
Imperialismus (1979)
Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1985
Unter I. wird die Ausnutzung der ökonomischen und politischen Vormachtstellung der wichtigsten kapitalistischen Länder auf Kosten vor allem der unterentwickelten Nationen verstanden. Nach einer in den Staaten des sowjetischen Einflußbereichs verbreiteten Auffassung hat der I. als letztes Stadium der kapitalistischen Gesellschaftsformation zu einer qualitativen Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Realität des Kapitalismus geführt.
Lenin hat (in seiner 1916 verfaßten Schrift „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“) in der Ablösung der freien Konkurrenz durch das Monopol das wichtigste Merkmal des I. gesehen. Er sei durch folgende Merkmale gekennzeichnet: 1. hohe Konzentration der Produktion und des Kapitals; 2. Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital; 3. zunehmende Bedeutung des Kapitalexports gegenüber dem Warenexport; 4. Bildung internationaler monopolistischer Kapitalistenverbände, die auf der Basis der von ihnen errichteten Herrschaftsverhältnisse und damit verbundener Gewalt die Preise regulieren und hohe Monopolprofite erzielen; 5. territoriale Aufteilung der Erde unter die kapitalistischen Großmächte.
Der I. sei — nach Lenin — nicht, wie oft behauptet, ein spätes Produkt der Geschichte des Kapitalismus, sondern er habe in der Entstehungsperiode des Kapitalismus, vermittelt über Kolonialsystem, internationales Kreditsystem und Protektionismus, die industrielle Vormachtstellung auf dem Weltmarkt errungen. Die Einschätzung des I. als spätes Stadium des Kapitalismus geht demgegenüber davon aus, Marx habe im „Kapital“ die historische Entwicklung des Kapitalismus bis zu den ersten Ansätzen der Monopolbildung dargelegt und nur das Fortschreiten zum Monopol als dominierendes Produktionsverhältnis nicht mehr analysieren können.
Jedoch ist festzuhalten, daß Marx im „Kapital“ keine Untersuchung der historischen Entwicklungsetappen des Kapitalismus geliefert hat, sondern die ökonomische Struktur der bürgerlichen Gesellschaft, gleich welcher konkreten historischen Ausprägung, darstellen wollte. Er verstand die Monopolbildung als zeitliche und örtliche Störung der Entwicklung des Kapitalismus, die im Wertgesetz ihre Grenze findet und somit auch in seinem theoretischen Lehrgebäude einen systematischen Stellenwert erhalten hat.
Die Vorstellung vom Monopol als einem allgemeinen Produktionsverhältnis bildet auch die Grundlage für die Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus (SMK). Im monopolistischen Kapitalismus beherrschen die Monopole die Preisbewegung aufgrund ihrer Machtpositionen, aufgrund ihrer Herrschaft über Produktion und Konsumtion; ihre Profite resultieren aus Aufschlägen auf den Warenwert. Durch die ständige Verschiebung des Verhältnisses von Wert und Preis der Waren erfahren die Durchsetzungsformen des von Marx im „Kapital“ beschriebenen Wertgesetzes eine qualitative Veränderung. Der monopolistische Kapitalismus beruht somit auf einer qualitativen Weiterentwicklung der Gesetzmäßigkeit der bürgerlichen Gesellschaft. Eine weitere qualitative Modifikation, so behaupten die Vertreter dieser politökonomischen Schule, vollziehe sich im SMK, da eine neue Qualität der Einwirkung des Staates auf die wirtschaftlichen Prozesse festzustellen sei und in der wachsenden Verflechtung von staatlichen Organen, Finanzkapital und Industriekonzernen sowie in neuen Instrumentarien (Konjunktursteuerung, Kreditpolitik, Subventionen u. a. m.) ihren Ausdruck finde. Dadurch soll ermöglicht werden, den normalen zyklischen Verlauf der Konjunktur entscheidend zu modifizieren, so daß an die Stelle des industriellen Zyklus eine Kombination von zyklischer und chronischer Krise tritt, die sich zur „allgemeinen Krise des SMK“ auswächst. Damit ergebe sich auf der gesellschaftspolitischen Ebene ein sozialer Hauptwiderspruch zwischen den mit dem Staat verschmolzenen Monopolen und dem Rest der Gesellschaft.
Grundmangel der verschiedenen Versionen der SMK-„Theorie“ ist, daß sie bis zur Gegenwart keine Antwort auf die Frage geben, wie denn die Monopolprofite, die allgemein mit der Vorstellung vom „ungleichen Tausch“ erklärt werden, realisiert werden können: eine Seite, das Monopol, erhält von der anderen, dem Konsumenten. durch den Verkauf ihrer Waren immer größeren Tribut, ohne daß erklärt wird, womit die verarmende Seite diesen Tribut zahlt. Ferner gibt es auch gegenwärtig weder einen theoretischen noch empirischen Beweis für eine neue Qualität des kapitalistischen Reproduktionsprozesses.
Für die Gesellschaftswissenschaftler der DDR, die die verschiedenen Vorstellungen vom SMK zum Ausgangspunkt ihrer Forschungsarbeit machen, treten einerseits Probleme bei der konkreten, empirisch-statistischen Erfassung und Erklärung der gegenwärtigen Entwicklung des Kapitalismus, andererseits aber auch bei dem Versuch auf, eine Übereinstimmung von Marxscher Theorie mit dem Lehrgebäude des SMK herzustellen. Die in den letzten Jahren wieder deutlicher ausgeprägten zyklischen Schwankungen in der Akkumulationsbewegung des Kapitals zwingen stets erneut zur Diskussion von Widersprüchen zwischen theoretischem Modell und politischer Praxis. So belegen differenzierte Darstellungen den zyklischen Charakter der kapitalistischen Produktion in den USA seit 1929, die eine Tendenz zur Verkürzung des industriellen Zyklus wie zur Wiederherstellung der Synchronität des kapitalistischen Weltzyklus mit der Krise 1975 zeigen. Diese Deutungen kommen überein[S. 513]stimmend zu dem Ergebnis, daß die amerikanische Wirtschaft trotz aller Elemente von staatsmonopolistischer Regulierung in ihren Grundzügen eine sog. spontane Marktwirtschaft bleibt.
Die den Analysen der staatlichen Investitionen zugrunde liegenden empirischen Daten in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in den USA belegen einen eher rückläufigen Einfluß des Staates auf die wirtschaftlichen Prozesse. Von einer „Verschmelzung“ von Staat und Monopolen kann daher nicht gesprochen werden. Damit können zentrale Aussagen der Theorie des SMK als widerlegt gelten. Warum jedoch das Ausmaß der Staatseingriffe zurückgeht und warum der Monetarismus als der theoretische Ausdruck dieser Entwicklung heute einen neuen Aufschwung — in entschiedenem Gegensatz zur keynesianischen Politik und Theorie — erlebt, hat die SMK-Theorie bisher (noch) nicht klären können.
Für die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion in der DDR läßt sich feststellen, daß neben den ungelösten empirischen Forschungsproblemen eine theoretische Debatte in Gang gekommen ist, die erste Anzeichen für eine zumindest teilweise Aufgabe der SMK-„Theorie“ enthält. In einer Kontroverse zwischen J. Kuczynski und P. Hess geht es z. B. darum, ob im SMK ein spezifisches kapitalistisches Bewegungsgesetz wie das der zyklischen Überproduktion aufgehoben ist und daher von einer weitgehenden Veränderung der Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus gesprochen werden kann. Diese Frage ist von den meisten Politökonomen in der DDR einschließlich Hess selbst bejaht worden. Kuczynski, der diese Einschätzung kritisiert hat, behauptet, daß alle Politökonomen der DDR in der Mitte der 60er Jahre irrten, als sie die Rolle des Staates im kapitalistischen Reproduktionsprozeß über- und die Gesetzmäßigkeiten des industriellen Zyklus unterschätzten.
Die Forderung von Hess nach Intensivierung der methodologischen Diskussion widerlegt zugleich die allgemeine Vorstellung, in der Politökonomie der DDR würden keine kontroversen Debatten geführt. Syndikalismus.
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 512–513
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