Sozialistischer Wettbewerb (1979)
Siehe auch:
I. Ideologische Grundlagen
Der SW. gilt als objektive Gesetzmäßigkeit der sozialistischen Produktionsweise und des sozialistisch-kommunistischen Aufbaus. Er wird begründet mit dem prinzipiellen Wandel des Charakters der Arbeit im Sozialismus, einem veränderten Gesellschaftlichen ➝Bewußtsein der arbeitenden Menschen und einer hieraus resultierenden Dialektik von zentralem Plan und schöpferischer Masseninitiative infolge der Übereinstimmung von gesellschaftlichen [S. 969]Erfordernissen mit den individuellen und kollektiven Interessen. Gemäß dem Prinzip des Demokratischen Zentralismus gründet die Masseninitiative auf dem Führungsmonopol der SED.
Der Oberbegriff Masseninitiative umfaßt im Betrieb sowohl eine Reihe von Institutionen des Wettbewerbs als auch Formen der Mitwirkung der Beschäftigten, wie die Aktivisten-, Neuerer- und Rationalisatorenbewegung, die sozialistische Gemeinschaftsarbeit, die Plandiskussion, den Gegenplan, den sozialistischen Berufswettbewerb, den Betriebskollektivvertrag (BKV) und die Ständige ➝Produktionsberatung sowie auch auf kommunaler Ebene den „Mach-mit-Wettbewerb“.
Wenngleich zum Wesen des SW. noch keine allgemeinverbindliche wissenschaftliche Definition vorliegt, steht der SW. in der Regel für die umfassendste Form der Masseninitiative der Werktätigen in allen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Bereichen. Das engmaschig geknüpfte Netz des inner- und überbetrieblichen SW. in Form eines komplizierten Lenkungs-, Anreiz- und Kontrollsystems dient als wesentlicher Motor der Leistungsmotivation im System zentraler Lenkung und Planung der DDR und als Ersatz für das Wettbewerbsprinzip in einer Marktwirtschaft. In der Alltagspraxis besteht eine moralische Beteiligungspflicht für jeden einzelnen. Unter SW. im wirtschaftlichen Bereich wird gemeinhin das Wetteifern aller („schöpferische Initiative“ = „Kampf des Neuen gegen das Überholte“) verstanden, und zwar um höhere Leistungen zur Erfüllung und Übererfüllung des Wirtschaftsplans (in „kameradschaftlicher Rivalität und Solidarität“) und im besonderen der Wettstreit um die Erhöhung der Arbeitsproduktivität, die Senkung der Selbstkosten und Erhöhung der Qualität der Erzeugnisse.
In der Sozialistischen Betriebswirtschaftslehre zählt der SW. zu einer der Hauptformen der Mitwirkung der Werktätigen an der Leitung und Planung der Betriebe und bildet ein wesentliches Element des Betriebsprozesses im Sinne der so deklarierten dialektischen Einheit von Einzelleitung und Mitwirkung (§ 18 AGB). In der Wirtschaftspraxis bleibt die Beteiligung am SW. grundsätzlich auf die Planexekution beschränkt; alle Institutionen der Masseninitiative sowie die Mitwirkungsfunktionen der Beschäftigten sind faktisch den Wettbewerbsaufgaben untergeordnet.
Seine Bezeichnung geht auf einen Hinweis von Marx (MEGA, Bd. 23, S. 345) zurück. Der dort für das Wesen des SW. zutreffendere Terminus „Wetteifer“ wurde über die russische Rückübersetzung (socialisticeskoe sorevnovanie) zum „Wettbewerb“. In der Doktrin der marxistisch-leninistisch orientierten Politischen Ökonomie gilt er generell als das positive Gegenstück zum Wesen der Konkurrenz unter marktwirtschaftlichen Bedingungen. „Der Sozialismus erstickt keineswegs den Wettbewerb, im Gegenteil, er schafft erstmalig die Möglichkeit, ihn auf breiter Grundlage, wirklich im Massenumfang, anzuwenden“ (Lenin, Sämtliche Werke, Bd. 26, Berlin [Ost], 1961, S. 401).
Dem Prinzip des Leistungswettbewerbs in einer Marktwirtschaft werden mit dem SW. die kameradschaftliche gegenseitige Hilfe und solidarische Verbundenheit aller „Miteigentümer der Produktionsmittel“ als wichtigstes Verhaltensprinzip für eine allgemeine gleichmäßige und somit planmäßige Mehrleistungsverpflichtung gegenübergestellt. Als entscheidendes Kriterium wird nicht der Leistungsvorsprung einzelner Beschäftigter oder Kollektive, sondern der koordinierte, gesamtgesellschaftliche Erfolg in Form der höchstmöglichen Planübererfüllung angesehen.
Die Bedeutung dieses Prinzips wird seit einigen Jahren besonders in den Kampagnen um den „Gegenplan“ deutlich, der zwar offiziell als „Bindeglied zwischen volkswirtschaftlicher Planung und Bilanzierung sowie sozialistischem Wettbewerb“ bezeichnet wird (Harry Tisch), jedoch ebenso als eine besondere Form der Masseninitiative angesehen werden kann.
Schwerpunkt des breiten Fächers unterschiedlicher neuer (oder neuer „alter“) Initiativen im SW. sind — entsprechend den Intensivierungsbemühungen — sowohl kollektive Wettbewerbsformen als auch die verstärkte Hinwendung zu qualitativen Leistungskennziffern.
Neben der Leistungssteigerung besitzt das Element der gesellschaftspolitischen Erziehung und der Erhöhung des sozialistischen Bewußtseins durch den SW. besonderen Stellenwert. Der vor allem vom [S. 970]FDGB getragenen Bewegung „sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ ist diese Erziehungsfunktion übertragen (AGB § 22 c).
II. Geschichte
Historischer Ausgangspunkt des SW. in der Sowjetunion war die Bewegung der Subbotniki im Jahre 1919, bezeichnet nach freiwilligen Arbeitseinsätzen einzelner Arbeitergruppen an einem Sonnabend (Subbota); sie gilt als Vorbild der organisierten Wettbewerbsbewegung in den weiteren Entwicklungsphasen der sowjetischen Wirtschaft. „Jetzt, da eine sozialistische Regierung an der Macht ist, besteht unsere Aufgabe darin, den Wettbewerb zu organisieren“ (Lenin, Sämtliche Werke, Bd. 26, Berlin [Ost] 1961, S. 405).
Mit dem Aufbau eines Wirtschaftssystems zentraler Planung und Lenkung nach 1945 gestaltete auch die DDR die Wettbewerbsbewegung nach sowjetischem Muster. Den Beginn einer organisierten, rechtlich normierten und umfassenden Konzeption bildete das Gesetz der Arbeit… vom 19. 4. 1950, das besonders den FDGB im Bereich der sozialistischen Wirtschaft zur Förderung und Lenkung der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung und zur Erzielung von „Pionier- und Spitzenleistungen“ (IV, § 18) verpflichtet.
Nach § 34 des Arbeitsgesetzbuches (AGB) von 1977 (GBl. I, S. 185 ff.) organisiert die Betriebsgewerkschaftsorganisation den SW., während der Betriebsleiter für die Schaffung der Voraussetzung „für eine wirksame Führung“ des SW. verantwortlich ist (§ 35). In zahlreichen Fällen sind diese Voraussetzungen von der Zustimmung des FDGB abhängig, dem das neue AGB ausdrücklich eine verstärkte Einflußnahme und Mitwirkung im Betriebsgeschehen einräumt.
Daher wurden auch in der neuen Fassung des AGB die Durchführungsbedingungen des SW. stärker als im Gesetzbuch der Arbeit von 1966 berücksichtigt. Die VO über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der VEB, Kombinate und VVB vom 25. 3. 1973 (Betriebsverfassung) enthält wie das AGB entsprechende Normen (§ 6, 4) für den SW.
Die Entwicklung des SW. wird als „gesetzmäßiger Prozeß“ verstanden, in dessen einzelnen historischen Phasen immer kompliziertere, sich gegenseitig ergänzende Wettbewerbsformen entwickelt werden. Den Auftakt der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung in der DDR nach 1945 gab die arbeitstechnisch besonders vorbereitete mehrfache Schichtnorm-Übererfüllung (387 v. H.) des Hauers Adolf Hennecke am 13. 10. 1948, der dem Vorbild des bekannten sowjetischen Hauers A. G. Stachanow im Jahre 1935 folgte. In der Mehrzahl der Fälle wurden seitdem die Mehrleistungsverpflichtungen von Aktivisten oder Schrittmachern durch sowjetische Vorbilder bestimmt. Neben die Spitzenleistungen einzelner (Überbietung einer Arbeitsnorm) sind heute Wettbewerbsverpflichtungen zur Lösung komplexer betriebswirtschaftlicher Aufgaben getreten.
Nach sowjetischer Einschätzung ist in der UdSSR zu Beginn der 70er Jahre mit dem „Wettbewerb für eine kommunistische Einstellung zur Arbeit“ eine Übergangsphase erreicht worden, an deren Ende der Wettbewerb den Charakter eines „kommunistischen Wettbewerbs“ (Smolkow) annehmen soll. Neue Formen des SW. in der DDR nach sowjetischem Vorbild haben somit nicht nur praktisch-wirtschaftliche, sondern gewinnen gleichermaßen eine erhebliche politisch-ideologische Bedeutung. Sie gelten als offizieller Gradmesser für die Entwicklung des „sozialistischen Bewußtseins“ der Werktätigen.
Prinzipien und Organisation des SW. sind zentral festgelegt. Betont wird die einheitliche und straffe Leitung. Die planmäßig und sich kontinuierlich ablösenden Wettbewerbskampagnen gelten im allgemeinen für eine Planperiode; dabei bestimmt primär der Jahresplan die Wettbewerbsziele. Die Auslösung und Mobilisierung weitgehend von „oben“ (Partei und Gewerkschaft) gesteuerter, zentral initiierter und kanalisierter Wettbewerbsaktionen von „unten“ wird in der Regel mit einem Wettbewerbsaufruf einer Einzelperson, einer Brigade oder eines Betriebes auf DDR-Ebene eingeleitet. Der Aufruf erfolgt häufig im Zusammenhang mit konkreten Bestleistungen, die auf besonders propagierten neuen Arbeitsmethoden beruhen. Diese zur allgemeinen Nachahmung bestimmten Methoden tragen meist den Namen des Initiators (Hennecke-Bewegung, Frieda-Hockauf-Bewegung).
Gewöhnlich bilden besondere politische Ereignisse (Parteitag, Tagung des ZK der SED) und Ehren- oder Gedenktage (Jahrestag der Gründung der DDR, Lenins Geburtstag) den aktuellen Anlaß für Mehrleistungsverpflichtungen und auch für die Stiftung besonderer Auszeichnungen (Ehrenbanner zum 25. Jahrestag der DDR). Gewerkschafts- und Betriebsleitung sowie eine spezielle Wettbewerbskommission sind die maßgebenden Träger der zu erarbeitenden betrieblichen Wettbewerbskonzeption (früher: W.-Bedingungen oder W.-Richtlinien), wodurch Ziele, Verpflichtungen und Maßnahmen wie auch Formen der Anerkennung fixiert werden. In der Regel ist die Wettbewerbskonzeption integraler Bestandteil des Betriebskollektivvertrages (BVK), dessen Ausarbeitung mit der Plan-, Gegenplan- und Wettbewerbsdiskussion zeitlich wie sachlich eine Einheit bilden soll.
Als eine der wesentlichen Voraussetzungen des SW. gilt die Aufschlüsselung aller Planaufgaben, möglichst bis zur kleinsten betrieblichen Produktionseinheit, und seine exakte Koordination mit dem Prinzip der Wirtschaftlichen Rechnungsführung.[S. 971]
III. Organisationsprinzipien und Formen
Zur Leitung und Organisation des SW. unterscheidet man innerhalb der Sozialistischen Betriebswirtschaft 5 auf Lenin zurückzuführende „Grundprinzipien“:
1. Öffentlichkeit des SW.; 2. Vergleich der Ergebnisse; 3. Erfahrungsaustausch und Wiederholung der besten Leistungen im Massenumfang; 4. Übernahme abrechenbarer Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Intensivierung der Wissenschaftlichen ➝Arbeitsorganisation (WAO); 5. Richtige Verbindungen von moralischer und materieller Anerkennung der Erfolge.
Generell lassen sich die Formen des SW. nach 2 Aspekten differenzieren. Gemäß dem Umfang der Teilnahme ist einerseits der individuelle Wettbewerb zwischen jedem einzelnen Beschäftigten als Grundform des SW. und andererseits der kollektive Wettbewerb zwischen Arbeitsgruppen, Brigaden, Meisterbereichen usw. (aber auch Betrieben) als anzustrebende und heute vorherrschende Form zu unterscheiden. Nach dem räumlichen Wirkungsbereich ist zu differenzieren zwischen inner- und zwischenbetrieblichen SW., die beide sowohl individuell als auch kollektiv geführt werden können. Daneben erlangt im Zeichen der sozialistischen ökonomischen Integration (Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe) die Form des allgemein kollektiv geführten internationalen SW. zunehmende Bedeutung.
IV. Wettbewerbspraxis
Die Wettbewerbspraxis ist durch eine Reihe meist wechselseitig eng verflochtener Verfahrensformen und Methoden charakterisiert, denen differenzierte Systeme von Maßnahmen und Regelungen der moralischen Anerkennung (Auszeichnungen) und der Kritik, der finanziellen Stimulierung (Einkommensgestaltung über Leistungslohn und Prämie), der Kontrolle (Haushaltsbuch, persönliche und kollektiv-schöpferische Pläne) und der Produktionspropaganda (Wettbewerbslosungen. Tafel der Besten usw.) zur Förderung und Intensivierung des SW. zugeordnet sind.
A. Aktivistenbewegung
Durch die Aktivistenbewegung soll eine bessere, intensivere oder neue Arbeitsmethode und eine dadurch erbrachte höhere Arbeitsleistung eines Beschäftigten oder eines Kollektivs propagiert werden. Gefordert wird Initiative nicht nur im Produktionsprozeß, sondern, zur besseren Nutzung verfügbarer Ressourcen, bereits in der Planvorbereitung. Quantitative Spitzenleistungen wurden vielfach unter besonders günstigen, z. T. auch künstlich geschaffenen optimalen Arbeitsbedingungen erreicht, um bis dahin geltende Normen zu überbieten und diese danach allgemein erhöhen zu können. Die betriebliche Einrichtung von Aktivistenschulen dient der Übertragung der Arbeitsmethoden und Erfahrungen. Auszeichnungen 1977: 52 Personen wurde der Ehrentitel Held der Arbeit verliehen, Verdienter Aktivist wurden 3.561 Berufstätige, Aktivist der sozialistischen Arbeit 277.556 Berufstätige.
B. Sozialistische Gemeinschaftsarbeit
Die Sozialistische Gemeinschaftsarbeit (SG.) entstand 1959 aus der Aktivistenbewegung und gilt als „höhere Qualität“ der schöpferischen Masseninitiative und integraler Bestandteil des SW. sowie als Form einer besseren Organisation der kollektiven Zusammenarbeit und kameradschaftlichen Hilfe. Die zunehmende Kompliziertheit der technischen und wirtschaftlichen Probleme setzt Gemeinschaftsarbeit statt Lösungen „im Alleingang“ voraus (z. B. in sog. Initiativschichten). Sie gilt als wirksamste Form gesellschaftlicher Arbeit im Sozialismus, in der durch gegenseitige Erziehung zur „sozialistischen Persönlichkeit“ bereits „Keime für eine kommunistische Einstellung zur Arbeit“ gelegt würden. Damit wird der Gegensatz zum marktwirtschaftlichen „team work“ herausgestellt.
Die Funktionen von Betriebsleiter und Betriebsgewerkschaftsorganisation zur Förderung der SG. sind im AGB (§§ 35 und 22) näher bestimmt. Kern ist die Steigerung der Arbeitsproduktivität, die vor allem durch Erhöhung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Arbeitern und wissenschaftlich-technischer Intelligenz („Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Intelligenz“) zugunsten einer Intensivierung und Rationalisierung der Produktion bewirkt werden soll. Eine besondere Form der SG, sind die „sozialistischen Arbeits- und Forschungsgemeinschaften“, die als Wettbewerbskooperation der Bereiche Forschung, Konstruktion und Produktion zu verstehen sind. (1977: 47.451 Gemeinschaften mit 376.602 Mitgliedern.)
Der Wettbewerb in Produktion, Verwaltung und wissenschaftlichen Institutionen um den Staatstitel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ (1963 erstmalig verliehen, vgl. auch die 3. VO im GBl. II, 1972, S. 597) hat die noch weiterhin geführten Titel „Brigade der …“ und „Gemeinschaft der sozialistischen Arbeit“ der Jahre 1960–1962 abgelöst. 1977 standen 255.507 Kollektive mit rd. 4,5 Mill. Mitgliedern im Wettbewerb um diesen Titel; darunter war die sozialistische Industrie mit 115.219 Kollektiven und rd. 2,3 Mill. Mitgliedern beteiligt.
Durch eine vom Ministerrat der DDR beschlossene Neufassung der Ordnung für den Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ vom 28. 6. 1978 (GBl., SDr. 952) wurden die Anforderungen den neueren Wettbewerbsformen und -methoden angepaßt sowie Abrechnungsverfahren und Verteidigung präzisiert.[S. 972]
C. Neuererbewegung
Inhalt und Funktion der Neuererbewegung (N.) werden durch das AGB (§§ 36 und 37) und durch die Neuererverordnung (NVO) von 1972 (GBl. II, S. 1) bestimmt, die die gleichnamige VO von 1963 und eine Zahl einschlägiger Bestimmungen zur N. ablösten. Sie gilt als eine Kernform des SW. und der Masseninitiative, die sowohl auf eine qualitative Leistungssteigerung des einzelnen als auch — in besonderem Maße — auf eine planmäßige Kooperation zwischen Arbeitern und Intelligenz unter der Parole der „sozialistischen Gemeinschaftsarbeit“ gerichtet ist. Die Tätigkeit eines Neuerers oder eines N.-Kollektivs umfaßt den Bereich des betrieblichen Erfindungs- und Vorschlagswesens unter organisatorischen, technischen und wissenschaftlichen Aspekten. In der Regel geht es um die „schöpferische Lösung“ eines Problems, die außerhalb der normalen Arbeitsleistung erbracht werden muß. „Hauptinhalt der Neuerertätigkeit ist die weitere Intensivierung der Produktion durch sozialistische Rationalisierung“ (§ 2 NVO).
Im Unterschied zum betrieblichen Vorschlagswesen in einer Marktwirtschaft ist ein großer Teil der Aufgabenstellung der N. plangebunden und wird weitgehend staatlich gelenkt und gefördert. In der N. der DDR steht nicht der allgemeine Aspekt der schöpferischen Arbeit überhaupt im Vordergrund, sondern es geht in erster Linie um meist zeitlich fixierte und thematisch präzis umrissene Aufgaben, die als vereinbarte und geplante Lösungen einer Neuereraufgabe eines oder mehrerer Beschäftigter der Erfüllung der Volkswirtschaftspläne und der Steigerung der Arbeitsproduktivität dienen. Vor allem der Planteil Wissenschaft und Technik des Betriebsplans (Rahmenrichtlinie für die Jahresplanung, GBl., SDr. 780) fixiert im Abschnitt 3.5 die Aufgaben der N. Mit der NVO erhält der FDGB größere Einflußmöglichkeiten für die Entwicklung der N. Die Rechte der Neuerer sind stärker abgesichert worden; der finanzielle Anreiz wurde erhöht.
Die besondere Bedeutung der N. wird durch eine Vielzahl betrieblicher und überbetrieblicher Instanzen betont. Wichtige Funktion des Büros für die Neuererbewegung (BfN), eines Beratungs- und Koordinierungsorgans des Betriebsleiters, sind Planung, Registrierung und rasche Nutzbarmachung von Neuerungen. Es organisiert betriebliche Neuererkonferenzen und sorgt für die Weiterleitung schütz- und patentfähig erscheinender Lösungen an das Amt für Erfindungs- und Patentrecht (Patentwesen).
Neuereraktivs der Gewerkschaften (Beschluß des FDGB. Tribüne vom 19. 1. 1972) lösten seit Jahresbeginn 1972 bestehende Neuererräte ab. Die Funktionen der Neuereraktivs umfassen alle Fragen der N. und des SW. (Betriebskollektivvertrag; Plandiskussion, Bildung von speziellen Arbeitsgruppen, Produktionspropaganda, Ausarbeitung von Empfehlungen u. a.). Sie sind zur engen Zusammenarbeit mit den Kontrollposten der FDJ, der Bewegung der Messen der Meister von Morgen (MMM), den Räten junger Rationalisatoren, den Sektionen der Kammer der Technik und den Gruppen der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft im Betrieb verpflichtet. Speziell gebildete Neuererbrigaden fungieren als untergeordnete Leitstellen für die N. auf Meister- oder Abteilungsebene, daneben bestehen vielfach betriebliche Neuererzirkel. Eingesetzte Neuererinstrukteure sollen eine rasche Einführung betrieblicher Neuererlösungen erreichen. In den LPG ist eine besondere Neuererkommission mit ähnlichen Funktionen wie das BfN in der Industrie betraut.
Als besondere überbetriebliche Stelle und nachgeordnete Einrichtung der Wirtschaftsräte der Bezirke wurden seit 1972 Bezirksneuerungszentren (BNZ) gegründet (GBl. II, S. 422). Ihre Aufgaben auf regionaler Ebene ähneln denen der BfN (Beratung, Erfahrungsaustausch, besonders mit sowjetischen Neuerern, allgemeine Verbreitung der Neuerermethoden, Produktionspropaganda, Organisation von Schulungsveranstaltungen usw.). Sie sind territoriale Koordinationszentren für die N. auf Bezirksebene. Der Abschluß einer Neuerervereinbarung für die geplante Lösung einer Neuereraufgabe erfolgt schriftlich zwischen dem Betrieb und dem Neuerer oder Neuererkollektiv in Form eines detaillierten Vertrages über Aufgabenstellung, Lösung, Termine usw. der zu erbringenden Neuererleistung.
Direkte Neuerervorschläge sind beim BfN (oder Betriebsleiter) einzureichen und werden dort überprüft und registriert. Sie können abgelehnt oder als vergütungspflichtige Vorschläge anerkannt werden. Die Höhe der in der NVO geregelten Vergütung beträgt: Bei Neuererlösungen mindestens 30 Mark, höchstens jedoch 30.000 Mark, bei Erfindungen mindestens 75 Mark, jedoch höchstens 200.000 Mark. Streitigkeiten werden durch die zuständige Konfliktkommission oder in gerichtlicher Auseinandersetzung geregelt. Früher bestehende spezielle Schlichtungsstellen wurden 1972 abgeschafft.
Statistische Daten zur N. in der volkseigenen Wirtschaft für 1977: Teilnahme: rd. 1,67 Mill. Berufstätige; Anteil an der Gesamtzahl der Berufstätigen: rd. 32,1 v. H.; durchschnittlicher Nutzen: aus vereinbarter Neuererleistung: 30.400 Mark, aus Neuerervorschlägen: 4.300 Mark; volkswirtschaftlicher Gesamtnutzen (einschließlich Nachnutzung für 1977): 4,1 Mrd. Mark oder rd. 1 v. H. des gesellschaftlichen Gesamtproduktes der DDR.
Auszeichnungen: Der staatliche Titel „Verdienter Erfinder“ wurde 1977 an 58 Personen verliehen. Erfolgreiche Neuerer im Betrieb erhalten bei bedeutsamen Neuerervorschlägen oder wichtigen patentierten Erfindungen einen Neuererpaß als morali[S. 973]sche Anerkennung, worin weitere N.-Leistungen des Inhabers eingetragen werden. Weitere Auszeichnungen: „Hervorragender Neuerer“ oder „hervorragendes Neuererkollektiv“.
Eine besondere Form der N. für Jugendliche (Jugendbrigaden, -kollektive und -Objekte) bildet die Bewegung der Messe der Meister von Morgen (MMM). Ihre spezifischen Rationalisierungsaufgaben werden, zumeist schriftlich fixiert im BKV, weitgehend durch den Betriebsdirektor und ein betriebliches MMM-Initiativkomitee bestimmt. Die MMM gilt als Lehr- und Leistungsschau der Jugend und wird auf Kreis-, Bezirks- und DDR-Ebene, hier in Koordination mit dem Amt für Jugendfragen (Jugend) beim Ministerrat veranstaltet. Es werden Auszeichnungen vergeben, besondere Leistungen vergütet und Förderungsverträge mit Jugendlichen abgeschlossen. Im Jahre 1976 wurden auf 32.800 Messen in Betrieben, LPG, Schulen und anderen Einrichtungen 2,32 Mill. Teilnehmer mit 611.900 Exponaten gezählt.
Trotz verstärkten Anreizes und einer intensiveren Produktionspropaganda lassen selbstkritische Stimmen in der DDR erkennen, daß sich die mit der N. verbundenen Erwartungen in der Wirtschaftspraxis in den letzten Jahren nicht erfüllt hatten. Vor allem wurde der Anteil der Nachnutzung von Neuererlösungen mit 3 v. H. als zu niedrig angesehen. Schleppende Bearbeitungszeiten wirken sich hemmend auf die N. aus. Im Jahre 1977 konnte erstmalig eine volkswirtschaftliche Gesamtnutzung durch Nachnutzung von Neuererleistungen in Höhe von 5,3 v. H. erreicht werden (vorher rd. 2. v. H.).
D. Hauptformen der betrieblichen Wettbewerbsgestaltung
Die generelle Leitlinie der Gestaltung neuerer Formen des SW. seit der ersten Hälfte der 70er Jahre entspricht dem Konzept der sozialistischen Intensivierung und ist u. a. als ein breit angelegtes Programm zur Schwachstellenforschung und -bewältigung im Betrieb zu verstehen. Im Gesamt miteinander verflochtener und sich gegenseitig bedingender Intensivierungs- und Produktivitätsfaktoren spielt die Verbesserung von Formen und Methoden des SW. eine wichtige Rolle.
Grundsätzlich ist gegenwärtig ein Trend erkennbar, durch Kombination verschiedener, sich gegenseitig ergänzender und miteinander korrespondierender Formen und Methoden einen wirksameren und umfassenderen Wettbewerbsmechanismus als bisher zu gestalten.
Eine Reihe ausgewählter Wettbewerbsmaßnahmen sind sowohl in gemeinsamen Beschlüssen von SED und FDGB — z. B. Grundorientierung zum Wettbewerb nach dem IX. Parteitag der SED (1976) oder zum 30. Jahrestag der DDR (1979) — als auch auf wichtigen Tagungen von SED und FDGB besonders herausgestellt worden und gehören zum Teil inzwischen zum Pflichtprogramm der Betriebe.
Dazu zählen insbesondere:
- Persönlich-schöpferische Pläne, Kollektiv-schöpferische Pläne, Schöpferischer Paß des Ingenieurs;
- Initiativschichten, Initiativwochen;
- Notizen zum Plan;
- Saldierte Abrechnung des SW.
1. Persönlich-schöpferische Pläne, kollektiv-schöpferische Pläne, schöpferischer Paß des Ingenieurs Persönlich- und kollektiv-schöpferische Pläne (PSP. und KSP.) zur Steigerung der Arbeitsproduktivität werden erst seit 1972/73 als besonderes Verfahren des SW. propagiert. PSP. umfassen die konkret abrechenbaren Mehrleistungsverpflichtungen auf der Grundlage des aufgeschlüsselten Betriebsplanes und des Haushaltsbuches. Die Aufstellung PSP. u. KSP. soll grundsätzlich allein an Arbeitsplätzen im Produktionsbereich erfolgen, an denen a) eine meß- und kontrollierbare Erhöhung der Produktivität der Arbeitsleistungen möglich ist und die b) auch durch die Leistung des Beschäfigten direkt beeinflußt werden kann. Experimente in der Verwaltung werden abgelehnt. KSP. können bei ungenügender Aufschlüsselung der Mehrleistungsverpflichtungen oder als Summe der PSP. eines Kollektivs gebildet werden. Sie sind im besonderen Maße gegen weitverbreitete Methoden des SW. gerichtet, nur formale und ungenügend meßbare Wettbewerbsverpflichtungen einzugehen. Eine der wesentlichen Funktionen dieser Wettbewerbsformen besteht in der Aufdeckung von Reserven, z. B. durch Einsparung von Arbeitszeit (Arbeitsrecht) und daraus resultierenden Veränderungen von Arbeitsnormen (Arbeitsnormung), sowie dem Zwang zur Anwendung der Wissenschaftlichen ➝Arbeitsorganisation. PSP. und KSP. sind schriftlich auszuarbeiten und müssen vor der Gewerkschaftsgruppe und den Kollektiven verteidigt sowie vom Leiter bestätigt werden.
Regelmäßige Rechenschaftslegungen und kritische Auswertungen erfolgen zumeist monatlich in Gruppenversammlungen der Partei und Gewerkschaft. 1974 arbeiteten ca. 1 Mill. Beschäftigte nach dieser Methode. Aus der Summe der PSP. und KSP. entwickelt sich der Gegenplan des Betriebes.
In einem schöpferischen Paß des Ingenieurs übernimmt ein Beschäfigter des ingenieurtechnischen Personals wissenschaftlich-technische Wettbewerbsverpflichtungen in abrechenbarer Form gemäß den Prinzipien der PSP. und KSP.
2. Initiativschichten, Initiativwochen
Als „klassisches Vorbild“ der Initiativschichten gelten die Subbotniks des Jahres 1919 in der UdSSR. Ihr Ursprung wird heute auf Wettbewerbsinitiativen im Jahr 1973 zurückgeführt, die sich während der [S. 974]Zusammenarbeit von sowjetischen und DDR-Stahlwerkern in den sog. „Schmelzen der Freundschaft“ in der Sowjetunion (Magnitogorsk und Tscherepowezk) entwickelten. Mit Hilfe von Initiativschichten soll nachgewiesen werden, wie innerhalb einer regulären — betriebsorganisatorisch gut, aber nicht außergewöhnlich vorbereiteten — Schicht eines Arbeitskollektivs eine durch unterschiedliche Rationalisierungsbemühungen erbrachte relativ höhere Leistung zur künftigen ständigen Norm gemacht werden kann.
Entscheidendes Ziel ist einerseits der Beweis eines mehrfach wiederholbaren Bestwerts, andererseits wird aber auch dem Erfahrungseinsatz sowie der Möglichkeit des Leistungsvergleichs große Bedeutung beigemessen.
Im Vordergrund einer methodisch gesicherten Analyse der Wettbewerbsleistung sollen die Herausarbeitung von Reserven im Produktionsprozeß sowie die Erfassung von Elementen und Ergebnissen verschiedener, im Zuge der Initiativschicht angewandter unterschiedlicher Wettbewerbs- und Neuerermethoden und -formen stehen.
Initiativschichten gelten darüber hinaus als Arbeitsstudien spezifischer Art, die gleichermaßen wichtige Erkenntnisse für Normung und die Wissenschaftliche ➝Arbeitsorganisation (WAO) vermitteln sollen. In der Wirtschaftspraxis entstanden wiederholt Probleme bei der Zielsetzung einmaliger Erfolge von Initiativschichten als ständige Leistung im Produktionsalltag eines Betriebes. Die Kritik in der Fachpresse richtete sich außerdem gegen ihre Verfälschung als Sonderschichten oder „Hau-Ruck-Aktionen“ zur Aufholung von Planrückständen. Von einer Reihe von Großbetrieben wurden für das Planjahr 1977 über 200 Initiativschichten gemeldet. Einzelne Betriebe arbeiten inzwischen zusätzlich mit dem weiterentwickelten Prinzip von Initiativwochen.
3. Notizen zum Plan
Als Initiator der 1975 begonnenen „Notizen zum Plan“ wird gegenwärtig Karl-Heinz Hübner vom VEB-Reifenkombinat Fürstenwalde herausgestellt. Diese Wettbewerbsaktion soll jeden Beschäftigten zur schriftlichen Fixierung, Offenlegung und Analyse aller Schwachstellen und Reserven im eigenen Arbeitsbereich veranlassen (u. a. kritische Hinweise über Störfaktoren im Planablauf und Vorschläge zur Beseitigung). Neben der ebenfalls dadurch ausgeübten Kontrollfunktion sowohl im Bereich des eigenen Arbeitsplatzes als auch im Brigade- und Abteilungsbereich werden in den „öffentlich“ zu vertretenden Beobachtungen des jeweiligen Beschäftigten das politisch-ideologische Erziehungsmoment und das damit verbundene persönliche Engagement betont. „Plan-Notizen“ können sowohl von jedem Beschäftigten als auch allein von dafür besonders beauftragten Werktätigen (z. B. Brigadeökonomen) für einen Bereich oder den gesamten Betrieb verfaßt werden. Als entscheidender Faktor werden die regelmäßige Auswertung durch Meister oder Betriebsleiter, deren Rechenschaftslegung über Mängelbeseitigung und die Kontrolle durch die Gewerkschaft über beide Punkte angesehen. Inzwischen sind in einzelnen Betrieben Varianten dieses Prinzips aufgegriffen und weiterentwickelt worden (z. B. Notizen zur Instandhaltung).
Die Beteiligung der Beschäftigten in der DDR an den „Notizen zum Plan“ soll sich zur Jahreswende 1977/78 auf rd. 800.000 Arbeiter belaufen haben. Die Bedeutung des Zusammenwirkens der verschiedenen neueren Wettbewerbsformen wird u. a. am Beispiel Initiativschicht und Notizen zum Plan mit der Begründung erläutert, Plan-Notizen seien die Grundlage für die Organisation von Initiativschichten.
4. Saldierte Abrechnung des SW.
Differenzen zwischen Betriebsergebnis und abgerechneten Wettbewerbsleistungen in einer Zwickauer Maschinenfabrik sollen die Ursache für die Einführung der sog. komplexsaldierten Wettbewerbsabrechnung gewesen sein. Innerhalb der (auf der Grundlage von Hauptintensivierungsfaktoren) im Haushaltsbuch (vgl. Abschnitt F) in Komplexen zusammengefaßten Kennziffern (z. B. Arbeitsproduktivität, Rentabilität, Arbeitsvermögen) werden die positiven mit den negativen Ergebnissen der jeweiligen Kostenstelle saldiert und nur die ausgewiesene Differenz als Wettbewerbsleistung bewertet. Beträchtliche Probleme liegen in der Vorgabe exakter Werte, in der Bewertung der Wettbewerbsleistung durch Planung, Rechnungsführung und Statistik und vor allem in dem Zwang zur selbstkritischen Angabe und dem Nachweis selbstverursachter Verluste begründet (z. B. Mehrkosten und Verlustzeiten). Prinzipiell soll diese Methode der Wettbewerbsführung keine Erhöhung des Verwaltungsaufwands zur Folge haben. Die in der Regel monatliche Abrechnung — zumeist auf Brigadeebene — erstreckt sich nicht nur auf den Produktionsbereich, sondern gilt seit kurzem auch als geeignete Form, um das leistungswirksame Ergebnis jedes Betriebskollektivs sichtbar machen zu können.
Ferner sollen mit der saldierten Abrechnung unter der Voraussetzung entsprechender Vorgaben und Bewertungen die Resultate aller Arbeitskollektive im SW. vergleichbar gemacht werden. Einbezogen in diese Abrechnung werden vor allem Wettbewerbsformen wie Notizen zum Plan, Initiativschichten und persönlich- oder kollektiv-schöpferische Pläne zur Steigerung der Arbeitsproduktivität.
In die Reihe der hier genannten Hauptformen und -methoden gehören ferner das System der fehlerfreien Arbeit und alle damit verbundenen Formen [S. 975]des SW., da die Verbesserung der Qualität der Erzeugnisse eines der vorrangigen Wettbewerbsziele ist.
Neben diesen aufgeführten Schwerpunkten existieren eine Anzahl weiterer Formen und Methoden des SW., so u. a. die „Schichtgarantie“, die „Initiative 40“, das „Konto 80“, ferner kollektive Pläne der Intensivierung, die „58-Minuten-Bewegung“, das „Zeittagebuch“, das „Überleitungstagebuch“ und die „Effektivitätsbrigaden“.
Nach den detaillierten und eindeutigen Erläuterungen auf dem 9. Kongreß des FDGB (1977) darf jede Wettbewerbsabrechnung nur im ökonomischen Bereich erfolgen, „andere gesellschaftliche Aktivitäten, das Lösen von Bildungsaufgaben, die geistig-kulturelle Betätigung der Werktätigen, das Zahlen von Solidaritätsbeiträgen und vieles andere gehören nicht zum sozialistischen Wettbewerb und können auch nicht Gegenstand seiner Abrechnung sein“ (Gerhardt Muth).
E. Der Gegenplan
Der Gegenplan (G.) gilt als die zur Zeit fortschrittlichste Form der Verbindung der Masseninitiative im SW. mit den Aufgaben des Plans. Mit der AO zu den Regelungen für die Arbeit mit Gegenplänen in den Betrieben und Kombinaten zur Erfüllung und Überbietung des Volkswirtschaftsplans 1974 (GBl. I, S. 1) und entsprechenden Ausführungsbestimmungen wurde seit Jahresbeginn 1974 seine Ausarbeitung für die Mehrzahl der Betriebe gesetzliche Pflicht. Von der Bezeichnung (Übersetzung aus dem Russischen) her nur anscheinend im Gegensatz zum Staatsplan befindlich, stehen seine Ziele voll mit diesem im Einklang. Grundsätzlich ist der G. als eines der gegenwärtig wichtigsten Elemente und Ziele des SW. anzusehen; er ist als ein auf der Basis zentral vorgegebener Leitlinien aufbauendes, zusätzlich zum Plan zu erstellendes und mit diesem zu koordinierendes Programm zu verstehen. Hauptziel ist die Mobilisierung betrieblicher Produktivitätsreserven zwecks gezielter und organisierter Überbietung des Jahresplans. Es handelt sich um die Übernahme einer sowjetischen Methode, wobei mit ersten Experimenten bereits seit 1972 in der DDR begonnen worden war.
In einer ersten Phase, Anfang 1974, war der G. noch eine zusätzliche, nach Beginn des Planjahres organisierte Aktion im Rahmen des SW. Es ging in dieser Zeit vor allem um eine gezielte, mit besonderen materiellen Anreizen verbundene Mehrleistungsverpflichtung innerhalb des ersten Quartals des bereits vorliegenden Volkswirtschaftsplans für 1974 mit einer anschließenden Abstimmung und Bilanzierung aller G.-Verpflichtungen auf gesamtwirtschaftlicher Ebene. Jedoch erhielten in einer zweiten Phase, Mitte des Jahres 1974, die Betriebe zusammen mit der Übergabe der staatlichen Plankennziffern für 1975 erstmalig auch die Orientierungsziele zur Ausarbeitung des G. für 1975 (GBl. I, 1974, S. 261 ff.) mit der Verpflichtung vorgeschrieben, diese Ziele direkt in den Entwurf des Jahresplans einzuarbeiten: „Die abgestimmten Gegenplanverpflichtungen zur Überbietung der staatlichen Aufgaben werden Bestandteil der staatlichen Planauflagen.“ Nach der Planungsordnung für den Fünfjahrplan 1976 bis 1980 und der Rahmenrichtlinie für die Jahresplanung (Planung) galt diese Regelung zugleich für das Planjahr 1976 und die Planausarbeitung für den Volkswirtschaftsplan 1977.
In einer dritten Phase erfolgte dann durch Beschluß des Politbüros der SED („Zur Arbeit mit dem Gegenplan im Jahre 1977 und ab 1978“) die Kopplung beider bereits eingeführter Verfahren im zweiten Halbjahr 1976. Dieser „doppelte“ G. umfaßte einerseits die Einbeziehung von Mehrleistungsverpflichtungen in die betriebliche Planausarbeitung für das Jahr 1977, andererseits aber auch — ab Beginn des eigentlichen Planjahrs 1977 in einer zweiten Etappe — die Übernahme weiterer Verpflichtungen, um den G. im I. Quartal zusätzlich zu „qualifizieren“. Diese Veränderungen wurden mit erheblichem publizistischem Aufwand seitens der SED-Führung und des FDGB propagiert.
Die dazu relativ spät erlassene AO vom 3. 1. 1977 (GBl. I, S. 4 ff.) enthielt einen umfangreichen Katalog spezieller Vorgaben zur Aufdeckung von Reserven in zentral festgelegten Bereichen. Die bislang letzte AO zu den Regelungen der Arbeit mit dem G. bei der Ausarbeitung der Jahresvolkswirtschaftspläne vom 15. 7. 1977 (GBl. I, S. 293 ff.) schrieb dann verbindlich — erstmals auf Fünfjahrplanbasis — die Anwendung des Prinzips des „doppelten“ G. für die nächsten Jahre 1978–1980 vor.
Der G. besitzt die gleiche rechtliche Verbindlichkeit wie der Jahresplan. Er wird zusammen mit diesem bilanziert, und für seine zusätzliche Produktion besteht Vertragsabschlußpflicht.
Die einzelne persönlich-schöpferische Plan wird als eigener G. der Beschäftigten gewertet und seit kurzem in der Produktionspropaganda auch als „persönliches Gegenangebot“ bezeichnet. Aus der Summe aller Verpflichtungen entsteht der G. des Betriebes.
Im Gegensatz zu früheren, meist unzureichend koordinierten und nicht bilanzierten Wettbewerbsverpflichtungen soll mit dem G. ein auf den zentral festgelegten Planzielen beruhendes, in sich ausgewogenes, inner- wie überbetrieblich abgestimmtes, bilanziertes Programm zusätzlicher Leistungsverpflichtungen erstellt werden, dessen „staatliche Orientierung“ ausdrücklich auf Intensivierungsschwerpunkte gerichtet ist.
Bei Überbietung der Plankennziffer „industrielle Warenproduktion“ um 1 v. H. erhöht sich die Kennziffer Prämienfonds um 2,5 v. H., während eine [S. 976]Überbietung des geplanten Nettogewinns nur mit 0,8 v. H. belohnt wird. Wie beim Leistungsfonds wird die Verpflichtung zur Erhöhung der Planziele, soweit sie bereits im Zuge der Planausarbeitung erfolgt, höher bewertet. Die Zuführungen zum Prämienfonds dürfen allerdings 200 Mark je Beschäftigten nicht überschreiten (vorher 150 Mark).
Die Zuführungen zum Leistungsfonds für erfüllte Mehrleistungsverpflichtungen regeln sich nach den geltenden Bestimmungen.
Wesentliche Elemente des G. sind sowohl der wirtschaftliche Zwang zur Produktivitätserhöhung, und zwar in einer von der Wirtschaftsführung erwünschten Richtung, als auch die Unterbindung „weicher“ Pläne. Daneben verstärkt sich die Funktion des doppelten G. als Ordnungsfaktor im Rahmen von Intensivierung und Wettbewerb, richtet sich gegen mangelndes Interesse, „Formalismus“ oder „unnütze Zahlenhascherei“, erhöht den Zwang zur totalen Beteiligung, besserer Leistungsbewertung und Rechenschaftslegung und übt nicht zuletzt zusätzlichen Druck auf die Normenbildung aus.
Die Wirtschaftsführung der DDR betrachtet ihn ferner als geeignetes Instrument, den „Widerspruch zwischen der geringen persönlichen Teilnahme der Arbeiter an der Ausarbeitung des Wettbewerbsprogramms der Arbeitskollektive“ und den Forderungen der SED nach stärkerer Beteiligung aller Beschäftigten am Produktionsprozeß zu lösen.
Im Hinblick auf das Vertrauen der Beschäftigten in diese Maßnahmen scheint allerdings Skepsis angebracht zu sein. Unabhängig von den entstehenden Mehrbelastungen bewirkt das Verfahren des „doppelten“ G. eine Verunsicherung selbst der Betriebe, die statt „weicher“ reale und angespannte Pläne übernehmen wollen. Selbst diese Betriebe werden in Zukunft genügend materielle und finanzielle Reserven für eventuelle weitere, von der Wirtschaftsführung überraschend geforderte Mehrleistungsverpflichtungen einkalkulieren müssen.
F. Das Haushaltsbuch
Die Führung eines Haushaltsbuchs (H.), als wichtiges innerbetriebliches Anreiz- und Kontrollsystem, wurde erstmals 1963 vorgeschlagen und seitdem in vielen Betrieben eingeführt. Im Rahmen der innerbetrieblichen Wirtschaftlichen Rechnungsführung gilt das H. als ein „wissenschaftliches“ Instrument der Planung, Abrechnung und Analyse des Systems von Rechnungsführung und Statistik (Rechnungswesen). Daneben soll es im Rahmen des SW. Stimulierungs- und Kontrollaufgaben erfüllen, indem es über die mit einem ständigen Soll-Ist-Vergleich der Planerfüllung gekoppelten Prämienerwartungen Auskunft gibt. Gemäß staatlicher Richtlinie von 1971 (GBl. II, S. 237) sind im H. vor allem solche den spezifischen Arbeitsbedingungen eines Kollektivs entsprechende Leistungskennziffern (in der Regel Wertkennziffern) vorzugeben und abzurechnen, die von den Beschäftigten des Produktionsbereichs möglichst direkt beeinflußt werden können. Als optimale Vorgabe für das H. werden gegenwärtig zwischen 4 und 8 zusammengefaßte Kennziffern empfohlen, die aus 12 speziellen Kennziffern abzuleiten sind, die im Beschluß des Politbüros der SED und des Ministerrates der DDR vom März 1976 zur Leistungsbewertung der Betriebe und Kombinate festgelegt wurden. Die Einführung der saldierten Abrechnung des SW. (vgl. Abschnitt D.4) wird als Weiterentwicklung dieses Verfahrens verstanden.
Wichtiger Ansatz für Wettbewerbsinitiativen ist eine für jeden Beschäftigten verständliche Darstellung des Zusammenhangs zwischen persönlicher Leistung und Prämie. Dabei geht es um eine ausreichende Transparenz des funktionalen Zusammenhangs zwischen der Leistung des Produktionsbereichs und dem Betriebsergebnis (Kosten-Nutzen-Denken) und um ein hieraus resultierendes Wettbewerbsverhalten (höhere Leistung und größere Sparsamkeit). Unter dem Aspekt der individuellen Stimulierung sollen wichtige Leistungskennziffern mit Berechnungskoeffizienten der Prämienordnung in möglichst überschaubarer Weise gekoppelt werden. Schließlich soll mit dem H. und der saldierten Abrechnung des SW. der inner- und zwischenbetriebliche Leistungsvergleich verbessert werden. Es wird zwischen einem kostenstellenbezogenen (aufgabenbezogenen) H., überwiegend verwendet im Produktionsbereich, themenbezogenen H. in der Produktionsvorbereitung und einem persönlichen H. unterschieden.
Der möglichst in kurzen zeitlichen Abständen aufzuschlüsselnde Leistungsnachweis und Wettbewerbsstand, der von einigen Betrieben bereits täglich durch Einsatz von EDV ermittelt wird (elektronisches H.), informiert gleichzeitig über den damit verbundenen Prämienanteil.
Aufgrund von Schwierigkeiten z. B. bei der Aufschlüsselung von Kennziffern und ihrer Abrechnung im H., nicht zuletzt bedingt durch Probleme der Kostenrechnung und Preiskalkulation, hat sich trotz staatlicher Richtlinie in einer Anzahl von Betrieben bisher die Einführung eines H. noch nicht durchgesetzt.
Zur Förderung des Verständnisses von Kostenproblemen und Kostenkontrolle, speziell bei der Auswertung des H., werden seit einigen Jahren in den Brigaden einer Reihe von Betrieben in zunehmendem Maße ehrenamtliche, besonders fachlich und ideologisch geschulte Brigadeökonomen als Berater („ökonomisches Gewissen“) des Leiters der Brigade eingesetzt. Neben anderen Funktionen hat der B. vor allem die Selbstkostensenkung und die Qualitätserhöhung durch das „System der fehlerfreien Arbeit“ (Qualität der Erzeugnisse) zu fördern, [S. 977]aktuelle Wettbewerbsprobleme zu erläutern und monatliche Rentabilitätsberatungen im Brigadebereich zu führen.
Die seit 1950 nach sowjetischem Vorbild eingeführte Methode des persönlichen Kontos (PK.) in Form einer exakten Buchführung eines Beschäftigten oder einer Brigade (Brigadekonto) über Einsparung an Material und geringerwertigen Arbeitsmitteln wie über nachweisbar finanziell nutzbare Verbesserungsvorschläge war mit entsprechenden Prämien verbunden. Gegenwärtig kann die Methode des PK. durch Neuererbewegung, H. und saldierte Wettbewerbsabrechnung als überholt angesehen werden.
G. Der Mach-Mit-Wettbewerb
Mit dem Mach-Mit-Wettbewerb (MMW.) werden die Prinzipien des SW. über die Wirtschaft hinaus auf den Wohn- und Lebensbereich der Bevölkerung ausgedehnt. Sein Programm wird seit 1972 vom Nationalrat der Nationalen Front unter der Wettbewerbslosung: „Schöner unsere Städte und Gemeinden — Mach mit“ propagiert (auch: „Schöner unser Betrieb — Mach mit“).
[S. 978]Hauptziel des Wettbewerbs zwischen Städten, Dörfern, Wohnbereichen, Betrieben und kommunalen Volksvertretungen ist die „kulturelle Gestaltung“ und damit der Versuch; die bisherige ehrenamtliche Beteiligung der Bevölkerung an ähnlichen Aktionen weiter zu intensivieren. Hierzu zählt in erster Linie die Verbesserung der Wohnbedingungen durch „freiwillige“ Leistungen beim Um-, Ausbau und der Renovierung von Wohnungen, Gaststätten und Gebäuden des öffentlichen Lebens sowie die Verschönerung von Grünanlagen. Daneben wird ein breiter Fächer vielfältiger weiterer Wettbewerbsaufgaben angestrebt, so z. B. Sammlung und Erfassung von Altmaterialien. Der MM W. gilt als eine Form der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit in den Wohngebieten und wird als moralische Pflicht im Sinne der ideologischen Erziehung der Bevölkerung zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ und zur Festigung des „sozialistischen Patriotismus“ verstanden.
Neue Impulse werden in jüngster Zeit von dem Zusammenwirken von territorialer Rationalisierung und MMW., verstanden als wechselseitige Ergänzung von Produktionswettbewerb und Wettbewerb im Wohngebiet, erwartet.
H. Die Aktion bzw. der Betrieb der vorbildlichen Ordnung und Sicherheit
Dies ist eine relativ neue Erscheinungsform des über den Bereich der Wirtschaft hinausreichenden SW., die seit 1972 vom Rat des Bezirks Halle proklamiert wird (z. T. auch zusätzlich „Sauberkeit“). Ein Beschluß über die „Verbesserung der Rechtsarbeit“ in der Volkswirtschaft (GBl. I, 1974, S. 32) unterstreicht ihre Bedeutung. Im Mittelpunkt steht eine „Verbesserung der Rechtserziehung und Rechtspropaganda“ in Betrieben und Gemeinden. Sie ist u. a. gegen „alle Erscheinungen einer liberalen Einstellung gegenüber rechtlichen Pflichten“, wie mangelnde Plan- und Vertragsdisziplin, aber auch gegen kriminelle Delikte, wie Diebstahl oder Bereicherung auf Kosten der Gesellschaft, gerichtet. Eine Reihe von Kollektiven und Gemeinden wurden mit diesem Titel ausgezeichnet. Die „Festigung von Ordnung, Disziplin und Sicherheit“ wird im neuen AGB von 1977 (§ 35 Abs. 2) ausdrücklich als Wettbewerbsziel genannt.
I. Die Produktionspropaganda
Die Möglichkeit, Bestleistungen im DDR-Maßstab wiederholen zu können, setzt die Veröffentlichung und Vergleichbarkeit ihrer Ergebnisse und die Propagierung der Verfahren zur Leistungssteigerung voraus. Die Produktionspropaganda (P.) fungiert in diesem Sinne als Instrument einer „systematischen, zweckbestimmten Aufklärungs-, Überzeugungs- und Erziehungsarbeit“ unter ideologischen und wirtschaftlichen Vorzeichen. Von ihr sollen alle Möglichkeiten der Information und Förderung des Wettbewerbs gemäß der Leninschen Wettbewerbsprinzipien durch öffentliches Lob oder Tadel in Wort (periodische Rechenschaftslegung, Beratungen zur Wettbewerbsauswertung, Betriebszeitung, Betriebsfunk, Wettbewerbslosungen usw.) und Bild (zentrale Wettbewerbstafel. Straße der Besten. Tafeln der sozialistischen Kollektive, der Aktivisten, der besten Neuerer usw.) genutzt werden. Für die moralische Anerkennung von Wettbewerbsleistungen steht ein vielseitiges Register von staatlichen und betrieblichen Einzel- und Kollektivauszeichnungen, Anerkennungen und Belobigungen (Auszeichnungen) sowie Orden, Medaillen, Ehrenzeichen, -titel und -banner, Wanderfahnen und -wimpel bereit. Die Formen der moralischen Anerkennung sind in der Regel mit bestimmten Prämien verbunden.
Der dargestellte umfassende Katalog zentral organisierter Verfahrensformen und Methoden des SW. verdeutlicht, daß die DDR in der Etappe der entwickelten sozialistischen Gesellschaft im verstärkten Maß auf die nachhaltige Stimulierung der Leistungsbereitschaft der Beschäftigten angewiesen ist.
Kurt Erdmann
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 968–978