DDR von A-Z, Band 1979

 

Umweltschutz (1979)

 

 

Siehe auch die Jahre 1975 1985

 

I. Ursachen und Gefahren der Umweltverschmutzung

 

 

Die Gesundheit des Menschen und der Tierwelt wird heute auch in der DDR zunehmend durch Schadstoffe der belebten und der unbelebten Natur beeinträchtigt, insbesondere durch chemische Faktoren. Luft, Wasser, Boden und Pflanzen werden verunreinigt und schädigen so die Umwelt; über Nahrungsmittel oder direkte Kontakte wirkt sich dies nachteilig auf die menschliche Gesundheit aus.

 

Die Luftverunreinigung wird vor allem durch Staub, durch Industrieabgase und Rußbildung der Feuerungsanlagen der Haushalte — mit Schwefeldioxyd (SO₂) u. a. — sowie durch Kraftfahrzeug- und Flugzeugabgase mit den Hauptschadstoffen Blei (Pb), Kohlenmonoxyd (CO), Benzpyren hervorgerufen. Dabei wird nicht nur die Gesundheit des Menschen beeinträchtigt und die Pflanzen- und Tierwelt geschädigt, es treten als Folgeerscheinungen auch erhöhte Korrosions- sowie Produktionsschäden in Industrie und Landwirtschaft auf.

 

Welche Auswirkungen allein für die Gesundheit eintreten, verdeutlicht, daß nach DDR-Berechnungen eine Senkung der Emissionen in stärker belasteten Gebieten auf die Hälfte eine Minderung der allgemeinen Sterberate um 4,5 v. H., eine Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung um rund 4 Jahre, einen Rückgang der bösartigen Geschwülste der Atemwege um ein Viertel sowie eine Verminderung um 10–15 v. H. der Herz- und Kreislauferkrankungen bewirken würde.

 

Bei der Wasserverschmutzung erweist sich das Problem der Abwässer — z. B. Überschußkühlwasser von Kraftwerken (5 v. H. des Wasserdurchlaufs der DDR gehen als Kühl- und Brauchwasser an Kraftwerke), ölhaltige Abwässer, Entsalzungswässer, Verunreinigungen durch Farben und Chemikalien — als besonders gefährlich. Sie beeinträchtigen nicht nur die Trink- und Gebrauchswasserversorgung des Menschen, sondern auch die Sauberhaltung der Flüsse. Binnengewässer und Meere. Während die Meere zunehmend organische und mineralogische Verschmutzungen mit den bekannten Gefahren für den Nahrungsmittelkreislauf sowie auch Radioaktivität aufweisen, zeigen die Binnengewässer durch Abwässer hervorgerufene starke Störungen des biologischen Gleichgewichts. Infolge von Temperaturerhöhungen durch industrielles Kühlwasser, durch nährstoffhaltige Abwässer oder durch Auswaschungen von auf Äckern verteilten Düngemitteln wird über ein stimuliertes Wachstum von Flora und Fauna Sauerstoffmangel ausgelöst, der schließlich Fäulnisprozesse anregt. Einzelne Flüsse wie Saale und Weiße Elster führen bereits Wasser der Güteklasse 4 und gelten als hochgradig verunreinigt.

 

Bei der Bodenverschmutzung handelt es sich einerseits um die Entziehung landwirtschaftlichen Bodens aus der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere zur Nutzung für den Braunkohlenbergbau, dem in der DDR große Bedeutung zukommt (Landeskultur). Dabei können auch angrenzende land- und forstwirtschaftliche Bodenflächen durch die für den Tagebau notwendige Grundentwässerung Schaden nehmen. Andererseits sind es Devastierungen des Bodens durch agrarischen Raubbau, übermäßigen Einsatz von Bioziden, Übermeliorationen, ungeordnete Abfallagerung und Verkippen von Abraummassen, Bodenvergiftung sowie Grundwasserverseuchung. Hierzu zählen auch die in den letzten Jahrzehnten stark gestiegenen Beeinträchtigungen durch den sog. Fallout. Eine Reihe von Schadstoffen gelangt als Folge chemischer und technischer Prozesse aus der Luft bzw. über das Wasser oder direkt bei der Bodenbearbeitung — als Dünge-, Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel (Insektizide, Herbizide, Fungizide und Pestizide) — in den Boden und auf Ernteprodukte. Auf dem Erntegut zurückbleibende Rückstände dieser Wirkstoffe gelangen schließlich über die Nahrungsaufnahme in den menschlichen und tierischen Organismus. Die bei der Bodenbearbeitung tätigen Personen können zudem auch durch direkten Kontakt mit diesen Stoffen Schäden erleiden.

 

Im Zusammenhang mit der Bodenverschmutzung existiert das Problem der Abfallprodukte. Es besteht nicht nur in der Verschmutzung der Landschaft — z. B. durch illegale Müllablagerungen —, sondern auch in der Gefahr der Störungen der natürlichen Landschaftsstruktur (z. B. durch Verunreinigung des Grundwassers, durch Ansammlung von Ungeziefer) oder aber der Anreicherung des Bodens mit Schadstoffen. In der DDR fallen jährlich allein 15 Mill. t Müll und Abwasserschlamm in den Städten und Gemeinden an sowie viele Mill. t Aschen aus den Kraftwerken, die in geordneter Deponie abgelagert werden müssen oder z. T. zur Gewinnung von Sekundärrohstoffen herangezogen werden können. Die Lärmbelästigung erweist sich zunehmend als Störfaktor, da in der DDR lärmbedingte Berufskrankheiten mit einem Anteil von über 50 v. H. seit Mitte der 60er Jahre an der Spitze der Berufserkrankungen stehen. Quelle der Lärmbelästigung ist ne[S. 1092]ben dem Lärm der Produktionsstätten vor allem der Straßenverkehr. Geht man davon aus, daß drei Viertel der Bevölkerung der DDR in Städten lebt und berücksichtigt man davon die Hälfte, so dürften ca. 6 Mill. Menschen ständiger Lärmeinwirkung ausgesetzt sein.

 

Schließlich nehmen Strahlenschäden zu, einerseits durch die natürliche Strahlenbelastung der Bevölkerung und andererseits durch radioaktive Stoffe. Dabei spielen sowohl Schädigungen von Personen eine Rolle, die beruflich Strahlenbelastungen ausgesetzt sind, als auch radioaktive Verunreinigungen von Sachgütern sowie Folgen unzureichender Lagerung radioaktiver Abfälle (Nuklearer Umweltschutz).

 

II. Besonderheiten des Umweltschutzes der DDR

 

 

Die DDR hat mit spezifischen Umweltproblemen zu kämpfen:

 

a) Die Braunkohle als Primärenergiebasis führt ― wegen der Braunkohlenverbrennung in Industrie und Haushalt ― zu einer besonders hohen Luftverschmutzung durch Schwefeldioxyd. Staub und Asche, die sich besonders stark in den Ballungsgebieten von Industrie und Bevölkerung (z. B. in den Bezirken Halle, Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig) auswirken. Zudem erfordert der Braunkohlentagebau eine hohe Inanspruchnahme land- und forstwirtschaftlicher Nutzfläche.

 

b) Die Wasserwirtschaft befindet sich in einer besonders prekären Situation, da die Inanspruchnahme des Wassers außerordentlich hoch ist. So stehen je Kopf der Bevölkerung pro Jahr nur rd. 1.000 m³ Wasser (natürlicher Abfluß) ― in Trockenjahren lediglich 430 m³ ― zur Verfügung bei einem derzeitigen Gesamtverbrauch von fast 9 Mrd. m³, der bis 1980 auf etwa 10 Mrd. m³ ansteigen dürfte. Für die Bundesrepublik Deutschland beträgt der gegenwärtige Verbrauch ca. 30 Mrd. m³ und wird bis zum Jahre 2.000 auf 41 Mrd. m³ ansteigen.

 

Da nur 17 v. H. der Hauptwasserläufe — nach entsprechender Wasseraufbereitung — zur Trinkwasserversorgung herangezogen werden können, muß das Wasser in industriellen Ballungsgebieten bis zu fünfmal genutzt werden. Damit beträgt der Nutzungsgrad das Doppelte bis 4fache der Nachbarstaaten. Regional konzentriert sich die Wasserverschmutzung besonders auf den — von chemischen Betrieben dichtbesiedelten — Raum Halle, Leipzig und Bitterfeld, erheblich weniger entfällt auf die nördlichen Gebiete und die Umgebung Berlins.

 

Obwohl in der DDR in der Zeit von 1945 bis 1975 rd. 86 Talsperren, Rückhaltebecken und andere Speicheranlagen mit einem Speicherraum von 600 Mill. m³ gebaut worden sind, bei einem gesamten Stauraum von 1,2 Mrd. m³, und die Kläranlagen (vor allem auf Basis mechanischer Verfahren) eine Tagesleistung von rd. 5,8 Mill. m³ erbringen, gelten die vorhandenen Kapazitäten noch immer als unzureichend. Die wasserwirtschaftliche Situation ist nach wie vor für die DDR recht ungünstig.

 

c) Das Müllproblem gestaltet sich etwas einfacher als in westlichen Industrieländern, da in der DDR ein Engpaß an Verpackungsmaterialien gegeben ist, und die generelle Rohstoffknappheit zu stärkerem Einsatz von Sekundärrohstoffen zwingt. So spielen beispielsweise die Nutzung von Schrott und Altpapier sowie die Verwendung von Schlacken und Aschen als Baustoffe schon seit langem eine erhebliche Rolle. Dennoch fallen jährlich etwa 15 Mill. m³ Siedlungsmüll an, 1980 dürften es 17 und 1990 25 Mill. m³ sein, die in geordneter Deponie abgelagert oder durch Verbrennung bzw. Umwandlung in Humus beseitigt werden müßten. Bislang erfolgt jedoch die Ablagerung von Abfallstoffen aus der Produktion und von Siedlungsabfällen vor allem auf „wilden“ Müllkippen; eine erste geordnete Deponie wurde 1972 im Kreis Döbeln angelegt. Kompostierungswerke größerer Kapazität zur Verarbeitung von Siedlungsabfällen fehlen bisher oder sind noch im Aufbau. Vorrangiges Ziel der DDR dürfte daher die Schließung wilder Müllkippen zugunsten geordneter Deponien sein, da die Realisierung weitergehender Programme vorläufig an den hohen Kosten scheitern dürfte.

 

III. Politisch-ideologische Aspekte

 

 

In der DDR wird immer wieder betont, daß die kapitalistische Gesellschaftordnung wegen ihres Profitstrebens für das hohe Ausmaß der Umweltverschmutzung verantwortlich sei: Lediglich aufgrund der Initiativen einzelner Persönlichkeiten seien im Kapitalismus Landschaftsschutzgebiete zum Schutze der Natur vor dem Menschen angelegt worden. Demgegenüber soll im Sozialismus die Natur für den Menschen geschützt werden. Der „Raubbau an der natürlichen Umwelt“ sei ein typisches Merkmal des Kapitalismus, während der Sozialismus den U. nicht nur als bloße Abwehrmaßnahme verstehe, sondern eine aktive zukunftsbezogene Umweltgestaltung anstrebe. In der kapitalistischen Gesellschaftsordnung vollziehe man zwar auch eine „Reparatur von Umweltschäden“, jedoch sei der U. dabei eine neue Profitquelle. Demgegenüber wolle der Sozialismus eine bewußte und planmäßige Gestaltung der Lebens- umwelt.

 

Die Existenz von Umweltproblemen wird als Hinterlassenschaft des Imperialismus bezeichnet. Man spricht von einem traurigen Erbe, das die DDR anzutreten hatte, denn beispielsweise seien nach 1945 für industrielle, mit Verbrennungsvorgängen verknüpfte Produktionsprozesse praktisch keine Abgasreinigungsanlagen vorhanden gewesen, da diese Probleme vor und im II. Weltkrieg völlig vernachlässigt worden seien. Es wird interessanterweise hinzugefügt, daß in der DDR nach dem Kriege die Anstrengungen zunächst dem Wiederaufbau galten und [S. 1093]deshalb längere Zeit auch wieder die Aufgaben der Reinigung der Abgase und des Wassers zurückgestellt werden mußten.

 

Der ideologischen Verknüpfung von Umweltproblematik und Wirtschaftssystem ist entgegenzuhalten, daß Jede Produktion — unabhängig vom Wirtschaftssystem — als Umwandlungsprozeß von Gütern einer Produktionsstufe zu solchen einer anderen Stufe immer einen nicht zu nutzenden Rest hinterläßt, der dann im Wasser, in der Luft oder auf Abraumhalden wiedergefunden werden kann. Selbst der Konsum ist eine Umwandlung in nur teilweise oder gar nicht verwendbare Abfallprodukte. Mit diesem Tatbestand sind Produktion und Verbrauch in allen Wirtschaftssystemen konfrontiert. Entscheidend ist, daß der Erkenntnisstand über die Gefahren der „Abfälle“ sowie über die Möglichkeiten ihrer Vermeidung bzw. Einschränkung erheblich hinter der Entwicklung der Produktionsprozesse hinterherhinkt, zumal die Orientierung auf starkes Wachstum — auch in sozialistischen Volkswirtschaften — Produktivitätsfortschritten erheblich höhere Priorität einräumt als der Durchführung kostspieliger U.-Maßnahmen.

 

IV. Gesetzliche Regelungen in der DDR

 

 

Bereits im Artikel 15 der Verfassung der DDR (1974) heißt es: „(1) Der Boden der DDR gehört zu ihren kostbarsten Naturreichtümern. Er muß geschützt und rationell genutzt werden. Land- und forstwirtschaftlich genutzter Boden darf nur mit Zustimmung der verantwortlichen staatlichen Organe seiner Zweckbestimmung entzogen werden. (2) Im Interesse des Wohlergehens der Bürger sorgen Staat und Gesellschaft für den Schutz der Natur. Die Reinhaltung der Gewässer und der Luft sowie der Schutz der Pflanzen- und Tierwelt und der landschaftlichen Schönheiten der Heimat sind durch die zuständigen Organe zu gewährleisten und sind darüber hinaus auch Sache jedes Bürgers.“ Gesetzliche Basis des U. ist das auf dieser Verfassungsnorm aufbauende Landeskulturgesetz vom Mai 1970 mit mehreren Durchführungsverordnungen und Durchführungsbestimmungen. Daneben ist auf eine ganze Reihe von Sondergesetzen hinzuweisen. Von diesen verdienen besonders hervorgehoben zu werden: das die Instandhaltung und Nutzung der Gewässer sowie den Schutz vor Hochwassergefahren regelnde Wassergesetz von 1963 (GBl. I. S. 77 ff.) mit mehreren Durchführungsverordnungen sowie speziellen Gesetzen bezüglich der Reinhaltung des Wassers (GBl. II, 1970, S. 659 ff.; II, 1971, S. 25 ff.; I. 1974. S. 349 ff.; 1, 1978, S. 50 ff.), die Bodennutzungsverordnung von 1964 (GBl. II, 1965, S. 233 ff.) sowie spezielle Verordnungen (GBl. II, 1965, S. 233 ff., 1968, S. 295 ff. und S. 363 ff. sowie 1971, S. 245 ff.), die AO über die Bewirtschaftung der Wälder von 1965 (GBl. II, S. 773 f.), die Luftverunreinigungsanordnung von 1968 (GBl. II. S. 640 ff.) sowie spezielle Gesetze (z. B. Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, GBl. II. 1964, S. 373 ff. und 1968. S. 363 ff. sowie 1971. S. 416 ff.; Instandhaltungsanordnung für Kfz, GBl. I, 1973. S. 93 ff.; Verfügungen und Mitteilungen des Staatlichen Vertragsgerichts beim Ministerrat der DDR, 1974, Nr. 1). die AO über die Erhöhung der Verantwortung der Städte und Gemeinden für Ordnung, Sauberkeit und Hygiene im Territorium von 1969 (GBl. II, S. 149 ff. und GBl. II, 1971. S. 465 ff.), Anordnungen bezüglich der Nutzbarmachung und schadlosen Beseitigung der Abprodukte (vgl. u. a. GBl. II, 1969, S. 149 ff. und S. 203 ff.) sowie die Strahlenschutzverordnung von 1969 (GBl. II. S. 627 ff.) und die AO über die Weiterbildung auf dem Gebiet der Atomsicherheit und des Strahlenschutzes (GBl. I, 1975, S. 194 ff.) und die AO über die Strahlenschutzbauartprüfung und Strahlenschutzbauartzulassung von umschlossenen Strahlenquellen (GBl. 1978, SDr. Nr. 947).

 

Diese Gesetze werden laufend durch Verordnungen und Durchführungsbestimmungen ergänzt. So wurden z. B. 1971 und 1973 2 Anordnungen über Rückstände von Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln in Lebensmitteln (GBl. II, 1971. S. 526 ff. sowie I, 1973, S. 27 ff.) und in jüngster Zeit eine Anordnung über die hygienischen Anforderungen beim Einbau von Gasraumheizern (GBl. 1978, SDr. Nr. 946) sowie eine Anordnung über die Inkraftsetzung der amtlichen Liste der wichtigsten Schadstoffe (GBl. 1978, SDr. Nr. 945) erlassen.

 

Während wesentliche Grundsätze zum U. bereits seit längerer Zeit gesetzlich verankert sind - sowohl in den genannten als auch in anderen Gesetzen werden erst seit einigen Jahren auch Regelungen bezüglich der maximal zulässigen Immissionskonzentrationen (MIK-Werte) erlassen sowie Sanktionen bei Überschreitungen und Unterlassungen von vorgeschriebenen U.-Maßnahmen festgelegt. So wurde beispielsweise im August 1974 eine Verordnung über Schutzgebiete für die Wasserentnahme zur Trinkwasserversorgung erlassen und zur Eindämmung der Luftverschmutzung durch Kraftfahrzeuge mit weiteren Bestimmungen eine Minderung des Bleigehaltes im Benzin von 0,42 auf 0,4 g Pb/l — ab 1980: 0,311 g Pb/l — verordnet (in der Bundesrepublik gelten bereits seit 1972 0,4 g Pb/l, noch in diesem Jahrzehnt sollen es 0,15 g Pb/l sein). Daneben sind einige Emissionsgrenzwerte und Methoden der Messung und Überwachung von Abgasmengen für Fahrzeuge und Motoren für verbindlich erklärt worden. Im Herbst 1976 wurde ein Informationssystem für Abprodukte und Sekundärrohstoffe aufgebaut sowie im Jahr 1977 die schadlose Beseitigung toxischer Abprodukte und anderer Schadstoffe geregelt.

 

Im Jahr 1978 ist schließlich zur Vermeidung schädigender Wirkungen von Wasserschadstoffen der [S. 1094]Umgang mit derartigen Giften bzw. Schadstoffen geregelt worden.

 

V. Allgemeine Unweltschutzmaßnahmen

 

 

Bei den U.-Maßnahmen spielt neben der — z. T. schon seit längerer Zeit realisierten — Bildung von Naturschutzgebieten und Landschaftsschutzgebieten (Naturschutz) zunächst einmal die Durchführung einer ganzen Reihe von Messungen der verschiedensten Verschmutzungsarten eine große Rolle: Für die generelle Überwachung der Luftverschmutzung sind die Hygiene-Institute der Bezirke zuständig, für die Kraftfahrzeugabgaskontrolle zeichnen die Abgasprüfstelle der DDR in Berlin-Adlershof sowie die Leitstelle für Abprodukte beim Ministerium für Verkehrswesen verantwortlich. Von diesen Instituten werden laufend Messungen - beispielsweise während und nach den Messen in Leipzig, im Industriezentrum Bitterfeld, in Berlin (Ost)- durchgeführt, um vor allem die Schadstoffkonzentrationen von Blei (Pb), Kohlenmonoxyd (CO), Stickstoffmonoxyd (NO), Stickstoffdioxyd (NO₂), Formaldehyd (H3CHO), Kohlenwasserstoffen (CmHn), Kohlendioxyd (CO₂), von Schwebstoffen und Schwefeldioxyd (SO₂) zu messen und mit den maximal zulässigen, im ganzen RGW-Gebiet gültigen Immissionskonzentrationen (MIK-Werte) vergleichen zu können. Daneben erfolgen aber auch Messungen durch eine Vielzahl anderer Institute. Zum Beispiel ist das Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz der DDR in Berlin (Ost) für die Messung und Vermeidung von Strahlenschäden zuständig. Die Messungen dienen außer der Überwachung auch der wissenschaftlichen Forschung, vor allem der Entwicklung von Reinigungstechnologien und der Vorbereitung gesetzgeberischer Maßnahmen.

 

Die Überwachung der Biosphäre ist 3 anderen Instituten übertragen worden: Der „Meteorologische Dienst der DDR“ überwacht die bodennahe Atmosphäre, das „Amt für Wasserwirtschaft der DDR“ ist mit der Gewässerüberwachung betraut, und dem „Rat für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft der DDR“ obliegt die Überwachung tierischer und pflanzlicher Produkte. Sie haben darüber dem Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz Bericht zu erstatten, falls Strahlenschäden festgestellt worden sind.

 

In über 50 wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen wird an U.-Problemen gearbeitet. So wird z. B. in einem besonderen Institut im Tharandter Waldgebiet (im Bezirk Dresden) die Resistenz von Pflanzen, insbesondere Laubbäumen, gegenüber Schadstoffen — wie z. B. Schwefeldioxyd, Fluor- und Chlorverbindungen sowie Industrieabgasen — getestet, um widerstandsfähige Arten erkennen zu können, mit denen um Ballungszentren Grüngürtel anlegbar sind. Ein anderes Beispiel ist die von Forschern der DDR durchgeführte Messung der Bodenverunreinigung durch das bei Verbrennungsvorgängen (Kraftfahrzeuge, Industrie) entstehende, stark krebsfördernde 3,4-Benzpyren. Interessant sind auch die vom Institut für Meereskunde der Akademie der Wissenschaften der DDR in Rostock-Warnemünde gemeinsam mit anderen Ländern (Polen, UdSSR. Finnland. Schweden und der Bundesrepublik Deutschland) durchgeführten Messungen in der Ostsee. Diese wird wegen ihrer ozeanologischen Besonderheiten (erschwerter Wasseraustausch) besonders stark von Umweltverschmutzungen beeinträchtigt. Erforscht werden insbesondere die Sauerstoffverhältnisse, die Zunahme von Giftstoffen (Quecksilberverbindungen, chlorierte Kohlenwasserstoffe aus Pflanzenschutzmitteln. Mineralöl, Zink, Kadmium. Blei), aber auch die Ausbreitung des — die Lebensbedingungen der Fische stark beeinträchtigenden — Schwefelwasserstoffs. Daneben wird in der DDR auch — angesichts der starken Verbreitung lärmbedingter Berufskrankheiten — den Forschungen über den Lärmschutz große Aufmerksamkeit gewidmet. Vom 29. 5. bis 2. 6. 1972 fand in Dresden der VII. Kongreß der Internationalen Vereinigung gegen Lärm (AICB) statt.

 

 

Erwähnung verdient auch, daß seit einigen Jahren wissenschaftliche Kommissionen zur U.-Forschung gebildet worden sind. U. a. wurde an der Akademie der Wissenschaften der DDR eine aus Medizinern, Biologen, Chemikern. Ernährungs- und Geowissenschaftlern zusammengesetzte „Kommission für Umweltforschung“ geschaffen, die unter Leitung von Prof. Mottek steht und die von den Akademieinstituten durchgeführten Umweltforschungen leiten, koordinieren und kontrollieren soll. Aber auch der mehr und mehr mit Umweltfragen konfrontierten Kammer der Technik wurde seit 1972 eine zentrale Kommission „U.“ angegliedert.

 

Um die besondere Bedeutung der Umweltprobleme zu unterstreichen und geeignete U.-Maßnahmen zu erarbeiten bzw. zu koordinieren, wurde im November 1971 das Ministerium für Umweltschutz und [S. 1095]Wasserwirtschaft gegründet. Es hat insbesondere die Umweltforschung zu fördern, die internationale Vertretung der DDR auf dem Gebiet des U. wahrzunehmen, Aufklärungsarbeit zu leisten, für einen weiteren Ausbau und eine Verbesserung der Meßsysteme Sorge zu tragen sowie geeignete U.-Maßnahmen zu entwickeln und ihre Durchführung zu überwachen.

 

Ferner ist die intensive Mitarbeit der DDR in der Ständigen Kommission für die friedliche Nutzung der Atomenergie des RGW zu erwähnen, die sich besonders mit Fragen der Reaktorentwicklung für Atomkraftwerke sowie des verbesserten Reaktorschutzes beschäftigt.

 

Ende Mai 1978 ratifizierte die DDR die Umweltkonvention der UN, die die militärische oder sonstige feindselige Anwendung von Mitteln zur Einwirkung auf die Umwelt verbietet. Ziel dieser Konvention ist die Vermeidung von „Veränderungen der Dynamik, Zusammensetzung oder Struktur der Erde, einschließlich ihrer Lebewesen, ihrer Lithosphäre, Hydrosphäre und Atmosphäre, sowie des Weltraumes“.

 

VI. Sanktionen

 

 

Die Fülle der gesetzlichen Bestimmungen zum U., die grundsätzlich allgemeinen Charakter tragen, bietet allein keine Gewähr für ausreichenden U., wenn nicht entsprechende Sanktionen ihre Einhaltung erzwingen. Dabei besteht allerdings einerseits wieder das Problem, daß man nicht nur Verursacher von Umweltverschmutzungen „bestrafen“ kann, ohne ihnen gleichzeitig auch vertretbare Möglichkeiten und Wege zur Vermeidung der Verunreinigungen zu zeigen. Andererseits bringt die Festlegung von Grenzwerten erhebliche Schwierigkeiten mit sich, weil in der Regel hierfür entsprechende Forschungen und auch Abstimmungen mit den anderen RGW-Partnerländern und den übrigen Anliegerstaaten wie der Bundesrepublik Deutschland Voraussetzung sind.

 

Hinzu kommt, daß der Primat konstanter Konsumgüterpreise die verantwortlichen Wirtschaftsfunktionäre der DDR dazu zwingt, entweder die bei der Durchführung von U.-Maßnahmen entstehenden Kosten niedrig zu halten oder sie über Subventionen zu finanzieren. Die strikte Anwendung des Verursacherprinzips zur Finanzierung der U.-Maßnahmen stößt daher auf erhebliche Schwierigkeiten. Dies dürfte wiederum der Grund dafür sein, daß Sanktionen bisher nur recht zurückhaltend angeordnet worden sind.

 

Für Wasserverschmutzungen wurde 1971 in der 2. DVO zum Wassergesetz (GBl. II, S. 25 ff.) das Abwassergeld festgelegt. Überschreitet ein Betrieb oder ein anderer Verursacher bei der von ihm durchgeführten bzw. bei unterlassener Abwasserbehandlung die — anhand vorgegebener Grenzwerte zu ermittelnde — Abwasserlast, so muß er entsprechend den in einer Kennzifferntabelle festgelegten Gebührensätzen Abwassergeld zahlen. Dies beträgt beispielsweise für Giftstoffe und freies Cyan 100 Mark/kg, für Sulfide und Schwefelwasserstoffe 75 Mark/kg, für wasserdampfflüchtige Phenole 75 Mark/kg, für Schwermetalle (außer Eisen) 13,60 Mark/kg, für Öle und Fette 5 Mark/kg sowie für Abfallstoffe 200 Mark/m³. Welche Sanktionen dabei herauskommen können, zeigt ein Beispiel aus dem Jahre 1972: Das Gelatinewerk Calbe, das Mansfeld-Kombinat sowie die Reichsbahndirektion Magdeburg mußten 800.000 Mark Buße zahlen, da sie übermäßig verschmutzte Abwässer in die Saale geleitet hatten.

 

Bei Luftverunreinigungen wurden Immissionsgrenzwerte — sowohl Kurzzeit- als auch Dauergrenzwerte — gesetzlich festgelegt (GBl. I, 1973, S. 164 ff. und 1, 1974, S. 353), bei deren Überschreitung ein sogenanntes Staub- und Abgasgeld erhoben wird. Dieses wird aus der Differenz zwischen der zulässigen und tatsächlichen Emission unter Berücksichtigung der Überschreitungsdauer nach folgender Formel berechnet:

 

 

Die Betriebe sind dabei zu laufender Emissionsmessung verpflichtet; bei Unterlassung nehmen die Bezirkshygieneinspektionen Kontrollmessungen zu Lasten des Betriebes vor ― bei doppeltem Gebührensatz.

 

Zur Vermeidung unzulässig hoher Emissionen von Verbrennungsmotoren wurden Emissionsgrenzwerte festgelegt und bestimmt, daß Überschreitungen als Verkehrsgefährdung bzw. Verkehrsbelästigung zu ahnden sind. Bei Verstößen haben die Abgasbeauftragten Auflagen zur Einhalten der Schadstoffgrenzwerte zu erteilen, die Verstöße als Ordnungswidrigkeiten zu behandeln und bei Wiederholung in schweren Fällen Disziplinarverfahren gegen die Fahrzeughalter einzuleiten.

 

Werden Gifte bzw. solche Schadstoffe, die in der amtlichen Schadstoffliste (GBl. 1978, SDr. Nr. 945) angegeben sind, Gewässern zugeführt (z. B. durch Abwässer oder infolge von Unfällen), so ist neben der Information staatlicher Organe und der Bekämpfung von akuten Unfallschäden bei fahrlässigem oder vorsätzlichem Verhalten der Betriebe eine [S. 1096]Ordnungsstrafe bis zu 1000 Mark vorgesehen (GBl. I, 1978, S. 50 ff.).

 

Die örtlichen Organe des Staatsapparates können in Fällen, wo Betriebe oder Bürger Verunreinigungen bzw. Beschädigungen von Straßen, Wegen, Plätzen, Erholungseinrichtungen und Parks sowie Verunreinigungen der Luft, der Gewässer und Lärmbelästigungen herbeigeführt haben, Auflagen erteilen und als Entschädigung einen Betrag bis zu doppelter Höhe der Mehraufwendungen, die zur Beseitigung oder Eindämmung der Schädigungen entstanden sind, verlangen. In schwereren Fällen können darüber hinaus Ordnungsstrafverfahren in Gang gesetzt werden (GBl. II, 1969, S. 149 ff. und II, 1971, S. 465 ff. sowie I, 1973, S. 157 ff.).

 

VII. Das Umweltschutzprogramm bis 1975

 

 

In dem Fünfjahrplan 1971–1975 ist erstmals ein umfassenderes Programm zur Verbesserung der Umweltbedingungen verabschiedet worden:

 

a) Zur Erhöhung der Bereitstellung von Trink- und Brauchwasser, um den im Zeitraum von 1971 bis 1975 auf 120 v. H. ansteigenden Wasserbedarf zu decken, sowie für den Hochwasserschutz war vorgesehen, bis 1975 250 Mill. m³ zusätzliche Speicherkapazitäten zu schaffen (Wasserwirtschaft). Daneben war geplant, den Anteil der an zentrale Wasserversorgungssysteme angeschlossenen Wohnungen von 82 v. H. (1970) auf 84 v. H. (1975) zu erhöhen und insbesondere dem dringlichen Problem der veralteten Abwassersysteme durch Erweiterung und Erneuerung bestehender Anlagen zu begegnen.

 

b) Durch Wiederurbarmachung bisher vom Braunkohlenbergbau beanspruchter Bodenflächen sollten mindestens 9.700 ha der land- und forstwirtschaftlichen sowie der touristischen Nutzung zugeführt werden — in den Jahren 1967–1970 waren es 9.500 ha.

 

In der Zeit von 1966 bis 1970 sind zudem 154.000 ha Land neu aufgeforstet worden; allein 1971 wurden 420 Mill. Bäume auf 30.500 ha Wald- und Brachland gepflanzt.

 

Für die Durchführung von Meliorationen sollten bis 1975 4 Mrd. Mark bereitgestellt werden, um über 800.000 ha Bodenfläche be- bzw. entwässern zu können. Diese Aufwendungen, die zum großen Teil als normale Investitionen der Landwirtschaft zur Bodengewinnung und -Verbesserung anzusehen sind, werden in der DDR dem U. zugerechnet, wahrscheinlich, um das U.-Programm aufzuwerten.

 

c) Zur Minderung der Luftverunreinigung, die infolge der vielen nicht oder nur mit veralteten Reinigungsanlagen ausgerüsteten Industriebetriebe (insbesondere Kraftwerke, Brikettfabriken, Zementfabriken. Hüttenwerke und Chemiebetriebe) in der DDR hoch ist, sollten wirksamere Abgasreinigungsverfahren entwickelt und vor allem in Ballungsgebieten eingesetzt werden: So war vorgesehen, in volkswirtschaftlich wichtigen Kombinaten und Betrieben die Luftverunreinigung um 40 bis 60 v. H. zu senken, insbesondere aber alle neu zu errichtenden Kraftwerke mit hochwirksamen Entstaubungsanlagen auszustatten. Im Jahr 1972 wurden für die Chemische Industrie 270 Mill. Mark an Investitionen zur Verringerung der Luftverschmutzung geplant.

 

d) Zur Bekämpfung des Lärms, zu der als erster Schritt die bereits durchgeführte Erfassung aller „Lärmarbeitsplätze“ (Plätze mit einem Lärmpegel über dem kritischen Wert von 85 dB) durch Betriebsärzte gehörte, sollten in allen größeren Städten „Lärmkarten“ als Voraussetzung für eine künftige schrittweise Lärmminderung erstellt werden. Daneben steht der Versuch, die Lärmbeeinflussung in Neubaugebieten durch entsprechende Planungen zu verringern. Dies sollte durch geeignete Gruppierung der Wohnbauten und die Anpflanzung von Baumgruppen und schallabsorbierenden Kletter- und Rankgewächsen erreicht werden.

 

e) Der Verbesserung der Ablagerung, Beseitigung und Verwertung von Siedlungsabfall sollten zusätzliche Anstrengungen dienen: 100 Mill. Mark waren für die Errichtung von 51 neuen Anlagen der Mülldeponie (einschließlich einer neuen Verbrennungsanlage in Berlin [Ost], bei der die entstehende Wärme der Fernheizung dienen soll) sowie für 5 Anlagen der Müllkompostierung vorgesehen. Von diesen sollten 3 in den Bezirken Leipzig, Potsdam und Rostock entstehen; mit ihnen sollten aus je 140.000 t Müll 100.000 t Kompost erzeugt werden.

 

Für diese Maßnahmen — einschließlich der Meliorationen — sollten bis 1975 insgesamt 7 Mrd. Mark aufgewendet werden. Während bis 1972 in den Jahresplänen lediglich ganz bestimmte Umweltaufgaben ― z. B. Abwasserreinigung, Bodengewinnung ― geplant waren, fand erstmals im Plan 1973 ein vollständiges Schutzprogramm Berücksichtigung: Im Volkswirtschaftsplan 1973 waren für den U. 1,6 Mrd. Mark vorgesehen, wovon über 0,6 Mrd. Mark auf die Reinhaltung von Luft und Wasser sowie die Lärmminderung und 0,75 Mrd. Mark auf Meliorationen entfielen. Der Volkswirtschaftsplan 1974 sah für die Verbesserung der Wasserversorgung Investitionen in Höhe von 575 Mill. Mark vor, für Meliorationen waren 715 Mill. Mark geplant. Im Volkswirtschaftsplan 1975 sind keine konkreten Zahlen für U.-Maßnahmen bekanntgegeben worden; er enthielt lediglich die Feststellung, daß im Rahmen des U. „die mit dem Volkswirtschaftsplan festgelegten Investitionsmaßnahmen für die Abwasserbehandlung, Reinhaltung der Luft sowie die Nutzbarmachung und schadlose Beseitigung der Abprodukte konzentriert durchzuführen“ sind, durch Rationalisierungen „die Verfügbarkeit und der Wirkungsgrad der vorhandenen Anlagen zu erhöhen“ ist, und fügte schließlich hinzu: „Bessere Bedingungen für die natürliche Umwelt der Men[S. 1097]schen sind insbesondere in den industriellen Ballungsgebieten und Zentren der Arbeiterklasse sowie an den Küstengewässern der Ostsee für die Erholung zu schaffen.“

 

Aus einem knappen Hinweis läßt sich schließen, daß über die Hälfte der 1975 für U.-Maßnahmen vorgesehenen Investitionen auf die Bezirke Cottbus, Halle, Leipzig, Karl-Marx-Stadt und auf Berlin (Ost) konzentriert wurden.

 

Obwohl vom Ministerium für U. und Wasserwirtschaft kein Rechenschaftsbericht über die im vergangenen Planjahrfünft erzielten Erfolge veröffentlicht worden ist, kann vermutet werden, daß die geplanten Maßnahmen größtenteils realisiert worden sind.

 

VIII. Die Umweltpolitik seit 1976

 

 

Während die DDR-Führung in der ersten Hälfte der 70er Jahre noch mit großem Elan umweltpolitische Verbesserungen anstrebte und dafür ein umfangreiches Programm in Angriff nahm, ist es um den U. in der zweiten Hälfte der 70er Jahre sehr viel ruhiger geworden. Der laufende Fünfjahrplan 1976–1980 enthält kein geschlossenes Umweltprogramm mehr. Stattdessen heißt es ganz allgemein, daß „planmäßig Maßnahmen für die Reinhaltung der Gewässer, die Nutzung und den Schutz des Bodens, die Reinhaltung der Luft, die Minderung des Lärms sowie die Beseitigung und Verwertung von Siedlungsmüll und industriellen Abfallprodukten durchzuführen“ sind. Der Hauptgrund für diese Zurückhaltung dürfte darin liegen, daß die Staatsführung der DDR zunächst die für sie unerwarteten Preissteigerungen für Rohstoffe auf dem Weltmarkt durch sparsameren Materialeinsatz sowie erhöhte Exportanstrengungen auffangen muß und deshalb der Umfang der vorgesehenen Investitionen für den U. verringert werden mußte.

 

Im einzelnen soll mit gezielten Maßnahmen eine Senkung des spezifischen Wasserbedarfs in der Industrie um 20 v. H. erreicht, gleichzeitig jedoch im Zusammenhang mit dem Wohnungsbauprogramm (Bau- und Wohnungswesen) besonders in Gebieten mit hohen Neubauzielen (z. B. Berlin. Leipzig, Karl-Marx-Stadt, aber auch in Halle und Dresden) die Wasserversorgung weiter ausgebaut werden. Es ist vorgesehen, die Kapazitäten der Wasserwerke von 5,8 Mill. m³ (1975) auf 6,8 Mill. m³ (1980) Tagesleistung zu erhöhen. Der Stauraum soll um 180 Mill. m³ auf 1400 Mill. m³ Gesamtkapazität steigen und das Trinkwasserleitungsnetz um 5.000 km erweitert werden (Wasserwirtschaft). Die Umweltbedingungen sollen insbesondere in den Ballungsgebieten verbessert werden; in diesen ist sowohl eine hohe Wasserverschmutzung als auch eine zunehmende Luftverschlechterung zu verzeichnen (SO₂-Immissionen, Schwefel-Immission und Staubauswurf). Zum Beispiel waren bereits im Jahr 1970 im Umkreis von etwa 340 ha um das Gaskombinat „Schwarze Pumpe“ im Bezirk Cottbus nur noch 20 v. H. aller Bäume gesund, 10 v. H. der Waldbestände hingegen bereits vernichtet. Deshalb sollen im laufenden Fünfjahrplan vordringlich Verfahren zur Entgiftung und Reinigung der Abwässer der erdölverarbeitenden und petrochemischen Industrie sowie der Pflanzenschutzmittel-, Farben- und Düngemittelindustrie entwickelt werden.

 

Zur Luftreinhaltung ist die beschleunigte Entwicklung wirksamer Abgasreinigungsverfahren (z. B. zur Entschwefelung von Rauchgasen) vorgesehen. Ferner ist eine Verringerung der Arbeitsplätze mit Lärmbelästigung durch die Anwendung geeigneter Schallschutzelemente und die Berücksichtigung wirksamer Lärmschutzmaßnahmen bei künftigen städtebaulichen Anlagen geplant, denn 30 v. H. der Bevölkerung klagen über Produktions- und Verkehrslärm.

 

Das Meliorationsprogramm sieht vor, rd. 500.000 ha Bodenfläche zu bewässern, darunter 300.000 ha Beregnungsfläche. Schließlich ist die Rekultivierung von mindestens 12.500 ha Abbauflächen der Braunkohlentagebaue vorgesehen. Bis 1980 wird die Förderung in etwa einem Drittel der Tagebaukapazitäten auslaufen, 7 neue Tagebaue sollen erschlossen werden.

 

Da das Müllvolumen von 16 Mill. m³ (1970) bis zum Jahr 1990 auf etwa 31 Mill. m³ anwachsen wird, sind auf diesem Gebiet erhebliche Anstrengungen notwendig. Nur 2 bis 3 v. H. der Siedlungsabfälle sowie 15 v. H. der industriellen Abprodukte werden bisher aufbereitet wieder genutzt. 70 v. H. der verwertbaren Aschen konnten wieder wirtschaftlichen Verwendungen zugeführt werden. An Kraftwerkaschen fallen derzeit jährlich etwa 14,5 Mill. t an (1980: rd. 16,5 Mill. t). Davon lassen sich jedoch nur etwa 3 Mill. t verwerten (z. B. für Baumaterialien, als Füll- und Dämmstoffe bzw. als Neutralisationsmittel).

 

Insgesamt zeigt sich, daß trotz Einschränkung der Investitionen für den U. und gezielter Berücksichtigung nur der dringlichsten Projekte eine intensivere Nutzung der vorhandenen Anlagen angestrebt wird. So wird z. B. darauf verwiesen, daß die Staubbelastung in den Bezirken Halle und Cottbus bei maximaler Ausnutzung der vorhandenen Staubrückhalteanlagen um ein Drittel gesenkt werden könnte.

 

Wichtiges Anliegen des laufenden U.-Programms der DDR ist seine Verknüpfung mit den Erfordernissen einer verbesserten Materialökonomie: Abprodukte sollen besser verwertet und vermehrt als Sekundärrohstoffe eingesetzt werden. Auf dieses Ziel ist ein erheblicher Teil der mit U. befaßten Forschung konzentriert; darüber hinaus wird jedoch auch an der Entwicklung neuer Technologien zur Rückhaltung von Schadstoffen sowie an schadstoffarmen bzw. -freien Technologien gearbeitet.[S. 1098]

 

IX. Zusammenarbeit im RGW

 

 

Bereits im Rahmen des Komplexprogramms des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) ist eine stärkere Zusammenarbeit auf dem Gebiet des U., vornehmlich bei der Forschung, vereinbart worden. Zur Koordinierung der U.-Forschung wurde 1973 der „Rat für Fragen des U.“ gebildet, dem die jeweiligen stellvertretenden Minister für U. der einzelnen RGW-Länder angehören. Allein 37 der 97 wissenschaftlich-technischen Forschungsvorhaben des Komplexprogramms betreffen den U.; an ihnen ist die DDR intensiv beteiligt. 360 Forschungsstellen in der DDR arbeiten an 112 Themen zum U., z. B. über Fragen des Schutzes der Atmosphäre, des Schutzes des Wassers, der Verwertung von Abfällen, der Schaffung optimaler Beziehungen zwischen Lebewesen und Umwelt (Ökosysteme). In den Jahren 1973–1975 wurde ein detailliertes Gesamtprogramm der Zusammenarbeit auf dem Gebiet des U. für die Fünfjahrplanperiode 1976 bis 1980 erarbeitet und in die Pläne der einzelnen Mitgliedsländer aufgenommen. Die Forschungsthemen sind in 11 Problemkomplexe aufgegliedert, für jeden Komplex wurde das fachlich zuständige Institut eines RGW-Landes mit der Koordinierung der Forschung beauftragt. So obliegt z. B. dem Institut für Luft- und Kältetechnik in Dresden die Aufgabe, jene Forschungen zu koordinieren, die sich mit Methoden zur Beseitigung von — durch Betriebe und Kraftfahrzeuge — in die Atmosphäre abgelassenen Schadstoffen beschäftigen.

 

Ferner bemühen sich die Regierungen der RGW-Staaten in bilateralen Abkommen um die Festlegung einheitlicher Schadstoffgrenzwerte in den Partnerländern sowie um die Lösung der Probleme der grenzüberschreitenden Verschmutzungen. Der U. wird neuerdings auch in zwischenstaatlichen Freundschaftsabkommen als Gemeinschaftsaufgabe angesprochen.

 

Um die gemeinsamen Arbeiten weiter zu vertiefen, fand im Oktober 1976 im Sekretariat des RGW in Moskau eine Konferenz sämtlicher RGW-Mitgliedsländer statt, auf der die einzelnen Länder einen Überblick über den Stand ihrer U.-Maßnahmen gaben und aktuelle Fragen des U. erörterten, ferner koordinierende Forschungen diskutierten sowie gemeinsame Schutzmaßnahmen besprachen. Außerdem standen Fragen der Einbeziehung des U. in die Planungssysteme der Mitgliedsländer im Vordergrund, insbesondere Probleme der Regionalplanung (regionale Entwicklungspläne, Festlegung von Kennziffern für die Inanspruchnahme von Wasser, Luft. Boden. Transportbelastungen sowie Probleme der Agglomeration).

 

Letztlich ist versucht worden. Maßnahmen für Umweltverbesserung und die rationellere Nutzung der Naturschätze in ein System von Kriterien und Kennziffern der Jahrespläne einzufügen, um auch das wirtschaftliche Interesse an Verbesserungen von Natur und Umwelt auf allen Planungs- und Leitungsebenen anzuregen. Dieses Ziel ist jedoch noch weit von seiner Verwirklichung entfernt.

 

X. Besondere Probleme des Umweltschutzes in der DDR

 

 

Zweifellos hat sich das Umweltbewußtsein bei der Bevölkerung und in der Industrie in den letzten Jahren verstärkt, staatliche Stellen bemühen sich, die Forschung vermehrt auf Umweltprobleme zu lenken und die Betriebe zu einer Minderung und Beseitigung der Umweltgefahren zu veranlassen. Auch wenn beim DDR-Umweltprogramm „normale“ Maßnahmen — wie Meliorationen, Vergrößerung der Wasserbereitstellungskapazitäten — einbezogen werden, die nicht ausschließlich Umweltfunktionen erfüllen, so sind doch die eingeleiteten Bemühungen (Gewinnung von Sekundärrohstoffen, Müllkompostierung, Lärmschutz) sowie die beginnende Zusammenarbeit innerhalb des RGW beachtenswert. Allerdings ist in den letzten beiden Jahren weniger getan worden als etwa 1973/74.

 

Zu bedauern ist die bisher nur geringe Zusammenarbeit der DDR mit westlichen Ländern, da die grenzüberschreitenden Wirkungen von verschmutzten Flüssen, von Abgasen und anderen Schadstoffen außerordentlich schwerwiegend sein können. In der Bundesrepublik Deutschland wirken sich z. B. die Abwässer der Thüringischen Kaliwerke — wegen Versalzung der Werra — ungünstig auf das Bremer Trinkwasser aus; aber auch der nordbayerische Raum wird durch aus der DDR stammende Abwässer beeinträchtigt. Immerhin konnten im September 1973 Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR über Grundsätze der Schadensbekämpfung an der Grenze sowie zu Instandhaltung und Ausbau der Grenzgewässer (einschl. der dazugehörigen wasserwirtschaftlichen Anlagen) abgeschlossen werden (Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten). Das Problem der „Versalzung von Werra und Weser“ ist damals zwar ebenfalls angesprochen, jedoch vertagt worden. Bisher ist es nicht zu weiteren Verhandlungen über dieses Thema gekommen.

 

Bezüglich der Ostsee ist die Situation etwas günstiger: Im Jahr 1970 haben die Ostsee-Anrainerstaaten ein Abkommen ausgehandelt, das die Ölverschmutzung eindämmen sollte. Drei Jahre später kam es in Danzig zu einer Ostseekonferenz, die eine „Konvention über den Fischfang und den Schutz der biologischen Ressourcen der Ostsee“ beschloß. Im Jahr 1974 ist auf einer Konferenz in Helsinki eine „Konvention zum Schutz der Meeresumwelt im Ostseegebiet“ verabschiedet worden. Seitdem wurden auch mit westlichen Ländern einige bilaterale Verträge abgeschlossen (z. B. 1976 zwischen der DDR und [S. 1099]Schweden). Im Bereich der Forschungen zur Reinhaltung der Ostsee besteht also eine in Ansätzen funktionierende Zusammenarbeit zwischen einigen west- und osteuropäischen Ländern. So waren z. B. Forschungsschiffe des Instituts für Meereskunde der DDR an der Erforschung sauerstoffarmer Gebiete der Ostsee beteiligt, deren Ausdehnung durch Überdüngung des Wassers mit Nährsalzen ständig zunimmt. In bodennahen Zonen sowie in Wassertiefen um bzw. über 100 m bildet sich dort aufgrund biochemischer Vorgänge Schwefelwasserstoff, eine für Flora und Fauna äußerst giftige Verbindung.

 

 

Wirksame Lösungen der heutigen und künftigen Umweltprobleme erfordern neben einer umfassenden internationalen Zusammenarbeit, neben einer Intensivierung der Forschung sowie der Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der Festlegung der regionalen Investitionsstruktur vor allem die Bereitstellung umfangreicher finanzieller Mittel. Auch Wissenschaftler aus der DDR erkennen gegenwärtig an, daß — abgesehen von der Rohstoffwiedergewinnung — „Aufwendungen für die Verhinderung von Umweltschäden zu den Produktionskosten zu rechnen“ sind und somit in die „wirtschaftliche Rechnungsführung“ einbezogen werden sollten. Die Einsicht nimmt zu, daß U.-Maßnahmen „zum großen Teil nichtproduktiven Charakter“ haben, also eine „zeitweise Verlangsamung des Wachstumstempos“ der Gesamtwirtschaft bewirken können, daß aber „gesunde Arbeits- und Lebensbedingungen aller Werktätigen“ ein wesentliches Bedürfnis darstellen, dessen Befriedigung nicht „in einem Zuwachs des Nationaleinkommens“ zu messen sei.

 

Bei allen guten Ansätzen zum U. dürfte die Wirtschaftsführung der DDR jedoch auch noch in den nächsten Jahren dem Einsatz aller verfügbaren Mittel für Produktionssteigerungen Vorrang einräumen.

 

Manfred Melzer


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 1091–1099


 

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Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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