Jazz (1979)
Siehe auch die Jahre 1963 1965 1966 1969 1975 1985
In der DDR unterscheidet man in der Entwicklung des J. 3 wesentliche Strömungen: eine „volkstümlich-demokratische“, die die Anfangsphase der J.-Entwicklung kennzeichnet und bis heute wirksam geblieben ist, die Strömungen des „kommerzialisierten J.“ und diejenigen des „snobistischen J.“, dessen Aufkommen vor allem nach dem II. Weltkrieg angesetzt wird. Nach anfänglicher Ablehnung des J. und zwischenzeitlichen Verboten (u. a. Verbot von J.-Sendungen im Rundfunk) haben heute dessen „progressive, volkstümlich-demokratische“ Strömungen „im Rahmen der vielfältigen Musikpflege in der DDR … einen gleichberechtigten Platz neben den anderen Formen und Stilen der Weltmusikkultur“.
Die Abwehr von Einflüssen der „bürgerlichen Dekadenz“ auf die Kunst und Lebensauffassung der SED führte schon 1958 mit der AO über die Programmgestaltung bei Unterhaltungs- und Tanzmusik zu weitgehendem Verbot westlicher Tanzmusik. (Ein entsprechendes Verbot der Wiedergabe westlicher Tanz- und Unterhaltungsmusik wurde 1973, nach dem Aufkommen einer Vielzahl von Diskotheken während der vorangegangenen 2 Jahre, mit der AO über Diskothekveranstaltungen - Diskothekordnung [GBl. I. S. 38 f.] erlassen.) Diese Maßnahmen wirkten sich auch auf den J. aus, mit dem man die Gefahr der Übertragung „amerikanischer Lebensweise“ aufkommen sah, und dessen Einflüsse deshalb im Hinblick auf die Entwicklung einer eigenen kulturellen Massenarbeit, besonders der Volksmusik, als negativ angesehen wurden.
Nach 1961 traten wieder Lockerungen ein. 1965 wurde die heute noch bestehende Konzertreihe „Jazz in der Kammer“ begonnen. Diese vom Deutschen Theater Berlin getragenen Veranstaltungen, die im Abstand von 6 Wochen stattfinden, sollen vor allem von unmittelbarem westlichem Einfluß freie zeitgenössische moderne Strömungen des J. vorstellen. In Anlehnung an diese Reihe und in Zusammenarbeit mit den Veranstaltern der Berliner J.-Abende wurde 1973 vom Volkstheater Rostock die Reihe „Jazz-Szene“ begonnen. Auch hier werden in- und ausländische Gruppen vorgestellt.
Inzwischen hat sich die Einstellung zum amerikanischen [S. 556]J. entschärft. Seit 1975 liegt bei AMIGA (Musik) eine Edition nahezu aller bedeutenden J.-Musiker der Vergangenheit nach Originalaufnahmen von RCA-Schallplatten aus den 30er und 40er Jahren (Goodman, Gillespie, Count Baisie, D. Ellington u. a.) vor. In der gleichen Reihe erschienen Aufnahmen, die der Entwicklung des J. in der DDR gewidmet sind. Auch in einigen osteuropäischen sozialistischen Staaten (vor allem in Polen, der ČSSR und der DDR) sind in der Entwicklung des J. ähnliche Erscheinungen erkennbar wie in den nichtsozialistischen Ländern. Auch dort wird teilweise eine Synthese zwischen J. und zeitgenössischer europäischer Avantgarde angestrebt, wobei es sich bei den Komponisten und Interpreten sowohl um J.-Musiker als auch um Komponisten und Kompositionsstudenten der sog. ernsten Musik handelt.
Osteuropäisches Forum für den zeitgenössischen J. (Free Jazz) sind in erster Linie das J.-Festival in Warschau („Jazz Jamboree“) sowie das Prager J.-Festival. Seit 1971 findet in Dresden jährlich das Dixieland-Festival statt, an dem Gruppen aus verschiedenen Ländern teilnehmen.
Zu den führenden J.-Musikern bzw. J.-Gruppen der DDR gehören: der Posaunist Konrad Bauer, der Saxophonist Ernst-Ludwig Petrowski, das Friedhelm-Schönfeld-Trio, das Hubert-Katzenbeier-Quintett, die „Klaus-Lenz-Band“ mit der Sängerin Uschi Brüning, die „Modern-Soul-Band“ mit dem Sänger Klaus Nowodworski, die Gollasch Big Band, die Gruppe Praxis II, die Gruppe SOK, die Gruppe Synopsis und die Old Memory Jazz Band.
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 555–556