DDR von A-Z, Band 1979

Kulturelles Erbe (1979)

 

 

Siehe auch die Jahre 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1985


 

Unter KE., seit neuestem als „Kulturerbe“ bezeichnet, versteht die SED „die Gesamtheit von Bindungen, Beziehungen und Ergebnissen der geistigen Produktion vergangener geschichtlicher Epochen“ (Kulturpolitisches Wörterbuch, Berlin[Ost] 1978, S. 386). Seine Bewertung „erfolgt vom Standpunkt seiner praktischen Anwendung durch soziale Gruppen (Klassen. Nationen usw.), durch ganze Generationen und durch neue sozialökonomische Formationen“. Aus dieser Doktrin ergeben sich für die kulturpolitische Praxis sowohl Schwerpunkte als auch Widersprüche.

 

Symptomatisch für diesen konfliktreichen Prozeß ist die Rezeption des KE. der deutschen Vergangenheit. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR hielt die SED-Führung den Anspruch einer einheitlichen deutschen Kulturnation aufrecht, beanspruchte jedoch schon damals das „fortschrittliche Erbe“ für sich und grenzte es von der „imperialistischen Unkultur“ im Westen Deutschlands ab. Zeitlich parallel zur Entwicklung der Formel vom „sozialistischen deutschen Nationalstaat“ verlief die Absage an das gesamtdeutsche KE. Die Propagandisten und Kulturtheoretiker der SED versuchten, spezifische Traditionslinien einer „sozialistischen deutschen Nationalkultur“ herauszuarbeiten. Einzelne Ereignisse der deutschen Geschichte, etwa die Bauernkriege oder progressiv-realistische und sozialistisch-revolutionäre Inhalte der deutschen Literaturgeschichte, sind dabei in direkten Zusammenhang mit der gesellschaftspolitischen Entwicklung der DDR gestellt worden. Dies geschah mit dem Anspruch, „die besten Traditionen der Geschichte und Kultur wieder zum Leben zu erwecken und im Sozialismus zu ihrer eigentlichen Blüte zu führen“. Der Bundesrepublik Deutschland wurde das Recht auf Aneignung und Verwaltung des KE. abgesprochen, die These von der Einheit der deutschen Kultur als „ideologische Konterrevolution“ bezeichnet.

 

Weil sich viele kulturelle Werte der Vergangenheit nicht nahtlos in dieses Konzept einfügen ließen, plädierte die SED-Führung für eine „kritische Aneignung“ des KE. Das bedeutete seine „Überprüfung, Entwicklung und Anwendung je nach den konkreten geschichtlichen Aufgaben der Gegenwart, je nach den objektiven Kriterien des gesellschaftlichen Fortschritts“ (Kulturpolitisches Wörterbuch, Berlin [Ost] 1978, S. 386). Das heißt in der Praxis eine verstärkte Pflege kultureller Werte- und Traditionen auch aus den osteuropäischen sozialistischen Ländern und der Sowjetunion; es hat aber auch die Auseinandersetzung mit früher verpönten oder ignorierten deutschen und ausländischen Kulturgütern (z. B. dem Surrealismus, den Werken Robert Musils) ermöglicht.

 

Seit Anfang/Mitte der 70er Jahre gilt im Rahmen der Pflege des KE. der Denkmalpflege besondere Aufmerksamkeit. Zur Zeit werden an einem Drittel der rd. 30.000 Bau- und Kunstdenkmäler in der DDR Erhaltungs- und Restaurierungsarbeiten vorgenommen. Beispiele für besonders wichtige Vorhaben sind in Berlin (Ost) der Dom, die Charité, der ehemalige Gendarmenmarkt, die Friedrich-Werdersche Kirche, das Hegel-Haus sowie Schloß Rheinsberg (bei Berlin) die Semper-Oper in Dresden sowie die Rekonstruktion zahlreicher historischer Stadtzentren. Denkmalschutz.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 629


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.