DDR von A-Z, Band 1979

Weltgewerkschaftsbund (WGB) (1979)

 

 

Siehe auch:


 

Englisch: World Federation of Trade Unions (WFTU); französisch: Fédération Syndicale Mondiale (F.S.M.).

 

Oberstes Organ des WGB ist der „Weltgewerkschaftskongreß“. Dem Gründungskongreß vom 3. bis 8. 10. 1945 in Paris ging eine internationale Konferenz im Februar 1945 in London voraus. Schon der II. WGB-Kongreß vom 29. 6. bis 9. 7. 1949 in Mailand mußte sich damit auseinandersetzen, daß einige wichtige nationale Gewerkschaftsbünde, unter ihnen der britische TUC, den WGB wegen eindeutiger kommunistischer Manipulationen durch die Führungsgremien verlassen und den „Internationalen Bund Freier Gewerkschaften“ (IBFG) mit Sitz in Brüssel gegründet hatten. Der III. WGB-Kongreß fand vom 10. bis 21. 10. 1953 in Wien statt. Die dann folgenden 5 Weltkongresse wurden ausschließlich in Staaten des Warschauer Paktes abgehalten. Der IX. WGB-Kongreß (16.–22. 4. 1978) tagte in Prag.

 

Die Zahl der Delegierten für die Kongresse wird nach einem Schlüssel ermittelt, der die Mitgliederzahl und die „Bedeutung“ der nationalen Mitgliedsorganisationen berücksichtigen soll. Damit ist das Übergewicht des Einflusses der Gewerkschaften der UdSSR und der osteuropäischen Staaten garantiert. Die Mitgliedschaft Rotchinas ist bisher noch nicht in Frage gestellt worden, obwohl seit Mitte der 60er Jahre die chinesischen Gewerkschaften keinen Vertreter mehr in ein WGB-Gremium entsandt haben.

 

Weitere Führungsgremien sind der Generalrat, der die Politik zwischen den Kongressen zu bestimmen hat, das Büro und das Sekretariat.

 

Sitz des WGB und seiner Gremien war zunächst Wien. Im Februar 1956 von dort ausgewiesen, siedelte der WGB nach Prag über.

 

Die bisherigen WGB-Präsidenten waren Lord Walter Citrine (TUC Großbritannien) 1945, Arthur Deakin (TUC Großbritannien) 1946–1948, Guiseppe di Vittorio (CGIL Italien) 1949–1957, Agostino Novella (CGIL Italien) 1958–1961, Renato Bitossi (CGIL Italien) 1961–1969 und Enrique Pastorino (Uruguay) 1969–1978; seit 1978 ist Sándor Gáspár (Ungarn) WGB-Präsident.

 

Louis Saillant (CGT Frankreich) war Generalsekretär des WGB von 1945 bis 1969. Auf dem VII. Kongreß in Budapest trat er zurück und wurde zum WGB-Ehrenpräsidenten gewählt. Sein Nachfolger als Generalsekretär war von 1969 bis 1978 Pierre Gensous (CGT Frankreich); seit 1978 ist es Enrique Pastorino (Uruguay). Organ des WGB ist die monatlich in Prag (in mehreren Sprachen) herausgegebene Zeitschrift „Weltgewerkschaftsbewegung“.

 

Nach Angaben des WGB sind in dieser Organisation 73 nationale Gewerkschaftsverbände aus ca. 100 Ländern zusammengeschlossen, die insgesamt 190 Millionen Mitglieder repräsentieren.

 

Ein nicht geringer Teil der Tätigkeit des WGB spielt sich in den nach Berufen bzw. Branchen gegliederten Internationalen Gewerkschaftsvereinigungen (IVG) ab. Es gibt zur Zeit 11 solche Vereinigungen: die Internationale Vereinigung der Gewerkschaften der Land- und Forstarbeiter, die IVG im Nahrungs-, Genuß- und Gaststättengewerbe, die IVG der Bau-, Holz- und Baustoffindustrie, die IVG der Chemie-, Erdöl- und verwandter Industrien, die IVG des Handels, die IVG des öffentli[S. 1167]chen Dienstes und verwandter Berufe, den Internationalen Lehrergewerkschaftsbund, die IVG der Metall- und Maschinenbauindustrie, die Internationale Vereinigung der Bergarbeitergewerkschaften, die IVG der Textil-, Bekleidungs-, Leder- und Häuteindustrie und die IVG im Transport, in den Häfen und im Fischereiwesen.

 

In den ersten Nachkriegsjahren wurde im WGB die Auffassung vertreten, daß der Aufnahme einer deutschen Mitgliedsorganisation der Zusammenschluß der Gewerkschaftsorganisationen der 4 Besatzungszonen vorangehen sollte. Nach dem Scheitern der Interzonenkonferenzen der deutschen Gewerkschaften (10 Konferenzen 1946–1948) wurde der FDGB im Januar 1949 Mitglied im WGB. (Der Deutsche Gewerkschaftsbund konstituierte sich auf seinem Gründungskongreß vom 12. bis 14. 10. 1949 in München.) Der damalige FDGB-Vorsitzende, Herbert Warnke, dankte den Delegierten des II. WGB-Kongresses in Mailand Anfang Juli 1949 für den durch die Aufnahme ausgedrückten „Akt der Solidarität“.

 

Obwohl es der FDGB seitdem niemals versäumt hat, sich in allen WGB-Aktionen (z. B. für Korea. Afrika, Lateinamerika, Vietnam) durch hohe Spenden und engagierte Mitarbeit in den Vordergrund zu spielen, ist sein Einfluß innerhalb des WGB verhältnismäßig gering geblieben. Herbert Warnke rückte 1956 in die Reihe der Vizepräsidenten vor, fiel aber Mitte der 60er Jahre auf den Status eines Büromitglieds zurück. Sein Nachfolger Harry Tisch wurde auf dem IX. WGB-Kongreß in Prag (1978) in dieser Funktion bestätigt (Vertreter: Heinz Neukrantz). In den 11 Internationalen Gewerkschaftsvereinigungen (IVG) des WGB behaupten sich Lothar Lindner — zuerst Vizepräsident, dann stellvertretender Generalsekretär — bei den Bauarbeitern und Dagobert Krause, seit 1969 als Generalsekretär an der Spitze der IVG des öffentlichen Dienstes. Harry Weber, der langjährige Leiterder Abteilung Bundesfinanzen im FDGB-Bundesvorstand, gehört seit mehreren Jahren zu den 5 Revisoren der WGB-Führung.

 

Die „deutsche Frage“ ist im WGB in der Regel nicht Gegenstand gewerkschaftspolitischer Erörterungen. Nach dem Bau der Berliner Mauer schaltete sich jedoch der WGB mit einer außerordentlichen Konferenz in Berlin (Ost) vom 22. bis 24. 9. 1961 in die Deutschlandpolitik unmittelbar ein, indem ca. 200 WGB-Vertreter „aus mehr als 40 Ländern“ unter der Leitung des WGB-Präsidenten Agostino Novella den Bau der Mauer ausdrücklich billigten sowie den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland und eine „friedliche Lösung der Westberlin-Frage“ im Sinne der sowjetischen Vorstellungen forderten. Seit der Einleitung der Entspannungspolitik Ende der 60er Jahre begnügen sich die Aussagen der WGB-Führung damit, die Entspannungs-Fortschritte auf das Erfolgskonto der sowjetischen Außenpolitik zu buchen und zu „Wachsamkeit“ gegenüber der nach wie vor angeblich „imperialistischen“ Bundesrepublik Deutschland aufzurufen.

 

Seit dem VIII. Kongreß in Varna (Bulgarien) im Oktober 1973 ist der WGB dazu übergegangen. Zusammenarbeit und gemeinsame Aktionen mit anderen internationalen Gewerkschaftsorganisationen zu suchen. Die vom IX. WGB-Kongreß in Prag 1978 verabschiedete Grundsatzresolution nennt dafür als politische Basis den „Kampf für Frieden und Entspannung“, die „Zusammenarbeit zwischen den Völkern“, die „Abrüstung“, die „Erfüllung der ökonomischen und sozialen Forderungen der Werktätigen“, die „Unabhängigkeit der Völker“, das Bemühen um eine „neue, gerechte Weltwirtschaftsordnung“ und die „Beseitigung von Kolonialismus, Faschismus und Rassismus“.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 1166–1167


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.