DDR von A-Z, Band 1979

Organisationswissenschaft (1979)

 

 

Siehe auch die Jahre 1975 1985


 

1. Geschichte. Die wirtschaftswissenschaftliche Forschung und Praxis in der DDR wurde bis zum heutigen Zeitpunkt entscheidend von der jeweiligen Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik geprägt. Demzufolge lassen sich für den Komplex „Organisation“ und dessen wissenschaftliche Durchdringung im Rahmen einer betrieblichen Organisationslehre bzw. O. verschiedene Entwicklungskonzeptionen und Ausprägungsformen feststellen.

 

Ende der 40er Jahre vollzog sich in der DDR zunächst eine Distanzierung von den Konzepten der „bürgerlichen“ Organisationslehre. Bei der Lösung betrieblicher Organisationsprobleme begann man sich hauptsächlich an dem in der Sowjetunion zu Fragen der Organisation entwickelten Gedankengut zu orientieren, ohne jedoch auf die bestehenden Organisationsprinzipien der abgelehnten bürgerlichen Organisationslehre zu verzichten. So sahen erste Bestrebungen vor, an die Stelle der „bürgerlichen“ O. nunmehr eine „Lehre von der Organisation und den Funktionen der volkseigenen Betriebe und den Vereinigungen Volkseigener Betriebe“ zu setzen. Hinsichtlich der praktischen und theoretischen Auseinandersetzung mit Fragen der Organisation gingen ohne Zweifel entscheidende Impulse von der Kammer der Technik aus. Unter ihrer Leitung wurde schließlich 1959 eine der ersten bedeutenden Organisationslehren „Grundfragen der Betriebsorganisation“ veröffentlicht. Im Mittelpunkt dieser Organisationslehre standen Grundsätze und Prinzipien, die auch heute noch bestimmend sind. Als oberster Grundsatz und Grundlage zugleich wurde das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln hervorgehoben. Herausgestellt wurden u. a. ferner das Prinzip der Einheit von politischer und wirtschaftlicher Leitung, das Prinzip des [S. 778]Demokratischen Zentralismus sowie das Prinzip der Einzelleitung und der persönlichen Verantwortung. Beeinflußt wurde die weitere Entwicklung von der in der UdSSR Mitte der 60er Jahre geführten Diskussion um die Herausbildung neuer Methoden der Wirtschaftsführung. Dieser Prozeß umfaßte die Schaffung der organisatorischen, methodologischen und rechtlichen Grundlagen der Leitung der Produktion nach den Prinzipien der vorgesehenen Wirtschaftsreformen. Es ging um die Entwicklung eines neuen Wirtschaftsmechanismus einerseits als eines neuen Systems der Wirtschaftsleitung und andererseits um die Realisierung der für diesen Prozeß notwendigen Voraussetzungen. Die in der UdSSR geäußerte Forderung, eine „Wissenschaft von der Leitung“ zu entwickeln, blieb daher auch in der DDR nicht ohne Resonanz. So setzten die mit der Einführung des Neuen Ökonomischen Systems (NÖS) der Planung und Leitung der Volkswirtschaft ausgelösten Veränderungen und Neuorientierungen auch für die Herausbildung einer Organisationslehre oder O., in der Phase des NÖS auch als „wissenschaftliche Führungstätigkeit“ bezeichnet, neue Maßstäbe.

 

Im Rahmen der geforderten Realisierung einer wissenschaftlich begründeten Führungstätigkeit wurde insbesondere die Anwendung „moderner“ Methoden und Techniken als Instrumente einer effektiveren Leitung und Organisation propagiert. Man hatte die Notwendigkeit erkannt, über den Rahmen der herkömmlichen betrieblichen Organisationslehre hinaus, neue Fragestellungen zu lösen. Diese neuen Fragestellungen ergaben sich einerseits aus unmittelbar praktischen Bedürfnissen einer umfassend geplanten Rationalisierung der Produktionsprozesse und Leitungsarbeiten auf der Grundlage der Datenverarbeitungstechnik und andererseits aus dem erkannten Zwang zu einer mehr interdisziplinären Lösung von Organisationsproblemen durch Berücksichtigung anderer Wissenschaftsdisziplinen wie der Kybernetik oder der Operationsforschung.

 

Mit der Verkündung des NÖS auf dem VII. Parteitag der SED im April 1967 vollzog sich innerhalb der Wirtschaftswissenschaften eine bedeutsame Wende. Neben der geforderten Entwicklung einer sozialistischen Betriebswirtschaftslehre erfuhr auch die O. neue Anregungen. Von Ulbricht wurde zunächst zur Bezeichnung des Wissenschaftskomplexes „Organisation“ die marxistisch-leninistische O. (MLO) proklamiert. Der Ausdruck „marxistisch-leninistisch“ war nicht als Attribut schlechthin anzusehen, sondern sollte Zielsetzung, Wesen, ideologische Position, historische Wurzeln und methodologische Grundlagen einer mit der sozialistischen Gesellschaft verbundenen Organisation bestimmen. Allgemein wurde die MLO als die Wissenschaft von der rationellen Organisation gesellschaftlicher Prozesse bei der Gestaltung des entwickelten Systems des Sozialismus definiert. Als Schwerpunkte bei der praktischen Anwendung dieser MLO wurden unter anderem angesehen:

 

a) Optimale Gestaltung des Zusammenwirkens aller integrierten Teilbereiche des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus sowie Bestimmung von Stellung und Aufgaben der Teilsysteme bzw. Wirtschaftseinheiten (z. B. Betriebe, Kombinate).

 

b) Straffung der organischen Verbindung zwischen der zentralen Leitung einerseits und der eigenverantwortlichen Planung und Leitung in den einzelnen Wirtschaftseinheiten und territorialen Organen andererseits.

 

c) Optimale Organisation im Führungs- und Leitungsbereich.

 

d) Vorbereitung und Durchsetzung einer komplexen Automatisierung der Produktion, der Verwaltungsarbeit und damit auch der Aufbau von Informationssystemen und

 

e) Modellierung der Planung und Leitung in gesamt- und einzelwirtschaftlicher Sicht.

 

Um die verschiedenen gestellten Aufgaben lösen zu können, bediente sich die MLO der Modelle der Operationsforschung, der ökonomischen Kybernetik, der System- und Informationstheorie, der systematischen Heuristik, der Psychologie, der Soziologie, der Pädagogik sowie schließlich der Elektronischen ➝Datenverarbeitung und Bürotechnik.

 

Die MLO gewann zunehmend an Bedeutung und wurde in den Jahren zwischen dem VII. und VIII. Parteitag der SED stark gefördert. Für sie errichtete man eigens eine „Akademie für marxistisch-leninistische Organisationswissenschaft“ bei der AdW, die möglicherweise inzwischen wieder aufgelöst wurde. Betriebliche Organisationsmaßnahmen, die Ausbildung betrieblicher Organisatoren sowie die breite literarische Behandlung praktischer und theoretischer Organisationsfragen wurden ausnahmslos unter dem Leitbegriff MLO geführt. Nach dem ihr eingeräumten politisch-ideologischen Stellenwert zu urteilen, war die MLO durchaus als Instrument von Partei- und Wirtschaftsführung gedacht, um die weitere wirtschaftliche Entwicklung unter Kontrolle zu halten und dabei die Anwendung von elektronischer Datenverarbeitung und Kybernetik zu fördern.

 

2. Zur gegenwärtigen Wissenschaftskonzeption. Mit der vom VIII. Parteitag im Juni 1971 gebilligten modifizierten ökonomischen Grundrichtung wurden neue Prioritäten gesetzt. Es begann ein verstärkter Prozeß der Rezeption und Adaption sowjetischer Erfahrungen und Erkenntnisse. Daneben war es auch Sinn der Beschlüsse des VIII. Parteitages, „einer unnötigen Verkomplizierung und Kybernetisierung der Planung“ entschieden zu begegnen. Den vorgegebenen Leitlinien folgend, nahm die Bedeutung einzelner Wissenschaften, wie z. B. der ökonomischen Kybernetik, der Systemtheorie und der MLO, ab. Demgegenüber gewannen Leitungsprobleme und deren Behandlung im Rahmen der sog. Leitungswissenschaft zunehmend an Bedeutung.

 

So verwundert es nicht, daß nach dem VIII. Parteitag jedwede Erwähnungen der MLO fehlten. Spätere Hinweise auf die MLO machten dann deutlich, daß diese Wissenschaftsdisziplin im Zuge der beschlossenen Realisierung der Umstrukturierung der Wirtschaftswissenschaften praktisch aufgelöst worden war. Statt der MLO wurde die Wissenschaft der sozialistischen Leitung propagiert, weil „die eigentliche Aufgabe in der Leitung be[S. 779]steht, die die Organisation der Arbeit mit einschließt, die sämtliche Seiten der Führungstätigkeit umfaßt“. Damit sollte auch die bisherige Praxis einer Höherbewertung von Organisationsproblemen gegenüber Leitungsproblemen ausgeschaltet werden. Infolge dieser Veränderungen erhielt der Komplex „Organisation“ einen neuen Stellenwert innerhalb des neuen wirtschaftswissenschaftlichen Konzeptes der DDR. Sämtliche Organisationsprobleme werden nicht mehr im Rahmen einer speziellen O. behandelt. Die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit Fragen der Organisation wurde nunmehr zum Gegenstand einer Sozialistischen ➝Leitungswissenschaft (Sozialistische Wirtschaftsführung). Daneben wird in einer engeren begrifflichen Fassung auch von einer „Wissenschaft von der Leitung dersozialistischen Produktion“ gesprochen. Begriffe wie „Leitungswissenschaft“ oder „Wissenschaft von der sozialistischen Leitung“ usw. werden sowohl in der sowjetischen als auch in der Literatur der DDR in doppelter Bedeutung verwandt. Einerseits wird davon ausgegangen, daß der Marxismus-Leninismus als die allgemeine Wissenschaft von der Leitung gesellschaftlicher Prozesse zu verstehen ist und daß sich — als dessen Konkretisierung — spezielle Wissenschaften von der Leitung einzelner Sphären des gesellschaftlichen Lebens entwickeln können. Die lassen sich dann z. B. unter dem Begriff „Sozialistische Leitungswissenschaft“ zusammenfassen. Andererseits wird unter „Leitungswissenschaft“ die Zusammenfassung wissenschaftlicher Grundlagen der Leitung überhaupt oder eine bestimmte Disziplin verstanden. Die Diskussionen in der DDR und in den übrigen RGW-Ländern um Notwendigkeit und Anliegen einer selbständigen Wissenschaftsdisziplin sind allerdings noch nicht abgeschlossen.

 

Eine einheitliche Begriffsfassung existiert daher bisher nicht. „Die Wissenschaft von der Leitung der sozialistischen Produktion befindet sich noch im Entstehungsprozeß. Einige Grundsätze, so vor allem die Bestimmung des Gegenstands und des Inhalts dieser Wissenschaft oder die Auffassung der Leitungsfunktionen und andere, sind deshalb noch nicht eindeutig formuliert …“ (Internationales Autorenkollektiv, Die Leitung der Sozialistischen Industrievereinigungen und Betriebe. Internationale Erfahrungen. Übers, a. d. Russ. Berlin [Ost] 1975, S. 13).

 

Das bisherige Entwicklungsstadium der Leitungswissenschaft läßt jedoch erkennen, daß jedenfalls in der DDR unter der zusammenfassenden Bezeichnung „Leitungswissenschaft“ die Teilbereiche „Sozialistische Wirtschaftsorganisation“, „Sozialistische Leitungsorganisation“ und „Sozialistische Wissenschaftsorganisation“ eingeordnet werden.

 

a) Zur Wirtschaftsorganisation. Die Wirtschaftsorganisation stellt die rationelle und effektive Organisation der Tätigkeit des „produktiven gesellschaftlichen Gesamtarbeiters“ dar. Sie ist gerichtet auf eine rationelle Spezialisierung der Betriebe und Kombinate, auf die Erhöhung der Produktionsmaßstäbe gleicher bzw. gleichartiger Erzeugnisse, auf die Ausweitung der Kombinationen von Produktionsstufen sowie auf die quantitative und qualitative Höherentwicklung zwischenbetrieblicher Kooperation. Die Möglichkeiten für eine effektive Gestaltung der Wirtschaftsorganisation werden insbesondere durch die sozialistische ökonomische Integration der Mitgliederländer des — Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) erweitert. Im Rahmen der durch die Wirtschaftsorganisation induzierten Prozesse entwickeln sich spezifische Organisationsformen weiter, wie z. B. Betriebe, Kombinate, VVB, Kooperationsgemeinschaften u. a.

 

b) Zur Wissenschaftsorganisation. Wissenschaftsorganisation bezeichnet die Organisation des planmäßigen kollektiven Zusammenwirkens wissenschaftlich-schöpferischer Menschen mit dem Ziel, „hohe wissenschaftlich-technische Leistungen zu erbringen und deren möglichst schnelle Nutzung im Produktionsprozeß zu realisieren“. Als Schwerpunkt einer sozialistischen Wissenschaftsorganisation wird die enge Verbindung von Wissenschaft und Produktion herausgestellt. Ziel ist es, durch die Anwendung von Leitungs- und Planungsmethoden die Organisation der wissenschaftlich-technischen Arbeit und deren wirksame Verbindung mit der materiellen Produktion, den wissenschaftlich-technischen Vorlauf, effektiv zu gestalten. Die Wissenschaftsorganisation begründet sich auf den vom „Plan Wissenschaft und Technik“ vorgegebenen technisch-ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Zielen, Aufgaben und Maßnahmen. Sie berücksichtigt darüber hinaus das „Programm der Neuerer“, die „Vorgaben der Messe der Meister von Morgen“ und die Arbeitsergebnisse der Kammer der Technik. Daneben erwachsen der Wissenschaftsorganisation im Rahmen der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit der Mitgliederländer des RGW umfangreiche Aufgaben.

 

c) Zur Leitungsorganisation. Ein wichtiges Element der Leitungswissenschaft ist die Leitungsorganisation. Sie stellt im weitesten Sinne die rationelle und effektive Organisation der Leitung gesellschaftlicher Arbeitsprozesse, insbesondere die Leitung des Reproduktionsprozesses und seiner Teilprozesse, dar. Die Leitungsorganisation verfolgt die zweckmäßigste Gestaltung sowohl der Leitungsprozesse als auch der Struktur des Leitungssystems und schließt die Organisation von Verwaltungsarbeiten ein. Dabei beschäftigt sie sich mit den Beziehungen zwischen den Leitungssubjekten (staatliche und nichtstaatliche Organe) und den Leitungsobjekten (z. B. Betriebe, Kombinate, VVB, Industriezweige usw.), den Leitungsmethoden und den Leitungstechniken (z. B. Organisationsmittel wie Büromaschinen, Lochkartentechnik, elektronische Datenverarbeitungsanlagen und deren Einsatz).

 

Besondere Bedeutung erlangen Leitungsmethoden und -techniken bei der Organisation von Informationsprozessen mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung (automatisierte Leitungssysteme, ALS).

 

Die Leitungsorganisation steht in enger Verbindung mit der Wirtschafts- und Wissenschaftsorganisation. So beeinflußt z. B. die Weiterentwicklung der Leitungsorganisation eine Vervollkommnung der Wirtschafts- und Wissenschaftsorganisation. Ebenso verändern wirt[S. 780]schafts- und wissenschaftsorganisatorische Maßnahmen die zu leitenden gesellschaftlichen Prozesse und erfordern entsprechende Veränderungen der Leitungsorganisation. Schließlich müssen gesellschaftliche Organisation und wissenschaftliche Tätigkeit als Aufgaben der Leitung angesehen werden; sie stellen bestimmte Anforderungen an die Leitungsorganisation.

 

Gemeinsamer Inhalt der Wirtschafts-, Wissenschafts- und Leitungsorganisation ist die rationelle Gestaltung der Vergesellschaftung der Arbeit und der Leitung des vergesellschafteten Arbeitsprozesses. Bei der Nutzung der Produktivkraft „Organisation“ auf betrieblicher Ebene erlangen Wissenschafts-, Wirtschafts- und Leitungsorganisation eine besondere Bedeutung. Sie beeinflussen einerseits Maßnahmen der Betriebsorganisation und sind andererseits spezifische Ausprägungsformen der organisatorischen Tätigkeit im Betrieb.

 

3. Betriebsorganisation. Als Betriebsorganisation wird in der DDR die Organisierung des kooperativen und kollektiven Zusammenwirkens der Arbeitskräfte im Betrieb bezeichnet. Ziel soll sein, ein reibungsloses und rationelles Zusammenwirken aller Elemente des betrieblichen Reproduktionsprozesses (Arbeitskräfte, Arbeitsmittel, Arbeitsgegenstände) zu gewährleisten sowie Reserven für die sozialistische Rationalisierung der Produktion zu erschließen und volkswirtschaftlich nutzbar zu machen.

 

Betriebsorganisation umfaßt den Aufbau und den Ablauf des Betriebsprozesses. Im einzelnen handelt es sich hierbei um die Gestaltung

 

a) der Einsatzfaktoren (Sach-, Arbeits- und Kapitalstruktur), um die Leistungsbereitschaft des Betriebes zu gewährleisten;

 

b) des Fertigungsablaufes (Beschaffung, Produktionsvorbereitung einschließlich der Forschung und Entwicklung, Fertigung, Absatz) und

 

c) der formalen Prozesse (Leitung und Planung, Information und Kommunikation, Organisation und Kontrolle).

 

Im Mittelpunkt der Betriebsorganisation steht die Leitungsorganisation. Sie umfaßt

 

a) die organisatorische Sicherung der Teilnahme der Werktätigen an der Leitung;

 

b) die Organisation der Entscheidungen sowie der Informationsbeziehungen und

 

c) die Struktur der Leitungsorgane.

 

Im Rahmen der Organisation der Entscheidungen und der Informationsbeziehungen ist es insbesondere Aufgabe der Leitungsorganisation, auf der Grundlage der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) und unter Berücksichtigung der Operationsforschung sowie der ökonomischen Kybernetik automatisierte Leitungssysteme zu entwickeln.

 

Die gegenwärtig verbindliche Leitungsstruktur eines Industriebetriebes weist verschiedene Ebenen auf. Der Betriebsleitung liegt das „Linie-Stab-System“ zugrun[S. 781]de. Dieser Begriff deutet daraufhin, daß für jeden Verantwortungs- und Arbeitsbereich ein Leiter mit voller Verantwortung und mit Weisungsrecht („Prinzip der Einzelleitung“) gegenüber den direkt unterstellten Leitern eingesetzt ist (vgl. hierzu das Schaubild zur Leitungsstruktur des Industriebetriebes).

 

 

Als Instrumente jeder betrieblichen Organisationsarbeit gelten vor allem die elektronische Datenverarbeitung (EDV), die Wissenschaftliche ➝Arbeitsorganisation (WAO), die Operationsforschung und die ökonomische Kybernetik.

 

Zur Durchführung aller Aufgaben einer Betriebsorganisation bestehen in größeren Betrieben und Kombinaten besondere Abteilungen für Betriebsorganisation, die ggf. dem Organisations- und Rechenzentrum (ORZ) angeschlossen sind.

 

4. Beispiele aus der Organisationspraxis einer „sozialistischen Leitungswissenschaft“ und — mit ihr — jede Form der Organisation dient der Festigung des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems der DDR. Dabei wird den leitenden Kadern (Kaderpolitik) die Aufgabe gestellt, konkrete Organisations- und Leitungsentscheidungen an den von der SED-Führung festgelegten Prinzipien über Zwecke, Ziele und Formen der Leitung der Gesellschaft auszurichten. Entsprechend waren bisherige Organisationsmaßnahmen von den politisch-ideologischen Entwicklungslinien der Partei- und Wirtschaftsführung bestimmt. Beispiele hierfür sind:

 

a) Organisation des Belegwesens. Grundlage für die Organisation des Belegwesens boten z. B. die für den gegenwärtigen Perspektivplanungszeitraum bis 1980 verbindliche „Planungsordnung“ und die „Rahmenrichtlinie“. Beide schrieben die Verwendung bestimmter vereinheitlichter und datenverarbeitungsgerecht gestalteter Belege vor: Vordrucke. Drucklisten, maschinenlesbare Datenträger. Diese Belege bilden u. a. die Grundlage der Berichterstattung aller am gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß beteiligten Betriebe, Kombinate usw., insbesondere über Informationen aus dem Bereich „Rechnungsführung und Statistik“.

 

b) Neue Formen der Wirtschaftsorganisation. Bereits auf dem IX. Parteitag der SED (1976) war u. a. festgelegt worden, daß die Kombinate als ein Hauptbestandteil des Leitungsaufbaus der Industrie anzusehen seien. Daher wurde gefordert, den Prozeß der Konzentration, Spezialisierung und Kooperation in der Industrie und im Bauwesen nach Maßgabe der zweiglichen und territorialen Erfordernisse zu intensivieren. Entsprechend sind dann, ausgehend von weiteren Beschlüssen der 6. Tagung des ZK der SED im Juni 1977, Maßnahmen festgelegt worden, die das Ziel verfolgten, insbesondere die Leitung des Industriebereichs Elektrotechnik/Elektronik zu vervollkommnen. Auf der 7. ZK-Tagung im November 1977 sind daraufhin Beschlüsse gefaßt worden, die u. a. mit der Bildung neuer Kombinate eine deutliche Umstrukturierung dieses Industriebereichs vorsahen. Nach den vollzogenen Veränderungen sind seit Beginn des Jahres 1978 folgende neue Kombinate selbständig tätig und dem zuständigen Ministerium direkt unterstellt:

  • VEB Kombinat Robotron Dresden (einschließlich der diesem unterstellten Betriebe des aufgelösten VEB Kombinat Zentronik Erfurt);
  • VEB Kombinat Mikroelektronik Erfurt (mit den Betrieben, die zuvor der VVB Automatisierungsgeräte bzw. der früheren VVB Bauelemente und Vakuumtechnik unterstanden);
  • Kombinat VEB Narva Berlin (Ost) (früher Betrieb der gleichfalls umstrukturierten VVB Bauelemente und Vakuumtechnik);
  • Kombinat VEB Pentagon Dresden (früher Betrieb der VVB Elektrische Konsumgüter).

 

Darüber hinaus wurde die frühere VVB Bauelemente und Vakuumtechnik Berlin (Ost) zum Kombinat VEB Elektronische Bauelemente, Teltow, umorganisiert. Die ehemalige VVB Elektrische Konsumgüter wurde aufgelöst. Aus ihr gingen das Kombinat VEB Fahrzeugelektrik Ruhla und das Kombinat VEB Elektrogeräte Suhl hervor.

 

c) Neue Organisationsformen bei der Nutzung von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen.

 

Um die Effektivität des EDV-Einsatzes zu erhöhen, werden gegenwärtig verstärkt die Rechenkapazitäten territorial konzentiert. Die Planungen bis 1980 und darüber hinaus sehen neue Organisationsformen der Nutzung von Rechenanlagen vor (Elektronische ➝Datenverarbeitung). Bei diesem Konzentrationsprozeß nehmen die VVB Maschinelles Rechnen mit ihren Bezirksrechenzentren unter der Bezeichnung „territoriale Datenverarbeitungszentren kollektiver Nutzung“ eine besondere Stellung ein: als volkseigene Dienstleistungsbetriebe sichern sie der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik die Bereitstellung ökonomisch relevanter Daten und ermöglichen auf diese Weise eine Kontrolle über den Planvollzug der Betriebe und Institutionen, die die Rechenkapazitäten der Betriebe der VVB MR in Anspruch nehmen.

 

5. Zum Organisationsbegriff. Der Begriff „Organisation“ bezeichnet im weitesten Sinne eine zielgerichtete Ordnung des Ablaufs von Prozessen sowie den Aufbau von Systemen in Abhängigkeit von den Produktionsverhältnissen und dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte. Organisation als Ausdruck einer organisierenden Tätigkeit entwickelt und stellt (als Ergebnis einer Organisationstätigkeit) eine Ordnung dar, welche Stellung, Funktion und Beziehungen der Teilelemente eines Systems sowie die Art und Weise ihres rationellen Zusammenwirkens mit dem Ziel optimaler Ergebnisse fixiert.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 777–781


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.