
Kirchen (1979)
Siehe auch:
- Religionsgemeinschaften und Kirchenpolitik: 1975
[S. 586]
Die K. sind in der DDR die einzigen nicht sozialistischen und staatsfreien Großorganisationen. Sie haben ihre innere Autonomie bewahrt und entscheiden unabhängig über den Inhalt ihrer Tätigkeit, ihre inneren Rechtsverhältnisse, ihre Organisation und über die für sie tätigen, d. h. sie nach innen leitenden und nach außen repräsentierenden Personen. Sie unterhalten eigene Ausbildungsstätten ohne Staatsaufsicht für kirchliche Berufe. Staatsrechtliche Grundlage für die Autonomie der K. im Rahmen der für alle geltenden Gesetze ist Art. 39 der Verfassung der DDR von 1968, i. d. F. von 1974.
Trotz ständig rückläufiger Mitgliederzahl und zahlreicher politischer Restriktionsmaßnahmen vor allem in den 50er und 60er Jahren konnten die Kirchen ihre Privatisierung zu bloßen Kultgemeinschaften verhindern und ihren Anspruch auf gesellschaftspolitische Mitwirkung aufrechterhalten. Erich Honecker erkannte am 6. 3. 1978 in einem Gespräch mit dem Vorstand des evangelischen K.-Bundes die gesellschaftliche Bedeutung der K. im Sozialismus der DDR an.
Nach der Volkszählung vom 31. 12. 1964 ist die staatliche Religionsstatistik nicht mehr fortgeführt worden. 1978 dürfte weniger als die Hälfte der Bevölkerung der DDR von knapp 17 Mill. noch Mitglied einer K. gewesen sein. Die kirchlichen Schätzungen für 1977 liegen allerdings höher. Sie gingen von ca. 9,1 Mill. Mitgliedern in Religionsgemeinschaften aus, davon 7,9 Mill. evangelischen und 1,2 Mill. katholischen Bekenntnisses. Die Mitgliederzahlen der übrigen Gemeinschaften sind unbeträchtlich. Der Rückgang wird nicht mehr in erster Linie durch die K.-Austritte verursacht, sondern durch Nichtbeteiligung an Taufe (mit der die K.-Mitgliedschaft begründet wird), kirchlichem Unterricht und Konfirmation.
Einschließlich Diakonie und Caritas beschäftigen die K. in der DDR zwischen 40.000 und 50.000 Personen haupt- und nebenberuflich, darunter etwa 6.000 Pfarrer und Priester.
I. Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR
Die 8 selbständigen evangelischen Landes-K. sind seit 1969 im „Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik“ zusammengeschlossen.
Organe des K.-Bundes sind die aus den Mitglieds-K. beschickte Synode und die zu einem Drittel von der Synode gewählte, zu zwei Dritteln von den Landeskirchenleitungen beschickte 24köpfige Konferenz der K.-Leitungen. Vorsitzender ist seit der Gründung Bischof D. Albrecht Schönherr (Berlin [Ost]). Mitglieder des K.-Bundes sind:
die Evangelische K. in Berlin-Brandenburg (ohne die West-Berliner Region, s. u.) mit ca. 1,5 Mill. Mitgliedern und 860 Pfarrern, Bischof: D. Albrecht Schönherr;
die Evangelische K. der K.-Provinz Sachsen mit ca. 1,5 Mill. Mitgliedern und 930 Pfarrern, Bischof: Dr. Werner Krusche;
die Evangelische Landes-K. Greifswald mit ca. 450.000 Mitgliedern und 190 Pfarrern, Bischof: Horst Gienke;
die Evangelische Landes-K. Anhalt mit ca. 220.000 Mitgliedern und 100 Pfarrern, Kirchenpräsident: Eberhard Natho;
die Evangelische K. des Görlitzer K.-Gebietes mit ca. 125.000 Mitgliedern und 80 Pfarrern, Bischof: D. Hanns-Joachim Wollstadt;
die Evangelisch-Lutherische Landes-K. Sachsen mit ca. 2,35 Mill. Mitgliedern und 1100 Pfarrern, Landesbischof: Dr. Johannes Hempel;
die Evangelisch-Lutherische K. in Thüringen mit ca. 1 Mill. Mitgliedern und 620 Pfarrern, Landesbischof: Werner Leich;
die Evangelisch-Lutherische Landes-K. Mecklenburg mit ca. 750.000 Mitgliedern und 340 Pfarrern, Landesbischof: Dr. Heinrich Rathke.
Mit Sonderstatus angeschlossen ist dem K.-Bund die traditionsreiche Frei-K. Evangelische Brüderunität (Distrikt Herrnhut) mit 3.200 Mitgliedern, 10 Gemeinden und 20 Pfarrern. Leitender Geistlicher ist Unitätsdirektor Helmut Hickel.
Die 5 erstgenannten Landes-K. gehören gleichzeitig der Evangelischen K. der Union (EKU) an, deren Bereich DDR sie bilden, die 3 letztgenannten sind gleichzeitig in der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen K. (VELK) in der DDR zusammengeschlossen. Der K.-Bund versteht sich laut Ordnung als ein Zusammenschluß von bekenntnisbestimmten und rechtlich selbständigen Glied-K., die anstreben, stärker zusammenzuwachsen.
Die gegenwärtigen Zuständigkeiten des K.-Bundes sind begrenzt. Er vertritt seine Mitglieds-K. im ökumenischen Rat der K. und in der Konferenz Europäischer K. und nimmt die sich daraus ergebenden ökumenischen Aufgaben und Kontakte wahr. Der K.-Bund vertritt seine Mitglieds-K. gegenüber Staat und Gesellschaft. Er will sie zu „Zeugnis und Dienst in der sozialistischen Gesellschaft der DDR“ zusammenführen. Auf zahlreichen Sachgebieten ist der K.-Bund durch Kommissions- und Ausschußarbeit bemüht, die kirchliche Arbeit zu koordinieren und auf gemeinsame Grundlagen zu stellen. Genannt seien das Ausbildungswesen, das Pfarrerdienstrecht, liturgische Angelegenheiten, Konfirmation und Christenlehre.
Die Mitglieds-K. des K.-Bundes gehörten bis 1969 zusammen mit den Landes-K. in der Bundesrepublik [S. 587]Deutschland und Berlin (West) zur Evangelischen K. in Deutschland (EKD). Sie lösten ihre Mitgliedschaft zugunsten des eigenen neuen Zusammenschlusses (s. u.), legten jedoch gleichzeitig in Artikel 4 (4) der Bundesordnung fest: „Der Bund bekennt sich zu der besonderen Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland. In der Mitverantwortung für diese Gemeinschaft nimmt der Bund Aufgaben, die alle evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik und in der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam betreffen, in partnerschaftlicher Freiheit durch seine Organe wahr.“
Einen anderen Weg zur Verselbständigung wählte der lutherische Zusammenschluß. Ende 1968 bildete sich die VELK in der DDR durch Abtrennung von der bis dahin Ost und West umfassenden Vereinigten Evangelisch-Lutherischen K. Deutschlands (VELKD), indem auf der Basis der bestehenden Verfassung der VELKD eigene DDR-Leitungsorgane gebildet wurden. Demgegenüber zögerte die Evangelische K. der Union (EKU), zu der im Westen neben Berlin (West) die rheinische und die westfälische Landes-K. gehören, ihre Aufgliederung bis 1972 hinaus. Sie besteht auf der Basis der Ordnung der EKU als einer K. weiter, die jedoch in Leitung und Verwaltung in 2 vollkommen selbständig handlungsfähige Bereiche aufgegliedert wurde. Dabei wurde festgelegt, daß die EKU-Räte (Leitungen) für die Bereiche DDR einerseits und Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) andererseits regelmäßig zu gemeinsamen Beratungen zusammentreten, was auch geschieht.
Ebenfalls in Leitung, Verwaltung und Rechtsetzung in 2 Regionen geteilt, ohne daß das Prinzip der Einheit der Landes-K. aufgegeben wurde, ist auch die Evangelische K. in Berlin-Brandenburg. Ihre Ostregion gehört zum DDR-K.-Bund, ihre Westregion (Berlin [West]) zur EKD. Die Präambel der Grundordnung (Verfassung) gilt in beiden Regionen unverändert weiter. Der materielle Teil der Grundordnung ist inzwischen in beiden Regionen nach den jeweiligen Bedürfnissen umgestaltet worden. Nachdem ursprünglich (1966) beide K.-Regionen mit D. Kurt Scharf noch einen gemeinsamen Bischof gewählt hatten, der sein Amt jedoch in der DDR niemals ausüben konnte, wurde 1973 für das Gebiet der DDR ein eigenes Bischofsamt geschaffen und mit Bischof Schönherr besetzt. Die K.-Verfassung weist ihn und den Bischof von Berlin (West) (seit 1977 Dr. Martin Kruse) an, „brüderliche Verbindung“ miteinander zu halten. Nach langjähriger theologischer Vorbereitung haben die evangelischen K. in der DDR 1979 einen Plan zu einer weitgehenden Strukturreform entwickelt. Danach soll, möglichst schon 1981, an die Stelle des K.-Bundes, der EKU (Bereich DDR) und der VELK in der DDR eine „Vereinigte Evangelische K. in der DDR“ mit erheblich größerer Kompetenz für Gemeinschaftsaufgaben treten. Diese Vereinigte K. soll weiterhin föderativ in die 8 Landes-K. gegliedert sein. (Weiteres zur evangelischen K. unter IV., Staat und K.)
II. Die römisch-katholische Kirche
Die katholische K. in der DDR ist eine Diaspora-K. Die rd. 1,2 Mill. Katholiken stellen eine Minderheit in der Bevölkerung von rd. 7 v. H. dar. An der Spitze der 7 Jurisdiktionsbezirke, von denen 2 Bistümer sind, stehen Bischöfe. Zusammen mit 4 Weihbischöfen bilden sie die „Berliner Bischofskonferenz“, das Leitungsgremium für die katholische K. in der DDR. Den Vorsitz hat traditionsgemäß der in Berlin (Ost) residierende Bischof von Berlin, derzeit (1979): Alfred Kardinal Dr. Bengsch, dem vom Papst 1962 der persönliche Titel eines Erzbischofs verliehen wurde.
Die „Berliner Bischofskonferenz“ hieß bis zum Jahr 1976 „Berliner Ordinarienkonferenz“. Die Errichtung der „Berliner Bischofskonferenz“ geschah durch vatikanisches Dekret, das gleichzeitig deren Verselbständigung und Unabhängigkeit von der (West-)Deutschen Bischofskonferenz festlegte. Die „Berliner Bischofskonferenz“ hat danach z. B. nicht das Recht, für den Westteil des Bistums Berlin zu beschließen. Der Bischof von Berlin ist aufgrund seiner Jurisdiktionsrechte in Berlin (West) weiterhin auch Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz unter Vorsitz des Erzbischofs von Köln, derzeit (1979): Josef Kardinal Höffner.
Das einzige Bistum, das geschlossen innerhalb des Territoriums der DDR liegt, ist das Bistum Meißen mit rd. 300.000 Katholiken (Bischof Gerhard Schaffran). Das Bistum Berlin (rd. 480.000 Katholiken) erstreckt sich zwischen Rügen und Jüterbog, Frankfurt (Oder) und Brandenburg. Der West-Berliner Teil (rd. 270.000 Katholiken) wird selbständig verwaltet. Die kirchenrechtliche Einheit des Bistums ist in der Person des Bischofs garantiert, dem von den Behörden der DDR zugestanden wird, den West-Berliner Teil seiner Diözese an 30 Tagen im Vierteljahr zu besuchen.
Die Jurisdiktionsbezirke Schwerin, Magdeburg, Erfurt und Meiningen gehören kirchenrechtlich nach wie vor zu Diözesen in der Bundesrepublik Deutschland. und zwar Schwerin (rd. 100.000 Katholiken) zu Osnabrück, Magdeburg (rd. 300.000 Katholiken) zur Erzdiözese Paderborn, Erfurt (rd. 250.000 Katholiken) und der diesem Jurisdiktionsbezirk enger angegliederte kleine Verwaltungsbezirk Meiningen (rd. 20.000 Katholiken) zu den Diözesen Fulda bzw. Würzburg. 6 zum Bistum Hildesheim gehörende, aber auf DDR-Gebiet liegende Gemeinden wurden schon vor Jahren Schwerin, Erfurt und Magdeburg zugeordnet. Die Leiter der Bischöflichen Ämter Magdeburg, Erfurt und Schwerin, die Titularbischöfe Johannes Braun, Hugo Aufderbeck und [S. 588]Heinrich Theissing, wurden im Juli 1973 von Papst Paul VI. zu Apostolischen Administratoren ernannt und damit unabhängig von den bis dahin für sie zuständigen Ordinarien der westdeutschen Diözesen. Das ehemalige Erzbischöfliche Amt Görlitz (rd. 70.000 Katholiken), ein Restteil der durch die Festlegung der Oder-Neiße-Grenze an Polen gefallenen Erzdiözese Breslau, war bereits 1972 Apostolische Administratur unter Leitung von Bischof Bernhard Huhn geworden. Die Bischöfe von Berlin, Meißen, Magdeburg und Erfurt haben je einen Weihbischof zur Seite.
Auf über 1.000 Seelsorgestellen sind rd. 1.300 Welt- und Ordensgeistliche tätig. In 282 Klöstern und klösterlichen Niederlassungen (Stand März 1975) leben etwa 2.500 Ordensschwestern, die vorwiegend in den von der katholischen Kirche unterhaltenen 33 Krankenhäusern, 107 Altersheimen, 44 Kinderheimen und 310 Schwesternstationen tätig sind. In 18 weiteren Ordensniederlassungen leben noch rd. 120 männliche Ordensangehörige.
Die Politik der SED-Führung gegenüber der katholischen K. hat sich in Ausdruck und Intensität stets von derjenigen unterschieden, die sie gegenüber der evangelischen K. anwandte. Dafür mögen folgende Gründe maßgebend sein: Die Katholiken in der DDR bilden eine Minderheit; sie sind eng mit der Welt-K., besonders mit dem Heiligen Stuhl, verbunden; sie haben sich von Anfang an unter Verzicht auf gesellschaftliche Aktivität auf Kultus und Caritas sowie Aufbau und Stärkung der Gemeinden beschränkt. Diese politische Abstinenz ist im wesentlichen bis in das Jahr 1978 durchgehalten worden. Seit Anfang der 60er Jahre durften die Bischöfe in der DDR nicht mehr an kirchlichen Veranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland teilnehmen, während es ihren westdeutschen Kollegen versagt war, die zu ihren Diözesen gehörenden, in der DDR liegenden Jurisdiktionsbezirke zu besuchen. Eine gewisse Auflockerung des strikten Ausreiseverbots ergab sich nach der Annäherung zwischen dem Vatikan und der UdSSR unter dem Pontifikat Johannes' XXIII. (1963). Zum Beginn des II. Vatikanischen Konzils im Oktober 1963 erhielten 7 Bischöfe eine Ausreisegenehmigung. Zu einer heftigen Kontroverse mit der SED-Führung kam es, nachdem die Bischöfe der DDR zusammen mit den westdeutschen Bischöfen im Dezember 1965 eine Antwort auf die Versöhnungsbotschaft des polnischen Episkopats unterzeichnet hatten. Mit ihrem Schritt hätten sie „gegen die Friedenspolitik unserer Regierung verstoßen“, schrieb „Neues Deutschland“.
Erstmals deutete Ulbricht während einer Kundgebung im Friedrichstadtpalast (Berlin [Ost]) am 15. 2. 1968 auf dem Höhepunkt der Verfassungsdiskussion seine Bereitschaft zu Vereinbarungen mit dem Vatikan an. Es folgte jedoch kein erkennbarer entsprechender Schritt der SED-Führung. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre zeichnete sich zwischen Partei und Staat einerseits und katholischer K. andererseits eine leichte Entspannung ab. Zwar verurteilten die Bischöfe im November 1965 in einem Hirtenwort die weitgehende Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs und im September 1967 in einem weiteren den Zwang zur Jugendweihe, aber es folgte auf beide Äußerungen keine staatliche Reaktion. Zugleich wuchs das Selbstvertrauen der in der DDR lebenden Katholiken, wie besonders deutlich auf dem ersten Erfurter Laienkongreß im Juni 1970 zu erkennen war. Zum ersten Mal hörte man auf einem von der K. offiziell genehmigten Kongreß positive Bewertungen des zweiten deutschen Staates und vereinzelt auch Bekenntnisse zu ihm. Anläßlich des 20. Jahrestages der Gründung der DDR erklärte Kardinal Bengsch vor Teilnehmern an der traditionellen Wallfahrt nach Bernau, die katholische K. erkenne an, was in diesem Staat „zum wirklichen Wohl des Menschen“ getan werde. Sie habe in den vergangenen Jahren seelsorgerlich arbeiten können und „mehr Chancen (gehabt), als sie ausgenutzt hat“. Bengsch und andere Bischöfe und Prälaten zeigten sich nun erstmals bei offiziellen Empfängen zum DDR-Jubiläum.
Schon am 25. 9. 1969 hatte SED-Politbüro-Mitglied Hermann Matern in einer Rede in Berlin (Ost) vor führenden Funktionären der Ost-CDU das Interesse der SED hinsichtlich einer Annäherung an den Vatikan signalisiert. Die von Papst Paul VI. weiterentwickelte katholische Soziallehre, die Haltung des Vatikans im Vietnam-Konflikt und die vermeintliche langsame Überwindung des traditionellen kirchlichen Antikommunismus wurden bei dieser Gelegenheit ebenfalls positiv bewertet.
Mit der Diskussion der Ostverträge, und erst recht nach ihrer Unterzeichnung, verstärkte sich der politische Druck auf die Bischöfe, die Lösung der Jurisdiktionsbezirke von den westdeutschen Diözesen zu betreiben und die K. damit an den sozialistischen Staat heranzuführen.
Am 24. 8. 1972 drängte Ministerpräsident Stoph Kardinal Bengsch, in Rom darauf hinzuwirken, daß es zur Errichtung selbständiger Bistümer in der DDR komme. Ende September 1972 verfügte dann Rom in einem Dekret die jurisdiktionelle Ausgliederung des Bistums Berlin aus dem Metropolitanverband Breslau, nachdem Schlesien schon vorher auch kirchenrechtlich als Teil Polens anerkannt worden war. Die Berliner Diözese wurde dem Heiligen Stuhl unmittelbar unterstellt. Bereits mit Dekret vom 28. 6. 1972 war die Apostolische Administratur Görlitz errichtet worden. Am 24. 1. 1973 fand schließlich in Rom eine Begegnung zwischen dem 1978 tödlich verunglückten SED-Politbüro-Mitglied W. Lamberz und dem „Außenminister“ des Vatikans, Erzbischof Casaroli, statt. Vorausgegangen waren Ende 1972 Gerüchte über Kontakte zwi[S. 589]schen Vatikan-Vertretern und DDR-Abgesandten in Belgrad. Anfang März 1973 warnten die westdeutschen Bischöfe den Vatikan vor einer Neuordnung der kirchlichen Verwaltung in der DDR, die das Reichskonkordat tangieren würde. Im Juni 1975 kam Casaroli zu einem 6tägigen Besuch in die DDR, wo er 2 Tage als offizieller Staatsgast Gespräche mit Vertretern der Regierung der DDR, u. a. mit Außenminister Fischer, Ministerpräsident Sindermann und dem Staatssekretär für K.-Fragen, Seigewasser, führte. Anschließend machte er als Gast von Kardinal Bengsch eine Rundreise durch die DDR (Dresden, Weimar, Erfurt), besuchte das ehemalige KZ Buchenwald sowie das Priesterseminar in Erfurt. Im Verlauf dieser Reise begegnete er vielen Bischöfen und Priestern. In einer Predigt in Berlin (Ost) kündigte Casaroli an, daß eine Pilgergruppe von 150 Katholiken aus der DDR anläßlich des Heiligen Jahres im Sommer Rom besuchen dürfe. Darüber hinaus brachten jedoch die Gespräche Casarolis mit den Regierungsvertretern kein konkretes Ergebnis. Am Rande der Schlußsitzung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) ist es am 1. 8. in Helsinki auch zu einem Gespräch zwischen dem Generalsekretär des ZK der SED, Honecker, und Casaroli gekommen, das ADN als „freundschaftlich“ bezeichnet hat. Im Oktober 1975 besuchte Casaroli Bonn, wo er mit Bundeskanzler Schmidt und Außenminister Genscher u. a. das Verhältnis des Vatikans zur DDR erörterte.
Während das Problem der Änderung der Bistumsgrenzen von der K.-Regierung offenbar auf Eis gelegt worden ist, kam der Vatikan der DDR-Regierung mit der Verselbständigung der erwähnten „Bischofskonferenz der DDR“ im Oktober 1976 entgegen.
Die spektakuläre Begegnung zwischen dem Partei- und Staatsratsvorsitzenden Honecker und einer Delegation von Vertretern der evangelischen K.-Leitungen in der DDR vom 6. März 1978, bei der der SED-Generalsekretär die positive Regelung einer Reihe von bislang zwischen Staat und K. in der DDR strittigen Sachfragen zusagte, hat zu keinen unmittelbaren Auswirkungen auf das Verhältnis der katholischen K. zum Staat geführt.
In einem Schreiben an die Regierung der DDR protestierten die Bischöfe vielmehr energisch gegen die geplante Einführung des Faches Wehrkunde in den Schulunterricht. Das am 12. 6. 1978 übergebene Schreiben wies vor allem auf das Vorrecht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder und die Verpflichtung zur Erhaltung des Friedens hin. Der Brief der „Berliner Bischofskonferenz“ blieb jedoch bisher ohne Antwort. Schon im November 1974 hatten sich die katholischen Bischöfe in einem von allen Kanzeln verlesenen Hirtenwort gegen den „Monopolanspruch“ der SED im Erziehungsbereich gewandt. Auch dieser kirchliche Schritt war ohne jedes Echo von Seiten des Staates und der staatlich gelenkten Publizistik geblieben.
Von 1973 bis 1975 hielt die katholische K. eine Pastoralsynode aller Jurisdiktionsbezirke in der DDR in Dresden ab. An der zweimal jährlich in der Hof-K. tagenden Versammlung haben neben den Bischöfen und zahlreichen in- und ausländischen Gästen rd. 150 Priester und Laien teilgenommen.
Als Ergebnis sind 9 Dokumente vorgelegt worden, die sich mit Fragen des Glaubens, der christlichen Moral, Problemen von Ehe und Familie, der Rolle des Christen in der Arbeitswelt, der Diakonie, der Aufgaben der Priester sowie der Ökumene befassen.
Die katholische K. unterhält an Instituten und Einrichtungen neben den oben erwähnten Krankenhäusern, Kinder- und Altenheimen Priesterseminare in Erfurt („Albertus-Magnus-Akademie“ für „Philosophisch-theologisches Studium“) und Neuzelle („Bernadinum“ bei Frankfurt/Oder), das Pastoralseminar Huysburg bei Halberstadt sowie als Vorbildungsanstalten das bischöfliche Vorseminar in Schöneiche bei Berlin, das Norbertuswerk Magdeburg und den Sprachenkurs Halle, ferner Fürsorgerinnen-, Katecheten- und Kindergärtnerinnenseminare sowie ein Seminar für die Ausbildung von K.-Musikern. (An der Erfurter Akademie studierten 1973 ca. 160 Studenten.)
Herausragende Ereignisse im Leben der K. der DDR waren die Fertigstellung und Wiederindienstnahme der im Krieg zerstörten St.-Hedwigs-Kathedrale in Berlin (Ost) im November 1963 sowie das 200jährige Jubiläum der Kathedrale im November 1973, an dem zahlreiche Bischöfe aus dem Ausland teilnahmen. Im Jahr 1972 wurde außerdem das der Kathedrale benachbarte Bernhard-Lichtenberg-Haus, in dem der Bischof residiert und die kirchliche Verwaltung ihren Sitz hat, seiner Bestimmung übergeben.
Während die Bischöfe in der DDR lange Zeit kein westliches Land außer Italien zum Zweck von Kontakten mit dem Vatikan besuchen durften, sind die Grenzen für sie in den letzten Jahren etwas durchlässiger geworden. So durften einzelne Würdenträger an internationalen kirchlichen Veranstaltungen auch im Westen teilnehmen. Kardinal Bengsch konnte sogar bei besonderen Ereignissen in der Bundesrepublik anwesend sein, z. B. beim St.-Otto-Jubiläum in Bamberg sowie bei der Beisetzung Kardinal Döpfners und der Inthronisation seines Nachfolgers Ratzinger in München. Außerdem reiste Bengsch in den vergangenen Jahren nach Polen, in die ČSSR und die UdSSR. Im Sommer 1975 kam es zu einer aufsehenerregenden Begegnung mit der katholischen Kirchenführung Litauens in Vilnius und Kaunas. Dieser Besuch wurde 1976 von litauischer kirchlicher Seite erwidert.[S. 590]
III. Freikirchen und andere Gemeinschaften
Die beiden größten sog. Frei-K. sind die Evangelisch-Methodistische K. in der DDR (37.000 Mitglieder, 143 Pastoren, Bischof: Armin Härtel, Dresden) und der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten) in der DDR (30.000 Mitglieder, 125 Pastoren, Präsident: Herbert Moret, Berlin [Ost]). Der Größe nachfolgen die altlutherische K. (11.000 Mitglieder), der Bund evangelisch-reformierter Gemeinden (8.100 Mitglieder), der Bund Freier Evangelischer Gemeinden (1.350 Mitglieder), der Verband der Altkatholischen K. in der DDR (1200 Mitglieder), die Mennoniten und die Quäker.
Die Frei-K. arbeiten in der „Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der DDR“ mit den evangelischen Landes-K. zusammen. Die römisch-katholische K. ist mit einem Beobachterstatus ebenfalls vertreten.
Alle diese K. und Religionsgemeinschaften sind staatlich anerkannt. Sie haben sämtlich ihre früher zum Teil gesamtdeutsche Organisation aufgegeben. Anders ist das bei der Russischen Orthodoxen K. Sie zählt relativ wenige Mitglieder in der DDR, spielt öffentlich jedoch eine größere Rolle, 1960 errichtete das Moskauer Patriarchat der Russischen Orthodoxen Kirche in Berlin (Ost) ein Exarchat für „Berlin und Mitteleuropa“. Der jeweilige Exarch ist Erzbischof der entsprechenden Diözese, die auch Berlin (West) und die Bundesrepublik Deutschland umfaßt. Seit 1978 amtiert Erzbischof Melchisedek als Exarch.
Staatlich nicht anerkannte Sekten spielen in der DDR kaum eine Rolle, mit Ausnahme der Zeugen Jehovas, die bemüht sind, ihre Missionstätigkeit auch hier in beschränktem Umfang fortzuführen. Aus ihren Reihen kommen immer wieder Wehrdienstverweigerer. Die Zeugen Jehovas sind verboten, werden aber in der Regel nicht verfolgt.
IV. Staat und Kirchen
Die staatliche K.-Politik der DDR ist vornehmlich an der evangelischen K. ausgerichtet. Zum Protestantismus zählten sich noch 1950 laut Volkszählung 14,8 Mill. DDR-Bürger. Das gesamte Gebiet der DDR war ursprünglich fast durchweg evangelisch. Die SED hat es stets vermieden, eine auf Abschaffung oder vollständige Privatisierung der K. gerichtete Politik zu betreiben. Statt dessen bemühte sie sich, ohne die K. grundsätzlich in Frage zu stellen, deren öffentlichen Einfluß zurückzudrängen bzw. auf den Status quo zu beschränken, das gesellschaftliche Leben vollständig zu säkularisieren sowie christliche Sitte durch Lebensäußerungen der sozialistischen Gesellschaft zu ersetzen. Das führte, zumal in den 50er Jahren, zu zahlreichen Konflikten, die den Beteiligten zuweilen als „Kirchenkampf“ erschienen, ohne daß jedoch wirksame Versuche unternommen wurden, die K. von innen her, entsprechend dem nationalsozialistischen Versuch mit den „Deutschen Christen“, aufzurollen und gleichzuschalten. Wenn man von der katholischen K. Polens absieht, genießen innerhalb des kommunistischen Machtbereichs die großen K. in der DDR vergleichsweise die größte Freiheit und innere Autonomie. Die K. sind die einzigen großen Organisationen in der DDR, die Personal- und Organisationsentscheidungen unabhängig von staatlichen oder gesellschaftlichen Organen treffen können, de jure wie de facto. Nach langen Kämpfen setzte die SED-Führung jedoch eine Einschränkung dieses Prinzips für die kirchlichen Außenbeziehungen durch: Der 1968 von Bischof Mitzenheim gesprochene Satz: „Die Grenzen der DDR bilden auch die Grenzen der kirchlichen Organisationsmöglichkeiten“ wurde Bestandteil des offiziellen Kommentars der DDR-Verfassung. Die DDR läßt die Mitgliedschaft der K. in ökumenischen Organisationen, insbesondere im Weltkirchenrat, der Konferenz Europäischer K., dem Lutherischen und dem Reformierten Weltbund sowie die Beziehung der römisch-katholischen K. zum Vatikan zu und fördert sie teilweise aus außenpolitischen Gründen; sie hat jedoch erreicht, daß die besonderen kirchlichen Bindungen innerhalb ganz Deutschlands aufgegeben oder eingefroren werden mußten. Während der staatliche Einfluß auf kirchliche Entscheidungen in den Außenbeziehungen (wie auch z. T. bezüglich der kirchlichen Aktivität innerhalb der DDR) negativ effektiv ist. wirkt er sich positiv nur selten aus. So sind die evangelischen K. in der DDR, anders als die in anderen Staaten Osteuropas, nicht korporative Mitglieder der in den sozialistischen Staaten geförderten Christlichen Friedenskonferenz (CFK).
Seit Gründung der DDR lassen sich 3 Hauptphasen der staatlichen K.-Politik unterscheiden:
1. Von 1949 bis 1958 stand im Vordergrund das Ziel, die Position der K. in der Gesellschaft, wo immer möglich, zu beschneiden;
2. daran schloß sich bis 1969/71 ein politischer Kampf gegen die gesamtdeutsche K.-Organisation, insbesondere der evangelischen K., an;
3. seitdem berücksichtigt die SED das Bemühen insbesondere der evangelischen K. um eine eigenständige Positionsbestimmung in der sozialistischen Gesellschaft und begann ihrerseits Mitte der 70er Jahre damit, die von Honecker am 6. 3. 1978 öffentlich bekräftigte Politik einer begrenzten Partnerschaft zwischen Staat und K. bei fortbestehendem ideologischem Antagonismus vorzubereiten.
Die Tendenzen der 1. Phase sind, z. T. in abgemilderter Form, auch in den folgenden Phasen wirksam geblieben. In der 1. Phase vor allem dominierte die atheistische und antiklerikale Propaganda. Die K.-Austrittsbewegung wurde massiv gefördert, insbe[S. 591]sondere die gesellschaftlichen Führungs- und Schlüsselberufe wurden, mit wenigen Ausnahmen, nur Nichtchristen zugänglich gemacht. Mit der Jugendweihe begann man, die Konfirmationssitte zu entwerten (Sozialistische ➝Feiern). Der kirchlich erteilte Religionsunterricht (Christenlehre) wurde entgegen der Verfassung der DDR von 1949 aus den Schulräumen und aus dem zeitlichen Zusammenhang mit dem Schulunterricht verbannt. Die K.-Steuer wurde zu einem privaten, rechtlich nicht einklagbaren freiwilligen K.-Beitrag. Alle kirchlichen Aktivitäten außerhalb kircheneigener Räume wurden erschwert und z. T. unmöglich gemacht. Die Junge Gemeinde, die nach dem Krieg gefundene Form evangelischer Jugendarbeit, und Studentengemeinden wurden bekämpft. Es kam auch zu Verhaftungen und Schauprozessen.
Gleichzeitig jedoch behielten die K. in vieler Hinsicht ihren aus der Vergangenheit überkommenen Sonderstatus. Ihr Grund- und Waldbesitz wurde z. B. nicht der Bodenreform unterworfen und blieb z. T. später auch von der Kollektivierung ausgenommen. Das eigene kirchliche Arbeitsrecht (Beamte!) blieb bestehen; auch in ihrem Arbeitsgesetzbuch berücksichtigte die DDR die besonderen Bedingungen kirchlicher Arbeit. Es wird weiterhin an den 6 alten staatlichen Universitäten ein Teil des Pfarrernachwuchses der evangelischen K. wissenschaftlich-theologisch ausgebildet.
In der 2. Phase wurde der Zusammenhang der staatlichen K.-Politik mit der Deutschlandpolitik der SED besonders deutlich. Die Regierung der DDR nahm den Abschluß des Militärseelsorgevertrages der EKD mit der Bundesregierung zum Anlaß, ihre Beziehungen zur EKD abzubrechen und propagandistisch sowie durch administrative Maßnahmen (jedoch nicht durch gesetzliche oder sonst rechtswirksame Maßnahmen) auf die Verselbständigung der K. in der DDR hinzuwirken. Die DDR-Regierung lehnte es 1957/58 ab, über verschiedene Konflikte, insbesondere im Erziehungsbereich, mit der EKD zu verhandeln. Statt dessen kam es zu Verhandlungen mit „Vertretern der evangelischen K. in der DDR“, an deren Ende ein Kommuniqué vom 21. 7. 1958 stand, demzufolge die K.-Vertreter u. a. erklärten: „Ihrem Glauben entsprechend erfüllen die Christen ihre staatsbürgerlichen Pflichten auf der Grundlage der Gesetzlichkeit. Sie respektieren die Entwicklung zum Sozialismus und tragen zum friedlichen Aufbau des Volkslebens bei.“ Zur gleichen Zeit förderte die SED die Gründung eines „Bundes evangelischer Pfarrer in der DDR“ (der sich Ende 1974 überraschend selbst auflöste), der sich programmatisch verpflichtete, an der „inneren und äußeren Stärkung der sozialistischen Gesellschaft der DDR“ mitzuwirken (Satzung von 1967). Dieser Pfarrerbund, dessen Mitgliederzahl stets unbedeutend blieb (Schätzung einschließlich Pensionären und Pfarrfrauen 250), wurde, ähnlich wie die Arbeitsgruppen „Christliche Kreise“ der Nationalen Front, die DDR-Regionalkonferenz der CFK und die CDU, in der Presse zum eigentlichen Repräsentanten des politischen und kirchlichen Willens der evangelischen Christen in der DDR gemacht; er gewann jedoch innerkirchlich ebenso wie die anderen Gruppen nicht einmal die Bedeutung einer Minderheitsfraktion. Am 4. 10. 1960 griff W. Ulbricht in einer Erklärung vor der Volkskammer das Kommuniqué von 1958 auf und beendete die Phase der atheistischen und antiklerikalen Propaganda in der DDR mit der Feststellung: „Das Christentum und die humanistischen Ziele des Sozialismus sind keine Gegensätze.“ Ulbricht warb damit um kirchliche Zustimmung (nicht nur Respektierung) zur sozialistischen Entwicklung in der DDR, die mit einer Absage an die „westdeutschen NATO-Kirchen“ verbunden sein sollte. Die evangelischen Landes-K., die
- nun ohne zentralen Kontakt zu staatlichen Stellen
- eine lose, offiziell nicht anerkannte „Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen in der DDR“ unter Vorsitz von Bischof D. Friedrich-Wilhelm Krummacher (Greifswald) gebildet hatten, stellten sich dagegen auf den Rechtsstandpunkt, daß der Staat nicht über kirchliche Organisationsformen zu entscheiden habe, und hielten an der EKD-Zugehörigkeit fest. Ulbricht fand infolgedessen keine legitimierten Partner für seine K.-Politik. Lediglich aus den Reihen der CDU, des Pfarrerbundes usw. konnte er damals mit Zustimmung rechnen. Dennoch wurde die antikirchliche Polemik in der Presse fast vollständig auf westdeutsche Adressaten umgestellt. Nur im Ausnahmefall kam es noch zu öffentlichen Angriffen auf die K. oder einzelne prominente K.-Vertreter in der DDR. Ein Ende 1963 unternommener Versuch, die eingeschlafene atheistische Agitation auf wissenschaftlichem Atheismus an der Universität Jena zu begründen (Lehrstuhl: Prof. Olof Klohr), führte zwar zur zeitweisen Belebung der marxistischen Religionssoziologie, wurde einige Jahre später jedoch wieder aufgegeben. Erst nach dem VIII. Parteitag der SED 1971 wurde erneut ein Programm zur atheistischen Schulung von Kadern vorbereitet. Der wiederum unter der Führung von Klohr betriebene wissenschaftliche Atheismus wirkt sich jedoch nicht kirchenpolitisch und nicht in der öffentlichen Propaganda aus. Er dient, jedenfalls teilweise, der ideologischen Klärung und Schulung der Führungskader der SED in einer Situation, in der die Zusammenarbeit von Staat und K. propagiert und die positive gesellschaftliche Rolle der K. bei der Verwirklichung der „zutiefst humanistischen Ziele“ der sozialistischen Gesellschaft offiziell hervorgehoben wird.
Im Zuge der erwähnten K.-Politik mit nicht kirchlich legitimierten Partnern führte Ulbricht am 9. 2. 1961 ein in der gesamten Presse der DDR abgedrucktes [S. 592]Gespräch mit einer „Delegation christlicher Persönlichkeiten“ unter Leitung des Leipziger Theologieprofessors Emil Fuchs, in dessen Verlauf Ulbricht für Zusammenarbeit von Marxisten und Christen warb. Er erklärte, die humanistischen und sozialen Ziele des ursprünglichen Christentums und die humanistischen und sozialen Ziele des Sozialismus stimmten so weitgehend überein, „daß sich ein Zusammengehen geradezu aufdrängt“. Im sog. Wartburg-Gespräch vom 18. 8. 1964 mit dem thüringischen Landesbischof D. Moritz Mitzenheim, der als einziger der evangelischen K.-Führer auf diese Linie eingeschwenkt war, ergänzte Ulbricht seine kirchenpolitischen Ausführungen mit der Feststellung einer „gemeinsamen humanistischen Verantwortung“, die Marxisten und Christen verbinde. Er räumte dem Verhältnis von Marxisten und Christen, immer unter der Voraussetzung der selbstverständlichen Anerkennung der Führungsrolle der marxistisch-leninistischen Partei, einen wichtigen Platz in seiner Konzeption einer „sozialistischen Menschengemeinschaft“ ein.
Vor allem wegen der EKD-Frage gingen die K. jedoch praktisch nicht auf das kirchenpolitische Werben Ulbrichts ein. Obgleich die EKD-Mitgliedschaft der DDR-K. fast nur noch formal praktiziert werden konnte, erklärten die EKD-Synodalen in der sog. Fürstenwalder Erklärung vom 5. 4. 1967, sie wollten an der Gemeinschaft in der EKD festhalten. Erst als die neue Verfassung der DDR im April 1968 in Kraft trat, änderten die evangelischen Landes-K. ihre Haltung in dieser Frage. Bisher sahen sie die gesamtdeutsche K.-Gemeinschaft nur politisch in Frage gestellt. Mit der neuen Verfassung war zu befürchten, daß sie auch staatsrechtlich unmöglich gemacht würde. Die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR machten nun in dieser neuen Situation nach kirchlicher Auffassung ein gemeinsames Handeln aus seelsorgerlichen Gründen immer zwingender notwendig; die EKD-Struktur konnte, wenn sie offiziell für illegal erklärt wurde, die Voraussetzungen dafür nicht mehr bieten. In der Verfassung wurde die staatliche Absicht deutlich, keinen Zusammenhalt der evangelischen Landes-K. in Deutschland mehr zuzulassen und statt dessen Einzelverträge mit den Landes-K. abzuschließen. Daraufhin leitete man die Gründung des K.-Bundes ein. dessen Ordnung am 10. 6. 1969 in Kraft trat.
Damit hatte die 3. Phase der staatlichen K.-Politik begonnen. An ihrem Anfang stand der Art. 39 der Verfassung der DDR von 1968: „Jeder Bürger der DDR hat das Recht, sich zu einem religiösen Glauben zu bekennen und religiöse Handlungen auszuüben. Die Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften ordnen ihre Angelegenheiten und üben ihre Tätigkeit aus in Übereinstimmung mit der Verfassung und den gesetzlichen Bestimmungen der DDR. Näheres kann durch Vereinbarungen geregelt werden.“ In Art. 20 wird außerdem Gewissens- und Glaubensfreiheit verkündet. Alle übrigen die Religionsfreiheit und -ausübung betreffenden Festlegungen der Verfassung von 1949 sind entfallen. Ziel der DDR-K.-Politik war es, den Protestantismus als gesamtdeutschen Faktor auszuschalten. Praktisch wirkte sich die Gründung des K.-Bundes als organisatorische und sachliche Stärkung aus, obwohl die SED keine Stärkung des evangelischen Kirchentums in der DDR herbeiführen wollte. Die SED reagierte erst nach 20 Monaten positiv auf diese neue Situation. Am 24. 2. 1971 kam es zu einem offiziellen Besuch des K.-Bundesvorstandes bei Staatssekretär Seigewasser mit Austausch von Erklärungen und damit zur staatlichen Anerkennung des K.-Bundes als Repräsentation der 8 evangelischen Landes-K. in der DDR. Voraufgegangen war eine kirchenpolitische Grundsatzrede des Politbüro-Mitgliedes Paul Verner vom 11. 2. Damit waren die K. wieder zu Partnern der K.-Politik geworden. Konsequenterweise verlor die CDU — auch im Zusammenhang mit der auf dem VIII. SED-Parteitag vom Juni gleichen Jahres vollzogenen Preisgabe des Leitbildes von der „sozialistischen Menschengemeinschaft“ zugunsten einer neuen Aufwertung der Arbeiterklasse — an Bedeutung, ebenso Pfarrerbund, CFK usw.
Die Rede Verners enthielt bereits grundlegende Elemente der kirchenpolitischen Linie, die E. Honecker 7 Jahre später demonstrativ sanktionierte. Die SED-Führung stellte sich auf die real existierende evangelische K. und die von ihr herausgestellten und legitimierten Repräsentanten ein. Sie verpflichtete sich, auf Versuche zu verzichten, die K. und die christliche Lehre zu „sozialisieren“. Gleichzeitig wurde jedoch nun an den K.-Bund die Erwartung gerichtet, ein „eigenständiges Profil“ in der sozialistischen Gesellschaft der DDR zu entwickeln. Verner legte die Zielsetzung des K.-Bundes, sich als Zeugnis- und Dienstgemeinschaft von K. in der sozialistischen Gesellschaft der DDR zu bewähren, so aus: „Wir verstehen das so, daß kirchliche Amtsträger und Laien aufgerufen sind, in Dienst und Zeugnis die Deutsche Demokratische Republik allseitig weiter zu stärken, den Frieden zu erhalten und zum Nutzen aller und jedes einzelnen Menschen zu wirken,“ Es gehe damit um eine Neuorientierung in inhaltlichen Fragen der gesellschaftlichen Existenz der K., um eine „positive Standortbestimmung der Kirche in unserer sozialistischen Gesellschaftsordnung“.
Der K.-Bund sah in diesen Feststellung eine Bestätigung der evangelischen Auffassung, daß die K. sich nicht auf religiöse Angelegenheiten im engeren Sinn beschränken und sich nicht privatisieren oder in ein kultisches Getto drängen lassen darf. Bischof Schönherr formulierte das in seiner im Namen des K.-Bundes gegenüber Seigewasser abgegebenen [S. 593]Erklärung: „Der einzelne Christ und die christliche Gemeinde können ihren Gottesdienst nur als Gottesdienst des ganzen Lebens … verstehen.“ Eine der grundlegenden, oft wiederholten Feststellungen des K.-Bundes bei dem in der Folgezeit unternommenen Versuch, die gesellschaftliche Standort- und Aufgabenbestimmung der evangelischen K. in der sozialistischen Gesellschaft der DDR vorzunehmen, umreißt der Satz: „Wir wollen nicht Kirche gegen, nicht Kirche neben, sondern Kirche im Sozialismus sein.“ Das führte zunächst zu der Konsequenz, daß die in der EKD-Periode, vor allem seit dem Mauerbau von 1961, von der offiziellen K. gewahrte politische Abstinenz aufgegeben wurde. Man bekannte sich zur politischen und gesellschaftlichen Mitarbeit auf der Grundlage der sozialistischen Gegebenheit in der DDR, jedoch, wie z. B. Bischof Krusche es formulierte, in „kritischer Solidarität“. Diese Haltung führte bald zu neuen Konflikten. Der VIII. Parteitag der SED brachte zwar keine Rücknahme der Verner-Rede vom Februar 1971, jedoch mit der erneuten Aufwertung der Arbeiterklasse auch eine veränderte Einschätzung der Bedeutung der eigenen K.-Politik, deren politischer Stellenwert nun geringer geworden war. Zu beobachten war zunächst die Tendenz, die K. inhaltlich auf den engeren religiösen Bereich zu beschränken und die gesellschaftliche Positionsbestimmung vor allem in nicht weiter reflektierter Hinnahme der sozialistischen Entwicklung und in kirchlichen Zustimmungen zur Außen- und Friedenspolitik der DDR zu sehen.
Sichtbar wurde das in der Anwendung der Veranstaltungsverordnung, die 1971 in Kraft getreten war. Sie sieht Anmeldefreiheit kirchlicher Veranstaltungen nur für kultische Zusammenkünfte vor, während die evangelische K. auch z. B. Konfirmandenfreizeiten und sog. Bibelrüstzeiten mit Jugendlichen, Gemeindeseminare, K.-Tage und verschiedenste Veranstaltungen gesellschaftlicher Thematik zur freien Religionsausübung rechnet, die polizeilicher Kontrolle oder Genehmigung nicht unterliegen dürfe. Erst im Sommer 1973 führten interne Verhandlungen zu einer liberalisierten Anwendung dieser Verordnung. Voraufgegangen war eine Synode des K.-Bundes im Sommer 1972, in der die politische Mitarbeit der Christen in der Form kritischer Solidarität bejaht worden und der Wille zum Ausdruck gekommen war, den Sozialismus an seinen eigenen Maßstäben, insbesondere der Humanisierung, zu messen und zu diesem Ziel beizutragen. In diesem Zusammenhang benutzte der Hauptreferent der Synodaltagung, Heino Falcke, die Formulierung von einem „verbesserlichen Sozialismus“.
Diese kirchlichen Tendenzen haben dazu beigetragen, daß die SED vorübergehend der CDU und den ihr verbundenen Gruppen (Pfarrerbund, CFK) wieder ein stärkeres kirchenpolitisches Gewicht gab. Albert Norden bezeichnete in einem Grußwort vor dem Erfurter CDU-Parteitag die Versammelten als „sozialistische Staatsbürger christlichen Glaubens“. Diese Formel, deren Inhalt nie scharf definiert wurde, spielte 1973/74 eine große Rolle, Sie wurde, vor allem von CDU-Sprechern, so ausgelegt, daß sich die gesellschaftliche Aufgabe der K. darauf zu beschränken habe, für die Christen die Motivation zum gesellschaftlichen Handeln als sozialistische Staatsbürger zu liefern, inhaltlich jedoch hätten sie keine eigenständige Funktion. Im Sommer 1974 wurde die Formel ersatzlos aufgegeben.
Damit deutete die SED ihre Bereitschaft an, trotz der laufenden Auseinandersetzungen im Bildungsbereich und öffentlicher Kritik kirchlicher Sprecher an bestimmten politischen Entscheidungen (z. B. Widerspruch der evangelischen Bischöfe gegen die Klassifizierung des Zionismus als Rassismus im November 1975) und bestehenden Verhältnissen in der DDR, den K. die Definition ihres politischen und gesellschaftlichen Auftrages im Rahmen der sozialistischen Gesellschaft selbst zu überlassen. Eine Voraussetzung dafür war die Bereitschaft des K.-Bundes, im Rahmen der in der DDR bestehenden politischen Strukturen sich trotz der Gefahr propagandistischen Mißbrauchs an der Erörterung von Grundfragen der gesellschaftspolitischen Zielsetzung zu beteiligen.
Bischof Schönherr hatte 1973 auf der Bundessynode in Schwerin grundsätzlich erklärt, die K. sei bereit, an dem Gespräch teilzunehmen, „das der Staat mit seinen Bürgern führt“, und meine, im Blick auf die Formung eines Menschenbildes einen eigenen Beitrag leisten zu können. Im Herbst des gleichen Jahres beteiligten sich erstmals offizielle K.-Delegierte an der DDR-Delegation zum Moskauer Weltfriedenskongreß. Honecker billigte auch den Vertretern der K. dabei ein Mandat der gesamten Gesellschaft der DDR zu.
Seit dieser Zeit änderte sich der Stil der kontinuierlichen Verhandlungen zwischen K. und Staat, die seit 1958 ausschließlich vom Staatssekretariat für K.-Fragen geführt und thematisch auf unmittelbar kirchliche Angelegenheiten eingeengt worden waren. Es kam nunmehr, vermittelt durch das Staatssekretariat, auch zu Kontakten mit Politikern anderer Ressorts. Die Gespräche verloren den Charakter von einseitigen staatlichen Anordnungen oder Absichtserklärungen. Insbesondere im Zusammenhang mit der KSZE und der Schlußakte von Helsinki zeigte sich die SED-Führung bemüht, den evangelischen K.-Bund über Motive und Zielsetzungen ihrer Politik zu unterrichten und einzelne Entscheidungen ― vor allem im Bereich der Außenpolitik ― zu erläutern, ohne damit gleichzeitig propagandistische Ziele zu verbinden und kirchliche Zustimmungserklärungen zu verlangen.
Zur gleichen Zeit setzte die SED-Führung im Inneren vor allem mit der Förderung des K.-Baus und der [S. 594]demonstrativen Anerkennung der kirchlichen Diakonie ein Signal. Mit der evangelischen wie mit der katholischen K. wurden Vereinbarungen nach Art. 39 der Verfassung der DDR über die Ausbildung mittleren medizinischen Fachpersonals in kirchlicher Verantwortung bei staatlicher Anerkennung des Fachschulabschlusses getroffen. Sonderbauprogramme zum Auf- und Umbau kirchlicher Gebäude wurden in Gang gesetzt, die in die staatliche Bauplanung aufgenommen wurden - bei überwiegender Finanzierung durch Spendenmittel von K. aus der Bundesrepublik. Auf Wunsch Honeckers erklärte sich der K.-Bund bereit, auch den in der kirchlichen Bedarfsliste ursprünglich nicht aufgeführten Berliner Dom wiederaufzubauen, dessen ausschließlich kirchliche Nutzung daraufhin vom Staat garantiert wurde.
Als Ereignis von grundsätzlicher Bedeutung für das zukünftige Verhältnis von Staat und K. werteten SED-Führung wie K. die im Sommer 1976 getroffene Entscheidung, den Bau von K. und Gemeindezentren in sozialistischen Neubausiedlungen und Vorstädten zuzulassen. Darum hatten sich die K. 20 Jahre lang vergeblich bemüht. Die K. erhalten für diese Bauten Grundeigentum im Austausch gegen an anderer Stelle gelegenes K.-Land.
Der sichtbaren Besserung der Staat-K.-Beziehungen auf oberer Ebene entsprach jedoch nicht die Erfahrung zahlreicher Christen, die vor allem über Diskriminierungen im Bildungsbereich und mangelnde berufliche Chancengleichheit klagten. Es kam zu wachsender Kritik an einer nicht immer eindeutigen Haltung der K.-Leitungen. Die Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz am 18. 8. 1976 vor einer Kirche in Zeitz entfachte eine stürmische Diskussion in den Gemeinden, vor allem unter Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern. Dies führte zu einer stärkeren Informationstätigkeit des K.-Bundes und der Leitungen der Landes-K. Gleichzeitig verstärkte sich die Tendenz, die politischen Verhältnisse in der DDR wieder stärker auch öffentlich zu kritisieren und auf die in der offiziellen Publizistik geleugneten Spannungen zwischen K. und Staat hinzuweisen.
Ferner setzte der K.-Bund seine jahrelang erfolglosen Bemühungen um ein Grundsatzgespräch mit Regierungsvertretern über das Problem der Chancengleichheit im Bildungswesen fort. Es wurde bei zahlreichen öffentlichen Gelegenheiten darauf hingewiesen, daß das Erziehungsziel der SED (Formung sozialistisch/kommunistischer Persönlichkeiten) in Spannung zum Verfassungsprinzip der Gleichberechtigung sowie der Glaubens- und Gewissensfreiheit stehe und daß, da sich dieser Widerspruch nicht beseitigen lasse, die SED-Führung Formen der Toleranz entwickeln müsse.
Besondere Besorgnis löste 1977 bei den K. die Veröffentlichung des Entwurfs eines neuen SED-Parteiprogrammes aus, in dem alle Grundrechte der Verfassung mit Ausnahme der Glaubens- und Gewissensfreiheit aufgeführt waren. Der K.-Bund forderte in einer öffentlichen Erklärung erfolgreich eine Korrektur des Entwurfs.
Nach längerer vertraulicher Vorbereitung kam es daraufhin zu der ersten offiziellen Begegnung zwischen dem Staatsratsvorsitzenden und Generalsekretär des ZK der SED, Erich Honecker, und dem gesamten Vorstand des evangelischen K.-Bundes. Die Ergebnisse dieses Gesprächs wurden in einer offiziellen Veröffentlichung des Staatsrates festgehalten (ND 7. 3. 1978). Grundsätzlich erkannte Honecker die positive Rolle der K. im Sozialismus und ihr Recht auf eigenständige Mitwirkung bei der Erreichung „zutiefst humanistischer“ Ziele an. Er unterstrich das Prinzip der Chancengleichheit für alle Bürger, unabhängig von Weltanschauung und religiösem Bekenntnis, und erklärte, die sozialistische Gesellschaft der DDR wolle auch den christlichen Bürgern Geborgenheit und Perspektive vermitteln. Den K. solle „viel Verständnis“ entgegengebracht werden. Honecker akzeptierte den von Bischof Schönherr genannten Maßstab für die Bewertung des Staat-K.-Verhältnisses, das so gut oder schlecht sei, wie es der einzelne Christ in seiner individuellen Situation erfahre.
Bei dem gleichen Gespräch wurde Einigung über eine Reihe seit Jahren bestehender Sachprobleme erzielt, von der Pachtzahlung für von LPG genutztes K.-Land bis zur Verbesserung der Seelsorge für Strafgefangene. Bedeutsamstes Zugeständnis der Parteiführung war, daß den K. fortan das Recht auf von ihr selbst gestaltete Informationssendungen in Hörfunk und Fernsehen zusätzlich zu der traditionellen sonntäglichen Gottesdienstsendung eingeräumt wurde.
V. Kirchliche Tätigkeit in der DDR-Gesellschaft
Der durch Honecker bestätigten Anerkennung einer eigenständigen gesellschaftlichen Funktion der K. im Sozialismus, die im einzelnen allerdings nicht genau definiert ist, entspricht ihre rechtliche Stellung. Sie sind nicht mehr Körperschaften öffentlichen Rechts, aber auch nicht sozialistische Organisationen oder Privatvereine, sondern Rechtsgemeinschaften eigener Art. Entsprechend wird in der DDR jetzt zwischen staatlichem, gesellschaftlichem, privatem und kirchlichem Eigentum unterschieden. Weder die Rechtsform der K. noch das kirchliche Eigentum sind formal eindeutig beschrieben bzw. festgelegt worden. Der überkommene Zustand, wie er sich bis in die 70er Jahre erhalten bzw. verändert hat, gilt als Norm. Das von beiden Seiten grundsätzlich befürwortete Prinzip einer Trennung von Staat und K. ist nicht vollständig durchgeführt; einige frühere Privilegien blieben erhalten, so die staatliche [S. 595]Theologenausbildung an den Universitäten und das kirchliche Mitgliedschaftsrecht. K.-Mitglied auch im Rechtssinn wird man durch Taufe; der K.-Austritt wird nicht gegenüber der K., sondern gegenüber dem staatlichen Notariat erklärt.
Eine wirkungsvolle Tätigkeit der K. in der Öffentlichkeit begegnet noch immer erheblichen Einschränkungen. Besonders betroffen ist davon der kirchliche Unterricht, die Christenlehre. Die Politik der SED-Führung verfolgt das Ziel, neben der sozialistischen Schule und anderen Bildungseinrichtungen möglichst wenig erzieherische Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen durch die K. zu ermöglichen. Kirchlich erteilter Religionsunterricht ist gestattet, jedoch gehen die Beteiligungszahlen ständig zurück. Eine Ursache dafür ist, offiziellen Darstellungen von K.-Leitungen zufolge, eine Atmosphäre in den Schulen, die es den Eltern nicht opportun erscheinen läßt, die Kinder zur Christenlehre zu schicken. Konkreten Beschwerden wegen Diskriminierung aus religiösen Gründen wurde zwar meist nachgegeben. Ein Nachweis, daß alle Kinder mit christlicher Bindung nicht zu Abitur und Studium zugelassen werden, ist bisher nicht erbracht worden. Andererseits beschwerte sich der evangelische K.-Bund 1977 öffentlich, daß Christen der jüngeren Generation keine Chance für die Übernahme selbst kleinerer leitender Positionen hätten.
Das Gespräch mit Honecker am 6. 3. 1978 verfolgte auch das Ziel, diese Mißstände abzustellen; jedoch haben kirchliche Sprecher deutlich gemacht, daß sie dafür nur eine Chance sehen, wenn die betroffenen Christen ihre Rechte konkret einfordern. Mit einer „freiwilligen Toleranz“ seitens der zuständigen Staatsorgane sei nicht zu rechnen.
Die K. in der DDR unterhalten mehr als 100 eigene Ausbildungsstätten. Die evangelischen K. verfügen über 3 wissenschaftlich-theologische Einrichtungen für das Vollstudium der Theologie, die die staatlichen Sektionen ergänzen. Es gibt auf das Studium vorbereitende Seminare, und die Ausbildung von Kindergärtnerinnen, Krankenschwestern und anderen, die im kirchlichen Rahmen berufstätig werden, ist in eigenen Einrichtungen möglich.
Noch geringer als die Beteiligung am kirchlichen Unterricht ist naturgemäß die Beteiligung von Jugendlichen an den Jungen Gemeinden. Jedoch ist die kirchliche Jugendarbeit nicht zum Erliegen gekommen, sondern übt auf bestimmte Kreise erhebliche Anziehungskraft aus. Sichtbar wird das bei größeren Wochenendzusammenkünften, zu denen meist mehrere tausend Teilnehmer kommen, und in zahlreichen Bibelrüstzeiten während der Ferien.
Für Erwachsene und Jugendliche spielen u. a. die K.-Tage in der DDR eine Rolle, die in jedem Sommer für bestimmte Regionen veranstaltet werden und Fragen des christlichen Lebens in der sozialistischen Gesellschaft behandeln. 1978 kamen bei den K.-Tagen in Leipzig, Erfurt und Stralsund fast 100.000 Christen zusammen - mit organisatorischer Unterstützung staatlicher Organe.
Neuerdings sind auch Ansätze zu einer offenen Jugendarbeit der K. mit „problematischen Jugendlichen“ zu beobachten, die von den örtlichen Behörden toleriert wird.
Aufgaben kirchlicher Erwachsenenbildung übernehmen weiter die Evangelischen Akademien z. B. in Berlin (Ost) und Meißen und die vom K.-Bund zentral vorbereiteten Gemeindeseminare.
Eine begrenzte Öffentlichkeit wird durch die konfessionelle Presse hergestellt. Es gibt neben einem Evangelischen Nachrichtendienst in der DDR 5 evangelische Wochenblätter. Im Bereich der katholischen K. erscheinen 2 solcher Blätter, mehrere Frei-K. haben Monatsblätter. Wichtigste evangelische Monatsschrift ist „Die Zeichen der Zeit“. Die der CDU nahestehende evangelische Monatsschrift „Standpunkt“, die die früheren Zeitschriften „Evangelisches Pfarrerblatt“ und „Glaube und Gewissen“ abgelöst hat. erscheint mit deutlich politischer Ausrichtung. Katholisches Pendant zum „Standpunkt“ ist die „Begegnung“. Die konfessionellen Buchverlage (vor allem die Evangelische Verlagsanstalt Berlin [Ost]) und der katholische St.-Benno-Verlag Leipzig) legen jährlich ein umfangreiches Titelangebot vor. Der staatliche Rundfunk der DDR sendet sonntäglich eine kirchliche Morgenfeier. der in der Regel ein kirchenpolitischer Kommentar folgt.
Zusätzlich zu der in kirchlicher Verantwortung laufenden Gottesdienstsendung wurden dem evangelischen K.-Bund durch Honecker ab Frühjahr 1978 monatlich eine 15-Minuten-Sendung mit kirchlichen Informationen über den Sender „Stimme der DDR“ (jeden letzten Samstag im Monat um 7.45 Uhr) sowie 5 oder 6 Sendetermine im Zweiten Fernsehprogramm eingeräumt, für deren inhaltliche Ausgestaltung ebenfalls kirchliche Beauftragte verantwortlich sind.
Eigene, von denen der Politik der SED-Führung deutlich abweichende oder sie kritisierende Standpunkte können die K. in der DDR in diesen Sendungen jedoch nicht und in der kircheneigenen Presse nur andeutungsweise vortragen. Dies ist nur auf kircheninternen Informationswegen sowie durch Dokumentationen von öffentlichen Synoden und in Mitteilungen in den Gottesdiensten möglich.
Die Anerkennung des Rechts auf eigenständige gesellschaftspolitische Mitarbeit im Juni 1978 mag dazu geführt haben, daß die Behörden der DDR auf Versuche verzichteten, mit Restriktionsmaßnahmen auf die Verlesung eines Kanzelwortes zu reagieren, in dem sich der K.-Bund mit der vorgesehenen Einführung eines obligatorischen Wehrkundeunterrichts in den allgemeinbildenden Schulen für 14- und 15jährige kritisch-ablehnend auseinandersetzte.
[S. 596]Hauptfeld staatlich anerkannter und eingeplanter gesellschaftlicher Arbeit der K. sind die evangelische Diakonie und die katholische Caritas, die eine innerhalb des sowjetischen Einflußbereichs einzigartige, von christlichen Prinzipien getragene soziale Tätigkeit entfalten können.
Von bewußtseinsbildender Bedeutung ist auch die ökumenische Wirksamkeit der K. in der DDR. Es bestehen zahlreiche evangelisch-katholische Arbeitskreise bis hin zu gemeinsamen Pfarrkonferenzen. Mit staatlicher Förderung konnte der evangelische K.-Bund seine internationalen Beziehungen ausweiten. Er nimmt die Mitgliedschaftsrechte der Landes-K. u. a. im Ökumenischen Rat der K. wahr und ist bemüht, die Themen der Weltchristenheit in das Bewußtsein der Gemeinden in der DDR zu tragen und umgekehrt. Gleichzeitig konnten die bilateralen Beziehungen zu K. im östlichen wie im westlichen Europa ausgebaut werden. Zu einer begrenzten Normalisierung ist es auch im Verhältnis zu den in der EKD zusammengeschlossenen K. in der Bundesrepublik Deutschland gekommen. Anläßlich von Synoden finden wechselseitig offizielle Besuche statt. Die ökumenische Beteiligung ermöglicht es den K. in der DDR, sich z. B. mit Fragen der Menschenrechte auf breiterer Grundlage zu beschäftigen, als es allein innerstaatlich möglich wäre. Weil er das Anti-Rassismus-Programm des Weltkirchenrats als beispielhaftes Eintreten für Menschenrechte ansieht, hat sich der K.-Bund der DDR hinter diese Aktivität gestellt. Freiwillige Spenden von mehr als 1,5 Mill. Mark wurden dafür aufgebracht. Große Summen werden außerdem über die Sammlung „Brot für die Welt“ und die entsprechende katholische Sammlungsaktion „Not in der Welt“ für Hilfsmaßnahmen in der Dritten Welt aufgebracht. Solche Sammlungen werden, wo es irgend möglich ist, mit Informationsprogrammen und Gemeindeseminaren gekoppelt.
VI. Finanzierung der Kirchen
Die evangelischen Landes-K. und die katholische K. in der DDR erheben von ihren Mitgliedern K.-Steuern. Staatliche Unterlagen für die Besteuerung stehen nicht zur Verfügung, die Zahlung ist freiwillig. Die Steuern werden nach dem Einkommen berechnet. Veröffentlichte Statistiken über das Gesamtaufkommen gibt es nicht. Das K.-Steueraufkommen dürfte, bezogen auf die Mitgliederzahl, weniger als 5 v. H. des Aufkommens in der Bundesrepublik Deutschland erreichen. Weitere Einnahmequellen sind gottesdienstliche Kollekten sowie zweimal jährlich stattfindende Straßensammlungen, eine für den kirchlichen Wiederaufbau, die andere für die Diakonie. Die Leistungen der Krankenhäuser und Heime werden großenteils über die staatlich allgemein festgesetzten Pflegesätze finanziert. Die Investitionen müssen jedoch kirchlich aufgebracht werden. Die K. in der DDR erhalten dafür und für andere Aufgaben beträchtliche Hilfe von den K. in der Bundesrepublik, deren Höhe jedoch niemals öffentlich beziffert worden ist. Die DDR zahlt den K. in Fortsetzung früherer Staatsleistungen jährlich bestimmte Zuschüsse zur Pfarrerbesoldung, jedoch ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs. Die Gehälter der Pfarrer, Katecheten und anderen kirchlichen Mitarbeiter in der DDR liegen erheblich unter denen in der Bundesrepublik Deutschland und auch unter denen vergleichbarer Berufe in der DDR.
Rheinhard Henkys (I., III.-VI.)
Ernst-Alfred Jauch (II.)
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 586–596
Kinder- und Jugendliteratur | A, B, C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U, V, W, Z | Kirchensteuern |