
Verfassung (1979)
Siehe auch:
Die Verfassung vom 6. 4. 1968 bezeichnet die DDR als sozialistischen Staat. Sie ist die zweite V. der DDR. Mit Wirkung vom 7. 10. 1974 erging zu ihr ein Gesetz zur Ergänzung und Änderung (GBl. I, S. 425, Neufassung GBl. I, S. 432).
I. Entwicklung
Die erste V. war mit der Konstituierung der DDR am 7. 10. 1949 in Kraft gesetzt worden. Sie wies Strukturelemente und -prinzipien eines parlamentarisch-demokratischen Systems mit föderalistischen und rechtsstaatlichen Zügen auf, bekannte sich jedoch bereits zum Prinzip der Gewaltenkonzentration, indem sie die Volkskammer zum höchsten Organ erklärte. Die V. enthielt den Grundsatz der Volkssouveränität und einen Grundrechtskatalog. An der Gesetzgebung war auch die Länderkammer als Vertretung der Länder, wenn auch nur schwach, beteiligt. Von den üblichen parlamentarisch-demokratischen Regeln wich die Bestimmung ab, daß die Regierung, deren Ministerpräsident von der stärksten Fraktion zu benennen war, unter Beteiligung aller Fraktionen der Volkskammer gebildet werden sollte, jedoch konnte sich eine Fraktion, wenn sie es wollte, dem Wortlaut der V. nach von der Regierungsbildung ausschließen. Wegen der Blockpolitik wurde von dieser Ausnahme jedoch niemals Gebrauch gemacht. Staatsoberhaupt war der Präsident der Republik. Die Unabhängigkeit der Richter wurde ebenso garantiert, wie die Selbstverwaltung der Gemeinden gewährleistet wurde.
Die V. von 1949 hat unter ihrer Geltung den Aufbau einer sozialistischen Staatsordnung nicht verhindert. Einige ihrer Strukturpinzipien, wie das Prinzip der Gewaltenkonzentration, das Fehlen einer V.-Gerichtsbarkeit, aber auch ihre Bestimmungen zur Eigentumsordnung, haben diese Entwicklung begünstigt, weshalb sich auf der Basis dieser V. einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung eine sozialistische Umwälzung vollziehen konnte. Diese Umwälzung vollzog sich außerhalb und zum Teil gegen die V. von 1949. Nur dreimal wurde die V. von 1949 ergänzt oder geändert. 1955 wurde sie um Vorschriften über den Wehrdienst erweitert, 1958 wurde die Länderkammer abgeschafft. 1960 wurde der Staatsrat geschaffen, während gleichzeitig das Amt des Präsidenten der Republik beseitigt wurde. Im übrigen vollzog sich die Entwicklung zunächst außerhalb der Gesetze. Mit der Verwaltungsneugliederung wurde 1952 indessen eine Entwicklung eingeleitet, durch die die V.-Urkunde mehr und mehr durch andere gesetzliche Bestimmungen abge[S. 1116]löst wurde und so einer neuen materiellen Rechts-V. Platz machte, die bereits die Strukturelemente und -Prinzipien des sozialistischen Staates aufwies. Diese Strukturelemente sind: 1. die führende Rolle der marxistisch-leninistischen, also kommunistischen Partei, die in kritischer Sicht als deren Suprematie zu bezeichnen ist, weil sie ein Herrschaftsverhältnis begründet; 2. das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln, das sozialistische Produktions- oder Eigentumsverhältnisse schuf, und 3. auf dessen Grundlage die planmäßige Leitung aller Lebensvorgänge unter der Suprematie der SED. Die Strukturprinzipien sind: 1. die Gewalteneinheit und 2. der demokratische Zentralismus.
Aus diesen Grundlagen und Grundsätzen folgt ein bestimmtes Verhältnis des einzelnen zum ganzen, das durch den Begriff „sozialistisches Persönlichkeitsrecht“ charakterisiert wird, für das auch der Begriff „sozialistisches Grundrecht“ (Grundrechte, Sozialistische) verwendet wird.
II. Die Grundlagen der sozialistischen Gesellschafts- und Staatsordnung
A. Die Strukturelemente und -prinzipien der Verfassung
Die V. transformiert im Abschnitt I das im Zuge der V.-Entwicklung entstandene materielle V.-Recht in formelles V.-Recht. Die Strukturelemente und -prinzipien eines sozialistischen Staates bilden die politischen Grundlagen der DDR. Die „führende Rolle“ der marxistisch-leninistischen Partei als Vortrupp der Arbeiterklasse — ihre Suprematie — kommt in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 zum Ausdruck, wonach die DDR die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land sei, die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirkliche. Die marxistisch-leninistische Partei der DDR ist die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, die SED, wenn sie auch in der V. nicht mit ihrem Namen genannt ist. Im Licht dieser besonderen Stellung der SED ist auch Art. 2 Satz 1 zu lesen. Nach ihm wird alle politische Macht in der DDR von den „Werktätigen“, also nicht vom „Volke“ ausgeübt. Unter den Werktätigen werden freilich nicht nur die Angehörigen der Arbeiterklasse verstanden, sondern auch die Genossenschaftsbauern, die Angehörigen der Intelligenz und andere soziale Gruppen und Schichten - vorausgesetzt, daß sie sich als im festen Bündnis mit der Arbeiterklasse befindlich betrachten. Die V. versteht daher unter „Werktätigen“ nicht nur die in Betrieben und Verwaltung Beschäftigten, wie das Arbeitsrecht, sondern die „Bürger“, diese jedoch eingeordnet in die Klassenstruktur der Gesellschaft der DDR, wie sie von den politisch Verantwortlichen in der DDR gesehen wird. Art. 2 Abs. 2 bezeichnet das feste Bündnis der Arbeiterklasse mit der Klasse der Genossenschaftsbauern, den Angehörigen der Intelligenz und den anderen Schichten des Volkes als eine unantastbare Grundlage der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Allerdings ist im Verlauf der V.-Änderung vom 7. 10. 1974 der Abs. 4 des Art. 2 ersatzlos gestrichen worden. In ihm war die „Übereinstimmung … der Interessen der Werktätigen … mit den gesellschaftlichen Erfordernissen“ zur „wichtigsten Triebkraft der sozialistischen Gesellschaft“ erklärt worden. Den darin zum Ausdruck kommenden „harmonistischen“ Vorstellungen von der „sozialistischen Menschengemeinschaft“ — von Ulbricht geprägte Formel zur Beschreibung des Zustandes der Gesellschaft in der DDR — wurde damit auch verfassungsrechtlich eine Absage erteilt, nachdem sie schon 1971 von der SED faktisch aufgegeben worden war. Die Übereinstimmung der individuellen und kollektiven Interessen mit den gesellschaftlichen Erfordernissen wird dagegen wiederum in § 3 ZGB (Zivilrecht) als Gegenstand der Sicherung, hier durch das Zivilrecht, bezeichnet.
Durch die Verfassungsnovelle wurde die durch den VIII. Parteitag der SED (1971) gestellte „ökonomische Hauptaufgabe“ (die weitere Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen Produktion, der Erhöhung der Effektivität, des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität) in Art. 2 Abs. 1 Satz 3 konstitutionell festgeschrieben.
In der DDR sind zwar außer der SED auch andere Parteien zugelassen (DBD; CDU; LDPD; NDPD). Da die politischen Parteien als Ausdruck der fortbestehenden Klassenstruktur angesehen werden, die Klassen in einer sozialistischen Gesellschaft aber eng miteinander verbunden sind, stehen die Parteien im Sinne der Blockpolitik nicht unverbunden nebeneinander. Nach Art. 3 findet das Bündnis aller Kräfte des Volkes in der Nationalen Front der DDR seinen organisierten Ausdruck. In ihr vereinigen die Parteien und Massenorganisationen alle Kräfte des Volkes zum gemeinsamen Handeln für die Entwicklung der Gesellschaft.
Als eine weitere unantastbare Grundlage der Gesellschaftsordnung der DDR bezeichnet Art. 2 Abs. 2 das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln. Seine Existenz wird für die Garantie gehalten, daß es in der DDR keine der Arbeiterklasse feindlich gegenüberstehenden Klassen, also Kapitalisten oder Großgrundbesitzer, mehr gibt. Ohne sozialistisches Eigentum an den Produktionsmitteln wäre das Klassenbündnis in der DDR, das alle sozialen Gruppen und Schichten umfaßt, nicht denkbar. Vor allem ist das sozialistische Eigentum Grundlage für die Volkswirtschaft der DDR (Art. 9 Abs. 1).
Die dritte unantastbare Grundlage der sozialisti[S. 1117]schen Gesellschaftsordnung ist nach Art. 2 Abs. 2 die Leitung und Planung der gesellschaftlichen Entwicklung nach den fortgeschrittensten Erkenntnissen der Wissenschaft.
Kernstück der Leitung und Planung ist jedoch die Volkswirtschaft, die in Art. 9 Abs. 3 ausdrücklich als sozialistische Planwirtschaft bezeichnet wird. Sache des sozialistischen Staates ist es. das Währungs- und Finanzsystem festzulegen (Finanzsystem; Währung/Währungspolitik). Abgaben und Steuern dürfen nur auf der Grundlage von Gesetzen erhoben werden (Art. 9 Abs. 4). Die Außenwirtschaft einschließlich des Außenhandels und der Valutawirtschaft werden zum staatlichen Monopol erklärt (Art. 9 Abs. 5). Das Prinzip der Gewaltenkonzentration ist in Art. 5 ausgedrückt, wonach die Bürger der DDR ihre politische Macht durch demokratisch gewählte Volksvertretungen (Wahlen) ausüben. Die Volksvertretungen werden als die Grundlage des Systems der Staatsorgane bezeichnet. Sie sollen ihre Tätigkeit auf die aktive Mitgestaltung der Bürger an der Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle ihrer Entscheidungen stützen. Das Prinzip des Demokratischen Zentralismus wird in Art. 47 Abs. 2 als die Grundlage genannt, auf der sich die „Souveränität des werktätigen Volkes“ verwirkliche. Es wird als das tragende Prinzip des Staatsaufbaus bezeichnet.
Nach Art. 17 soll die DDR Wissenschaft, Forschung und Bildung fördern sowie mittels des Einheitlichen sozialistischen Bildungssystems allen Bürgern eine den ständig steigenden gesellschaftlichen Erfordernissen entsprechende hohe Bildung sichern. Nach Art. 18 gehört auch die sozialistische Nationalkultur zu den Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft. Der DDR wird aufgetragen, die sozialistische Kultur zu fördern und zu schützen sowie die „imperialistische Unkultur“ zu bekämpfen (Kulturpolitik).
B. Außenpolitische Bestimmungen
Art. 6 Abs. 1 enthält die entscheidende außenpolitische Maxime. Danach hat die „DDR getreu den Interessen des Volkes und den internationalen Verpflichtungen auf ihrem Gebiet den deutschen Militarismus und Nazismus ausgerottet. Sie betreibt eine dem Frieden und dem Sozialismus, der Völkerverständigung und der Sicherheit dienende Außenpolitik“.
Das Verhältnis zur Sowjetunion und zu den anderen sozialistischen Staaten legt Art.6 Abs. 2 fest. In seiner ursprünglichen Fassung hatte die DDR „entsprechend den Prinzipien des sozialistischen Internationalismus die allseitige Zusammenarbeit und Freundschaft mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und den anderen sozialistischen Staaten“ zu pflegen und zu entwickeln. Nach der Änderung der V. von 1974 ist die DDR „für immer und unwiderruflich mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken verbündet. Das enge und brüderliche Bündnis mit ihr garantiert dem Volk der Deutschen Demokratischen Republik das weitere Voranschreiten auf dem Wege des Sozialismus und des Friedens.“ Das Lehrbuch „Staatsrecht der DDR“ (Berlin [Ost], 1977, S. 40) bezeichnet das immerwährende und unwiderrufliche Bündnis mit der UdSSR als ein Wesensmerkmal der DDR. Wegen der politischen Machtverhältnisse bedeutet das Bündnis mit der Sowjetunion für die DDR einerseits die Garantie ihrer Existenz, anderseits faktisch die völlige Abhängigkeit von der UdSSR. Die DDR wird als ein untrennbarer Bestandteil der sozialistischen Staatengemeinschaft bezeichnet. Sie soll getreu den Prinzipien des Proletarischen ➝Internationalismus zu deren Stärkung beitragen, die Freundschaft, die allseitige Zusammenarbeit und den gegenseitigen Beistand mit allen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft pflegen und entwickeln. Ferner soll nach Art. 6 die DDR die Staaten und Völker, die gegen den Imperialismus und sein Kolonialregime für nationale Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen, in ihrem Ringen um gesellschaftlichen Fortschritt unterstützen.
Schließlich soll sie für die Verwirklichung der Prinzipien der Friedlichen Koexistenz eintreten und auf der Grundlage der Gleichberechtigung und gegenseitigen Achtung die Zusammenarbeit mit allen Staaten pflegen und sich für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, für eine stabile Friedensordnung in der Welt und für allgemeine Abrüstung einsetzen. In diesem Zusammenhang wird bestimmt, daß militaristische und revanchistische Propaganda in jeder Form, Kriegshetze und Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhaß als Verbrechen geahndet werden.
C. Staatsgebiet und Landesverteidigung
Nach Art. 7 Abs. 1 haben die Staatsorgane die territoriale Integrität der DDR und die Unverletzlichkeit ihrer Staatsgrenzen einschließlich ihres Luftraums und ihrer Territorialgewässer sowie den Schutz und die Nutzung des Festlandsockels zu gewährleisten. Art. 7 Abs. 2 Satz 1 bestimmt, daß die DDR die Landesverteidigung sowie den Schutz der sozialistischen Ordnung und des friedlichen Lebens der Bürger organisiert. Im folgenden Satz wird als Aufgabe der Nationalen Volksarmee und der anderen Organe der Landesverteidigung der Schutz der sozialistischen Errungenschaften des Volkes gegen alle Angriffe von außen bezeichnet.
D. Außenpolitische Maximen und Völkerrecht
Nach Art. 8 sind die allgemein anerkannten, dem Frieden und der friedlichen Zusammenarbeit der Völker dienenden Regeln des Völkerrechtes für die Staatsmacht und jeden Bürger verbindlich. In die[S. 1118]sem Zusammenhang wird angekündigt: „Die Deutsche Demokratische Republik wird niemals einen Eroberungskrieg unternehmen oder ihre Streitkräfte gegen die Freiheit eines anderen Volkes einsetzen.“
E. Einheit Deutschlands
In Art. 1 wurde in der ursprünglichen Fassung die DDR als sozialistischer Staat deutscher Nation bezeichnet. Nach Art. 8 Abs. 2 a. F. sollten die Herstellung und Pflege normaler Beziehungen und die Zusammenarbeit der beiden deutschen Staaten auf der Grundlage der Gleichberechtigung ein nationales Anliegen der DDR sein. Ferner hieß es, daß die DDR und ihre Bürger die „Überwindung der vom Imperialismus der Deutschen Nation aufgezwungenen Spaltung Deutschlands, die schrittweise Annäherung der beiden deutschen Staaten bis zur ihrer Vereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus“ erstreben.
Im Zuge der Abgrenzungspolitik wurde behauptet, in der DDR bilde sich eine eigene sozialistische Nation heraus. Deshalb wurden anläßlich der V.-Änderung von 1974 alle Hinweise auf die deutsche Nation, das Wort „Deutschland“ sowie das Gebot, nach der Vereinigung beider deutscher Staaten zu streben, aus dem Text der V. gestrichen. Nunmehr wird die DDR in Art. 1 der revidierten Verfassung als „sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern“ (in der alten Fassung „… deutscher Nation“) bezeichnet (Nation und nationale Frage; Deutschlandpolitik der SED; Abgrenzung).
F. Hauptstadt, Staatsflagge, Staatswappen
Art. 1 bezeichnet Berlin als Hauptstadt der DDR und nimmt keine Rücksicht darauf, daß nur der Ostteil der Stadt — im Widerspruch zum Viermächte-Status ganz Berlins — faktisch vollständig in die DDR eingegliedert wurde. Ferner legt derselbe Artikel die Staatsflagge (Flagge) und das Staatswappen (Wappen) fest.
III. Bürger und Gemeinschaften in der sozialistischen Gesellschaft
Die Stellung der Bürger und Gemeinschaften in der sozialistischen Gesellschaft wird durch die Grundlagen der in der V. festgelegten Ordnung bestimmt. Jedem Bürger der DDR werden nach Art. 20 Abs 1, unabhängig von seiner Nationalität, seiner Rasse, seinem weltanschaulichen oder religiösen Bekenntnis, seiner sozialen Herkunft und Stellung die gleichen Rechte und Pflichten zugebilligt. Der Gleichheit des Gesetzes entspricht die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. Besonders betont wird die Gleichberechtigung von Mann und Frau und ihre gleiche Rechtsstellung in allen Bereichen des gesellschaftlichen, staatlichen und persönlichen Lebens. Die Förderung der Frau, besonders in der beruflichen Qualifizierung, wird als gesellschaftliche und staatliche Aufgabe bezeichnet (Frauen). Die Jugend soll in ihrer gesellschaftlichen und beruflichen Entwicklung besonders gefördert werden. Ihr wird die Möglichkeit versprochen, an der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaftsordnung verantwortungsbewußt teilzunehmen (Jugend). Als allen anderen Rechten zugrunde liegendes Grundrecht wird das Recht, das politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben der sozialistischen Gemeinschaft und des sozialistischen Staates umfassend mitzugestalten, verstanden (Art. 21 Abs. 1). Damit wird, auch in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 Satz 2, ein konsultatives Element in die V. eingeführt, ohne daß dieses damit freilich zu einem Strukturprinzip der V. würde.
Im einzelnen werden aufgeführt: Das Recht der Gleichbehandlung unabhängig von Nationalität, Rasse, weltanschaulichem und religiösem Bekenntnis sowie sozialer Herkunft und Stellung, Gewissens- und Glaubensfreiheit (Art. 20 Abs. 1). Wahlrecht (Art. 21 Abs. 2 und Art. 22), Recht auf Arbeit, das aus dem Recht auf einen Arbeitsplatz und dessen freier Wahl entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und der persönlichen Qualifikation sowie auf Lohn nach Qualität und Quantität der Arbeit besteht (Art. 24) (Arbeitsrecht), Recht auf Bildung, das die Möglichkeit des Übergangs zur nächsthöheren Bildungsstufe bis zu den höchsten Bildungsstätten, den Universitäten und Hochschulen, entsprechend dem Leistungsprinzip, den gesellschaftlichen Erfordernissen und unter Berücksichtigung der Sozialstruktur der Bevölkerung, das Recht der Jugendlichen auf Erlernung eines Berufs sowie das Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben einschließt (Art. 25, 26) (Einheitliches sozialistisches Bildungssystem; Kulturpolitik). Recht auf freie und öffentliche Meinungsäußerung sowie die Freiheit der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens (Art. 27), Recht auf friedliche Versammlung (Art. 28), Vereinigungsrecht (Art. 29). Recht auf Freizügigkeit innerhalb des Staatsgebietes der DDR (Art. 32), Anspruch auf Rechtsschutz durch die Organe der DDR und Auslieferungsverbot (Art. 33), Recht auf Freizeit und Erholung (Art. 34), Recht auf Schutz der Gesundheit und der Arbeitskraft (Art. 35), Recht auf Fürsorge der Gesellschaft im Alter und bei Invalidität (Art. 36), Recht auf Wohnraum entsprechend den volkswirtschaftlichen Möglichkeiten und örtlichen Bedingungen (Art. 37), das Recht, sich zu einem religiösen Glauben zu bekennen und religiöse Handlungen auszuüben (Art. 39 Abs. 1), für Bürger der DDR sorbischer Nationalität das Recht zur Pflege ihrer Muttersprache und Kultur (Art. 40). Ferner werden die Persönlichkeit und die Freiheit jedes Bürgers der DDR für unantastbar erklärt. Einschränkungen sind nur im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen oder einer Heilbehand[S. 1119]lung zulässig und müssen gesetzlich begründet sein. Dabei dürfen die Rechte solcher Bürger nur insoweit eingeschränkt werden, als dies gesetzlich zulässig und unumgänglich ist (Strafrecht). Zum Schutze seiner Freiheit und der Unantastbarkeit seiner Persönlichkeit hat ferner jeder Bürger den Anspruch auf die Hilfe der staatlichen und gesellschaftlichen Organe (Art. 30). Das Post- und Fernmeldegeheimnis wird für unverletzbar erklärt. Sie dürfen jedoch auf gesetzlicher Grundlage eingeschränkt werden, wenn es die Sicherheit des Staates oder eine strafrechtliche Verfolgung erfordern (Art. 31). Ehe, Familie, Mutterschaft sind unter den besonderen Schutz des Staates gestellt. Jeder Bürger der DDR hat das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Ehe und Familie. Mutter und Kind genießen den besonderen Schutz des sozialistischen Staates (Art. 38) (Familienrecht; Schwangerschaftsunterbrechung).
Die den Bürgern zugesagten Grundrechte werden durch die Grundlagen der Staats- und Gesellschaftsordnung inhaltlich bestimmt und zugleich beschränkt. Soweit etwa dem Bürger klassische Freiheitsrechte wie die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Vereinigungsfreiheit versprochen sind, darf er diese, wie in der V. in den Art. 27 bis 29 ausdrücklich gesagt ist, nur den Grundsätzen der V. gemäß oder im Rahmen der Grundsätze und Ziele der V. oder zu dem Zweck, seine Interessen in Übereinstimmung mit den Grundsätzen und Zielen der V. zu verwirklichen, ausüben.
Im Grundrechtsverständnis der DDR wird zuweilen jedes Grundrecht mit einer entsprechenden Grundpflicht gekoppelt. Das Mutterrecht aller politischen Grundrechte, das Recht auf Mitgestaltung, wird bereits in der V. (Art. 21 Abs. 3) als hohe moralische Verpflichtung für jeden Bürger gekennzeichnet und als Pflicht interpretiert, alle geistigen und körperlichen Kräfte zur Verwirklichung der sozialistischen Gesellschafts- und Staatsordnung einzusetzen.
Die Verwirklichung der sozialen Grundrechte ist an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Staates gebunden. Welcher Anteil am Nationaleinkommen in Form sozialer Leistungen gewährt wird, ist außerdem in der DDR eine politische Entscheidung, die nicht als Kompromiß zwischen widerstreitenden Interessen zustande kommt, sondern allein von der politischen Führungskraft der SED gefällt wird.
In kritischer Sicht fehlt den Grundrechten eine ausreichende Garantie für ihre Durchsetzung. Nach Art. 19 garantiert zwar die DDR allen Bürgern die Ausübung ihrer Rechte und ihre Mitwirkung an der Leitung der gesellschaftlichen Entwicklung. Sie verspricht auch, die sozialistische Gesetzlichkeit und die Rechtssicherheit zu gewährleisten. Achtung und Schutz der Würde und Freiheit der Persönlichkeiten werden zum Gebot für alle staatlichen Organe, alle gesellschaftlichen Kräfte und jeden einzelnen Bürger erklärt (Art. 19 Abs. 1 und 2), jedoch stellt die Rechtsordnung der DDR keine geeigneten Mittel wie etwa eine V.-Gerichtsbarkeit oder eine Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Verfügung und kennt auch keine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit für Streitigkeiten zwischen dem einzelnen und den Staatsorganen (Gerichtsverfassung; Grundrechte, Sozialistische).
Den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften wird zugestanden, ihre Angelegenheiten zu ordnen und ihre Tätigkeit auszuüben, jedoch nur „in Übereinstimmung mit der Verfassung und den gesetzlichen Bestimmungen der DDR“ (Art. 39 Abs. 2).
Die sozialistischen Betriebe, Städte, Gemeinden und Gemeindeverbände werden als eigenverantwortliche Gemeinschaften im Rahmen der zentralen staatlichen Leitung und Planung bezeichnet, in denen die Bürger arbeiten und ihre gesellschaftlichen Verhältnisse gestalten. Sie sollen die Wahrnehmung der Grundrechte der Bürger, die wirksame Verbindung der persönlichen mit den gesellschaftlichen Interessen sowie ein vielfältiges gesellschaftlich-politisches und kulturell-geistiges Leben sichern. Sie werden ausdrücklich unter den Schutz der V. gestellt. Eingriffe in ihre Rechte sollen nur auf der Grundlage von Gesetzen erfolgen dürfen (Art. 41). Indessen werden im einfachen Gesetzesrecht kaum Konsequenzen aus dem Charakter der genannten Einheiten als eigenverantwortliche Gemeinschaften der Bürger gezogen. Insbesondere ist der Rahmen der zentralen staatlichen Leitung und Planung so eng, daß eine Selbstverwaltung im hergebrachten Sinn nicht festgestellt werden kann.
Ein Novum der V. von 1968 war, den Einzelgewerkschaften, vereinigt im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB), eine verfassungsrechtliche Grundlage zu geben (Art. 44 u. 45). Der FDGB wird als die umfassende Klassenorganisation der Arbeiterklasse bezeichnet. Die Gewerkschaften sollen die Interessen der Arbeiter, Angestellten und Angehörigen der Intelligenz durch umfassende Mitbestimmung in Staat. Wirtschaft und Gesellschaft wahrnehmen. Sie werden als unabhängig bezeichnet, niemand soll sie in ihrer Tätigkeit einschränken oder behindern dürfen. Die V. räumt den Gewerkschaften umfangreiche Befugnisse ein. So sollen sie an der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft, an der Leitung und Planung der Volkswirtschaft, an der Verwirklichung der wissenschaftlich-technischen Revolution, an der Entwicklung der Arbeits- und Lebensbedingungen, des Gesundheits- und Arbeitsschutzes, der Arbeitskultur, des kulturellen und sportlichen Lebens der Werktätigen maßgeblich teilnehmen. Sie haben das Recht, über alle die Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen betreffenden Fragen mit staatlichen Organen, mit Betriebsleitungen und anderen wirtschaftsleitenden Organen Vereinbarungen abzuschließen. Sie sollen [S. 1120]auch aktiven Anteil an der Gestaltung der sozialistischen Rechtsordnung nehmen und besitzen das Recht der Gesetzesinitiative sowie der gesellschaftlichen Kontrolle über die Wahrung der gesetzlich garantierten Rechte der Werktätigen. Schließlich leiten die Gewerkschaften die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten (Arbeitsrecht; FDGB; Mitbestimmungs-, Mitgestaltungs-, Mitwirkungsrechte; Sozialversicherungs- und Versorgungswesen). In kritischer Sicht muß die Stellung des FDGB als einer von der SED geführten Massenorganisation in Betracht gezogen werden. Sie ist das Unterpfand dafür, daß die dem FDGB übertragenen umfangreichen Befugnisse nur im Sinn der Partei- und damit auch der Staatsführung ausgeübt werden können.
Schließlich regelt die V. in diesem Zusammenhang auch die Stellung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (Art. 46), die als freiwillige Vereinigungen der Bauern zur gemeinsamen sozialistischen Produktion, zur ständig besseren Befriedigung ihrer materiellen und kulturellen Bedürfnisse und zur Versorgung des Volkes und der Volkswirtschaft bezeichnet werden. Sie sollen durch ihre Organisationen und ihre Vertreter in den Staatsorganen aktiv an der staatlichen Leitung und Planung der gesellschaftlichen Entwicklung teilnehmen. Der Staat wird verpflichtet, den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften die sozialistische Großproduktion auf der Grundlage fortgeschrittener Wissenschaft und Technik zu ermöglichen. Die gleichen Grundsätze gelten für die sozialistischen Produktionsgenossenschaften der Fischer, der Gärtner und der Handwerker. Für ihre Stellung im gesamtgesellschaftlichen System gilt das für den FDGB Festgestellte entsprechend (Landwirtschaft; Gartenbau; Handwerk).
IV. Aufbau und System der staatlichen Leitung
Die V. legt Aufbau und System der staatlichen Leitung fest, deren tragendes Prinzip die „Souveränität des werktätigen Volkes“ auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus ist. Im einzelnen legt sie die Stellung, die Aufgaben und Kompetenzen von Volkskammer, Staatsrat, Ministerrat sowie der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe (Räte und Kommissionen) (Bezirk; Gemeinde; Kreis) fest (Gesetzgebung).
Art. 5 Abs. 3 bestimmt, daß zu keiner Zeit und unter keinen Umständen andere als die verfassungsmäßig vorgesehenen Organe staatliche Macht ausüben dürfen. Die Ausübung der staatlichen Macht liegt also allein bei den genannten Staatsorganen. Von der staatlichen Macht ist aber die politische Macht zu unterscheiden, als deren Träger das werktätige Volk unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei im Bündnis mit den anderen sozialen Klassen und Schichten gilt. Träger der politischen Macht ist die SED. Als politische Führungskraft bestimmt sie, wie die staatliche Macht ausgeübt wird. Das geschieht, indem sie als führende Kraft der in der Nationalen Front zusammengefaßten Parteien und Massenorganisationen die Zusammensetzung der Volkskammer und der örtlichen Volksvertretungen mittels der Wahlen bestimmt. Zwar sind nicht alle Mitglieder der Volksvertretungen Mitglieder der SED, jedoch gewährleistet das Auswahlsystem, daß sich auch Nicht-SED-Mitglieder loyal gegenüber Partei- und Staatsführung verhalten. Da die Volksvertretungen die personelle Zusammensetzung der anderen Organe zu bestimmen haben, kann die SED über diese auch den Staatsrat, den Ministerrat, die örtlichen Räte sowie die Rechtsprechungsorgane vom Obersten Gericht abwärts (Gerichtsverfassung; Rechtswesen) kontrollieren, indem sie diese Organe mit Parteimitgliedern oder ihr genehmen Personen besetzen läßt. Alle Inhaber von Funktionen in den Staatsorganen sind der SED verpflichtet, die damit unmittelbar auf die Staatsorgane einwirken kann und nicht den Weg über die Volksvertretungen zu nehmen braucht. Nach der V. ist zwar die Volkskammer das oberste staatliche Machtorgan der DDR, die in ihren Plenarsitzungen über die Grundfragen der Staatspolitik zu entscheiden hat. Auch wird hervorgehoben, daß sie das einzige verfassungs- und gesetzgebende Organ der DDR ist und daß niemand ihre Rechte einschränken darf. Ihre Kompetenzen sind dementsprechend weit gefaßt, ihre Rolle in der V.-Wirklichkeit ist jedoch noch immer stark eingeschränkt. Der Staatsrat sollte bis zur V.-Änderung von 1974 als Organ der Volkskammer zwischen deren Tagungen alle grundsätzlichen Aufgaben erfüllen, die sich aus den Gesetzen und Beschlüssen der Volkskammer ergeben. Der Vorsitzende des Staatsrates hatte eine hervorgehobene Stellung. Bis zum Jahre 1971 wurden die Ämter des Ersten Sekretärs des ZK der SED und des Vorsitzenden des Staatsrates in Personalunion wahrgenommen. Seit der Auflösung dieser Personalunion mit der Wahl Erich Honeckers zum Ersten Sekretär des ZK der SED war bereits ein Funktionsverlust des Staatsrates und seines Vorsitzenden zu beobachten.
Die V.-Änderung von 1974 trug dem Rechnung. Der Staatsrat nimmt nach Art. 66 n. F. nunmehr nur noch die Aufgaben wahr, die ihm durch die V. sowie die Gesetze und Beschlüsse der Volkskammer übertragen sind, ist also nicht mehr ein die Volkskammer zwischen ihren Tagungen in der Ausübung der ihr zustehenden Funktionen vertretendes Organ. Vor allem ist die Funktion des Staatsrates als kollektives Staatsoberhaupt nunmehr stärker ausgeprägt. Der Funktionsverlust des Staatsrates wurde auch nicht aufgeholt, nachdem der seit dem IX. Parteitag der SED mit dem Titel „Generalsekretär des ZK der SED“ versehene Erich Honecker am 29. 10. 1976 [S. 1121]zum Vorsitzenden des Staatsrates gewählt worden war.
Im Unterschied hierzu hat der Ministerrat eine Stärkung erfahren. Seine Stellung war ursprünglich in der V. nur sehr summarisch beschrieben (Art. 78 bis 80). Diese V.-Artikel wurden ergänzt und neu interpretiert durch das Gesetz über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik vom 16. 10. 1972 (GBl. I, S. 253). Der Ministerrat wird darin wieder als die Regierung der DDR bezeichnet, die für die einheitliche Durchsetzung der grundsätzlichen Beschlüsse der Parteiführung auf allen staatlichen Ebenen verantwortlich ist. Der Ministerrat ist damit wieder ein operatives Führungsorgan geworden, dessen Kompetenz alle Bereiche staatlicher Politik umfaßt. Nur hinsichtlich der Verteidigung ist diese beschränkt, denn der Ministerrat hat nur die ihm übertragenen, also nicht alle Verteidigungsaufgaben der DDR durchzuführen.
Die V.-Änderung des Jahres 1974 erhob diese Regelung durch eine Neufassung der Art. 76–80 in V.-Rang.
Durch das Ministerratsgesetz von 1972 gewann der Vorsitzende des Ministerrates eine hervorgehobene Stellung. So ist er u. a. jetzt berechtigt, den Mitgliedern des Ministerrates und den Leitern der anderen Staatsorgane Weisungen zu erteilen und deren Durchführung zu kontrollieren.
Er ist auch für die Anleitung und Kontrolle der Vorsitzenden der Räte der Bezirke verantwortlich und befugt, den Vorsitzenden der Räte der Bezirke Weisungen zu erteilen. Da der Vorsitzende des übergeordneten örtlichen Rates dem Vorsitzenden des nachgeordneten örtlichen Rates ebenfalls Weisungen erteilen kann, besteht eine Leitungslinie vom Vorsitzenden des Ministerrates bis zum Vorsitzenden des Rates der kleinsten Gemeinde. Diese Stellung des Vorsitzenden des Ministerrates ist auch nach der V.-Änderung von 1974 nur Bestandteil des einfachen Gesetzesrechtes geblieben. Im Ministerratsgesetz von 1972 wurde auch die Suprematie der SED unterstrichen. An sieben Stellen wird die führende Rolle der SED oder der Arbeiterklasse hervorgehoben; jedoch wurde diese Betonung der Suprematie der SED gegenüber dem Ministerrat auch mit dem Änderungsgesetz 1974 nicht Bestandteil des Verfassungstextes.
Auch für die Stellung und die innere Ordnung der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe gibt die V. nur Rahmenbestimmungen. Im einzelnen sollten die Aufgaben und Befugnisse der örtlichen Volksvertretungen, ihrer Abgeordneten, Kommissionen und ihrer Räte in den Bezirken, Kreisen, Städten, Stadtbezirken, Gemeinden und Gemeindeverbänden durch Gesetz festgelegt werden. Das erfolgte durch das Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. 7. 1973 (GBl. I, S. 313) (Bezirk; Gemeinde; Gemeindeverband; Kreis).
V. Sozialistische Gesetzlichkeit und Rechtspflege
Zur Sozialistischen Gesetzlichkeit und Rechtspflege legt die V. einige Grundsätze fest. So sollen nach Art. 87 Gesellschaft und Staat die Gesetzlichkeit durch die Einbeziehung der Bürger und ihrer Gemeinschaften in die Rechtspflege und in die gesellschaftliche und staatliche Kontrolle über die Einhaltung des sozialistischen Rechts gewährleisten (Gesellschaftliche Gerichte; Gerichtsverfassung; Rechtswesen).
Nach Art. 88 soll die Verantwortlichkeit aller leitenden Mitarbeiter in Staat und Wirtschaft gegenüber den Bürgern durch ein System der Rechenschaftspflicht gewährleistet werden (Rechenschaftslegung).
Art. 89 legt fest, daß die Gesetze und anderen allgemein verbindlichen Rechtsvorschriften im Gesetzblatt und anderweitig veröffentlicht werden müssen; Rechtsvorschriften der örtlichen Volksvertretungen sollen in „geeigneter Form“ veröffentlicht werden (Gesetzgebung).
Art. 90–102 befassen sich mit dem Rechtswesen (Richter; Staatsanwaltschaft).
Art. 103 (früher Art. 103–105) regelt das Eingabe- und Beschwerdewesen (Eingaben).
Art. 104 legt die Staatshaftung für Schäden fest, die einem Bürger an seinem persönlichen Eigentum durch gesetzliche Maßnahmen von Mitarbeitern der Staatsorgane zugefügt werden (Staatshaftung).
VI. Schlußbestimmungen
Nach Art. 105 ist die V. unmittelbar geltendes Recht.
Nach Art. 106 kann die V. nur durch Gesetz der Volkskammer geändert werden, das den Wortlaut der V. ausdrücklich ändert oder ergänzt.
VII. Würdigung
Die V. ist in allen ihren Teilen so gestaltet, daß sie trotz des Festhaltens an einem formellen Mehrparteiensystem die Herrschaft der SED, deren Suprematie, sichert. Schon die Kritik daran wird als verfassungswidrig angesehen und mit Sanktionen, insbesondere des politischen Strafrechts (VI.) belegt. Gegen diese Wertung wendet sich das Lehrbuch „Staatsrecht der DDR“ (Berlin [Ost], 1977, S. 107) mit dem Vorwurf, die Staatsrechtswissenschaftler in der Bundesrepublik Deutschland entwürfen ein nach Maßstäben der bürgerlichen V.-Lehre zurechtgestutztes Bild der sozialistischen V. und der V.-Wirklichkeit in der DDR. Demgegenüber kann darauf verwiesen werden, daß auch oppositionelle Kreise in der DDR, die sich selbst als Kommunisten bezeichnen (Bahro, Manifest einer SED-Opposition, das Anfang 1978 veröffentlicht wurde), die Kritik teilen.
Siegfried Mampel
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 1115–1121