Abgrenzung (1979)
Siehe auch die Jahre 1975 1985
Von der SED-Führung seit Herbst 1970 verwendeter zentraler politischer Begriff zur Kennzeichnung ihrer Politik gegenüber der Bundesrepublik Deutschland. Nachdem H. Axen am 13. 9. 1970 erklärt hatte, der „antifaschistische Grundzug der DDR“ verpflichte sie, in Gegenwart und Zukunft den „sozialistischen Arbeiter-und-Bauern-Staat weiterhin auf allen Gebieten von der imperialistischen Bundesrepublik abzugrenzen“, bezeichnete W. Stoph am 7. 10. 1970 die A. als einen „objektiven Prozeß“, der sich „angesichts der Gegensätzlichkeit der Staats- und Gesellschaftssysteme unvermeidlich“ vollziehe.
Erkenntnis und Anerkennung der A. als einer historischen Gesetzmäßigkeit im Sinne des zeitgenössischen Marxismus-Leninismus gelten als Voraussetzung einer Politik der Friedlichen Koexistenz; dabei wird das Verhältnis, zwischen den beiden deutschen Staaten als Widerspiegelung eines weltweiten Gegensatzes zweier fundamental verschiedener Gesellschaftssysteme gedeutet: „Die Abgrenzung zwischen Imperialimus und Sozialismus vollzieht sich im Weltmaßstab und damit genauso zwischen der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik und der kapitalistischen BRD.“
Maßgebliche Politiker der DDR betonen, daß A. nicht als Selbstisolierung oder Abkapselung von „fortschrittlichen Kräften“ in den westlichen Ländern aufzufassen sei. In der politischen Praxis hat die Politik der A. zu einer erneuten Drosselung der in der Folge des Grundlagenvertrages erheblich erweiterten Kontakte und zu einer betonten Zurückhaltung gegenüber neuen Kommunikationsmöglichkeiten im kulturell-ideologischen Bereich geführt.
Auf der 9. Tagung des ZK der SED im Mai 1973 erklärte E. Honecker, nicht Sprache und Kultur hätten die Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland gezogen, sondern „die unterschiedliche, ja, gegensätzliche soziale Struktur“ der beiden deutschen Staaten: „Gemeinsamkeiten in der Sprache können diese Realitäten nicht hinwegzaubern. Abgesehen davon, daß solche Gemeinsamkeiten noch lange nicht identisch sind mit einem gemeinsamen Staatswesen, mit einer gemeinsamen Nation.“ Nach Honecker gilt das gleiche auch für Geschichte und Kultur.
„Gemeinsame Geschichte? Dafür seien nur die Geschichtsbücher in beiden deutschen Staaten herangezogen. Es gibt zweierlei Geschichte … Gemeinsame Kultur? Stets gab es auch in Deutschland zwei Kulturen, die der herrschenden Ausbeuterklasse und die der werktätigen Massen.“ Letztere sei zur „aufblühenden sozialistischen Nationalkultur der DDR geworden“ ― geschieden durch eine „unüberbrückbare Kluft zum spätbürgerlichen Kulturverfall, zur Entstellung des Menschenbildes, zu Pornographie, Brutalität und bewußt betriebener Verdummung im imperialistischen Staat“.
A., in der Entschließung des VIII. SED-Parteitages (1971) als „gesetzmäßiger Prozeß“ bestätigt, schließt jedoch im Verständnis der DDR die Herstellung und Aufrechterhaltung normaler zwischenstaatlicher Beziehungen auf völkerrechtlicher Grundlage nicht aus.
Die Politik der A. muß als eine Abwehrstrategie gegenüber westlichen Einflüssen verstanden werden. Sie nahm daher an Bedeutung und Intensität zu, als sich die DDR der internationalen Entspannung anpassen mußte und durch vertragliche Regelungen (Grundlagenvertrag) die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den Bürgern beider deutscher Staaten wesentlich erleichtert wurden.
Auch in den Reden und Beschlüssen des IX. Parteitages der SED (1976) ist die A.-Politik erneut bekräftigt und als ein — im Hinblick auf die KSZE-Konferenz von Helsinki (1975) — völkerrechtlich bestätigtes — Grundelement in den Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten bezeichnet worden. Deutschlandpolitik der SED; Außenpolitik.
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 1
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