
Institut für Internationale Politik und Wirtschaft (IPW) (1979)
Siehe auch die Jahre 1975 1985
Das IPW wurde im Juli 1971 durch Zusammenlegung des Staatssekretariats für westdeutsche Fragen, des Deutschen Instituts für Zeitgeschichte (DIZ), des Deutschen Wirtschaftsinstituts (DWI) sowie der mit Westpropaganda befaßten Abteilungen des Nationalrats der Nationalen Front als „Leitinstitut“ der marxistisch-leninistischen „Imperialismusforschung“ gegründet. Damit sollten nicht nur diejenigen Institutionen unter einheitlicher Leitung zusammengefaßt werden, die sich bisher auf wissenschaftlicher Ebene insbesondere mit Themen der Bundesrepublik Deutschland befaßt hatten, sondern vor allem auch die gesamte Westpropaganda unter neuer Aufgabenstellung unmittelbar in den Dienst der Abgrenzungspolitik Honeckers gestellt und reorganisiert werden. Die Imperialismusforschung des IPW ist inzwischen — so sein Direktor 1974 — zu „einem wirksamen Instrument der politisch-ideologischen Arbeit der Partei geworden“.
Welche Funktion diese Forschung in erster Linie besitzt, läßt sich an den Beiträgen in den „IPW-Heften“ (monatliche Auflage: 12.500 Exemplare) erkennen: Mit den Mitteln der wissenschaftlich aufgemachten Analyse soll der allgemeine Niedergang des Kapitalismus dargestellt werden. Den insgesamt etwa 400 (davon knapp 200 wissenschaftlichen) Mitarbeitern des IPW obliegt die umfassende Beobachtung der Bundesrepublik Deutschland, die Analyse aller politischen Strömungen und der Reaktion der westdeutschen Bevölkerung auf politische Aktivitäten der DDR. Ferner werden in erster Linie Probleme des Ost-West-Handels, von Konzentrationsprozessen der Industrie in der Bundesrepublik Deutschland und in Westeuropa sowie die Entwicklung der multinationalen Konzerne vorwiegend in Westeuropa verfolgt. Ein weiteres Arbeitsgebiet stellen der wissenschaftlich-technische Fortschritt und seine sozialen Folgen in den westlichen Industriestaaten dar.
Das IPW ist organisatorisch in 3 Hauptabteilungen untergliedert: „Ökonomie“, „Politik“ und „Ideologie“. Jede dieser 3 Hauptabteilungen ist in Abteilungen untergliedert. Die zahlenmäßig bedeutendste Hauptabteilung Ökonomie besaß 1978 9 Abteilungen: für „Weltwirtschaft“ (einschließlich der Arbeitsgruppen für Asien, besonders Japan, und die USA); für „Westeuropa“ (1978 neu gegründet); für „Reproduktion“, d. h. für die Analyse der Wissenschaftlich-technischen Revolution in den westlichen Industrieländern; für „Konjunktur und Krise“; für „Monopolisierung“ (in der Bundesrepublik Deutschland und in Westeuropa); für „Agrarfragen“ (vor allem Probleme der Welternährung); für „Lage und Probleme der Arbeiterklasse“; für (ökonomische) „Fragen der Rüstung“; für die „ökonomische Rolle der Entwicklungsländer“. Die Hauptabteilung „Politik“ ist in 3 Bereiche untergliedert: für „Sicherheit und Entspannung“; für „Rüstung, Rüstungspolitik und Abrüstung“; für die Beobachtung der „innen- und gesellschaftspolitischen Entwicklung in Westeuropa“ (Analysen des politischen Systems, der Organisationsstrukturen von Staat und Parteien).
In der Hauptabteilung „Ideologie“ dominieren 2 Bereiche: grundsätzliche (konzeptionelle) Fragen der friedlichen Koexistenz; Beobachtungen von „ideologischen Strömungen“ in der Bundesrepublik Deutschland und in Westeuropa. Zu diesem Zweck findet in der Abteilung „Feindbeobachtung“ der Hauptabteilung Ideologie eine intensive Beobachtung der Massenmedien der Bundesrepublik statt, um Aufschluß darüber zu gewinnen, mit welchen Mitteln der „psychologischen Kriegsführung des Gegners“ begegnet werden muß.
Zu den Aufgaben der Hauptabteilung Ideologie gehört auch die Durchführung von propagandistischen Spezialaufträgen, wie die Verfassung des „Chile-Schwarz-Buches“, dessen Autoren vorübergehend in der Bundesrepublik Deutschland vermutet wurden.
Die starke Einbeziehung des IPW in die deutschlandpolitische Auseinandersetzung hat zu einer Überlagerung seiner wissenschaftlichen Tätigkeit durch propagandistisch-ideologische Aktivitäten und zu einer Beeinträchtigung seines Rufes als ernstzunehmende Forschungsstätte geführt.
Zugleich hat das IPW für die Westabteilung des ZK sowie für das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR und für das Präsidium des Ministerrates sorgfältig aufbereitetes Informationsmaterial zu erarbeiten, das auch den wichtigsten Instituten in der UdSSR und den anderen sozialistisch regierten Staaten zugestellt wird. Eine besonders enge Abstimmung findet mit dem IMEMO (Moskau) statt.
[S. 537]Das IPW hat eine Fünfjahrplanung für Analyse und Forschung. Die Pläne werden jährlich aufgrund neuer Entwicklungen und neuer Informationsbedürfnisse präzisiert. Das IPW erhält einen Jahresetat, der beim Präsidium des Ministerrates ressortiert. Seine Arbeit ist damit nicht projektgebunden.
Forschungen über die wirtschaftlichen und sozialen Probleme in der DDR werden im IPW ebensowenig durchgeführt wie Analysen des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe.
Das IPW ist Mitglied einer Kommission der Vereinten Nationen für „Imperialismus und Kolonialismus“.
Das IPW ist dem Sekretär des ZK und Mitglied des Politbüros der SED, A. Norden, unterstellt; sein erster Direktor wurde der zum Professor ernannte H. Häber, der bis dahin stellvertretender Leiter des ehemaligen Staatssekretariats für westdeutsche Fragen gewesen war. Direktor ist seit Anfang 1974 der ehemalige stellvertretende Leiter der Westabteilung des ZK, Dr. M. Schmidt; Häber wurde zum Leiter dieser ZK-Abteilung ernannt. Die Funktion eines stellvertretenden Direktors des IPW bekleidet auch 1978 Prof. Dr. L. Meier.
Auch auf der Ebene der Abteilungsdirektoren wird die enge Bindung des IPW an den Parteiapparat deutlich. So war der Leiter der Hauptabteilung Ideologie, Dr. G. Grasnick, zuvor Parteisekretär im Staatssekretariat für westdeutsche Fragen, der Leiter der Abteilung Ideologieforschung, H. Pirsch, war Mitarbeiter der Westabteilung des ZK. Auch leitende Mitarbeiter der 2 übrigen Hauptabteilungen (für Ökonomie und Politik) kommen teilweise aus dem ZK-Apparat.
Ferner gehört zum IPW eine etwa 10 Mitarbeiter umfassende Arbeitsgruppe unter Leitung von Professor H. Bertsch. Diese Arbeitsgruppe hat direkten Kontakt zum Ministerrat der DDR sowie zur Hauptverwaltung „Aufklärung“ des Ministeriums für Staatssicherheit. Seit dem 1. 9. 1975 besitzt das Institut das Promotions- und Berufungsrecht. Als besonders attraktive Leistungen haben sich diese Einrichtungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs erwiesen.
Der Doppelcharakter des IPW, zeitgeschichtliches und wirtschaftswissenschaftliches Forschungsinstitut sowie mit Westpropaganda beauftragtes Dienstleistungsorgan der Partei- und Staatsführung zu sein, kommt u. a. im Spektrum seiner Publikationen zum Ausdruck.
So befassen sich seine Mitarbeiter in einer seit Anfang 1973 vierteljährlich erscheinenden, seriös aufgemachten Reihe („IPW-Forschungshefte“, durchschnittliche Auflage 1978: 6.000 Exemplare) aus der Sicht marxistisch-leninistischer Politökonomen mit Problemen kapitalistischer Staaten (Umwelt, Wachstumskrisen, Rohstoffe, Inflation usw.). Bis Ende 1978 waren in 13 Jahrgängen etwa 40 IPW-Forschungshefte publiziert worden.
Daneben erscheint der Wochendienst „Aktuelle Informationen aus Politik und Wirtschaft“, der jeweils Freitag mittags ausgeliefert wird, so daß er die wichtigen Zentren von Partei und Staat noch vor Dienstschluß erreicht. Dieser 18 Seiten umfassende Dienst gibt Kurzinformationen mit Quellenverweisen; er wird auch an die wichtigsten örtlichen Organe der SED und des Staatsapparates verschickt. Schließlich beliefert das IPW Bahnhofskioske und Grenzübergangsstellen mit Propagandaschriften („Neue Bildzeitung“, „Visite“, „Aus erster Hand“).
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 536–537
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