
Freizeit (1979)
Siehe auch:
- Freizeit zur Wahrnehmung Persönlicher Interessen:
Der Begriff F. erfährt in der DDR eine besondere ideologische Einordnung. Das Kleine Politische Wörterbuch der DDR definiert F. als „von den Werktagen nach eigenen Bedürfnissen und Ermessen gestalteter Teil der arbeitsfreien Zeit, die der Entwicklung der geistig-kulturellen Interessen und damit der Entwicklung der Persönlichkeit sowie der Reproduktion der Arbeitskraft dient. Bei der Bestimmung der F. wird von der Unterteilung der Gesamttageszeit in Arbeitszeit und Nichtarbeitszeit (auch arbeitsfreie Zeit) ausgegangen. Die F. ist der Teil der Nichtarbeitszeit, der dem einzelnen nach Verrichtung notwendiger Tätigkeiten im Alltag verbleibt.“
Während im westlichen Verständnis F. und Arbeitszeit als weitgehend getrennte menschliche Lebensbereiche begriffen werden, sollen F. und Arbeit im Sozialismus keine Gegensätze mehr bedeuten. Die Steigerung der Arbeitsproduktivität soll dabei nicht nur im Produktionsbereich verwirklicht, sondern auch durch sinnvolle Gestaltung der F. der Werktätigen gefördert werden, die F. soll möglichst kollektiv verbracht werden und mit der Anpassung an eine sozialistische ➝Lebensweise dienen.
Zwischen den Forderungen des Staates und dem tatsächlichen F.-Verhalten besteht jedoch eine Diskrepanz. Während im Arbeitsbereich der individuelle Spielraum deutlich eingegrenzt und weitgehend kontrolliert wird, ist die arbeitsfreie Zeit nicht im gleichen Maße von der SED zu überwachen. Zwar gibt es die Erwartungshaltung des Staates, die Bürger sollten einen Teil ihrer F. als „gesellschaftspolitische Tätigkeit“ in Organisationen, im „Nationalen Aufbauwerk“ sowie zur beruflichen Qualifizierung verwenden. Doch zeigt sich bei Umfragen nach den bevorzugten F.-Aktivitäten in der DDR, daß tatsächlich nur für einen kleinen Teil der F. der Staat Eingriffsmöglichkeiten besitzt: Den größten Teil der F. verbringen DDR-Bürger im Familienkreis; hier bestehen nach wie vor für den Staat nur geringe Einwirkungsmöglichkeiten.
Über wieviel freie Zeit der einzelne verfügen kann, geht aus verschiedenen Erhebungen hervor, die bereits Ende der 60er Jahre durchgeführt wurden. Seit der Einführung der Fünftagewoche hat sich insbesondere bei der berufstätigen Bevölkerung die F. erheblich erweitert.
In den meisten Untersuchungen schwankt der Umfang der F. zwischen 24 und 35 Stunden pro Woche, wobei Angehörige der Intelligenz über die meiste F., Bauern dagegen über die geringste freie Zeit verfügen. Obwohl in der DDR das Prinzip der Gleichberechtigung formal verwirklicht wurde, sind verheiratete, berufstätige Frauen hinsichtlich ihrer F. gegenüber Männern benachteiligt. Eine Zeitbudgeterhebung bei berufstätigen Erwachsenen zwischen 18 und 65 Jahren ergab, daß Frauen pro Woche im Durchschnitt über 10,5 Stunden weniger Zeit zur Verfügung steht als Männern.
Die F.-Gestaltung von Jugendlichen gehört in der DDR zum Aufgabenbereich der sozialistischen Jugendpolitik mit dem Ziel, die Jugendlichen zur „verantwortungsbewußten“ und sinnvollen F.-Gestaltung zu erziehen. F.-Erziehung gilt als integrierter Bestandteil der klassenmäßigen Erziehung, deren Auftrag darin besteht, „sozialistische Persönlichkeiten“ heranzubilden. Vor allem über die FDJ erfolgt die Einflußnahme des Staates auf die Jugendlichen. Mit einer Vielzahl von teilweise attraktiven F.-Angeboten versucht die FDJ, junge Menschen für eine gemeinschaftlich verbrachte F. zu interessieren. Dazu sollen Veranstaltungen verschiedensten Charakters beitragen, wie z. B. „Feste der deutschen und russischen Sprache“, „Olympiaden des Wissens“, Streitgespräche oder Diskussionsforen. Neben der FDJ sind auch die Schulen in zunehmendem Maß bestrebt, die F. der Schüler zu gestalten, und zwar hauptsächlich in Form von Sportunterricht und Arbeitsgemeinschaften am Nachmittag. Seit Beginn des Schuljahres 1973/74 gibt es eigene „Direktoren für außerunterrichtliche Tätigkeit“.
Die FDJ verfügt über ca. 1.000 Jugendklubs mit 200 ei[S. 430]genen Klubhäusern, die über Musikräume, über Spielzimmer und Bastelstätten sowie Film- und Fotoausrüstungen verfügen und vielfältige Möglichkeiten der F.-Beschäftigung bieten. Daneben kommt der sportlichen Betätigung sowie der beruflichen Weiterbildung besondere Bedeutung zu.
Bei einer Erhebung in der DDR wurden 14–22jährige Jugendliche nach ihren F.-Wünschen gefragt, wobei die Jugendlichen bis zu 4 F.-Wünsche angeben konnten (die Ergebnisse liegen daher auch über 100 v. H.).
Die Ergebnisse der F.-Befragung zeigen einen auffällig hohen Anteil an individuellen F.-Aktivitäten und nur einen geringen Umfang von „gesellschaftlicher Arbeit“. Das deutet darauf hin. daß die von der SED in der F. vorwiegend erwarteten Tätigkeiten (berufliche Qualifizierung, gesellschaftspolitische Tätigkeiten) von den befragten Jugendlichen nicht in erster Linie der F., sondern dem Arbeitsbereich zugeordnet werden. Jugend; Feriengestaltung.
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 429–430
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