DDR von A-Z, Band 1979

Kriegsverbrecherprozesse (1979)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1985


 

Schon vor der Beendigung des in Nürnberg gegen die Hauptkriegsverbrecher durchgeführten großen Prozesses 1946 waren in der sowjetischen Besatzungszone vor deutschen Gerichten und Sowjetischen Militärtribunalen Verfahren wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durchgeführt worden, die mit Todesurteilen oder Verurteilungen zu langjährigen Freiheitsstrafen endeten. Dies setzte sich nach dem Nürnberger Urteil in vermehrtem Umfang fort (politischem Häftlinge). Einen besonderen Komplex bildeten die in Waldheim durchgeführten Prozesse.

 

Im Jahr 1950 wurden mit der Auflösung der sowjetischen Konzentrationslager etwa 3.500 von den Sowjets inhaftierte Deutsche, denen von den sowjetischen Untersuchungsbehörden die Begehung von oder Teilnahme an Kriegs- oder Naziverbrechen vorgeworfen wurde, an die DDR-Justiz zur Aburteilung übergeben. Die Prozesse fanden in den Monaten April bis Juli 1950 in Waldheim/Sachsen vor 12 Großen und 8 Kleinen Strafkammern statt. Richter. Staatsanwälte und sonstiges Personal waren für diese Aktion besonders ausgesucht worden. Grundlage des Verfahrens bildete in der Regel die deutsche Übersetzung eines in russischer Sprache abgefaßten Protokolls, das die vom Beschuldigten angeblich begangenen Straftaten schilderte. Im Ermittlungsverfahren in Waldheim wurden die Beschuldigten noch einmal vernommen und mußten einen Lebenslauf und eine Vermögenserklärung abgeben. Diese Unterlagen bildeten die Grundlage für die Anklage der Staatsanwaltschaft. Zeugen wurden nicht gehört. Verteidiger waren nicht zugelassen. Am Schluß der Aktion, die unter Leitung von Dr. Hildegard Heinze stand, wurden etwa 10 öffentliche Prozesse gegen Angeklagte durchgeführt, denen berechtigt Straftaten vorgeworfen werden konnten. In allen anderen K. in Waldheim war die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Es ergingen 36 Todesurteile, von denen 24 in der Nacht zum 4. 11. 1950 vollstreckt wurden. Im übrigen wurden Strafen zwischen 6 Jahren Gefängnis und lebenslänglichem Zuchthaus verhängt. Im Herbst 1952 wurde ein Teil der Verurteilten vor Ablauf der Strafzeit entlassen. Weitere Haftentlassungen erfolgten 1954, 1956 und in den folgenden Jahren. Jetzt befindet sich kein Waldheimverurteilter mehr in Strafhaft. Das Kammergericht in Berlin (West) hat in einem Überprüfungsverfahren am 15. 3. 1954 entschieden, daß die in den Waldheimer K. gefällten Urteile wegen der im Verfahren und bei der Urteilsfindung festzustellenden Rechtsverletzungen schlechthin als nichtig, also als Nicht-Urteile angesehen werden müssen (NJW, 1954, H. 50. S. 1901).

 

Der Generalstaatsanwalt der DDR, Josef Streit, hat der Bundesrepublik Deutschland vorgeworfen, beider Verfolgung und Bestrafung deutscher Kriegsverbrecher die „Nürnberger Prinzipien“ und das Völkerrecht zu mißachten. Sie habe nur halb so viele Kriegsverbrecher wie die DDR verurteilt. Streit führte an, daß von Gerichten der DDR bis zum Oktober 1976 12.852 Personen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit abgeurteilt worden seien (horizont Nr. 40/1976, S. 8).


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 619


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.