DDR von A-Z, Band 1979

Sekretariat des Zentralkomitees (ZK) der SED (1979)

 

 

Siehe auch:


 

Nach Punkt 42 des Parteistatuts von 1976 wählt das Zentralkomitee zur politischen Leitung seiner Arbeit zwischen den Plenartagungen das Politbüro und „zur Leitung der laufenden Arbeit, hauptsächlich zur Durchführung und Kontrolle der Parteibeschlüsse und zur Auswahl der Kader, das Sekretariat …“. Dem Politbüro untergeordnet, bildet das S. das operative, d. h. faktische Führungszentrum der SED. Im S. des ZK sind politische Macht, ideologische und politische Richtlinienkompetenz und Sachverstand vereinigt.

 

Das heutige S. des ZK kann kaum mit dem vom April 1946 bis Sommer 1949 amtierenden Zentralsekretariat (ZS) verglichen werden, das sowohl die Funktionen des späteren Politbüros als auch die eines S. wahrnahm. Gemäß dem ersten Statut der SED von 1946 war das Zentralsekretariat dem Parteivorstand für die „Durchführung der Politik der Partei verantwortlich“. Es setzte sich aus den beiden Parteivorsitzenden und weiteren 12 Mitgliedern zusammen und wurde aus der Mitte des Parteivorstandes gewählt. Dem ersten ZS, das von April 1946 bis zum September 1947 bestand, gehörten 7 ehemalige KPD- und 7 frühere SPD-Mitglieder (paritätische Besetzung) an. Auf dem II. Parteitag wurde die Zahl der ZS-Mitglieder auf 16 erhöht. Die Parität blieb erhalten.

 

Bereits unmittelbar vor der 1. Parteikonferenz im Januar 1949 wurde das Prinzip der Parität durchbrochen. Nach der Flucht des früheren SPD-Mitgliedes Gniffke wurden ein ehemaliges SPD-Mitglied (Buchwitz) und zusätzlich ein früheres KPD-Mitglied (W. Koenen) in das ZS berufen.

 

Durch die Gründung des Politbüros und des „Kleinen S.“ auf der 1. Parteikonferenz verlor das ZS seine bis dahin zentrale Funktion und wurde daher im Frühsommer 1949 aufgelöst. Im Juli 1949 erfolgte auf Beschluß des Parteivorstandes die Auflösung der „Großen S.“ auf Landesebene.

 

Unmittelbar vor der 1. Parteikonferenz, am 24. 1. 1949, beschloß der Parteivorstand neben der Gründung des Politbüros die Schaffung des „Kleinen S.“. Seine ursprüngliche Aufgabe bestand in der „Unterstützung der ganzen Arbeit des Politbüros, zur Kontrolle der Durchführungen seiner Beschlüsse, zur Vorbereitung der Vorlagen und zur Erledigung der laufenden Arbeit“. Das neugeschaffene erste „Kleine S.“ setzte sich ursprünglich aus 5 Mitgliedern (Ulbricht. Dahlem, Oelßner, E. Baumann und Wessels) zusammen, von denen nur 2 (Ulbricht und Dahlem) dem Politbüro angehörten. Noch im Verlauf des Jahres 1949 wurde das „Kleine S.“ in das „S. des ZK“ umgewandelt und seine Eigenständigkeit erhöht.

 

Das zweite Parteistatut, vom III. Parteitag (1950) beschlossen, übertrug dem S. „die allgemeine Leitung der Organisationsarbeit und die tägliche operative Führung der Tätigkeit der Partei“.

 

Die Zahl der S.-Mitglieder erhöhte sich von 5 auf 11, Ende 1952 durch Kooptation auf 13. Im Juli 1953, auf der 15. ZK-Tagung (dem zweiten ZK-Plenum unmittelbar nach dem Juni-Aufstand) wurde beschlossen, „aus Gründen der Verbesserung der leitenden Organe des ZK, das S. des ZK in seiner bisherigen Form aufzuheben“ und es auf 6 Sekretäre zu verkleinern. Bereits 1954 wurde es aber wieder auf 9 Sekretäre vergrößert. Nach dem VI. Parteitag der SED (beginnend mit Februar 1963) wurden beim Politbüro 2 Büros (Industrie und Bauwesen, Landwirtschaft) und 2 Kommissionen (Ideologie, Agitation) eingerichtet. Mit Ausnahme der Agitations-Kommission wurden diese Büros bzw. Kommissionen auf allen Ebenen der Parteiorganisation installiert. Die Büros und Kommissionen beim Politbüro wurden von Mitgliedern bzw. Kandidaten des Politbüros geleitet. Diese organisatorische Reform innerhalb der SED orientierte sich an den von Chruschtschow auf dem November-Plenum des ZK der KPdSU von 1962 angekündigten Veränderungen innerhalb der sowjetischen Partei. Nach Chruschtschows Sturz und dem XXIII. Parteitag der KPdSU wurden diese Reformen (noch vor dem VII. Parteitag der SED 1967) wieder rückgängig gemacht. Das S. erhielt wieder seine alten Rechte und Funktionen.

 

An der Spitze des S. steht der „Generalsekretär“ (bis zum IX. Parteitag [1976] „Erster Sekretär“) der SED. Neben dem Generalsekretär gehören dem derzeitigen (1978) S. 10 weitere Sekretäre an:

 

Hermann Axen (geb. 1916) für internationale Verbindungen,

 

Horst Dohlus (geb. 1925) für Parteiorgane,

 

Gerhard Grüneberg (geb. 1921) für Landwirtschaft,

 

Kurt Hager (geb. 1912) für Kultur und Wissenschaft,

 

Joachim Herrmann (geb. 1928) für Agitation,

 

Werner Jarowinsky (geb. 1927) für Handel und Versorgung,

 

[S. 956]Ingeborg Lange (geb. 1927) für Frauenfragen,

 

Günter Mittag (geb. 1926) für Wirtschaft,

 

Albert Norden (geb. 1904) für Propaganda,

 

Paul Verner (geb. 1911) für Sicherheit.

 

Im 11köpfigen S. ist seit Oktober 1973 (10. ZK-Plenum) wieder eine Frau (I. Lange) vertreten. Das Durchschnittsalter der Sekretäre beträgt 56 Jahre (1978). 2 Sekretäre leiten zugleich auch Abteilungen im ZK-Apparat: H. Dohlus die Abteilung Parteiorgane und I. Lange die Abteilung Frauen. Insgesamt unterstehen den Sekretären die mehr als 40 Abteilungen sowie die Parteiinstitute. Personell besonders stark besetzte Abteilungen sind die Abteilung Sozialistische Wirtschaftsführung (Janson), Internationale Verbindungen (Winkelmann) und Wissenschaft (Hörnig). Die Abteilungen leisten die tägliche Arbeit. Sie erarbeiten für staatliche und andere Institutionen und Organisationen „Vorschläge zur Klärung herangereifter Probleme und zur Neufassung gesetzlicher Bestimmungen“. Durch ihr Expertenwissen sind die Sektoren- und Abteilungsleiter in der Lage, auch eigene Vorschläge zu unterbreiten und damit den Entscheidungsmechanismus sowohl im Politbüro wie z. B. im Ministerrat zu beeinflussen. Die ZK-Abteilungen sammeln Informationen, entwerfen Beschlüsse, Direktiven und Richtlinien und halten den Kontakt zu entsprechenden Abteilungen des sowjetischen ZK und der anderen „Bruderparteien“. Der ZK-Apparat hat eine eigene Partei-Grundorganisation.

 

Neben ZK-Abteilungen mit primär politischen Aufgaben gibt es solche mit überwiegend organisatorisch-technischen Funktionen. Zum Beispiel existiert ein ZK-eigenes Fernmeldewesen, Abteilungsleiter ist Heinz Luebbe. Vor allem mit Verwaltungsaufgaben betraut ist die Abteilung Zentrag (Parteiverlage), Leiter ist P. Kubach; die Verwaltung der parteieigenen Wirtschaftsbetriebe (Leiter: Günther Glende) und der Parteifinanzen und -betriebe (Karl Raab) obliegt gleichfalls selbständigen ZK-Abteilungen.

 

Den Status eines ZK-Abteilungsleiters haben auch die Bürochefs der Sekretäre, die Stellvertreter des Leiters des Büros des Politbüros und einzelne Direktoren von wichtigen Parteibetrieben (z. B. der Direktor des Dietz-Verlages u. a.).

 

Die Abteilungen des ZK sind in einzelne Sektoren unterteilt, an deren Spitze ein Sektorenleiter steht. Ihm unterstehen die Mitarbeiter.

 

Der ZK-Apparat verfügt über eine hervorragende Datenbank, ein modern ausgerüstetes Rechenzentrum und eine auf dem neuesten Stand gehaltene Personenkartei (Nomenklatur).

 

Das S. des ZK (d. h. alle 11 Sekretäre) tagt — soweit bekannt — wöchentlich (jeden Donnerstag) unter Vorsitz des Generalsekretärs E. Honecker. Beschlüsse des Politbüros und des ZK heben entgegenstehende Direktiven und Beschlüsse des S. oder einzelner Sekretäre auf bzw. können sie abändern. Die gesamte Parteiarbeit sowie die Tätigkeit der leitenden Organe werden durch das ZK-S. vorgeplant und koordiniert. Gegenwärtig sind alle Sekretäre Mitglieder oder Kandidaten des Politbüros, so daß diese Spitzenfunktionäre sowohl innerhalb der SED wie im gesamten politischen System der DDR über eine umfassende Entscheidungskompetenz verfügen. Diese ist politisch-ideologisch begründet und stützt sich auf das im ZK-Apparat vorhandene Sachwissen, wodurch die Sekretäre und vor allem die Abteilungsleiter des ZK auch fachlich ein Gegengewicht zu den leitenden Funktionären im Staats- und Wirtschaftsapparat bilden. Die Doppelexistenz der — gemessen an ihrer fachlichen Kompetenz — nahezu gleichwertigen Partei- und Staatsapparate bei gleichzeitiger politischer Über- bzw. Unterordnung hat in der DDR öfter zu Konflikten geführt.

 

Die tatsächliche Arbeitsteilung zwischen S. und Politbüro ist von außen nicht eindeutig abgrenzbar. Es lassen sich nur Schwerpunkte der Tätigkeit beider Leitungsorgane feststellen. Das S. beschäftigt sich vor allem mit Parteiangelegenheiten (Parteiwahlen, Kaderpolitik, Parteischulung, Direktiven und Stellungnahmen an die Bezirks- und Kreisleitungen, Kontrolle der unterstellten Apparate durch Arbeitsgruppen und Kommissionen). Das Politbüro entscheidet über politische Grundsatzfragen, die Staat und Gesellschaft als Ganzes betreffen. Als organisatorische Schaltstelle zwischen dem S. und dem Politbüro fungiert das Büro des Politbüros, an dessen Spitze ein ZK-Abteilungsleiter (G. Glende) steht. Es bereitet technisch-organisatorisch die Tagungen des Politbüros vor. Zu seinen Aufgaben gehören auch die Organisation von Konferenzen auf höchster Ebene, die Abwicklung des parteieigenen Kurierdienstes und die Anleitung der technischen bzw. Verwaltungsabteilungen des ZK.

 

Obwohl das S. in erster Linie für die unmittelbare Arbeit der Parteiorgane zuständig ist, umfaßt in der Praxis sein Wirkungsbereich auch den Staats- und Wirtschaftsapparat sowie gesellschaftliche Institutionen. Formal und im Verständnis von der „führenden Rolle“ der Partei kann ein Sekretär oder ein Abteilungsleiter des ZK- Apparates einem Staatsfunktionär (Minister, Staatssekretär usw.) zwar keine Weisungen erteilen, doch kann eine nichtfixierte „informelle“ Befehlsstruktur angenommen werden, die es z. B. einem Staatsfunktionär unmöglich macht, „Wünsche“, „Empfehlungen“ oder „Anregungen“ eines Leitungsorganes der Partei auf gleicher oder übergeordneter Ebene zu ignorieren.

 

Die faktisch dominierende Stellung des S. gründet aber vor allem in der Zuständigkeit der Kader-Kommission für die Nomenklatur-Kader des ZK, auf deren Vorschläge vom Sekretariat alle Spitzenfunktionen in Partei und Staat ernannt oder „gewählt“ werden. Für die Kontrollkader ist dagegen ausschließlich die Kaderkommission des ZK (Leiter: Fritz Müller [geb. 1920], Abteilungsleiter im ZK-Apparat) zuständig (Kaderpolitik).

 

Alle Sekretäre haben ein persönliches Büro, dem ein Leiter vorsteht. In der Regel haben diese Büros 3–5 Mitarbeiter. Die Bürochefs haben den Status eines ZK-Abteilungsleiters und nehmen an den Besprechungen der Abteilungsleiter des ZK gleichberechtigt teil. Diejenigen Politbüro-Mitglieder und -Kandidaten, die keine Sekretäre des ZK bzw. nicht Mitglieder des Sekre[S. 957]tariats sind, verfügen ebenfalls über eigene Mitarbeiter im ZK-Apparat bzw. kleinere Stäbe für besondere Aufgaben.

 

Die Vermittlung von Beschlüssen der Parteiführung an die nachgeordneten Parteiorganisationen der Bezirke und Kreise geschieht durch:

  1. Konferenzen und Tagungen der Sekretäre des ZK mit den 1. Bezirks- oder Kreissekretären in der Sonderschule des ZK in Brandenburg sowie das Auftreten zentraler Funktionäre in ausgewählten Bezirks- oder Kreisorganisationen (z. B. in Spannungssituationen, bei Parteiwahlen usw.);
  2. schriftliche Information von oben nach unten und umgekehrt. Eine besondere Rolle spielen hierbei die „Parteiinformationen“, die Direktiven und Beschlußerläuterungen und die Stellungnahmen des S. zu bestimmten Entwicklungen in den territorialen Parteiorganisationen;
  3. Einsatz von Arbeitsgruppen oder Instrukteurbrigaden des ZK in jenen Bezirks- oder Kreisparteiorganisationen. in denen Mängel in der politischen Arbeit auftreten. Bis Mitte der 50er Jahre, und wieder nach 1964, wurden Parteiorganisatoren des ZK in ausgewählten Großbetrieben und Kombinaten eingesetzt.

 

Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 955–957


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.