DDR von A-Z, Band 1979

Staatsanwaltschaft (1979)

 

 

Siehe auch die Jahre 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1985


 

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1. Entwicklung. Durch Gesetz vom 8. 12. 1949 (GBl., S. 111) war außer dem Obersten Gericht auch eine Oberste St. geschaffen worden, deren durch die Volkskammer zu wählender Leiter als Generalstaatsanwalt der DDR Weisungsbefugnis gegenüber den Staatsanwälten der Länder erhielt. Durch die VO über Maßnahmen zur Vereinfachung der Justiz vom 27. 9. 1951 (GBl., S. 877) wurde die St. unter Leitung des Generalstaatsanwalts der DDR „ein in seiner Organisation und Tätigkeit selbständiges Organ der Justiz“ (§ 1). Ihren Abschluß fand die Verselbständigung der St. mit dem Gesetz über die St. der DDR vom 23. 5. 1952 (GBl. S. 408). Seither entsprechen Organisation und Aufgaben der St. im wesentlichen dem sowjetischen Vorbild. Am 17. 4. 1963 erließ die Volkskammer ein neues Gesetz über die St. der DDR (GBl. I, S. 57). das dann durch das „Gesetz über die Staatsanwaltschaft der DDR“ vom 7. 4. 1977 (GBl. I, S. 93) abgelöst wurde. Die St. ist ein „zentrales Organ der einheitlichen sozialistischen Staatsmacht“ (§ 1 Abs. 1 StAGes.).

 

2. Aufbau. Die St. wird vom Generalstaatsanwalt geleitet, der auf Vorschlag des Staatsrates von der Volkskammer für die Dauer von 5 Jahren gewählt wird und dem in den Bezirken der Staatsanwalt des Bezirks (Bezirksstaatsanwalt) und in den Kreisen der Staatsanwalt des Kreises (Kreisstaatsanwalt) unterstehen. Der Ost-Berliner „Generalstaatsanwalt von Groß-Berlin“ hat die Stellung eines Bezirksstaatsanwalts. Ihm sind die Staatsanwälte der 8 Stadtbezirke unterstellt.

 

Der GenStA ist der Volkskammer und zwischen ihren Tagungen dem Staatsrat verantwortlich und rechenschaftspflichtig. Er kann von der Volkskammer jederzeit abberufen werden; der Staatsrat kann seine vorläufige Abberufung anordnen. Alle Staatsanwälte werden vom GenStA berufen und abberufen. Sie sind ihm verantwortlich und an seine Weisungen gebunden (§ 8 StAGes.). In derselben Weise werden Stellung und Organisation der St. in der Verfassung (Art. 97, 98) beschrieben. Die Stellvertreter des GenStA sind vom Staatsrat zu bestätigen; einer der Stellvertreter ist der Militäroberstaatsanwalt. Dieser leitet die Militär-St. Ihm ist die erforderliche Anzahl von Militärstaatsanwälten und Untersuchungsführern beigeordnet. Ihm unterstehen die Militärstaatsanwälte bei den Divisionen und Bataillonen. Der Militäroberstaatsanwalt ist Generalleutnant der Nationalen Volksarmee (NVA). Anklagen werden von den Militärgerichten erhoben (Gerichtsverfassung).

 

Alle Staatsanwälte sind Mitglieder der SED, zum großen Teil stammen sie aus den früheren Volksrichter-Lehrgängen. Generalstaatsanwalt der DDR war seit Schaffung dieses Amtes bis zu seinem Tod (25. 3. 1960) Ernst Melsheimer (SED). Am 24. 1. 1962 wählte die Volkskammer Josef Streit (SED) zum neuen Generalstaatsanwalt.

 

3. Personelle und fachliche Voraussetzungen. „Staatsanwalt kann nur sein, wer der Arbeiterklasse und dem sozialistischen Staat treu ergeben ist und über ein hohes Maß an politisch-fachlichem Wissen und Lebenserfahrung, an menschlicher Reife und Charakterfestigkeit verfügt“ (§ 35 StAGes.). Juristische Ausbildung ist grundsätzlich Voraussetzung; es kann jedoch auch ohne eine solche Ausbildung zum Staatsanwalt berufen werden, „wer aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten für die Tätigkeit eines Staatsanwalts geeignet“ ist. Ein Staatsanwalt muß praktische Erfahrungen und „gute politische und fachliche Kenntnisse besitzen, sich im gesellschaftlichen Leben betätigt haben und ständig an seiner Weiterbildung“ arbeiten.

 

4. Aufgaben. Die St. hat „in Verwirklichung der Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse“ über die strikte Einhaltung der Sozialistischen Gesetzlichkeit zu wachen (§ 1 StAGes.). Diese Gesetzlichkeitsaufsicht soll der Lösung der Aufgaben der sozialistischen Staatsmacht bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft dienen, „mit der grundlegende Voraussetzungen für den allmählichen Übergang zum Kommunismus geschaffen werden“ (§ 2 StAGes.). Besonders wird durch das Gesetz die Aufgabe herausgestellt, „die sozialistische Gesellschafts- und Staatsordnung, das sozialistische Eigentum und die Volkswirtschaft zu schützen; die gesetzlich garantierten Rechte und Interessen der Bürger zu schützen, zu wahren und durchzusetzen das sozialistische Staats- und Rechtsbewußtsein der Bürger zu festigen und ihre gesellschaftliche Aktivität, Wachsamkeit und Unduldsamkeit gegen jegliche Rechtsverletzungen zu entwickeln sowie Rechtsverletzungen vorzubeugen“. Zu den der St. gesetzlich zugewiesenen Aufgaben gehören u. a. die entschlossene und wirksame Vorbeugung und Bekämpfung der Kriminalität, die Leitung des Ermittlungsverfahrens und die Aufsicht über die Untersuchungsorgane (Strafverfahren), die Anklageerhebung und Anklagevertretung vor den staatlichen Gerichten sowie die Befugnis der Übergabe geringfügiger Strafsachen an die Gesellschaftlichen Gerichte, die Mitwirkung in Zivil-, Familien- und Arbeitsrechtsverfahren, die Aufsicht über die Einhaltung der Gesetzlichkeit bei der Strafvollstreckung und im Strafvoll[S. 1028]zug. Von besonderer Bedeutung ist die Aufgabe, über die strikte Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit durch die Ministerien und anderen zentralen Staatsorgane, die örtlichen Räte, die wirtschaftsleitenden Organe, die Kombinate, die Betriebe und Einrichtungen, die Genossenschaften, die gesellschaftlichen Organisationen und durch die Bürger zu wachen (§ 29 StAGes., Art. 97 Verf.).

 

In dieser Tätigkeit wird die St. als „Hüter der sozialistischen Gesetzlichkeit“ bezeichnet, die die Gesetzlichkeitsaufsicht ausübt. Durch politisch gut durchdachtes und entschiedenes Vorgehen gegen Rechtsverletzungen soll die Gesetzlichkeitsaufsicht in ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit verstärkt werden (Neue Justiz, 1973, H. 2, S. 35). Stellt die St. eine Rechtsverletzung fest, so hat sie durch schriftlichen Protest oder Hinweis oder durch andere geeignete Maßnahmen den Leiter des zuständigen Organs zu veranlassen, die Rechtsverletzung unverzüglich zu beseitigen, ihrer Wiederholung vorzubeugen und die sozialistische Gesetzlichkeit zu gewährleisten. Bei geringfügigen Rechtsverletzungen können mündliche Forderungen zu ihrer Beseitigung erhoben werden. Die Leiter der auf diese Weise von der St. angegangenen Organe haben ihre Entscheidungen und Maßnahmen innerhalb einer von der St. festgesetzten angemessenen Frist schriftlich mitzuteilen (§ 31 StAGes.). Das neue Gesetz sieht die früher bestehende Möglichkeit, daß sich die St. ggf. an das übergeordnete Staatsorgan in einer Art Rechtsmittelzug wenden kann, nicht mehr vor. Offenbar wird mit der Ablehnung eines Protestes der St. nicht mehr gerechnet. Im Zuge der Gesetzlichkeitsaufsicht kann die St. die Einleitung von Ordnungsstrafverfahren (Ordnungswidrigkeiten) oder Disziplinarverfahren verlangen.

 

Das Mitwirkungsrecht der St. in Zivil-, Familien- und Arbeitsrechtsverfahren beinhaltet die Befugnis, an Verhandlungen teilzunehmen, Schriftsätze einzureichen, Protest gegen Urteile einzulegen und in den in Rechtsvorschriften vorgesehenen Fällen Klagen oder Anträge einzureichen. Das bislang nur im arbeitsgerichtlichen Verfahren mögliche Klage- und Antragsrecht der St. blieb auf bestimmte Fälle des Zivil- und Familienverfahrens beschränkt; ein allgemeines Klage- und Antragsrecht hat die St. nicht erhalten. Gegen jede rechtskräftige Gerichtsentscheidung können der Generalstaatsanwalt und die Bezirksstaatsanwälte - letztere nur bei Entscheidungen von Kreisgerichten Kassation beantragen. Beim Generalstaatsanwalt der DDR werden das Zentrale Strafregister und die einheitliche Kriminalstatistik der DDR geführt.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 1027–1028


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.