschaftlich gefährliche Bestrebungen oder Unterlassungen des privaten Wirtschaftssektors ausgeglichen werden.
In zentral gelenkten Volkswirtschaften sorgen dagegen die in den staatlichen Wirtschaftsplänen festgelegten Leistungsaufträge an die Staatsbetriebe für „Dauerkonjunktur“ und Vollbeschäftigung. Zwar gibt es auch in diesen Wirtschaftsordnungen merkliche wirtschaftliche Aktivitätsschwankungen. Doch führen sie in der Regel nicht zur „offenen Arbeitslosigkeit“, zu einem massiven Rückgang der Kapazitätsauslastung und zur Stillegung von Produktionsbetrieben.
Daher benötigt auch die Regierung der DDR kein auf verschiedene Konjunkturphasen abgestimmtes Repertoire an finanz-, währungs- und geldpolitischen Instrumenten, mit dessen Hilfe sowohl die wirtschaftlichen Aktivitäten zur Erreichung der Vollbeschäftigung angekurbelt als auch eine Überbeanspruchung des volkswirtschaftlichen Leistungspotentials abgebaut werden kann.
Für die Regierung der DDR sind fiskalische Konjunktur- und Stabilitätsprogramme kein geeignetes Mittel, um die Leistungsschwächen der Volkswirtschaft zu überwinden und die systemspezifischen Mängel dieser Lenkungsordnung zu mildern.
Infolge der nahezu vollständigen Verstaatlichung der Produktionsmittel gibt es in der DDR keinen nennenswerten privaten Wirtschaftssektor mehr. Durch ihn können somit auch keine gesamtwirtschaftlichen Nachfrageschwankungen mehr ausgelöst oder verstärkt werden. Der verstaatlichten Wirtschaft werden ihre Leistungsaufträge durch Planbefehle erteilt. Dabei versucht die SED- und Staatsführung die Leistungsansprüche bei jedem neuen Jahresvolkswirtschaftsplan so hoch anzusetzen, daß die Planträger (= VEB, Kombinate, VVB, Produktionsgenossenschaften) bei der Erfüllung der Staatsplanziele bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gefordert werden.
Der Staatshaushaltsplan dient demgemäß auch in der DDR der Wirtschaftsführung als Hauptfinanzplan der Volkswirtschaft und die Staatskasse ist die wichtigste Finanzierungsquelle der „sozialistischen Wirtschaft“ und der „Einrichtungen der gesellschaftlichen Konsumtion“. Daraus folgt: Im Unterschied zur Finanzpolitik in der Bundesrepublik Deutschland wird Vollbeschäftigung in der DDR nur in einem äußerst bescheidenen Maße durch haushaltspolitische Maßnahmen induziert. Sie wird hauptsächlich durch staatliche Wirtschaftspläne und -Programme sichergestellt. Diesen Programmen kommt bei der Sicherung einer „Dauerkonjunktur“ die führende Rolle zu. Der Staatshaushalt dagegen hat sich in Einnahmen und Ausgaben den Jahresvolkswirtschaftsplänen anzupassen, deren Leistungsziele gegenwärtig überwiegend in Form güterwirtschaftlicher Plankennziffern festgeschrieben werden. Für den Fall, daß der Volkswirtschaftsplan aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse während einer Planperiode geändert werden muß, wird auch ein neuer Haushaltsplan aufgestellt.
In der DDR ist der jährliche Haushalt stets ausgeglichen und schließt mit einem geringen Einnahmeüberschuß ab. Um wirtschaftliche Aktivitätsschwankungen auszugleichen, nimmt die DDR über den Staatsetat keine kompensatorischen Einnahme- und Ausgabevariationen vor.
Mehrausgaben über die Etatansätze hinaus sind nur in Sonderfällen möglich, sofern diese durch Mehreinnahmen oder durch Einsparungen an anderer Stelle gedeckt sind und nachweislich der Mobilisierung von Leistungsreserven dienen.
In der DDR haben die Steuer-, die Kredit- und die Zinspolitik die Hauptlast bei der Stimulierung der Leistungsbereitschaft und bei der Stabilisierung der vor Eintritt in die jeweils nächste Wirtschaftsperiode vorprogrammierten Wirtschaftsabläufe zu tragen. Diese 3 finanzpolitischen Instrumente werden dabei vorwiegend für die Erfüllung von 3 Aufgaben eingesetzt: 1. um bisher noch unentdeckt gebliebene Leistungsreserven für die Planerfüllung zu mobilisieren; 2. um ein zufriedenstellendes Wirtschaftswachstum zu erreichen; 3. um den Geldwert stabil zu halten. Zur Verwirklichung dieser Ziele ist z. B. die Staatsführung der DDR — entweder ständig oder bei Bedarf — darum bemüht, durch gezielte Steuervergünstigungen und durch differenzierte Senkungen der individuellen Abgabenlasten die Leistungsbereitschaft der Erwerbstätigen zu steigern und damit der Wirtschaft Wachstumsimpulse zu vermitteln.
Ferner dienen z. B. die Besteuerung der Einkommensbezüge durch die Lohn- und die Einkommensteuer und die Abgabenbelastung der Einkommensverwendung für den Erwerb von Waren durch die Umsatz- und die Verbrauchssteuern dazu, Disproportionen auszugleichen, die sich bei ungleichgewichtiger Expansion von Güter- und Geldkreislauf (und starren Planpreisen) zwischen der monetären Nachfrage einerseits und dem materiellen Warenangebot andererseits gebildet haben. Die hierbei in der DDR von den Umsatz- und Verbrauchssteuern zu leistende Stabilisierungsaufgabe besteht überwiegend darin, einen Teil der überschüssigen Kaufkraft durch steuerliche Teuerungszuschläge auf die Betriebspreise der Einzelhandelsgüter abzuschöpfen (= produktgebundene Abgaben).
[S. 390]Die Stabilisierungsfunktion der Zins- und Kreditpolitik besteht vor allem in der Abstimmung der Geldschöpfung und der Geldmengenvermehrung auf die Expansion des volkswirtschaftlichen Güterfonds.
Als Mittel der Finanzpolitik sind somit sowohl die von der Bevölkerung zu zahlenden Steuern als auch die Kredit- und die Zinspolitik dazu geeignet, um eine „zurückgestaute“ Inflation zu bekämpfen und damit dem sozialpolitischen Ziel zu dienen, die Kaufkraft der Währung zu stabilisieren.
E. Verteilungs- oder Distributionsfunktion
Im Unterschied zur Regierung der Bundesrepublik Deutschland besitzen in der DDR die SED-Führung und der Ministerrat die Macht und die Mittel, um auf direktem Wege die von ihnen gewünschte Verteilung der Ergebnisse des volkswirtschaftlichen Arbeitsprozesses (= Wertschöpfung = Volkseinkommen) auf Staat. Wirtschaft und Bevölkerung durchzusetzen. Zu den systemspezifischen Instrumenten der Verteilungspolitik gehört vor allem die administrative Festlegung der Lohn- und Einkommenstarife und der Einkommensentwicklung. Die Besteuerung der Löhne und Einkommen der Erwerbstätigen aus verteilungspolitischen. Gründen ist daher grundsätzlich nicht erforderlich.
In der Praxis läßt jedoch die direkte Einkommenszumessung an die einzelnen Berufsgruppen der unselbständig Beschäftigten und der Selbständigen keine ausreichende verteilungspolitische Feinsteuerung zu. Darüber hinaus sind alle Regierungen in den sozialistischen Staaten Osteuropas bei der personalen Verteilung der volkswirtschaftlichen Lohnsumme zunächst einmal gezwungen, von der Vorstellung einer weitgehend egalitären Entlohnung der Werktätigen Abstand zu nehmen. Bisher haben sich nämlich stark differenzierte, leistungsbezogene Löhne stets als das wirksamste Mittel erwiesen, um die Einsatzbereitschaft der Beschäftigten zu erhöhen und um zusätzliche Arbeitskräfte in Branchen und Regionen mit hohem Arbeitskräftebedarf zu lenken. Greift der Staat in diese Verteilung der Nominaleinkommen nicht mit korrigierenden Umverteilungsmaßnahmen ein, so entstehen nach einer gewissen Zeit erhebliche Unterschiede in der Einkommens- und Vermögensverteilung innerhalb der Bevölkerung, die zu sozialen Unruhen führen können und die zudem nicht mit den Vorstellungen von einer „klassenlosen Gesellschaft“ vereinbar sind. Deshalb müssen auch in der DDR direkte Steuern vom Einkommen. nach Verbrauchsgüterarten differenzierte Umsatzsteuern und der Staatshaushalt selbst distributive Aufgaben erfüllen.
Diesen finanzpolitischen Umverteilungsinstrumenten obliegt ferner die Unterstützung und Versorgung der Stipendiaten, Kranken, Bedürftigen und Rentner.
In einer Übergangsphase von der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zur zentralgelenkten Staatswirtschaft werden ferner finanzpolitische Umverteilungsmaßnahmen bei den Einkommen und Vermögen ergriffen, um die Vermögen der Produktionsmitteleigentümer zu dezimieren, die Überführung von privatem Produktivvermögen in Staatseigentum durchzusetzen und um soziale Zuwendungen an privilegierte Klassen, Schichten und Gruppen der Bevölkerung zu finanzieren.
Betrachtet man ausschließlich die bisher hier vorgestellten 5 Grundfunktionen, die das F. der DDR zu erfüllen hat, so zeigt sich, daß seine Hauptaufgaben weitgehend mit denen des „öffentlichen Finanzwesens“ in der Bundesrepublik Deutschland übereinstimmen. Lediglich bei der 6. Grundfunktion, die dem Finanz- und Steuersystem übertragen wurde, handelt es sich um eine „systemspezifische“ Aufgabe. Das umfassende „öffentliche“ Finanzwesen hat vielfältige wirtschafts- und sozialpolitische Kontrollfunktionen zu übernehmen. Andernfalls erhält die Wirtschaftsführung kein umfassendes Bild von dem jeweils erreichten Grad der Erfüllung der staatlichen Wirtschaftspläne und der öffentlichen Sozialprogramme.
F. Kontrollfunktion
So hat z. B. die Staatsführung der DDR die kombinierte Umsatz- und Verbrauchssteuer so konstruiert und die Form ihrer Einziehung so organisiert, daß die Wirtschafts- und Finanzbehörden über die periodischen Steuereingänge kontrollieren können, ob die Betriebe der Konsumgüterindustrie ihre Produktions- und Absatzpläne erfüllen und damit ihrer sozialpolitischen Aufgabe nachkommen, die Bevölkerung ausreichend mit Verbrauchsgütern zu versorgen.
G. Transformationsfunktion
Wie bereits oben kurz dargestellt, leistete in der „Übergangsperiode“ von 1945 bis Anfang 1953 ein umfunktioniertes Finanzwesen der KPD/SED und der sowjetischen Besatzungsmacht wertvolle Hilfe bei der Umgestaltung der bei Kriegsende bestehenden Wirtschaftsordnung in eine Zentralplanwirtschaft sowjetischen Typs. Diese Transformationsfunktion des Finanzwesens wurde von den Finanzwissenschaftlern der DDR noch bis Anfang der 60er Jahre als eine eigenständige Dienstleistung des „sozialistischen F.“ herausgestellt. Seit der fast völligen Verstaatlichung der Produktionsmittel und dem Eintritt in die erste Phase grundlegender Wirtschaftsreformen (1963/64) wird in der Literatur über diese Einsatzmöglichkeit des F. kaum noch berichtet.
In der Zeitspanne von 1945 bis 1953 ― und in einzelnen Produktionsbereichen auch noch während der 50er Jahre ― benutzte die SED-Führung vor allem die Steuer- und Kreditpolitik als „Instrument des [S. 391]Klassenkampfes“. Konfiskatorische Steuerforderungen, drückende Kreditbedingungen und gezielte Kreditsperren wirkten dabei zusammen, um die wirtschaftlichen Existenzbedingungen der privaten Gewerbebetriebe, bäuerlichen Familienbetriebe und privat wirtschaftenden Handwerksbetriebe zu untergraben und die Eigentümer zur Aufgabe zu zwingen. In den 60er Jahren waren dann das private Handwerk und die Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) mehrfach der Adressat einer derart ausgerichteten finanzpolitischen Sonderbehandlung.
Dabei zielten die diskriminierenden finanzpolitischen Maßnahmen gegenüber den privaten Handwerkern vor allem darauf ab, diese zum Eintritt in „sozialistische Produktionskollektive“ zu bewegen. Einzelne Elemente dieser finanzpolitischen Klassenkampfmaßnahmen sind auch gegenwärtig noch im Steuer- und Kreditrecht der DDR nachweisbar (vgl. dazu die differenzierte Steuerlastverteilung bei der Lohn- und Einkommensbesteuerung nach Einkommensarten und sozialen Gruppen im Standardwerk von H. Balling, „Besteuerung des Arbeitseinkommens“, hrsg. v. Ministerium der Finanzen der DDR, Berlin [Ost] 1971).
IV. Finanzsystem und Wirtschaftsreformen
In der Zeit der besonders streng zentralistisch betriebenen administrativen Wirtschaftslenkung (1948–1963) sollte und konnte das F. in allen seinen Bestandteilen nur Unterstützungsarbeit bei der Planerfüllung leisten und Kontrollaufgaben bei der Sicherung der Plandisziplin erfüllen. Das Geld verharrte in dieser Zeit in einer überwiegend passiven Rolle. Die Verteilung von Geldkapital an die Orte seiner Verwendung diente vorwiegend dem Zweck, um administrativ getroffene Produktions-, Investitions- und Verbrauchsentscheidungen über Geldzuteilungen verwirklichen zu helfen. Die Rolle des F. im Rahmen der staatlichen Wirtschaftspolitik beschränkte sich damit in dieser Zeit auf die Erfüllung administrativ vorgezeichneter Allokationsaufgaben und auf die Übernahme von Überwachungsfunktionen. Diese Einengung auf im wesentlichen nur 2 Funktionen entsprach der bis 1963 bevorzugten Methodik der straff administrativen Wirtschaftslenkung. Diese gewährte den Staatsbetrieben nur einen sehr geringen operativen Entscheidungs- und Handlungsspielraum im Rahmen der detaillierten vollzugsverbindlichen Staatspläne.
Durch die Wirtschaftsreform (1963–1970) erfolgte dann eine beträchtliche Dezentralisierung von prozeßpolitischen Entscheidungen zugunsten der Betriebe und überbetrieblichen Zusammenschlüsse (Kombinate. VVB). Gleichzeitig wurde die monetäre Wirtschaftslenkung deutlich aufgewertet. Das Geld übernahm zusammen mit dem von Verzerrungen merklich bereinigten System der Güter- und Dienstleistungspreise eigenständige Steuerungsaufgaben. Dadurch wurden die Lenkungs-, die Stabilisierungs- und die Stimulierungsfunktion des F. die wichtigsten Aufgaben des Geld- und Finanzwesens der DDR. Entsprechend dieser ab 1963/64 dominierenden Aufgabenstellung gestaltete die Wirtschaftsführung Schritt für Schritt a) die Finanzgrößen (d. s. Kredite. Kreditzinsen, Kreditlimite, Verzugszinsen, Steuern, Löhne. Prämien usw.) und b) die Finanzbeziehungen (dazu gehören die Kreditaufnahmebedingungen, die Verfahrenstechniken im Zahlungs- und Verrechnungsverkehr) zu „ökonomischen Hebeln“ um. Diesen monetären Regulatoren ist vor allem die Steuerung der Wirtschaftsaktivitäten der Produktionsorganisationen und der Erwerbstätigen anvertraut worden. Sie sollten auf indirektem Wege Leistungswillen und Leistungsinteressen der Belegschaften und Betriebsleitungen mit den Leistungsanforderungen der staatlichen Wirtschaftsführung in Einklang bringen. Zielgröße und Anknüpfungspunkt aller monetären Lenkungsmaßnahmen in der Produktionssphäre wurde der Gewinn der VEB, Kombinate und VVB.
Daher sind gleich zu Beginn der Wirtschaftsreform 1963/64 a) die Höhe der individuellen Prämieneinkommen und b) die Finanzierung von kulturellen und sozialen Maßnahmen für die Belegschaften aus den „Kultur- und Sozialfonds“ der Wirtschaftsunternehmen direkt von der Gewinnerzielung abhängig gemacht worden. Die Regierung der DDR glaubte, durch diese Verkoppelung der privaten Einkommensinteressen mit der Gewinnerzielung der Staatsbetriebe endlich eine Wirksame Methode gefunden zu haben, die Produktionseinheiten zu einem effizienteren Einsatz der wirtschaftlichen Ressourcen anzuspornen und über eine gezielte Einflußnahme auf die Bildung, Verteilung und Verwendung der Unternehmensgewinne die Betriebskollektive zur Mobilisierung aller Leistungsreserven zu ermuntern. Doch der Gewinn konnte die ihm zugedachte Steuerungsrolle nicht zufriedenstellend erfüllen. Er mußte versagen, als ihm die Aufgabe übertragen wurde, zentraler Maßstab (= Hauptkennziffer) für die Leistung zu sein, welche die Betriebskollektive in jeder Wirtschaftsperiode für die Deckung des volkswirtschaftlichen Bedarfs erbracht hatten. Denn trotz aller Wirtschaftsreformen wurden die Preise der Güter und Dienste nach wie vor administrativ festgesetzt. Sie waren somit kein brauchbarer Gradmesser für die Knappheit der Waren. Infolge dieser Verzerrungen im Preissystem ergaben sich zwangsläufig auch verzerrte, ökonomisch nicht begründete Gewinne. Dies wiederum führte zu einer Fehlallokation knapper Wirtschaftsgüter und zu einem suboptimalen Einsatz von Arbeitskräften.
Ende 1970/Anfang 1971 wurde die Lenkungskonzeption der Wirtschaftsreformjahre aufgegeben und ein wirtschaftspolitischer Kurswechsel eingeleitet. [S. 392]Trotz des Abbruchs der Wirtschaftsreform und einer erneuten Rezentralisierung im Wirtschaftssystem wurde ein erheblicher Teil der finanzpolitischen Lenkungsinstrumente, die in den Jahren von 1963 bis 1970 eingeführt worden waren, nicht kurzerhand wieder beseitigt. Allerdings ist ihr gegenwärtiger Lenkungs- und Stimulierungseffekt vergleichsweise gering zu veranschlagen.
V. Gesamtwirtschaftliche Geldstromanalysen als Koordinierungs- und Kontrollinstrumente
In der Finanzwissenschaft und in der Finanzplanung der DDR wird die gesamtstaatliche Finanzwirtschaft zutreffend als ein Verbund verschiedener Subsysteme angesehen, die infolge ihrer wechselseitigen Beziehungen untereinander als Einheit zu betrachten und demgemäß miteinander zu verknüpfen sind. Die einzelnen Subsysteme selbst sind identisch mit den Geldquellen und den Geldkapitalsammelbecken der in der Volkswirtschaft bestehenden großen „Wirtschaftsgruppen“. Zu ihnen gehören der Staat (= Zentralstaat plus regionale Gebietsverwaltungen), die organisatorisch verselbständigten Einrichtungen für die soziale, gesundheitliche und kulturelle Betreuung der Bevölkerung (= Wirtschaftsgruppe „gesellschaftliche Konsumtion“), die Banken, die Versicherungen, die Gesamtheit der staatlichen und genossenschaftlichen Produktionsbetriebe und die Bevölkerung.
Bedingt durch den Leistungsaustausch zwischen den Wirtschaftsgruppen und veranlaßt durch unentgeltlich vorgenommene Übertragungen, fließen zwischen den einzelnen Wirtschaftsgruppen ständig Geldströme. Diese Geldstrombewegungen versucht die Wirtschaftsführung der DDR auf einem gesamtwirtschaftlichen Großkontensystem buchhalterisch zu erfassen. Dabei wird für jede Wirtschaftsgruppe („Pol“ des Geldkreislaufs) eine eigene Finanzbilanz aufgestellt. Auf jedem dieser Großkonten werden auf der Aufkommensseite alle Geldzuflüsse verbucht und auf der Verwendungsseite alle Geldabflüsse aufgezeichnet. Diese nach Ablauf jedes Wirtschaftsjahres in Form von Ist-Bilanzen aufgestellten Einnahmen- und Ausgabenrechnungen für die wichtigsten „Pole“ des Geldkreislaufs geben der Wirtschaftsführung einen ausführlichen Überblick über den Leistungsaustausch zwischen den Wirtschaftsgruppen und über die zwischen ihnen erfolgte unentgeltliche Übertragung von Umverteilungseinkommen. Solche kontenmäßig erfaßten Geldstromanalysen dienen ferner als Orientierung für die in der Wachstums- und Stabilitätspolitik zu ergreifenden Maßnahmen und als Wegweiser für die künftige Gestaltung der Wirtschaftspläne.
Planung; Investitionen; Währung/Währungspolitik; Zins und Zinspolitik; Staatliche Versicherung der DDR; Betriebsformen und Kooperation; Bankwesen; Staatsbank; Sparkassen; Verrechnungsverfahren.
Hannsjörg Buck
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 385–392