
Jugendforschung (1979)
Siehe auch die Jahre 1969 1975 1985
Die J. in der DDR dient der Erarbeitung wissenschaftlicher Grundlagen für die Jugendpolitik der SED. Ihre Aufgaben sind: 1. die Untersuchung von Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten der persönlichen und sozialen Entwicklung der 14–25jährigen, 2. die Erarbeitung geeigneter Erziehungsmethoden und 3. die Beratung der mit der Leitung der Jugendpolitik befaßten Instanzen, speziell der FDJ.
J. vollzieht sich im Rahmen der in der DDR propagierten marxistisch-leninistischen Theorie. Enger Praxisbezug, Auftragscharakter und eine zentralistische Organisationsform zählen zu ihren wesentlichen Merkmalen. Aufgaben und Organisation der J. wurden erstmals im Ministerratsbeschluß vom 26. 2. 1968 (GBl. II, S. 97) zusammenfassend festgelegt und in der AO über das Statut des Zentralinstituts für J. vom 4. 7. 1973 (GBl. I, S. 372) weiter präzisiert.
Wissenschaftliches Zentrum der J. ist das 1966 in Leipzig gegründete Zentralinstitut für J. (ZIJ), sein Direktor seit Gründung der Psychologe Prof. Dr. Walter Friedrich. Das ZIJ ist eine staatliche wissenschaftliche Einrichtung, dem Leiter des Amtes für Jugendfragen beim Ministerrat unterstellt; es arbeitet nach dessen Weisungen sowie nach den Beschlüssen der SED und des Zentralrates der FDJ. Der Ministerratsbeschluß vom 26. 2. 1968, das ZIJ-Statut und das 3. Jugendgesetz der DDR von 1974 sichern den Einfluß von Staat, Partei und vor allem der FDJ auf Entwicklung und Schwerpunktbildung der J. Nach deren thematischen Vorgaben entwickelt das ZIJ die Forschungspläne, stellt die Verbindung zwischen Auftraggebern, Forschern und Institutionen her und soll zugleich die J. anderer wissenschaftlicher Einrichtungen und die Zusammenarbeit mit der J. der übrigen sozialistischen Staaten koordinieren und inhaltlich wie methodologisch beeinflussen.
Beratende und kontrollierende Funktion hat der „Wissenschaftliche Rat für J.“ im ZIJ. Seine Mitglieder sind Wissenschaftler, erfahrene Praktiker, Vertreter der FDJ, der Partei und anderer Massenorganisationen, die vom Leiter des Amtes für Jugendfragen in Absprache mit dem Zentralrat der FDJ berufen und abberufen werden. Damit soll eine enge Verbindung zwischen Theorie und Praxis hergestellt und gesichert werden. J. wird interdisziplinär betrieben, in Zusammenarbeit von Psychologen, Soziologen, Pädagogen, Kriminologen, Medizinern und Vertretern anderer Fachrichtungen.
Die personelle und technische Ausstattung des ZIJ entspricht den Anforderungen moderner Sozialforschung. Insgesamt gliedert sich das ZIJ in 7 Abteilungen bzw. 4 Hauptabteilungen:
1. Jugendforschung: Arbeiter-J., Studentenforschung, Theorie und Methodik;
2. Organisation: Vorbereitung der empirischen Erhebungen, Bereitstellung des Arbeitsmaterials, Einsatz der Interviewer, Übermittlung der Daten an die
3. Datenverarbeitung: Aufbereitung und statistische Auswertung, danach Rückmeldung an die Abt. Forschung, ferner theoretische Arbeit auf dem Gebiet der Datenverarbeitung und Statistik;
4. Koordination/Information: Verbreitung der Forschungsergebnisse (Publikationen, Referentenmaterial, interne Berichte), Arbeitstagungen, Archiv. Thematische Arbeitsschwerpunkte sind die Untersuchung 1. der politischen und moralischen Einstellungen und Verhaltensweisen, 2. des Verhaltens in der Gruppe (FDJ-Gruppe, Freizeitgruppe, Arbeits- und Lernkollektiv), 3. des Leistungsverhaltens und der Einstellung zu Arbeit, Beruf und Qualifizierung, 4. des Freizeitverhaltens und der Freizeiterziehung sowie 5. der Probleme; der Leitung der Jugendpolitik und der Jugendgruppen. Zielgruppen sind 16–25jährige Lehrlinge, Arbeiter, Studenten.
Diese Schwerpunktthemen werden langfristig in Form von Intervallstudien fortgesetzt, wobei der Akzent bis 1980 stärker auf die Situation der Studenten, der jungen [S. 563]Ehen und Familien, d. h. der Heranwachsenden gelegt werden soll.
Einschränkend in Rechnung zu stellen ist die durch den Auftragscharakter der J. bedingte Publikationsstrategie des ZIJ. Empirische Forschungsergebnisse unterliegen weitgehend den Vorschriften über den Geheimschutz.
Die Arbeitsergebnisse des ZIJ wurden bis Ende 1970 u. a. in der hauseigenen Zeitschrift „Jugendforschung“ publiziert, die ihr Erscheinen bald nach der Kontroverse zwischen Ernst-Heinrich Berwig und Walter Friedrich (Pädagogik 1970, Nr. 2; Jugendforschung 1970, Nr. 13) über die Tragfähigkeit des Friedrichschen Forschungsansatzes ohne Vorankündigung einstellte (letzte Ausgabe: Nr. 16/1970). In den folgenden Jahren erschienen kaum beachtenswerte Publikationen aus dem ZIJ. Teils war diese Pause bedingt durch den für empirische Forschung typischen Arbeitsrhythmus, der in der Phase der Feldarbeit bzw. Datenerhebung wenig Möglichkeiten für Veröffentlichungen bietet.
Erst seit etwa 1976 erschienen wieder mehrere einschlägige Publikationen aus dem ZIJ, die nach der Intention der Autoren vornehmlich Lehrbuchcharakter haben sollen (insbesondere v. W. Friedrich) und sich dabei z. T. kritisch mit der westlichen „bürgerlichen“ J. auseinandersetzen.
Unter den Funktionen des ZIJ tritt die Organisation von Kolloquien und Fachtagungen mit Beteiligung von Fachvertretern der anderen sozialistischen Staaten gegenwärtig stärker hervor. Hier werden auch aktuelle Forschungsergebnisse zur Diskussion gestellt, die jedoch nur begrenzt publiziert werden.
Trotz der zentralistischen Organisationsform der J. ist das ZIJ nicht die einzige Institution, die sich mit J. befaßt. Vielmehr hat eine zunehmende Intensivierung und zugleich Spezialisierung seit 1970 dazu geführt, daß nebeneinander verschiedene Institutionen z. T. sogar analoge Fragestellungen untersuchen. Diese Entwicklung entspricht nicht den Intentionen des Statuts von 1973. Beachtlich ist u. a. die Schwerpunktverlagerung psychologisch-pädagogischer Forschungsaspekte im Kindes- und Schulalter an die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften, dort speziell an die Abt. Pädagogische Psychologie.
Außerdem werden Fragen der Berufswahl und -Vorbereitung im Jugendalter vom Zentralinstitut für Berufsbildungsforschung bearbeitet.
Am Institut für Soziologie und Sozialpolitik an der AdW (gegründet 1978) werden ferner soziologische Aspekte der sozio-ökonomischen Integration behandelt.
Hinzu kommen Forschungsgruppen an Hochschulen (so z. B. an der Universität Jena), in Betrieben, die ebenfalls spezielle Aspekte des Kindes- und Jugendalters erforschen. Hierzu zählen auch Untersuchungen zur Kriminalität der Jugend. Insgesamt entsprechen die Arbeitsschwerpunkte der J. den Brennpunkten der Jugendpolitik.
Im übrigen wurde die J. in der DDR bisher in erster Linie von einzelnen namhaften Wissenschaftlern, insbesondere von Psychologen, geprägt.
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 562–563
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