DDR von A-Z, Band 1979

Militärpolitik (1979)

 

 

Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1985

 

Im Selbstverständnis der DDR ist M. die Politik, die der Sicherung und Verwirklichung der Interessen der Arbeiterklasse und ihrer Partei sowie des Staates mit militärischen Mitteln dient. Darin unterscheidet sie sich von der Sicherheitspolitik, soweit diese die äußere Sicherheit betrifft.

 

1. Ideologische Grundlagen

 

Als sozialistische M. beruht sie auf dem Marxismus-Leninismus, insbesondere auf der Lehre vom Klassenkampf, der Lehre vom sozialistischen Staat, der Lehre von der sozialistischen Revolution, der Lehre vom Krieg und den Streitkräften und vor allem auf der Lehre von der Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes. Der Klassenkampf als Folge des Antagonismus der Klassen hat für die M. auch nach dem Verschwinden des Klassenkampfes in den sozialistischen Staaten Bedeutung, weil ersieh durch das Gegenüberstehen von sozialistischen und kapitalistischen Staaten im Weltmaßstab entwickelt. Sein wichtigstes Ziel ist, u. a. durch die militärische Stärkung der sozialistischen Staaten, einen Beitrag zur Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses zugunsten des Sozialismus zu schaffen. Dazu gehört auch die militärische Unterstützung („antiimperialistische Solidarität“) von Befreiungsbewegungen und sozialistischen Regimen in außereuropäischen Ländern. Die gegenwärtige Hauptform des Klassenkampfes ist der ideologische; er nimmt erst dann militärische Formen an, wenn eine andere Möglichkeit zur Abwehr der „aggressiven Politik des Imperialismus“ nicht mehr möglich ist.

 

Gemäß der Lehre vom Krieg, wie sie von Lenin entwickelt wurde, wäre eine derartige Auseinandersetzung für die sozialistischen Staaten ein „gerechter“ Krieg, da sein Ziel, die Vernichtung des Imperialismus, mit den Zielen der revolutionären Arbeiterbewegung übereinstimmen würde. Als ungerechte Kriege werden in diesem Verständnis solche betrachtet, die diesen Zielen zuwiderlaufen. In seiner Charakterisierung des Krieges und seiner politischen Dimension griff Lenin auch auf die Thesen von Clausewitz zurück. Die Ansichten der vorleninistischen Klassiker des Marxismus-Leninismus über die Streitkräfte bzw. die Rolle des bewaffneten Volksheeres wurden relativiert: Heute sei ein stehendes Heer nach dem Prinzip der Kaderarmee notwendig, d. h. ein ständig vorhandener Bestand an Angehörigen der Streitkräfte, die politisch und militärisch zur Ausübung von Führungsfunktionen geeignet sind, während das Gros der Streitkräfte aus Wehrpflichtigen besteht.

 

Unter den „gerechten“ Kriegen nimmt der Krieg zur Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes eine besondere Stellung ein; denn diese Lehre, die als ein allgemeingültiges Gesetz des Aufbaus von Sozialismus und Kommunismus bezeichnet wird, begründet die Verteidigung als internationale und kollektive Angelegenheit aller sozialistischen Staaten. Diese Auffassung hat u. a. zur ideologischen Begründung von multilateralen und bilateralen Beistandsverträgen gedient.

 

Die Lehre von der Verteidigung beinhaltet auch die durch die M. zu verwirklichende moralische Komponente, da es nach ihr notwendig ist, einen Soldaten mit hohen kommunistischen Idealen, Treue zur Partei und zum ganzen Volk sowie zur Bereitschaft, alle Kräfte und Fähigkeiten für den Schutz der Interessen der sozialistischen Staatengemeinschaft einzusetzen, zu erziehen. Dieses Ziel, das auch für die Ge[S. 725]staltung der Wehrmoral als Aufgabe der sozialistischen Wehrerziehung gilt, ist im Fahneneid der Nationalen Volksarmee verankert.

 

II. Politische Grundlagen

 

 

Die ideologische Basis der M. spiegelt sich in der jeweiligen politischen Begründung ihrer Ziele und Maßnahmen wider. Diese sind im Militärprogramm der SED, in der Militärdoktrin und in aktuellen Beschlüssen zur M. der Partei- und Staatsführung zu finden. Das Militärprogramm der SED enthält die von der Partei formulierten militärpolitischen Grundsätze und Ziele. Seine einzelnen Bestandteile bilden bestimmte Schlußfolgerungen, die aus der Einschätzung der internationalen Lage, dem Charakter der möglichen Kriege und der Erkenntnisse der Militärwissenschaften gezogen werden. Es enthält ferner Aussagen zu Problemen der Herstellung der Verteidigungsbereitschaft, zu Bündnisverpflichtungen und über die Einstellung zum angenommenen Gegner und seine militärischen Kräfte sowie die allgemeinen Festlegungen der militärpolitischen Aufgaben und Ziele und die grundlegenden Prinzipien der Wehrerziehung.

 

Das Militärprogramm beruht z. T. auf der Militärdoktrin. Die Militärdoktrin ist nicht festgeschrieben, sondern wird den jeweiligen politischen, militärstrategischen und rüstungstechnischen Bedingungen entsprechend formuliert. Sie umfaßt eine politisch-soziale und eine militärisch-technische Komponente. Erstere enthält die Aussagen über den politischen Charakter des zukünftigen möglichen Krieges, seine politische Zielsetzung und die Prinzipien seiner Führung sowie die politische Funktion der Streitkräfte. Die militärisch-technische Komponente enthält die Grundzüge für die Vorbereitung der Streitkräfte, der Bevölkerung und des ganzen Landes auf den Krieg und die im Kriegsfall zu erfüllenden Aufgaben in den einzelnen Bereichen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Diese Festlegungen schlagen sich in gesetzlichen Vorschriften, militärischen Befehlen und den Führungsprinzipien der Streitkräfte nieder. Die Vorbereitung und Durchführung des Krieges sowie seiner einzelnen strategischen Operationen gehören zum Bereich der Militärstrategie.

 

Die DDR hat keine eigene nationale Militärdoktrin entwickelt; gemäß ihrer internationalistischen M. ist für sie die einheitliche Militärdoktrin der Warschauer Vertragsstaaten, die auf der sowjetischen Militärdoktrin beruht, verbindlich. Eine militärische Konfrontation der beiden deutschen Staaten wird nicht als Besonderheit gewertet, da davon ausgegangen wird, daß dieser Krieg ein Krieg des „Imperialismus“ gegen den „Sozialismus“ sei und der Kampf Deutscher gegen Deutsche daher kein wesentliches politisches Merkmal eines möglichen Krieges sein könne, zumal dieser für die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland Merkmale eines nationalen Befreiungskriegs annehmen würde.

 

III. Entwicklung der Militärpolitik

 

 

Eine eigenständige und durch nationale Besonderheiten gekennzeichnete M. der DDR gibt es im engeren Sinne erst seit 1952 bzw. 1955. Zwar gab es seit 1948 den Aufbau von Einheiten der Kasernierten Volkspolizei (KVP); auch Verbände der Grenztruppen der DDR und der Transportpolizei wurden frühzeitig aufgestellt. Zweifellos wurden damit erste militärpolitische Überlegungen der SED-Führung realisiert. Aber ihre Entstehung war das Ergebnis sowjetischer Politik; ihre Bewaffnung, Stärke und Führungsgrundsätze ließen sie als vornehmlich für Polizeiaufgaben geeignet erscheinen. Erst mit dem Aufbau der Nationalen Streitkräfte wurde 1952 versucht, den Grundstock für eine nach militärischen Prinzipien organisierte Streitkraft zu schaffen. Die Rolle der „Nationalen Streitkräfte“, mit denen die Einheiten der KVP gemeint waren, wurde auf der II. Parteikonferenz der SED (1952) definiert. Sie sollten sowohl die Grundlagen des Staates stärken als auch den Willen zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands verkörpern.

 

Die Erfahrungen der folgenden Jahre, insbesondere des Jahres 1953, veranlaßte die SED, ihre M. nicht nur auf die KVP auszurichten, sondern die Bereitschaft zur Verteidigung der DDR unter den Bürgern durch gezielte militärpropagandistische Arbeit zu verstärken, die militärische Basis durch die Gründung der Kampfgruppen zu verbreiten und die Arbeit der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) auf die Propagierung des Wehrdienstes zu konzentrieren. Die politisch-ideologische Arbeit in der KVP sollte sie als Machtsicherungsinstrument im Sinne der SED stabilisieren. Es gelang, wenn auch unter Schwierigkeiten, mit der Entwicklung der KVP den Grundstock für die NVA zu schaffen. Die NVA wurde 1956 gegründet. Die Mehrzahl der Offiziere entstammte der Arbeiterklasse und war fachlich kaum geschult. Personelle Schwierigkeiten gab es auch im Bereich der Unterführer und Mannschaften, da das Prinzip der Freiwilligkeit einen planmäßigen personellen Ausbau der Armee beträchtlich erschwerte. Diese Schwierigkeiten wurden durch die Einführung der Wehrpflicht 1962 beseitigt, während die fachliche Ausbildung der Angehörigen der NVA durch intensive Beratungstätigkeit sowjetischer Offiziere sowie den Ausbau der Ausbildungsinstitutionen verbessert wurde.

 

Neben dem Auf- und Ausbau der NVA und deren Einbeziehung in die Streitkräfte des Warschauer Vertrags galt die M. der SED den anderen bewaffneten Kräften. Dazu zählen die Bereitschaften der VP, die Transportpolizei, die Einheiten des Ministeriums für Staatssicherheit, die Grenztruppen (bis 1961 [S. 726]Deutsche Grenzpolizei, von 1961 bis 1974 in die NVA eingegliedert, seither keine Teilstreitkraft der NVA mehr) und die Kampfgruppen. Seit 1958 zählt auch der Luft- und Katastrophenschutz als Teilbereich der M. der SED. Das Ziel der M. bestand darin, alle diese Bereiche personell und materiell zu stärken und zu einem umfassenden, gut organisierten System der militärischen Sicherung zu entwickeln.

 

Die Eingliederung der NVA in die Vereinigten Streitkräfte des Warschauer Paktes wurde seit 1961 durch eine Reihe von Manövern mit sowjetischen Truppen und Stäben, aber auch Verbänden anderer Vertragsstaaten forciert. Nur unzureichend gelang es jedoch, die Wehrbereitschaft in der Bevölkerung zu fördern. Das Verteidigungsgesetz vom September 1961 bildete die staatsrechtliche Grundlage für den Aufbau einer Landesverteidigung, nachdem bereits im Februar 1960 zur einheitlichen Leitung dieser Politik auf der zentralen staatlichen Ebene der Nationale Verteidigungsrat der DDR gegründet worden war.

 

Das Verteidigungsgesetz bezeichnet den Dienst in der NVA, den anderen bewaffneten Organen und im Luftschutz als Dienst zum Schutz der DDR. Es enthält alle Bestimmungen zur Durchführung der Verteidigungsmaßnahmen und der Erfüllung der Bündnisverpflichtungen in Friedens- wie in Kriegszeiten. Das im Januar 1962 erlassene Wehrpflichtgesetz wurde von einer Reihe weiterer Maßnahmen zum Ausbau der Streitkräfte begleitet: Anordnungen des Nationalen Verteidigungsrates regelten die Erfassung und Musterung von Wehrpflichtigen, den Reservistenstatus und die Förderungsmaßnahmen für aus dem aktiven Wehrdienst entlassene Soldaten; eine Dienstlaufbahnordnung wurde erlassen und ein „Militärstrafgesetz“ verkündet. Mit diesem Gesetz und der im April 1963 folgenden „Militärgerichtsordnung“ wurden die Voraussetzungen für die Militärgerichtsbarkeit geschaffen. Eine im März 1963 erlassene „Lieferordnung“ (letzte Fassung 1975, GBl. I. S. 689) bildete die gesetzliche Grundlage für die Sicherung des militärischen Bedarfs der Streitkräfte durch die Volkswirtschaft der DDR; die Mehrzahl der Rüstungslieferungen erfolgte und erfolgt aus der Sowjetunion. 1964 war die Ausrüstung der NVA mit der Erstausstattung abgeschlossen; die M. der SED hatte ihr Ziel, eine kampfkräftige Armee aufzubauen, erreicht. Die Integration der NVA in die Streitkräfte des Warschauer Vertrags, die ab 1961/62 verstärkt wurde, führte 1965 zur Eingliederung der mobilen Teile in die „erste strategische Staffel“. Das bedeutete nicht nur die militärische Anerkennung durch die Sowjetunion, sondern auch, daß die DDR nunmehr einen erhöhten militärischen Beitrag im Rahmen des Warschauer Vertrags leisten mußte.

 

Seit dem 3. Kongreß der GST im August 1964 wurde auch eine verstärkte wehrpolitische Agitation unter der Jugend durch die GST eingeleitet, um für die Führungsstellen ausreichenden Nachwuchs an Freiwilligen zu erhalten und durch die Mitarbeit in der GST die vormilitärische Ausbildung zu fördern. Festigung und Entwicklung der sozialistischen Wehrmoral, Förderung der politischen Arbeit in der NVA und intensive Vorbereitungen zur Schaffung eines Systems der Landesverteidigung bestimmten die M. der SED bis 1968. Die Beteiligung an der militärischen Intervention in der ČSSR war aus ihrer Sicht konsequent, denn sie bedeutete die Abwehr einer für ihre Politik gefährlichen Entwicklung. Die Aktion im August 1968 wurde auch als Bestätigung der M. der SED und der NVA als eines voll einsatzbereiten militärischen Instruments gewertet.

 

1968/69 wurde mit dem Aufbau eines Zivilverteidigungssystems begonnen. Die gesetzliche Grundlage dazu bildet das „Gesetz über die Zivilverteidigung“ vom September 1970. Damit war die Voraussetzung für den umfassenden Aufbau eines Landesverteidigungssystems in der DDR als Aufgabe der M. der SED gegeben.

 

IV. Die gegenwärtige Gestaltung der Militärpolitik

 

 

Im Selbstverständnis der SED hat ihre M. internationalistischen Charakter, da die Verteidigung der Warschauer Vertragsstaaten kollektiv durch alle Länder des Bündnisses erfolgt. Die SED ist bemüht, die nationalen Voraussetzungen für die Erfüllung der Bündnisverpflichtungen zu schaffen. Im militärischen Bereich bedeutet dies, nachdem seit 1972 keine Manöver der Vereinten Streitkräfte mit Beteiligung der NVA mehr stattgefunden haben (1969: „Oder-Neiße“, 1970: „Waffenbrüderschaft“, 1971: „Herbststurm“, 1972: „Schild 72“), daß die Zusammenarbeit von Einheiten der NVA und der Sowjetarmee intensiviert wurde. Gestiegen ist der Anteil der DDR an den rüstungswirtschaftlichen Kosten.

 

Der zentrale Punkt der gegenwärtigen M. der SED ist die „unablässige Stärkung der Verteidigungsbereitschaft“ (Erich Honecker) als „eine entscheidende Garantie dafür, den Frieden dauerhaft zu sichern und günstige Bedingungen für die weitere Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und die Schaffung grundlegender Voraussetzungen für den Übergang zum Kommunismus zu gewährleisten“.

 

Kernstück des Landesverteidigungssystems ist die Nationale Volksarmee; sie hat den Auftrag, die Grenzen des Territoriums der DDR und der anderen sozialistischen Staaten gemeinsam mit der Sowjetarmee und den Streitkräften des Warschauer Vertrags zu schützen. Dies gilt vor allem für die mobilen Truppen und Verbände der NVA, die in die Vereinten Streitkräfte integriert sind. Die Grenztruppen [S. 727]der DDR zählen nicht zur NVA; sie sind aber ebenso dem Kern der Landesverteidigung zuzurechnen. Einen weiteren Bereich bilden die bewaffneten Kräfte, die Aufgaben der inneren Sicherheit erfüllen und bei der Vorbereitung und Durchführung von Kampfhandlungen im Falle eines militärischen Konflikts den regulären Streitkräften Unterstützungsfunktionen leisten. Dies gilt in bestimmtem Maße auch für die Einheiten des Ministeriums für Staatssicherheit. Einen weiteren Bereich der Landesverteidigung stellen die Institutionen und Einrichtungen dar, die sowohl der Aus- und Weiterbildung als auch der militärwissenschaftlichen Arbeit dienen. Dazu gehören z. B. die Militärakademie „Friedrich Engels“ der NVA in Dresden, die Offiziershochschulen der Teilstreitkräfte und der Grenztruppen, die Hochschule der Deutschen Volkspolizei in Berlin (Ost), aber auch andere Institutionen, wie das Militärgeschichtliche Institut der DDR, das einen Beitrag zur Traditionspflege der NVA leisten sowie Militärpropaganda betreiben soll. In diesem Zusammenhang hat es die Aufgabe. Informationen über die M. der Bundesrepublik Deutschland zu sammeln und aufzubereiten und durch Veröffentlichungen über den Gegner und dessen politisch-militärische Maßnahmen die militärwissenschaftliche, -propagandistische und -politische Arbeit zu unterstützen.

 

Einen weiteren Teil der sozialistischen Landesverteidigung bildet die Zivilverteidigung. Sie ist ein eigenständiger Bereich und gehört nicht zu den Streitkräften und den anderen bewaffneten Organen und verfügt über eine eigene Dienstlaufbahnordnung sowie ein eigenes Dienstverhältnis der Offiziere und Unteroffiziere. Ihre zentralen Aufgaben sind weiterhin der Luftschutz und der Katastrophenschutz. Die Unterstellung der Zivilverteidigung unter das Ministerium für Nationale Verteidigung (vorher war sie dem Ministerium des Innern zugeordnet) bedeutet, daß die DDR sich dem Verfahren der übrigen sozialistischen Staaten angeschlossen hat. Seit dem 1. 1. 1978 gilt eine neue Dienstlaufbahnordnung für die Zivilverteidigung, die die Grundlage für die Rekrutierung, Ausbildung und den Einsatz von Kadern mit politischen, staatsrechtlichen und Spezialkenntnissen darstellt (GBl. I, 1977, S. 365). Die Angehörigen der Zivilverteidigung haben einen ehrenamtlichen Status, der Dienst kann als Wehrersatzdienst geleistet werden. Mit dieser Vorschrift hat man die Grundlage dafür geschaffen, daß im Fall eines Einsatzes in geringerem Umfang auch wehrpflichtige Bürger einberufen werden können, um den Schutz der Bevölkerung und der Volkswirtschaft zu gewährleisten.

 

Auch die Organisationen und Institutionen, die mit der sozialistischen Wehrerziehung befaßt sind, gehören zur sozialistischen Landesverteidigung, im weiteren Sinn auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK), sofern es Aufgaben im Rahmen der Zivilverteidigung wahrnimmt. Zur ökonomischen Sicherung der Landesverteidigung werden bereits in Friedenszeiten auf internationalem wie nationalem Gebiet eine Reihe von Maßnahmen getroffen, die Bestandteil der nationalen Wirtschaftsplanung sind (militärischer Bedarf der NVA und anderer Bereiche der Landesverteidigung, militärökonomische Integration, Rüstungsforschung und -entwicklung, Ausbau des militärischen Transport- und Sicherungswesens).

 

Nach der Interpretation der internationalen Lage durch die SED wird die Entspannung ständig durch vermeintliche Aggressivität des Monopolkapitalismus bedroht bzw. kann nur, solange keine militärische Entspannung durch Abrüstung eintritt, durch weitere Stärkung der sozialistischen Staatengemeinschaft erreicht werden. Die Partei sieht daher keinen Anlaß, ihre militärpolitischen Maßnahmen abzuschwächen oder den weiteren Ausbau der Landesverteidigung zu vernachlässigen. Die behauptete Permanenz der Bedrohung durch den Imperialismus dient der SED als Grund, von den Streitkräften wie von der Bevölkerung weiterhin alle Anstrengungen zur Erfüllung der militärpolitischen Aufgaben zu verlangen.

 

In jüngster Zeit stößt die SED besonders unter der jüngeren Bevölkerung auf Widerspruch bzw. es machen sich Erscheinungen der Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Propaganda von der Gefährlichkeit des Gegners breit. Sie wendet sich gegen diese Erscheinungen und bekämpft vor allem die Auffassung in der Bevölkerung, daß angesichts der behaupteten Stärke des sozialistischen Lagers und der ständigen Erfolge in der Sicherheitspolitik die sozialistischen Staaten als Zeichen guten Willens als erste einen Beitrag zur Abrüstung leisten könnten. Sie wehrt sich auch gegen den Vorwurf, daß ihre M. den Militarismus in der DDR fördere, indem z. B. durch die sozialistische Wehrerziehung militärische Normen einen hohen Stellenwert im Erziehungsprozeß erhielten, durch Rüstung der Volkswirtschaft Mittel für die Steigerung des Verbrauchsgüterangebots entzogen werden, militärische Kategorien im politischen Entscheidungsprozeß eine zu große Bedeutung hätten und der Ausbau des militärischen Bereichs zum Verzicht auf gesellschaftspolitische Reformen führe. Militarismus, so die SED, sei in sozialistischen Gesellschaften nicht möglich und mit deren Wesen unvereinbar, da er sich nur auf der Basis der kapitalistischen Eigentumsordnung entwickele und Kriterium des aggressiven Imperialismus sei.

 

Diese Argumentation bezieht sich auf einen spezifischen Begriff des Militarismus, der keine Allgemeingültigkeit besitzt. Sie befreit die SED nicht von der Tatsache, daß ihre M. zu einer partiellen Militarisierung der DDR-Gesellschaft führt.

 

Gero Neugebauer


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 724–727


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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