
Grundorganisationen der SED (1979)
Siehe auch:
G. müssen gemäß Parteistatut der SED in Volkseigenen Betrieben, LPG, PGH, in Armee und Polizei, in den Staatsorganen und wissenschaftlichen wie kulturellen Institutionen, in Dörfern und städtischen Wohngebieten gebildet werden, wenn mindestens 3 SED-Mitglieder dort tätig sind.
Nach dem Gründungsparteitag vom 30. 12. 1918 bis 1. 1. 1919 hatte die KPD versucht, eine Verknüpfung von Wohnbezirks- und Betriebsorganisation herzustellen; in der Praxis setzte sich jedoch zunächst die Wohnbezirksorganisation ― wie bisher in der deutschen Sozialdemokratie ― durch. Im Mai 1923 nahm die Parteiführung eine von Ulbricht („Genosse Zelle“) begründete Resolution an, die die Betriebszellenarbeit in den Vordergrund stellte. Mit der Bolschewisierung der Komintern wurde vom Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI) für alle kommunistischen Parteien 1925 ein Modellstatut verabschiedet, das den Schwerpunkt der Parteiarbeit von der Wohnung zum Arbeitsplatz verlagerte. Die Parteigruppe im Betrieb wurde zu einem spezifischen Charakteristikum kommunistischer Parteien, obwohl gerade gegen die Parteigruppen auch in der KPD der Weimarer Republik große Vorbehalte bestanden haben. 1930 waren weniger als 15 v. H. der KPD-Mitglieder in Betriebszellen organisiert.
Die Verfechter der Betriebsgruppenarbeit erstrebten einen stärkeren politischen Einfluß in der materiellen Produktion und wollten damit gleichzeitig eine umfassendere Kontrolle der Parteimitglieder erreichen. Die Organisationsform der Betriebsparteiorganisation ist damit typisch für eine auf radikale gesellschaftspolitische Veränderungen ausgerichtete Partei wie die KPD, während die Wohnparteiorganisation als in der alten SPD typische Organisationsform eher einer Partei entspricht, die an Wahlkämpfen teilnimmt und sich dem Parlamentarismus verpflichtet fühlt.
Die SED hatte zur Zeit ihrer Gründung (21./22. 4. 1946) ca. 1,3 Mill. Mitglieder, die in 17.000 Grundeinheiten organisiert waren. Jede Grundeinheit wurde in Zehner- bzw. Betriebsuntergruppen gegliedert.
Entsprechend dem 1. Parteistatut gehörten SED-Mitglieder, die in einem Betrieb beschäftigt waren, sowohl der Betriebsgruppe als auch der Wohnbezirks- bzw. Ortsgruppe an. Sie hatten in beiden Gruppen aktiv mitzuwirken. Die ehemals sozialdemokratischen Parteimitglieder betrachteten die zunehmende Aufwertung der Betriebsgruppen-Arbeit mit Mißtrauen, während vor allem die Kommunisten diese aus ideologischen und machtpolitischen Gründen propagierten.
Nach dem Vereinigungsparteitag 1946 waren zunächst Wohngruppen- und Betriebsgruppenarbeit in der Praxis gleichberechtigt, wobei die Ortsgruppe statuarisch das Übergewicht hatte (Aufnahmerecht) und die einzig wirkliche G.-Form darstellte. Dennoch stieg von April bis Dezember 1946 die Zahl der Betriebsgruppen von 6.316 auf 9.829. Im Mai 1947 war bereits ein Drittel aller Parteimitglieder in 12.631 Betriebsgruppen zusammengeschlossen. Dies ist auf Richtlinien der 5. und 8. Tagung des Parteivorstandes vom September 1946 und Januar 1947 zurückzuführen, die das Statut vom April 1946 bereits ergänzten. Eine wichtige Neuerung bestand ferner darin, Betriebsgruppen von Großbetrieben durch Beschluß des Landesvorstandes dem zuständigen Kreisvorstand direkt zu unterstellen und in Großbetrieben eigene Parteisekretariate zu schaffen. Nach der Zentralen Organisations-Schulungskonferenz (27. 1.–6. 2. 1948) wurden von der Organisationsabteilung des PV Richtlinien herausgegeben, die die Gewichte eindeutig zugunsten der Betriebsgruppenarbeit verlagerten. In den Richtlinien heißt es: „Der wirtschaftliche Neuaufbau in der sowjetischen Besatzungszone hängt weitgehend von der Aktivität der Betriebsgruppen … ab.“ Den Betriebsgruppen wurde erklärt, „daß sie die führende Kraft innerhalb des Betriebes in allen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Fragen sein müssen“. Mit dem Frühjahr 1948 setzte eine deutliche Funktionsstärkung dieser auch heute charakteristischen Organisationsform ein, deren Haupttätigkeitsfeld der Betrieb ist.
[S. 497]Das organisatorische Fundament der SED bilden die über 51.500 G. Ihre Funktionsweise wird durch den Abschnitt VI des 5. Parteistatuts von 1976 in den Punkten 56–63 geregelt. Jedes SED-Mitglied und jeder Kandidat, sofern er in einem Betrieb usf. beschäftigt ist, muß der G. dieses Betriebes bzw. der jeweiligen Institution angehören. Er muß dort an der Arbeit der G. teilnehmen und seinen Mitgliedsbeitrag entrichten.
Formal höchstes Organ der G. ist die Mitgliederversammlung. Sie muß regelmäßig mindestens einmal im Monat einberufen werden. Sie ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der in der G. organisierten Mitglieder anwesend ist. Die Mitgliederversammlungen sind nicht öffentlich. Die Themen der Mitgliederversammlungen werden z. T. zentral festgelegt. Durch das neue Parteistatut wird den Leitungen der G. die Pflicht auferlegt, in den Mitgliederversammlungen über die Durchführung der Parteibeschlüsse Rechenschaft abzulegen. Dadurch soll die Position der Parteibasis gestärkt werden. Die G. hat sich in ihrer gesamten Arbeit vom Programm, dem Statut und den Beschlüssen des Zentralkomitees sowie den Instruktionen der zuständigen Kreisleitung leiten zu lassen. Zur Erledigung ihrer Aufgaben wählt die G. ihre Leitung für jeweils 1 Jahr in geheimer Wahl. G., die in APO (Abteilungs-Partei-Organisation) unterteilt sind, wählen ihre Leitung, die den gesamten Betrieb, Institutionen usf. umfaßt, für die Dauer von 2 bis 3 Jahren. Die Anzahl der Leitungsmitglieder richtet sich nach der Größe der G. Bei G. mit mehr als 150 Mitgliedern beträgt sie 15–20 Personen. Die Sekretäre und Leitungsmitglieder arbeiten in der Regel ehrenamtlich. Sie sind für verschiedene Funktionsbereiche zuständig. In einigen Kombinaten koordiniert der Rat der Parteisekretäre die politisch-ideologischen und organisatorischen Aktivitäten der G.
Funktionen der Grundorganisation:
1. Die inneren Organisationsfunktionen umfassen:
a) Auswahl der zur Aufnahme in Frage kommenden Bürger als Kandidaten der Partei, ihre Beobachtung und Erziehung in der Kandidatenzeit sowie ihre Aufnahme als Mitglied der SED;
b) sorgfältige Erfüllung der von der Parteileitung beschlossenen Aufgaben;
c) Erteilung und Kontrolle von Parteiaufträgen;
d) Kritik und Selbstkritik;
e) Förderung und Erziehung der Kader, gegebenenfalls Verhängung von Parteistrafen;
f) Beitragskassierung.
Im Selbstverständnis der Partei heißt es: „Wo ein Genosse ist, wo eine Grundorgan isation arbeitet - da ist die Partei. Vor allem in der Aktivität ihrer Grundorganisation liegt die Stärke der Partei“ (Honecker auf dem VIII. Parteitag der SED, 1971).
2. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leitungsfunktionen umschließen:
a) die Anleitung der Parteimitglieder in den Massenorganisationen (FDGB; FDJ; GST usw.) sowie die Massenorganisationen selbst;
b) die „Mobilisierung und Organisierung der Massen zur Erfüllung der staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufgaben“. Diese Mobilisierung gilt insbesondere der Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes, der Diskussion von Gegenplänen, von Selbstverpflichtungen und des Sozialistischen Wettbewerbs, der Erhöhung der Arbeitsproduktivität und der Rentabilität sowie strengster Sparsamkeit (besonders der eingesetzten Rohstoffe und der Energie) sowie der sozialistischen Intensivierung und Rationalisierung;
c) die ständige Sorge um die Verbesserung der Lebensverhältnisse („Ökonomische Hauptaufgabe“).
3. Die Kontrollfunktionen:
a) Die G. in Produktions-, Handels-, Verkehrs- und Nachrichtenbetrieben, in LPG, VEG, PGH, GPG sowie in Projektierungs- und Konstruktionsbüros, den wissenschaftlichen Forschungsinstituten und — seit dem VIII. Parteitag — auch in Lehranstalten, Kultur- und Bildungseinrichtungen, medizinischen Institutionen sowie anderen Einrichtungen und Organisationen haben das Kontrollrecht über die Tätigkeiten der Betriebsleitungen.
b) Die G. in den Ministerien und staatlichen Organen sind verpflichtet, auf eine möglichst wirksame Arbeitsweise ihrer Apparate hinzuwirken, Unzulänglichkeiten und Fehler zu signalisieren und eigene Vorschläge den zuständigen Parteiorganen (ZK-Abteilungen u. a.) zu übermitteln. Sie unterstehen einmal den leitenden Parteiorganen direkt; in allen Fragen der propagandistischen Arbeit sowie in der parteiorganisatorischen Tätigkeit unterstehen sie der zuständigen Stadt- bzw. Kreisleitung.
c) Alle G. sind verpflichtet, monatlich der übergeordneten Leitung über alle wesentlichen Diskussionen und Vorgänge innerhalb des Bereiches der G. zu berichten.
4. Die ideologisch-erzieherischen Funktionen der G. erstrecken sich auf:
a) die Leitung von Betriebspresse und -funk;
b) die Organisierung des Parteilehrjahres und anderer Schulungsformen für Mitglieder und Nichtmitglieder;
c) Argumentations- und Agitationshilfen sowie die Erarbeitung von Losungen zur Erläuterung von Beschlüssen der Partei-, Staats- und gesellschaftlichen Organe;
d) die Bekämpfung „kleinbürgerlicher Schwankungen“ und aller Einflüsse der bürgerlichen Ideologie (insbesondere des „Nationalismus‘, „Einheit der Nation“ Nation und nationale Frage; Sozialdemokratismus; Anarchismus usw.);
e) Die Einhaltung der Sozialistischen ➝Moral sowie „Erziehung zu revolutionärer Wachsamkeit“ gegen alle „Partei- und Volksfeinde“.
Die gegenwärtig in der SED praktizierte Organisationsform ist aufgrund des Dualismus von Orts- und Betriebsparteiorganisation insofern problematisch, als die Bedeutung der Wohngebiete (durch Zunahme der Dienstleistungs- und unmittelbaren Leitungsaufgaben des Staatsapparates) für den direkten Kontakt zur Bevölkerung zunimmt. Vorübergehende Versuche der SED (1963), die Arbeit in den Wohngebieten und damit die der Wohnparteiorganisationen zu stärken, blieben ohne Erfolg. Die laufenden Bemühungen, durch stärkere Kooperation zwischen den Parteiorganisationen im [S. 498]Betrieb und denen auf örtlicher Ebene den im Organisationsprinzip angelegten Konflikt abzubauen, müssen skeptisch beurteilt werden.
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 496–498
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