
Ministerium für Staatssicherheit (1979)
Siehe auch:
„Zentrales staatliches Organ des Ministerrats der DDR zur Organisation der Abwehr und Bekämpfung konterrevolutionärer Anschläge auf die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung in der DDR“ („Militärlexikon“, Berlin (Ost) 1971, S. 269). Durch Gesetz vom 8. 2. 1950 (GBl., S. 95) wurde die nach Gründung der DDR im Ministerium des Innern gebildete „Hauptverwaltung Schutz der Volkswirtschaft“ verselbständigt zum MfS. Dieses Ministerium war nach dem Juni-Aufstand im Jahre 1953 in ein dem Min. des Innern unterstehendes Staatssekretariat umgewandelt worden, bis es am 24. 11. 1955 unter Ernst Wollweber (SED) wieder zum Ministerium erklärt wurde. Seit 1. 11. 1957 ist Erich Mielke, Mitglied des Politbüros der SED, Minister, seit 1959 im militärischen Rang eines Generalobersten. Erster stellv. Minister ist Generalleutnant Bruno Beater (SED). Weitere Stellv. Minister sind Generalmajor Rudolf Mittig und Generalleutnant Markus Wolf (SED). [S. 737]Letzterer leitet die wichtige Hauptverwaltung Aufklärung.
Unter der zusammenfassenden Bezeichnung Staatssicherheitsdienst wird die Zentrale des MfS. mit den in den Bezirken und Kreisen bestehenden Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen, den Beauftragten in den Großbetrieben und Strafanstalten sowie den Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten des 4.000 Mann starken Wachregiments verstanden, das seit dem 15. 12. 1967 den Namen des Begründers der sowjetischen Geheimpolizei Tscheka, Feliks Dzierzynski, trägt. Die Zentrale befindet sich in Berlin-Lichtenberg. Offizielle Angaben über Aufbau und Gliederung des MfS. werden nicht gemacht. Mit einigem Vorbehalt kann über die Gliederung gesagt werden:
In der Hauptverwaltung „Sicherung“ (Abwehr) sind diejenigen Aufgaben zusammengefaßt, die „zur allseitigen Stärkung des Sozialismus, zur rechtzeitigen Aufklärung und konsequenten Verhinderung aller gegen den Sozialismus gerichteten feindlichen Pläne und Absichten“ („Neues Deutschland“ vom 16. 2. 1974) erfüllt werden müssen. Es bestehen dort die Hauptabt. bzw. Abt. „Sicherung der Streitkräfte“, „Abwehr westlicher Nachrichtendienste“ (Nachrichtendienste sozialistischer Staaten sind nicht abzuwehren, denn von dort kann der Natur der Sache nach Spionage nicht begangen werden; Staatsverbrechen Ziff. 2a), „Sicherung der Wirtschaft“, „Bekämpfung von Untergrundorganisationen und verdächtigen Vereinigungen“, „Sicherung der Forschung“, „Sicherung der Deutschen Volkspolizei“, „Verkehrssicherung“ und „Personenschutz“ (PS): Schutz hoher Staats- und Parteifunktionäre.
Das Haupttätigkeitsfeld dieser Hauptverwaltung mit ihren 8 operativen Hauptabteilungen ist die DDR selbst. Die Dienststellen des MfS. unterhalten ein weitverzweigtes, alle staatlichen und gesellschaftlichen Bereiche umspannendes Spitzelsystem, das ideologisch mit der notwendigen „politischen Wachsamkeit gegenüber den Feinden der Arbeiterklasse“ begründet wird. Die Spitzel heißen Geheime Informanten (Gl) oder Geheime Mitarbeiter (GM). Über ihre Beobachtungen haben sie regelmäßig Berichte zu erstatten, die sie mit ihren Decknamen unterzeichnen müssen. Nach den Arbeitsrichtlinien des SSD sollen nach Möglichkeit nur solche Personen als Gl verwendet werden, denen die Bevölkerung wegen ihrer dienstlichen oder parteipolitischen Tätigkeit nicht mit besonderer Zurückhaltung begegnet. Spitzel werden entweder durch Überzeugung auf „materieller Basis“ oder unter Druck angeworben und verpflichtet.
Die Postüberwachung wird durch die in den größeren Postämtern eingerichteten Kontrollstellen („Stelle 12“) des MfS. durchgeführt.
Den Untersuchungsorganen des MfS. obliegt in den wichtigen politischen Strafsachen das Ermittlungsverfahren. Sie verfügen über eigene Gefängnisse in Berlin (Ost) und allen Bezirkshauptstädten der DDR. Wenn auch die im Ermittlungsverfahren bis 1954 festgestellten Vernehmungsmethoden des MfS. (Licht-, Wasser- und Kältezellen, Verpflegungsentzug, schwere Mißhandlungen) selten geworden sind, werden doch immer wieder Einzelheiten über mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbarende Vernehmungspraktiken der Untersuchungsorgane des MfS. bekannt (Strafverfahren).
Der unter Leitung von Generallt. Markus Wolf — Sohn des Dramatikers Friedrich Wolf und Bruder des langjährigen Präsidenten der Akademie der Künste, Konrad Wolf — stehenden Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) obliegt die offensive Tätigkeit des MfS., der Einsatz „sozialistischer Kundschafter an der unsichtbaren Front“ (E. Mielke, „Einheit“, Nr. 1/1975, S. 43 ff.). Gemeint ist die vorwiegend gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtete Spionage- und Subversionstätigkeit des MfS., das sich dabei auf sog. Residenturen (Spionageköpfe innerhalb und außerhalb der DDR) und Agenten stützt. Eine selbständige spezielle Abteilung ist die in Berlin-Johannisthal, Großberliner Damm 101, befindliche Abt. 21 mit dem Aufgabengebiet „Sicherheitsüberprüfung und Rückführungen“. Sie war 1960 als Folge der sich häufenden Übertritte hauptamtlichen MfS.-Personals in den Westen gebildet worden. Sie soll vorbeugende Sicherheitsmaßnahmen für alle hauptamtlichen MfS.-Mitarbeiter ergreifen und etwaige Flüchtlinge aus den Reihen des MfS. im Westen aufspüren und notfalls unter Gewaltanwendung in die DDR zurückholen.
In den 50er Jahren hielten es SED und Staatssicherheitsdienst offenbar für notwendig, bestimmte Personen, die als Gegner der SED in der Bundesrepublik Deutschland oder in Berlin (West) aktiv in Organisationen oder als Journalisten tätig waren oder die aus besonders wichtigen Funktionen in den Westen geflüchtet waren, mit Hilfe gedungener krimineller Elemente gewaltsam oder mittels Täuschung oder durch List in die DDR zu verschleppen. Die dabei angewandten Methoden reichten bis zur Giftbeibringung und zum Überfall auf offener Straße. Die Polizei in Berlin (West) hat seit Herbst 1949 295 Fälle von Entführungen aus Berlin (West) registriert, darunter 87 gewaltsam begangene Menschenraub-Verbrechen und 208 durch List inszenierte Entführungen; in weiteren 81 Fällen blieb es beim Versuch.
Besonders krasse Fälle waren: Dr. Walter Linse, Leiter der Abt. Wirtschaftsrecht im Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen, 1952 auf der Straße überfallen, vom Staatssicherheitsdienst an die sowjetischen Behörden übergeben und in die Sowjetunion transportiert, inzwischen für tot erklärt; Journalist Alfred Weiland, 1950 auf der Straße überfallen, inzwischen nach Berlin (West) zurückgekehrt; Journalist Karl-Wilhelm Fricke, 1955 durch Giftbeibringung in einer fremden Wohnung, inzwischen in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt; der ehemalige SSD-Kommissar Silvester Murau, 1955 mit Hilfe der eigenen Tochter durch Betäubung aus der Bundesrepublik Deutschland verschleppt, vermutlich zum Tode verurteilt und hingerichtet; der ehemalige Inspekteur (General) der Volkspolizei Robert Bialek, 1956 unter Giftbeibringung in einer fremden Wohnung, tot (in der Haft verstorben oder hinge[S. 738]richtet); Dr. Erwin Neumann, Leiter der Abt. Wirtschaft im Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen, 1958 beim Segeln auf dem Wannsee in Berlin (West) überfallen und verschleppt. Einige der im Auftrag des SSD tätigen Verbrecher wurden gefaßt und vom Landgericht in Berlin (West) zu z. T. langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.
Die Personalstärke des MfS. in Berlin-Lichtenberg wird auf 1500 Offiziere und Unteroffiziere und ca. 1.600 Zivilangestellte geschätzt, die Zahl der Offiziere, Unteroffiziere und Zivilangestellten des Staatssicherheitsdienstes insgesamt auf 17.000 (ohne Wachregiment).
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 736–738
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