
Moral, Sozialistische (1979)
Siehe auch:
Im Verständnis des Marxismus-Leninismus eine Form des Gesellschaftlichen ➝Bewußtseins, häufig auch als die Gesamtheit der sittlichen Normen und Werte bezeichnet, von denen sich Menschen in ihrem praktischen Verhalten zueinander leiten lassen. Die Normen und Werte sind von den real-historischen gesellschaftlichen Verhältnissen abhängig und spiegeln diese wider. Es gibt deshalb nach dieser Auffassung keine ewig geltenden Sittengesetze. Vielmehr besteht die Funktion jeder Moral darin, durch Verhaltensprinzipien, durch soziale Normen und Werte auf die Entscheidungen und das Verhalten der Menschen — und damit der gesellschaftlich-politischen Verhältnisse — im Interesse bestimmter gesellschaftlicher Klassen einzuwirken.
Entsprechend den antagonistischen Widersprüchen zwischen kapitalistischen und sozialistischen Gesellschaftssystemen habe auch die SM. Klassencharakter. Lenin setzte der bürgerlich-kapitalistischen Moral die SM. entgegen und behauptete: „Alles, was notwendig ist, um die alte Gesellschaftsordnung der Ausbeuter zu vernichten und die Vereinigung des Proletariats herbeizuführen, ist moralisch.“ Dem entspricht die Erklärung der SED: „Nur der handelt sittlich und wahrhaft menschlich, der sich aktiv für den Sieg des Sozialismus einsetzt.“ Die Arbeiterklasse entwickle bereits in der kapitalistischen Gesellschaft die proletarische Moral (im Gegensatz zur bürgerlichen Moral); diese werde später — nach dem Sieg der sozialistischen Revolution — zur Grundlage der SM., die ihrerseits eine qualitativ neue Moral darstelle. Das revolutionäre Proletariat habe eine neue Moral hervorgebracht, deren Hauptmerkmal in der wissenschaftlichen Einsicht in die weltgeschichtliche Rolle der Arbeiterklasse bestände.
Nach Auffassung der SED müssen die grundlegenden Normen der SM. „tief“ im Denken und Handeln der Menschen in der DDR „verankert“ werden. Im Prozeß der Herausbildung der politisch-moralischen Einheit des Volkes werde die Moral der Arbeiterklasse nach und nach zur Moral aller Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft der DDR.
Bereits seit den 50er Jahren bemüht sich die SED um die Kodifizierung der Prinzipien für die Erziehung des „neuen sozialistischen Menschen“. So konnte Ulbricht auf dem V. Parteitag der SED (1958) die folgenden „Zehn Gebote der sozialistischen Moral“ verkünden:
1. Du sollst dich stets für die internationale Solidarität der Arbeiterklasse und aller Werktätigen sowie für die unverbrüchliche Verbundenheit aller sozialistischen Länder einsetzen.
2. Du sollst dein Vaterland lieben und stets bereit sein, [S. 744]deine ganze Kraft und Fähigkeit für die Verteidigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht einzusetzen.
3. Du sollst helfen, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beseitigen.
4. Du sollst gute Taten für den Sozialismus vollbringen, denn der Sozialismus führt zu einem besseren Leben für alle Werktätigen.
5. Du sollst beim Aufbau des Sozialismus im Geiste der gegenseitigen Hilfe und der kameradschaftlichen Zusammenarbeit handeln, das Kollektiv achten und seine Kritik beherzigen.
6. Du sollst das Volkseigentum schützen und mehren.
7. Du sollst nach Verbesserung deiner Leistungen streben, sparsam sein und die sozialistische Arbeitsdisziplin festigen.
8. Du sollst deine Kinder im Geiste des Friedens und des Sozialismus zu allseitig gebildeten, charakterfesten und körperlich gestählten Menschen erziehen.
9. Du sollst sauber und anständig leben und deine Familie achten.
10. Du sollst Solidarität mit den um ihre nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben.
Die inhaltlichen Akzente der SM. haben sich im Lauf der Jahre immer wieder verschoben. Nachdem Chruschtschow die neue Generallinie im Sinn des wirtschaftlichen Konkurrenzkampfes mit dem Westen festgelegt hatte (Friedliche Koexistenz), wurde die Einstellung zur Arbeit das Hauptkriterium der SM. Diese Vorstellung wurde jedoch bald erweitert; gegenwärtig ist der wichtigste Gradmesser für den Stand der SM. die Beteiligung des einzelnen an der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Dies schließt auch die Entwicklung eines sozialistischen ➝Staatsbewußtseins ein. Der marxistisch-leninistischen Soziologie und Empirischen Sozialforschung ist die Aufgabe gestellt, die Entwicklungsprobleme bei der Herausbildung der SM. zu lösen sowie die sozialistischen Normen der DDR-Gesellschaft in individuelle Verhaltensweisen bei verschiedenen sozialen Gruppen und Schichten umsetzen zu helfen. Feiern, Sozialistische; Hausgemeinschaften; Jugendweihe; Marxismus-Leninismus; Wohnbezirk.
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 743–744