
Werbung (1979)
Siehe auch die Jahre 1969 1975 1985
Als Mittel zur ziel- und zweckgerichteten Beeinflussung von Menschen ist auch die W. ein Monopol der SED bzw. der von ihr kontrollierten Organe und Einrichtungen. Sie durchdringt das gesamte gesellschaftliche, politische, kulturelle und wirtschaftliche Leben und ist als methodischer Bestandteil der kommunistischen Agitation und Propaganda aufzufassen. Ständige Aufgaben und Ziele, die zeitweilig mit kampagneartigen Einsätzen angestrebt werden, sind z. B.: W. neuer Mitglieder für die SED und die Massenorganisationen; W. zur Verpflichtung als Längerdienender in der NVA; W. für die SED-Presse und sonstige politische Publikationen; W. zur Beeinflussung von Kaufentscheidungen (Wirtschafts-W.). Der Monopolstellung der SED in der W. entspricht, daß für Ideen und Ziele, mit denen die Partei nicht übereinstimmt, keine W. getrieben werden darf. So sind vor allem die Kirchen (Kirchenpolitik) in ihrer W. stark behindert.
Die kommerzielle W. war in der DDR nach dem II. Weltkrieg ein stark vernachlässigter Wirtschaftsfaktor. Sie schien zum einen ein Restposten des kapitalistischen Systems zu sein, der geduldet, niemals aber gefördert werden sollte, da sie mit einer Verschwendung des volkswirtschaftlichen Vermögens gleichgestellt wurde. Zum anderen war die wirtschaftliche Situation gekennzeichnet durch einen strukturellen Nachfrageüberhang. Die administrativ vorgenommene Verteilung der Produktion konnte weitgehend ohne W. abgesetzt werden. Bis zu Beginn der 60er Jahre war die binnenländische W. der DDR vorwiegend darauf bedacht, schwerverkäufliche, oft auch minderwertige Waren mit Unterstützung der W. besser und schneller verkaufen zu können. Menge und Sortiment vieler industrieller und landwirtschaftlicher Güter haben sich im letzten Jahrzehnt stark vergrößert. Das strenge Verteilungssystem wurde mit dem Übergang zum Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft im Jahre 1963 zum Teil gelockert und eine beträchtliche Zahl verschiedener Warenarten für den Markt freigegeben. Seitdem steigen die W.-Anstrengungen der DDR kontinuierlich.
Die Notwendigkeit der kommerziellen W. entsteht aus der örtlichen und zeitlichen Trennung von Produktion und Konsumtion und dem Abrücken von der orthodoxen Zentralplanwirtschaft bei teilweiser Einbeziehung des wirtschaftlichen Instruments des Marktes. Die W. übt sowohl gesamtwirtschaftliche als auch einzelwirtschaftliche Funktionen aus, wobei die volkswirtschaftliche Orientierung darin zum Ausdruck kommt, daß z. B. durch die W. Einfluß genommen werden kann auf die Realisierung der Außenwirtschaftspolitik (z. B. W. durch ganzseitige Anzeigen in westlichen Publikationsorganen). Die einzelwirtschaftliche W. verfolgt die „Absatz- und Marktbearbeitung“ der Betriebe. Die Ziele der W. beinhalten sowohl die Erhöhung betrieblicher Gewinne (durch Absatzförderung und Bedarfsweckung) als auch die kulturelle, ästhetische, moralische und politisch-ideologische Erziehung der Konsu[S. 1169]menten im Sinne der SED-Führung (Konsumentenerziehung). Daneben erfüllt die W. vorrangig Informationsfunktionen.
W.-Maßnahmen erstrecken sich auf die Schaufenstergestaltung, Prospekte, Anzeigen, Werbediapositive, Plakate, Leuchtschriften, Werbefilme, Werbereisen usw. Lange hat die DDR gezögert, W. auch im Fernsehen zuzulassen. 1962 wurde mit einer Sendezeit von jährlich 20 Stunden begonnen, 1975 nahm das inzwischen wieder eingestellte Werbefernsehen 144 Stunden in Anspruch. Konsumenten-W. wird vornehmlich in Zeitschriften, Illustrierten und Magazinen relativ bunt betrieben, seltener in Tageszeitungen. Die W. im Binnenhandel erfolgt auf der Grundlage von „Jahresgrundorientierungen“ zur warenbezogenen W., die durch das Ministerium für Handel und Versorgung (Leiter des W.-Sektors: Otto Altwasser) als Leitlinie oder Grundorientierung vorgegeben werden. Durch die zentralen und bezirklichen wirtschaftsleitenden Organe werden diese Orientierungen weiter präzisiert und auf Bezirksebene zu Verkaufs- und Werbekonzeptionen ausgearbeitet. Die Handelsbetriebe erarbeiten auf dieser Basis Werbepläne, die jeweils ein Jahr Gültigkeit haben. Potentielle in- und ausländische Käufer von Investitionsgütern werden vor allem über Anzeigen in Fachzeitschriften der DDR, Branchenkatalogen usw. angesprochen. Sicht-W. findet vor allem bei Messen und Ausstellungen in der DDR statt.
Die W.-Organisation beschränkt sich auf 2 Agenturen, wobei die Deutsche Werbe- und Anzeigengesellschaft (DEWAG) für die Inlands- und die „Interwerbung“ GmbH, Gesellschaft für Werbung und Auslandsmessen der DDR für die Auslands-W. zuständig ist. Die Interwerbung übernimmt als Allein-Auftragnehmer auch die W. ausländischer Firmen.
Die Berechtigung der W. wird heute grundsätzlich nicht mehr in Frage gestellt; die Aufwendungen dafür werden aber nach wie vor als unproduktiv gemäß dem Marxschen Klassifizierungsschema eingestuft. Die W.-Aufwendungen bleiben sowohl hinsichtlich der Export-W. als auch der Binnen-W. weit hinter denen westlicher Länder zurück.
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 1168–1169