DDR von A-Z, Band 1979

Lohnformen und Lohnsystem (1979)

 

 

Siehe auch:

 

I. Realeinkommen und Arbeitseinkommen

 

 

Jedes Einkommen, das die Werktätigen in der DDR erhalten, wird statistisch unter dem Begriff Realeinkommen gefaßt.

 

Teile dieses Realeinkommens sind unabhängig von den individuellen Leistungen der Werktätigen und werden entsprechend den Bedürfnissen über den gesellschaftlichen Konsumtionsfonds verteilt. Hierzu gehören u. a. die Aufwendungen für Bildung, Kultur, Verwaltung, Sicherheit, Gesundheitswesen usw. In der kommunistischen Gesellschaftsformation soll die „Verteilung nach den Bedürfnissen“ alleinige Einkommensform werden.

 

[S. 693]Entsprechend dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte kann im Sozialismus die Verteilung nach den Bedürfnissen noch nicht die umfassende gesellschaftliche Verteilungsform werden: Der weitaus größte Teil des Realeinkommens ist in dieser Phase noch von der Arbeitsleistung abhängig. Dieses Einkommen wird als Arbeitseinkommen bezeichnet, als dasjenige Einkommen, „welches entsprechend der Quantität und Qualität der geleisteten Arbeit vom sozialistischen Staat in Übereinstimmung mit den Erfordernissen der gesellschaftlichen Entwicklung planmäßig zur Verfügung gestellt wird“.

 

Das Niveau des Arbeitseinkommens in der DDR wird demnach von drei Faktoren bestimmt: von der Effektivität der gesellschaftlichen Gesamtarbeit, der Leistung des Betriebes und der Leistung des einzelnen.

 

Das Arbeitseinkommen soll so gestaltet sein, daß jedem einzelnen Berufstätigen der Zusammenhang dieser drei Ebenen sichtbar wird.

 

II. Arbeitseinkommen und Arbeitslohn

 

 

Das Arbeitseinkommen, als Einkommen aus eigener Arbeit, setzt sich zusammen aus dem Arbeitslohn und anderen Beträgen, die mit der Arbeitsleistung der Werktätigen unmittelbar zusammenhängen, aber nicht aus dem Lohnfonds finanziert werden, wie die Prämien und die Zuschläge zur Entlohnung. Als Zuschläge zur Entlohnung werden gefaßt:

 

Zuschläge für Arbeitserschwernisse wie Schmutz, Gefahr, Hitze. Zuschläge für planmäßige Schichtarbeit, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit. Zuschläge für Überstunden;

 

Zusatzlöhne als Entgelt für Zeiträume, in denen keine Arbeitsleistung für den Betrieb erfolgt, so beispielsweise für Erholungsurlaub, Haushaltstag und für die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten;

 

Zuschläge, Zusatzlohn und Lohnausgleich sind Bestandteile des Arbeitslohnes.

 

Zuwendungen, wie Kinder- und Ehegattenzuschläge sowie Weihnachtszuwendungen, die dem Arbeitseinkommen, nicht aber dem Arbeitslohn zugerechnet werden.

 

Bei qualitätsgeminderter Produktion und bei Ausschuß besteht die Möglichkeit von Lohnabzug.

 

Der Arbeitslohn als wichtigster Bestandteil des Arbeitseinkommens bildet die Hauptform der Verteilung nach der Arbeitsleistung. In der materiellen Produktion beträgt der Anteil des Arbeitslohnes am Arbeitseinkommen durchschnittlich 95 v. H. Dem Arbeitslohn werden im wesentlichen zwei sich wechselseitig bedingende Funktionen übertragen:

 

1. als Reproduktionsfaktor der Arbeitskraft,

 

2. als ökonomischer Hebel.

 

Zugleich ist der Arbeitslohn Kostenfaktor der sozialistischen Produktion.

 

Grundbedingung für den Arbeitslohn ist, daß er wenigstens die Reproduktion der Arbeitskraft sichert. Der Lohn, der bestimmt ist durch die Reproduktionskosten bei einfacher Arbeit, wird als Mindestlohn bezeichnet.

 

Der Mindestlohn soll gewährleisten, daß die Werktätigen als Träger der Arbeitskraft sich selbst reproduzieren können, die Ernährung einer Familie und Bildung und Erziehung des Werktätigen gesichert sind.

 

Diese Bedingungen gelten als objektive Faktoren zur Bestimmung des Mindestlohnniveaus. Sie sichern, daß die Werktätigen in dem Umfang mit materiellen Lebensgütern versorgt werden, die die einfache Reproduktion — das Existenzminimum — gewährleistet. Dieses Existenzminimum verändert sich mit dem Wandel in den Lebensbedingungen der werktätigen Bevölkerung.

 

In der DDR herrscht die Meinung, daß unter sozialistischen Produktionsverhältnissen nicht von der einfachen Reproduktion auszugehen ist, sondern von dem „sozialistischen Reproduktionsminimum“. Hierunter wird die „unumgängliche erweiterte Reproduktion“ der Arbeitskraft verstanden, die allein die Herausbildung „allseitig entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten“ gewährleistet.

 

Damit sind die objektiven Faktoren der Reproduktionskosten nicht mehr allein ausschlaggebendes Moment für die Festsetzung des Mindestlohns. Dieser wird vielmehr von dem Niveau der Produktivkräfte und der daraus resultierenden Größe des Konsumtionsfonds bestimmt. Hieraus wird gefolgert. daß mit der Entwicklung der Produktivkräfte der Mindestlohn, ausgehend vom Reproduktionsminimum, kontinuierlich steigt, bis die Verteilung nach den Bedürfnissen möglich sein wird.

 

Während das Existenzminimum von der Notwendigkeit der einfachen Reproduktion bestimmt wird, erfolgt die Festlegung des Mindestlohnes auf der Basis des Entwicklungsstandes der Produktivkräfte, des Niveaus der Arbeitsproduktivität und des Wachstums des Nationaleinkommens.

 

Seit dem 1. Oktober 1976 beträgt der monatliche Mindestbruttolohn 400 Mark (vorher 350 Mark). Der Lohn als ökonomischer Hebel zur Stimulierung der sozialistischen Produktion soll auf eine optimale Übereinstimmung zwischen den „gesellschaftlichen Erfordernissen“ und den „persönlichen materiellen Interessen“ hinwirken. In diesem Zusammenhang soll der Lohn die Werktätigen vor allem zur Steigerung der Arbeitsproduktivität, zur Senkung der Selbstkosten der Betriebe, zu einer optimalen Kapazitätsausnutzung und einer hohen Qualität der Arbeitsausführung stimulieren. Daneben spielt der Lohn als Qualifizierungsanreiz eine wesentliche Rolle, da der Grad der Qualifikation die Lohnhöhe beeinflußt. Von einem gegebenen Gesamtvolumen des Lohnes innerhalb eines bestimmten Zeitraumes ausgehend, ergibt sich allerdings ein gewisser Wider[S. 694]spruch zwischen der Forderung nach Erhöhung des Mindestlohnes und der Forderung nach Stimulierung durch den Lohn. Denn je höher der Mindestlohn ist, desto weniger Lohnmasse kann der Staat als Anreiz für die „materielle Interessiertheit“ einsetzen. Das Verhältnis zwischen dem gesamten Lohnvolumen und dem Teil, der für die Mindestlöhne benötigt wird, ist also nicht beliebig variierbar, wenn die Rolle des Arbeitslohnes als ökonomischer Hebel aufrechterhalten werden soll.

 

III. Tariflohn und Mehrleistungslohn

 

 

Der Arbeitslohn setzt sich zusammen aus dem Tariflohn und dem Mehrleistungslohn. Im Mehrleistungslohn finden die Qualität der Arbeitsausführung und Quantität der Arbeitsleistung Berücksichtigung und werden durch ihn stimuliert. Die Höhe des Tariflohnes wird durch die Qualität der Arbeitsleistung bestimmt. Der Tariflohn ist jener Anteil am Arbeitslohn, der die Reproduktion der Arbeitskraft sichert und zugleich das Interesse an weiterer Qualifizierung anregen soll.

 

Ausgangspunkt des Tariflohnsystems ist der Mindesttariflohn. der für einfache Arbeit gezahlt wird. Dies ergibt sich aus der bereits entwickelten Argumentation. daß bei jeder Entlohnung die Reproduktion und ein dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte entsprechender Lebensstandard gesichert sein muß und der Mindestlohn diese Bedingungen gerade erfüllt. Daß der Mindesttariflohn also gleich dem Mindestlohn sei, ist zumindest theoretisch zutreffend. da nur der Tariflohn gesichertes Einkommen ist und der Mehrleistungslohn von der Arbeitsausführung abhängig, also unbestimmt ist.

 

Das Prinzip der Verteilung nach der Arbeitsleistung erfordert, daß der Tariflohn — aufbauend auf dem Mindesttariflohn — entsprechend den Anforderungen der verschiedenen Tätigkeiten, insbesondere an die Qualifikation und die Verantwortung der Werktätigen, differenziert wird.

 

Die qualitativ unterschiedlichen Arbeitsanforderungen werden durch die Arbeitsklassifizierung berücksichtigt. Mit ihrer Hilfe wird die Anforderung an das Arbeitsvermögen ermittelt und jeweils einer Lohn- bzw. Gehaltsgruppe zugeordnet, denen wiederum unterschiedliche Tariflöhne entsprechen.

 

Die Tarifsätze der einzelnen Beschäftigtengruppen (= Produktionsarbeiter, Meister und Lehrmeister, technische und kaufmännische Angestellte, Wirtschaftler, ingenieur-technisches Personal, nicht in der Produktion Beschäftigte) sind in Tariftabellen zusammengefaßt. Die Tarifsätze aller Tariftabellen sollen entsprechend dem Grad der Arbeitsanforderung in richtigen Proportionen zueinander stehen, damit das Leistungsprinzip nicht verletzt wird. Gegenwärtig ist die Schaffung eines für alle Werktätigen einheitlichen Tarifsystems noch nicht erreicht. Es gibt in der DDR noch Lohndifferenzen, die nicht auf unterschiedlichen Arbeitsanforderungen beruhen:

 

die noch bestehende Differenzierung des Arbeitslohnes nach der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Wirtschaftszweige;

 

die noch bestehende Differenzierung innerhalb der Zweige durch die Anwendung von Betriebsklassen, d. h. Differenzierung in Abhängigkeit von der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Betriebes;

 

Differenzierung der Tarifsätze nach Ortsklassen. Gegenwärtig gibt es noch 2 Ortsklassen, neben Sonderklassen für Schwerpunktobjekte und Großstädte. Ein besonderes Problem sozialistischer Lohnpolitik in der DDR (Kap. VI: Lohnpolitik und Lohnreform) besteht in der Bestimmung eines wirtschaftlich sinnvollen Verhältnisses zwischen Tariflohn und Mehrleistungslohn.

 

In der DDR besteht Einigkeit darüber, daß der Tariflohn den Hauptanteil des Lohnes ausmachen sollte, weil über ihn die Qualität der Arbeitsleistung abgegolten und somit die Werktätigen an der Qualifizierung auch materiell interessiert werden.

 

Grundsätzlich reicht jedoch der Tariflohn zur Bewertung der Arbeitsleistung nicht aus, denn mit ihm können quantitative Leistungsunterschiede — bei gleicher Arbeitsanforderung, d. h. bei qualitativ gleichartiger Arbeit — nicht erfaßt und somit auch nicht materiell ausreichend anerkannt werden.

 

Der Mehrleistungslohn soll den Tariflohn somit dort ergänzen, wo mit diesem die Arbeitsleistung nicht genügend bewertet werden kann, nämlich bei der Beurteilung der Quantität der Arbeitsleistung und der Qualität der Arbeitsausführung.

 

Damit stellt der Mehrleistungslohn das Äquivalent für meßbar unterschiedliche Leistungen dar.

 

Dadurch fungiert der Mehrleistungslohn zugleich als ökonomischer Hebel, der die persönliche materielle Interessiertheit der Werktätigen auf die „Durchsetzung der gesellschaftlichen Erfordernisse zur Erhöhung des Nutzeffekts der Arbeit“ orientieren soll. Von daher ergibt sich die Notwendigkeit, die unterschiedlichen konkreten Produktions- und Arbeitsleistungen im Lohn zu berücksichtigen. Dies geschieht durch den Einsatz verschiedener Lf., über die der Mehrleistungslohn realisiert wird. Durch die Lf. wird festgelegt, „in welchem Maße die auf der Grundlage von Arbeitsnormen und anderen Leistungskennziffern gemessene Arbeitsleistung im Einzelfall lohnmäßig berücksichtigt wird … Je nach den gegebenen Produktionsbedingungen sowie der aus ihnen resultierenden konkreten Art der Arbeitsleistung ergibt sich die entsprechende ökonomisch zweckmäßige Form der Entlohnung“. Zur Bestimmung des Mehrleistungslohnes sind daher Arbeitsnormen (Arbeitsnormung) und andere Leistungskennziffern erforderlich, welche die Maßstäbe für eine differenzierte Entlohnung nach der Quanti[S. 695]tät der Arbeitsleistung und der Qualität der Arbeitsergebnisse setzen.

 

IV. Lohnformen

 

 

Durch die Lf. wird festgelegt, wie die auf der Grundlage von Arbeitsnormen und Leistungskennziffern gemessene Arbeitsleistung im Lohn berücksichtigt und hierdurch der Mehrleistungslohn realisiert wird. Mit Hilfe der Arbeitsnormen und Kennziffern ist es möglich, auf dem Tariflohn aufbauend diejenige Lf. zu finden, die den gegebenen Verhältnissen, also den jeweiligen speziellen Betriebsbedingungen, am besten angepaßt ist. Infolgedessen können die Betriebe selbst über die Ausarbeitung und Festlegung ökonomisch zweckmäßiger Lf. entscheiden (vgl.: Arbeitsgesetzbuch der DDR [AGB] vom 16. 6. 1977. § 103, 17). Die möglichen Varianten der Entlohnung lassen sich auf 2 Grund-Lf. zurückführen: den Zeitlohn und den Stücklohn.

 

Beim Stücklohn ist die Lohnhöhe abhängig vom Tarifsatz und vom Arbeitszeitaufwand für die Produktion eines bestimmten Erzeugnisses. Die Arbeitsleistung wird also direkt anhand der erzielten Arbeitsergebnisse berücksichtigt. Der Mehrleistungslohn, der sich in diesem Falle prozentual im selben Verhältnis entwickelt wie die Normerfüllung, ist einseitig an mengenmäßigen Arbeitsergebnissen orientiert. Seine Anwendung ist daher wirtschaftlich nur vertretbar, wenn der Zeitaufwand exakt meßbar und entscheidendes Kriterium ist, wenn für die Qualität des Erzeugnisses keine weitere Kennziffer benötigt wird und die Senkung des Arbeitszeitaufwandes pro Erzeugnis der wichtigste variable Faktor ist. Um bei dieser Form der Entlohnung ungerechtfertigte Lohnsteigerungen zu unterbinden, wird hierbei besonders auf die Einhaltung des Grundsatzes „Neue Technik - Neue Normen“ geachtet.

 

Eine Weiterentwicklung des einfachen Stücklohnes ist der Prämienstücklohn. Da in diesem Fall der aufgrund des mengenmäßigen Arbeitsergebnisses erarbeitete Mehrleistungslohn durch den Erfüllungsgrad qualitativer Kennziffern ergänzt wird, ist eine rein mengenmäßige Leistungsorientierung nicht mehr möglich. Die bei dieser Lf. angewendeten qualitativen Kennziffern können u. a. die Qualität des Erzeugnisses, den Materialverbrauch oder die Kapazitätsausnutzung berücksichtigen.

 

Um jedoch diese Lf. nicht zu kompliziert zu gestalten und den Zusammenhang zwischen Lohn und Leistung für die Werktätigen transparent zu halten, sollten nur 2, höchstens 3 Kennziffern Anwendung finden (vgl.: Arbeitsgesetzbuch der DDR vom 16. 6. 1977, § 103,2).

 

Beim Zeitlohn ist die Lohnhöhe abhängig vom Tarifsatz und der geleisteten Arbeitszeit. Die Arbeitsergebnisse werden nicht direkt berücksichtigt, wobei allerdings vorausgesetzt wird, daß die mit der Arbeitsaufgabe verbundene Leistung quantitativ und qualitativ ständig erbracht wird. Dafür stellt der Tariflohn als Ausdruck der Arbeitsanforderung das entsprechende Äquivalent dar. Zwar sind auch hier Leistungsunterschiede möglich, die im Rahmen der „Von-Bis-Spannen“ der Gehälter abgegolten werden können, aber grundsätzlich ist der materielle Anreiz zur Verbesserung der Arbeitsergebnisse unzureichend. Daher wird der Zeitlohn nur dort angewendet, wo keine meßbaren Leistungskennziffern eingesetzt werden können bzw. ihre Anwendung zu aufwendig ist.

 

Der Prämienzeitlohn, bei dem der einfache Zeitlohn durch ein Prämiensystem ergänzt wird, findet dort seine zweckmäßige Anwendung, wo mengenmäßige Ergebnisse nicht unmittelbar beeinflußt werden können bzw. nicht exakt meßbar sind, aber andere, das materielle Interesse stimulierende Bedingungen gegeben sind, d. h. wo der Arbeiter kaum Einfluß auf den Arbeitszeitaufwand, wohl aber auf die Qualität seiner Produkte und den Materialverbrauch nehmen kann. Mit fortschreitender Mechanisierung und Automatisierung gewinnt diese Lf. wachsende Bedeutung. Grundsätzlich gibt es in der Praxis keine starre Abgrenzung zwischen den einzelnen Lf.; besonders zwischen dem Prämienzeitlohn und dem Prämienstücklohn sind die Grenzen fließend.

 

Eine Unterscheidung der Lf. auf einer ganz anderen Ebene ergibt sich aus ihrer individuellen bzw. kollektiven Anwendung. Bei der individuellen Entlohnung ist die Arbeitsaufgabe eine individuell erfaßbare und abrechenbare Größe. Kollektive Entlohnung bedeutet, daß der Lohn für eine Gruppe von Arbeitskräften in Abhängigkeit von der kollektiven Leistung berechnet wird und die Lohnhöhe des einzelnen sich aus dem Tarifsatz entsprechend seiner Lohngruppe, aus seiner geleisteten Arbeitszeit und aus der Erfüllung der Normen und Kennziffern durch das Kollektiv ergibt. Seine Anwendung kann aus technologischen (Zusammenarbeit an einer Maschine) oder wirtschaftlichen Gründen (Schnellreparatur) notwendig sein. Der Anwendungsbereich dieser kollektiven Lf. wird sich mit der technischen Entwicklung vergrößern.

 

Ein Mangel dieser Lf. war, daß individuelle Leistungsunterschiede innerhalb des Kollektivs kaum Berücksichtigung finden konnten und so die Möglichkeit ungerechtfertigter Gleichbezahlung bestand. Um dem vorzubeugen, hat das neue Arbeitsgesetzbuch (AGB) der DDR festgelegt, daß, wenn einzelne Kollektivmitglieder durch herausragende Leistungen einen besonders hohen Anteil an der Leistung des Kollektivs erringen, der Betriebsleiter nach Beratung im Kollektiv die Lohnhöhe der Mitglieder des Kollektivs nach ihrem persönlichen Anteil an der kollektiven Leistung festlegen kann (AGB § 108).

 

Eine kollektive Lf., die zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist der Prämienlohn nach Plannormen. Er [S. 696]verbindet unmittelbar zwei wesentliche Faktoren, die persönliche materielle Interessiertheit mit der Erfüllung der Planaufgaben. Seine Anwendung setzt die Aufschlüsselung des betrieblichen Produktionsplanes voraus.

 

Wichtigste Grundlage sind die TAN (Technischen Arbeitsnormen, Normung), die für jeden Arbeitsgang unter Einbeziehung von gegebenen Leistungskennziffern (u. a. Kapazitätsausnutzung, Qualität) ermittelt werden müssen. Aus der Zusammenfassung der Einzelnormen aller Arbeitsgänge, die in einem Arbeitsbereich vorkommen, werden sogenannte Komplexnormen je Erzeugnis festgelegt, die sodann, multipliziert mit der nach Plan anzufertigenden Menge (Erzeugnismenge), die Plannorm ergeben. Diese Plannorm ist somit die in Arbeitsstunden und in Naturaleinheiten ausgedrückte Planaufgabe für ein Kollektiv. Die Höhe des Mehrleistungslohnes des Kollektivs mißt sich an der Erfüllung der Plannormen und der anderen (qualitativen) Kennziffern. Ausgehend von diesem kollektiv erarbeiteten Mehrleistungslohn wird der individuelle Anteil jedes Werktätigen entsprechend seiner Leistung festgelegt.

 

Das AGB hat ferner gesetzlich geregelt, daß die Ausarbeitung der anzuwendenden Lf. mit den Werktätigen gemeinsam erfolgt. Lf. und Termin ihrer Einführung werden allerdings zwischen dem Betriebsleiter und der zuständigen Betrieblichen Gewerkschaftsleitung vereinbart (AGB § 104,1).

 

Der Termin der Einführung einer neuen Lf. oder einer Lf.-Veränderung ist den Werktätigen mindestens 2 Wochen vorher bekanntzugeben. Gleichzeitig ist der Betrieb verpflichtet, den Werktätigen Inhalt und Auswirkung der Lf. zu erläutern und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sie unter den neuen Bedingungen bei gleicher Leistung nicht weniger als bisher verdienen (AGB § 105,1). Dieser Passus steht zumindest insofern im Konflikt mit § 104,1, als er es möglich erscheinen läßt, daß die Ausarbeitung einer neuen Lf. unabhängig von den Wünschen und Bedürfnissen der Belegschaften, „von oben“ durchgesetzt werden kann. Diese Vermutung wird noch dadurch erhärtet, daß bei Lf.-Veränderungen ein Anspruch auf den Durchschnittslohn lediglich bei Fristverletzung gemäß § 105 Abs. 1 besteht (AGB § 105,2).

 

V. Prämie

 

 

Neben dem Arbeitslohn bilden die Prämien den zweiten wichtigen Teil des Arbeitseinkommens. Die Prämie soll die Funktion des Arbeitslohns ergänzen und das persönliche materielle Interesse an der Durchsetzung der ökonomischen Gesetze und der Erfüllung wichtiger gesellschaftlicher Aufgaben verstärken. Dies soll geschehen, indem die Prämie — beweglicher und variabler als der Lohn — nicht nur auf die individuelle Leistung der Werktätigen bezogen ist, sondern auch von dem Arbeitsergebnis des II gesamten Betriebskollektivs abhängt. Damit sind die II unterschiedlichen Funktionen von Lohn und Prämie ein Ausdruck der individuellen und der kollektiven Verantwortung, die die Werktätigen im Betrieb tragen.

 

Die Prämie wird in ihrer absoluten betrieblichen Höhe direkt vom Gesamtergebnis des Betriebes, seinem Nettogewinn, bestimmt und im Prämienfonds zusammengefaßt. Seine Mittel dienen ausschließlich der Prämiierung.

 

Seit dem Jahr 1967 ist die Jahresendprämie Hauptform der Prämiierung. Neben ihr werden aus dem Prämienfonds gezahlt:

 

Prämien für hervorragende Initiativleistungen im Sozialistischen Wettbewerb. Hierzu zählen die vorbildliche Erfüllung der Wettbewerbsziele, die Anwendung neuer Arbeitsmethoden, erfolgreiche Teilnahmen an der Neuererbewegung, aber auch Spitzenleistungen in Forschung und Entwicklung; auftragsgebundene Prämien, mit denen Kollektive an der Lösung bestimmter Aufgabenkomplexe materiell interessiert werden sollen. Diese Prämienform wird in der DDR erst seit 1969 angewandt.

 

Durch die Abhängigkeit der Jahresendprämie vom Betriebsergebnis und der Konzentration der Fondsmittel auf sie wird die Leistung des einzelnen Werktätigen unmittelbar mit der Leistung des Betriebskollektivs verbunden.

 

Um die Wirksamkeit der Jahresendprämie als ökonomischem Hebel zu gewährleisten, muß sie in einer bestimmten Mindesthöhe gezahlt werden, da zu geringe Prämien keine stimulierende Wirkung mehr ausüben. Aus diesem Grunde kann jeder Betrieb sie nur dann an seine Angehörigen auszahlen, wenn die Höhe der Prämienfonds die Zahlung von mindestens einem Drittel eines Monatsverdienstes für jeden ermöglicht und zudem eine leistungsgerechte Differenzierung der Prämie gewährleistet ist. Um diese Differenzierung zu erreichen, sind den Kollektiven und den einzelnen Werktätigen aus dem Jahresplan abgeleitete Leistungskriterien vorgegeben.

 

Auf dieser Grundlage erfolgt die Bestimmung der Jahresendprämie für jeden Werktätigen in drei Schritten:

 

Ausgangspunkt ist das Betriebsergebnis, das die Höhe des Prämienfonds bestimmt und von entscheidendem Einfluß auf die individuelle Prämienhöhe ist.

 

Den einzelnen Bereichen und Abteilungen des Betriebes werden ihre Prämienmittel entsprechend der erreichten Leistungen zugeteilt.

 

Innerhalb der Bereiche und Abteilungen werden die Prämien entsprechend der unterschiedlichen individuellen Leistungen differenziert (AGB § 116,3).

 

Die Jahresendprämie findet ihre obere Begrenzung im Zweifachen eines Monatsgehalts im Jahresdurchschnitt. Hiermit sollen Disproportionen und durch [S. 697]Leistung nicht gerechtfertigte Einkommensunterschiede vermieden werden.

 

Die in einem Betrieb angewandten Prämienformen sowie die Prämienbedingungen sind, dem AGB der DDR entsprechend, im Betriebskollektivvertrag zu vereinbaren (AGB § 116,2).

 

Über die Gewährung von Prämien und deren Höhe entscheidet der Betriebsleiter mit Zustimmung der zuständigen betrieblichen Gewerkschaftsleitung nach Beratung im Arbeitskollektiv (AGB § 116,3).

 

VI. Lohnpolitik und Lohnreform

 

 

Die in den Betrieben der DDR praktizierte Lohnpolitik unterschied sich jahrelang beträchtlich von dem von der SED-Führung angestrebten Zustand. Wie in der Bundesrepublik Deutschland wirken auch in der DDR die Gewerkschaften aktiv an der Gestaltung des Lohn- und Tarifvertragssystems mit. Gleichwohl ist in der DDR der Einfluß des Staates auf die Lohnpolitik ungleich größer:

 

Grundsätzliche Fragen der Entwicklung und Gestaltung des Lohn- und Tarifvertragssystems werden vom Ministerrat in Übereinstimmung mit dem Bundesvorstand des FDGB beschlossen. Auf dieser Grundlage wird die Gestaltung der Tariflöhne von den wirtschaftsleitenden Organen unter Mitwirkung der zuständigen Gewerkschaftsorgane in Rahmenkollektivverträgen geregelt.

 

Aufgabe der Lohnpolitik ist es, den Lohnfonds, der in den Plänen für die gesamte Volkswirtschaft bis hin zu den einzelnen Betrieben und Institutionen festgelegt ist, so einzusetzen, daß er den wachstumspolitischen Zielen entspricht.

 

Im einzelnen sollen eine Erhöhung der Arbeitsleistung, Hebung des Qualifikationsniveaus, Lenkung der Arbeitskräfte mit Hilfe der Lohnpolitik erreicht werden. Dazu bedient man sich der Materiellen Interessiertheit der Arbeitnehmer. Das Streben nach einem höheren Lebensstandard soll durch die Differenzierung der Löhne und Gehälter nach Leistung, Anforderung und volkswirtschaftlicher Bedeutung der Wirtschaftszweige in die gewünschten Bahnen gelenkt werden.

 

Das z. T. noch praktizierte, konzeptionell aber bereits überwundene Ls. kann diese Aufgaben nur unvollkommen erfüllen: In zahlreichen Betrieben haben sich nicht leistungsbedingte Unterschiede im Lohn herausgebildet; zudem wird qualifizierte Arbeit oft schlechter als nichtqualifizierte entlohnt.

 

Lohnerhöhungen haben sich vor allem bei den Produktionsarbeitern über den Mehrleistungslohn vollzogen. Der Anteil des Tariflohns am Arbeitseinkommen beträgt durchschnittlich nur noch ca. 50 v. H., in einigen Betrieben noch weniger. Dadurch sind die Wirkungsmöglichkeiten des Tarifsystems als Steuerungsinstrument weitgehend eingeschränkt. Weil der Mehrleistungslohn kaum noch in Abhängigkeit von der Erfüllung der Norm als quasi fester Lohnbestandteil ausgezahlt wird, verhindert er eine leistungsgerechte Entlohnung, wenn — wie vielfach beobachtet — Arbeitsproduktivitätssteigerungen nicht durch Normkorrekturen berücksichtigt werden. Außerdem werden die vorwiegend an den Tarifen ausgerichteten Löhne in Bereichen, in denen eine Leistungsmessung schwer möglich ist, benachteiligt. Häufig werden davon höher Qualifizierte (z. B. Meister, Techniker) betroffen. Die Ausweitung des Mehrlohnanteils steht somit der Bereitschaft zu höherer Qualifizierung entgegen. Eine weitere unerwünschte Folge dieser Entwicklung ist die Fluktuation aus Bereichen mit geringerem Mehrlohnanteil (z. B. Handel, Dienstleistungen) in solche mit hohem Mehrleistungsanteil.

 

Der Ministerrat der DDR sah sich deshalb veranlaßt, seine Lohnpolitik zu überprüfen. Auf dem 8. Bundeskongreß des FDGB 1972 wurden Änderungen angekündigt, die entsprechend dem „Gemeinsamen Beschluß des Zentralkomitees der SED, des Bundesvorstandes des FDGB und des Ministerrates der DDR über die weitere planmäßige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen im Zeitraum 1976–1980 vom 27. 5. 1976“ für 1,5 Mill. Produktionsarbeiter der Industrie, des Bauwesens und anderer Bereiche der Volkswirtschaft im Verlauf des Planjahrfünfts Wirklichkeit werden sollen: Für diese Arbeiter werden in Verbindung mit der Wissenschaftlichen ➝Arbeitsorganisation (WAO) neue Grundlöhne eingeführt.

 

Die eingeleiteten lohnpolitischen Veränderungen sehen im Kern eine Anhebung des Tariflohnanteils am Bruttolohn auf 70 bis 80 v. H. vor. Wesentliche Teile des bisherigen Mehrleistungslohnes sollen also in den Tariflohn eingehen. Die Neufestsetzung des Tariflohnes (jetzt Grundlohn genannt) erfolgt auf der Grundlage einer Klassifizierung der formalen Qualifikation sowie der Bewertung der Anforderungen einschließlich der Verantwortung am zu bewertenden Arbeitsplatz.

 

Der gegenwärtig (1978) 80 v. H. an der gesamten Bruttolohnsumme betragende Grundlohn wird bei einer Normerfüllung von 100 v. H. voll bezahlt. Wird die Norm von 100 v. H. nicht erfüllt, erfolgen Abzüge vom Grundlohn in Relation zur tatsächlich erbrachten Leistung. Die Anbindung des neuen Grundlohnes an individuell oder kollektiv beeinflußbare Kennziffern ist ein wesentliches Element der neuen Lohngestaltung.

 

Diese unmittelbare Koppelung des Grundlohnes an die Erfüllung technisch begründeter, zumeist quantitativer Arbeitsnormen wird ihre Wirkung vor allem deshalb nicht verfehlen, weil sich die Über- bzw. Untererfüllung der vorgegebenen Normen im Lohn sehr viel drastischer auswirkt als bisher, da der erhöhte Grundlohnanteil die Bezugsbasis seiner Berechnung darstellt. Erst bei der Normübererfüllung [S. 698]entsteht für den Arbeiter ein Anspruch auf Mehrleistungslohn. Das Kennziffernsystem für den Mehrleistungslohn ist zugleich über die bloß quantitative Normerfüllung hinaus erweitert worden. So gibt es Mehrlohnanteile für Qualitätsarbeit und für die produktive Nutzung der Arbeitszeit.

 

Die Mehrlohnanteile für Qualitätsarbeit und produktive Nutzung der Arbeitszeitkommen zur Auszahlung, wenn die Vorgaben mit 100 v. H. erfüllt werden. Bei Übererfüllung erhöhen, bei Untererfüllung reduzieren sich diese Beträge im Verhältnis zur erbrachten Leistung. Sie entfallen, wenn die festgelegten Mindestanforderungen nicht erfüllt werden.

 

Jürgen Straßburger


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 692–698


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.