DDR von A-Z, Band 1979

Parteitag/Parteikonferenz (1979)

 

 

Siehe auch:


 

Der Pt. der SED ist gemäß Statut das höchste Organ der Partei. Nach der Statutenänderung vom Juni 1971 tritt er turnusmäßig alle 5 Jahre zusammen. Seit 1950 haben, mit Ausnahme der Zeitspanne vom V. zum VI. Pt., 1958–1963, alle 4 Jahre ordentliche SED-Pt. stattgefunden. Außerordentliche Pt. können vom Zentralkomitee auf dessen Initiative oder auf Verlangen von mehr als einem Drittel der Parteimitglieder innerhalb einer Frist von 2 Monaten einberufen werden. Sollte sich das Zentralkomitee diesem Verlangen entgegenstellen, so hätten die Parteiorganisationen, die einen außerordentlichen Pt. fordern, das Recht, ein Organisationskomitee zu bilden, an das die Vorbereitungsrechte und -pflichten, die sonst dem ZK obliegen, übergehen. (Bisher hat es noch keinen außerordentlichen Pt. gegeben.)

 

Angesichts der Prinzipien des Demokratischen Zentralismus, des Fraktionsverbots und des Prinzips der „Einheit und Reinheit der Partei“ dürfte es unmöglich sein, einen Pt. gegen den Willen der Parteiführung einzuberufen oder durchzuführen. Pt. haben eine Tagesordnung, die mit der Einberufung des Pt. mindestens 8 Wochen vor dem Tagungstermin bekanntgegeben werden muß.

 

Der Schlüssel für die Wahlen der Parteitags-Delegierten durch die Bezirksdelegiertenkonferenzen wird vorher vom ZK festgelegt. Die Delegierten werden vom ZK- Apparat sorgfältig ausgesucht (dabei spielt der ZK-Sekretär für Parteiorgane eine entscheidende Rolle) und in geheimer Abstimmung auf den Delegiertenkonferenzen gewählt. Pt. sind formal nur beschlußfähig, wenn die Hälfte aller Parteimitglieder durch Delegierte vertreten ist.

 

Um den Pt. durchzuführen, wählen die Delegierten zu Beginn: a) das Präsidium des Pt. (dies ist eine reine Formalität und dient der Ehrung verdienstvoller Funktionäre; die Wahl erfolgt en bloc und dauert wenige Minuten); b) das Pt.-Sekretariat zur tatsächlichen Leitung des organisatorischen und technischen Pt.-Ablaufs; c) die Mandatsprüfungskommission, deren Aufgabe es ist, die Anwesenheit der Delegierten, die Beschlußfähigkeit des Pt. und die Gültigkeit der Mandate zu prüfen; d) die Wahlkommission, die die Wahlakte leitet; e) weitere Kommissionen (wie Redaktionskommission, Antragskommission, die von Fall zu Fall eingesetzt werden).

 

Die Funktionen des Pt. sind:

  • a) Entgegennahme und Diskussion des Rechenschaftsberichtes des ZK, der Revisionskommission und anderer Führungsgremien;
  • b) Beschlußfassung über programmatische und statuarische Grundfragen (Generallinie);
  • c) Diskussion der Strategie und Taktik der Partei in der Innen- und Außenpolitik für die Periode bis zum nächsten Pt., Billigung der Linie der Führung;
  • d) Festlegung der Wirtschaftspolitik für die nächsten Jahre (z. B. Beschluß über die Direktive des Fünfjahrplans);
  • e) Erklärung zu aktuellen internationalen Problemen (Chile, Nahost, usw.);
  • f) informelles Gipfeltreffen führender Vertreter der kommunistischen Weltbewegung;
  • g) Wahl des Zentralkomitees (nicht aber des Politbüros oder des Sekretariats) und der Zentralen Revisionskommission. Die Wahlen sind geheim.

 

[S. 791]Von besonderer Bedeutung ist die Teilnahme der Spitzenfunktionäre der Warschauer-Pakt-Staaten, insbesondere des Generalsekretärs der KPdSU. Pt. sollen gesellschaftspolitische „Höhepunkte“ im Leben der Menschen der DDR darstellen. Sie dienen der Selbstdarstellung der Partei und ihrer Führung („Heerschau des Sozialismus“), sind Anlaß von Mobilisierungs- und Selbstverpflichtungskampagnen, die der politischen Bewußtseinsbildung und der Steigerung der Arbeitsproduktivität, also den Planübererfüllungen auch der Nichtparteimitglieder, dienen sollen.

 

Oftmals erfüllten Pt. nur den Zweck der nachträglichen Legitimation bereits getroffener Entscheidungen des Zentralkomitees oder des Politbüros. Jedoch hat die Verkündung der jeweiligen „Generallinie“ der Partei auf den Pt. insofern gesamtgesellschaftliche Bedeutung, als hiervon nicht nur der Parteiapparat, sondern — in den sozialistischen Ländern — die Entwicklung in allen gesellschaftspolitischen Bereichen unmittelbar beeinflußt wird. Auf die vorherige Festlegung der auf den Pt. vertretenen „Generallinie“ im Politbüro bzw. ZK hat in den letzten Jahren vielfach der im Staatsapparat (z. B. der Staatlichen Plankommission) vertretene Sachverstand Einfluß gewonnen. Darüber hinaus dienen die Pt. der Parteiführung auch dazu, die Anpassung der „Generallinie“ an die jeweilige Politik der KPdSU vor einer breiteren Öffentlichkeit darzustellen und zu erläutern.

 

Zwischen den Pt. können auch Pk. einberufen werden: Auf den bisher veranstalteten 3 Pk. erfolgten stets Änderungen der Generallinie bzw. der Führungsstruktur der SED. Pk. können vom ZK zwischen den Pt. einberufen werden, wenn wichtige Fragen der Strategie und Taktik der Partei eine Antwort erfordern, wie das in den Jahren 1949, 1952 und 1956 der Fall war.

 

Nach Punkt 47 des 5. Statuts der SED von 1976 bestehen die Funktionen der Pk. in:

  • a) der Behandlung und Beschlußfassung zu dringenden Fragen der Politik und Taktik der Partei;
  • b) der Abberufung von Mitgliedern und Kandidaten des ZK und der Zentralen Revisionskommission;
  • c) der Berufung neuer Mitglieder aus den Reihen der Kandidaten sowie der Wahl neuer Kandidaten für das ZK und für die Zentrale Revisionskommission.

 

Das Statut schreibt vor, daß die Beschlüsse der Pk. vom ZK zu bestätigen sind und für alle Parteiorganisationen verbindlichen Charakter tragen. Ausgenommen hiervon sind Beschlüsse über die Abberufung von Mitgliedern des ZK und der Zentralen Revisionskommission sowie über die Wahl neuer Kandidaten des ZK und der Zentralen Revisionskommission. Wahlmodus und Delegiertenschlüssel für die Pk. werden vom ZK festgelegt. Die Pt. und Pk. werden vom Apparat des ZK gründlich vorbereitet. Die Delegierten und die zu wählenden Funktionsträger des Pt. werden vorher von den Abteilungen des ZK ausgesucht und vom Sekretär für Parteiorgane bestätigt. Da es keine Gruppenbildungen in der SED geben darf, sind oppositionelle Äußerungen von öffentlichen Sitzungen nicht bekanntgeworden. Die dort verlesenen Reden und Diskussionsbeiträge enthalten aber gelegentlich Nuancen, die es einem aufmerksamen Beobachter erlauben, auf die Existenz unterschiedlicher Meinungen innerhalb der Partei zu schließen. Die Wahlen und Beschlußfassungen erfolgen stets einstimmig.

 

I. Parteitag (21.–22. 4. 1946):

 

Vereinigung von SPD und KPD (Vereinigungsparteitag); Verabschiedung der „Grundsätze und Ziele“ der SED und des 1. Statuts; Verkündung eines Manifestes an das deutsche Volk; Wahl der paritätisch besetzten Führungsgremien.

 

II. Parteitag (20.–24. 9. 1947):

 

Manifest des II. Parteitages an das deutsche Volk (Forderung nach Volksentscheid für Deutschland als demokratischen Einheitsstaat; schnelle Vorbereitungen für die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung); Entschließungen zur politischen Lage, zur Frauen- und zur Jugendfrage; Festhalten an paritätischer Besetzung der Leitungsorgane, Wiederwahl der gemeinsam amtierenden Vorsitzenden Pieck und Grotewohl.

 

1. Parteikonferenz (25.–28. 1. 1949):

 

Entschließung über die nächsten Aufgaben der SED (westdeutsche Staatsgründung verhindern, eigene Ordnung stärken, Planwirtschaft und Wirtschaftsleitung ausbauen, sowjetische Erfahrung überall anwenden; politische Erziehung im Geiste des Marxismus-Leninismus verstärken, straffe Parteidisziplin einhalten); Manifest an das gesamte schaffende deutsche Volk (Zusammenschluß aller deutschen Patrioten, schnelle Bildung einer gesamtdeutschen Regierung aus allen Parteien und Massenorganisationen, Friedensvertrag, Abzug aller Besatzungsmächte); Bestätigung des Beschlusses der 13. (27. 7.) Parteivorstands-(PV-)Tagung (15./16. 9. 1948) über die Bildung der Zentralen Parteikontrollkommissionen (ZPKK) und PKK sowie des Beschlusses der 16. (30.) PV-Tagung (24. 1. 1949) über die Bildung des Politbüros, über die Abschaffung der Parität und die Einführung der Kandidatenzeit für neu eingetretene Genossen.

 

III. Parteitag (20.–24. 7. 1950):

 

Billigung des Fünfjahrplan-Entwurfs; Annahme des 2. SED-Statuts; Beschluß über die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der SED; weitere Ausprägung der Prinzipien einer „Partei neuen Typs“; Umwandlung des Parteivorstands in das ZK.

 

2. Parteikonferenz (9.–12. 7. 1952):

 

Beschluß des planmäßigen Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus durch verschärften Klassenkampf; Vorschlag, neue Gesetze über die Umgestaltung des Staats- und Verwaltungsaufbaus verabschieden zu lassen; Beschluß, bewaffnete Streitkräfte zu schaffen; Beginn der Landwirtschafts-Kollektivierung; Angriffe gegen Tito, Slansky, Gomulka.

 

IV. Parteitag (30. 3.–6. 4. 1954):

 

Verabschiedung des 3. Statuts der SED; BPO (Betriebsparteiorganisationen) erhalten das Recht der Kontrolle über die Betriebsleitungen in allen Volkseigenen Betrieben; Bildung von kollektiven Büros in Bezirks- und Kreisleitungen; Dokument „Der Weg zur Lösung der Lebensfragen der deutschen Nation“ (Ak[S. 792]tionseinheit von Arbeiterklasse und Bürgertum, um in Westdeutschland EWG- und Generalvertrag zu verhindern, statt dessen militärisch neutrales und abgerüstetes Deutschland ohne „Macht des Großkapitals“); Ankurbelung eines Programmes der Massenbedarfsgüterproduktion, beschleunigte Entwicklung der Brennstoff- sowie chemischen Industrie und des Maschinenbaus.

 

3. Parteikonferenz (24.–30. 3. 1956):

 

Wird als Zeitpunkt des „Eintritts in die Etappe des Kampfes um den Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse“ bezeichnet. Ablenkung von der Entstalinisierung in der UdSSR durch Konzentration auf wirtschaftliche Probleme (Direktive des 2. Fünfjahrplanes) und Diskussion von Maßnahmen zur „breiteren Entfaltung der Demokratie“.

 

V. Parteitag (10.–16. 7. 1958):

 

Bestätigung der deutschlandpolitischen Grundlinie des 30. Plenums (30. 1.–1. 2. 1957), Forderung nach Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland; Ausarbeitung einer grundlegenden wirtschaftspolitischen Konzeption (Hauptaufgabe: Bundesrepublik Deutschland im Pro-Kopf-Verbrauch bis 1961 zu übertreffen); Veränderung von Produktionsprofil und -Struktur der Volkswirtschaft (chemische Industrie, Petrochemie „störfrei machen“ durch Beseitigung von Abhängigkeiten von Westdeutschland); Beschleunigung der Kollektivierung der Landwirtschaft; Forcierung der PGH-Gründungen und von Betrieben mit staatlicher Beteiligung; Verkündung der 10 Grundsätze der sozialistischen Moral und Ethik.

 

VI. Parteitag (15.–21. 1. 1963):

 

Verabschiedung eines „Programms der SED“ und des 4. Statuts (einheitliche Kandidatenzeit, Betonung der Kollektivität der Leitung und der innerparteilichen Rechte und Pflichten); Erläuterung der Grundsätze des Neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft (NÖSPL); Auftrag an Staatsorgane, ein einheitliches Bildungssystem auszuarbeiten; weitere Gesetzgebungsanregungen (z. B. Familiengesetz); Konstatierung des „Sieges der sozialistischen Produktionsverhältnisse“; Sieben-Punkte-Vorschlag eines „Abkommens des guten Willens“ zwischen beiden deutschen Staaten.

 

VII. Parteitag (17.–22. 4. 1967):

 

Begründung des „Ökonomischen Systems des Sozialismus“ und des „entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus“ (Kurs auf die Vollendung des Sozialismus in der DDR); Forderung nach „normalen Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten“; Berlin (West) soll einen vertraglich gesicherten Status als „besondere politische Einheit“ erhalten.

 

VIII. Parteitag (15.–19. 6. 1971):

 

Korrekturen an dem bisher gültigen Gesellschaftsbild der Ulbricht-Ära (Rücktritt Ulbrichts am 3. 5. 1971) durch die Honecker-Führung bei stärkerer Einordnung der SED in die außenpolitische Strategie der UdSSR und Betonung des ideologischen Führungsanspruchs der KPdSU-Führung (Folge: Berlin-Abkommen vom 3. 9. 1971 usw.); Betonung der „ökonomischen Hauptaufgabe“ (der Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus der Bevölkerung durch kontinuierliche Entwicklung der Produktivkräfte); Proklamierung eines außenpolitischen Fünf-Punkte-Programms; Bestätigung der Fünfjahrplan-Direktive; Änderungen des Parteistatuts (Kontrollrecht der BPO über Lehranstalten, Bildungseinrichtungen usw., Pt. statt alle 4 Jahre jetzt nur noch alle 5 Jahre mit Folgerungen für Delegiertenkonferenzen und untere Parteiorgane).

 

IX. Parteitag (18.–22. 5. 1976):

 

Proklamation des weiteren Aufbaus der entwickelten sozialistischen Gesellschaft mit dem Ziel des „allmählichen Übergangs zum Kommunismus“; Forderung nach „sozialistischer Integration“ über den ökonomischen Bereich hinaus; Betonung der „antiimperialistischen Solidarität“ gegenüber den Befreiungsbewegungen der Dritten Welt; Bekräftigung der These von der historischen Überlebtheit der nationalen Frage in Deutschland und der daraus resultierenden Politik der Abgrenzung; die DDR habe sich als „sozialistischer deutscher Nationalstaat mit eigenem National- und Staatsbewußtsein“ endgültig herausgebildet.

 

Gegenüber Berlin (West) Verwendung der Formel von der „strikten Einhaltung und vollen Anwendung des vierseitigen Abkommens“; Beibehaltung der ökonomischen Hauptaufgabe bei Betonung der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik; umfassende sozialpolitische Maßnahmen wurden erst nach dem Parteitag durch gemeinsame Erklärung des ZK der SED, des Bundesvorstands des FDGB und des Ministerrats eingeleitet. Verabschiedung des neuen Parteiprogramms, in das nach einer „Volksaussprache“ wesentliche Ergänzungen eingingen (stärkere Betonung einzelner Rechte und Freiheiten der Bürger, sozial- und kulturpolitische Aspekte, Förderung des privaten Handwerks).

 

Das neue (5.) Statut der SED verlieh Honecker den Titel „Generalsekretär“; es schuf die Möglichkeit des Parteiaustritts und versah die Parteiorganisationen in den staatlichen Organen mit erweiterten Kontrollbefugnissen.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 790–792


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.