DDR von A-Z, Band 1985

Betriebskollektivvertrag (BKV) (1985)

 

 

Siehe auch:


 

Die geltenden Bestimmungen von 1975 definieren den jährlich abzuschließenden BKV als „Vereinbarungen zwischen dem Direktor des Betriebes und der Betriebsgewerkschaftsleitung“ (BGL), die als wichtige Instrumente zur Erfüllung der Betriebspläne angesehen werden. Gemäß dem 1978 in Kraft getretenen Arbeitsgesetzbuch (AGB) sind im BKV „konkrete, abrechenbare und termingebundene Verpflichtungen“ sowie ausdrücklich nur die den jeweiligen Vorschriften entsprechenden arbeitsrechtlichen Regelungen aufzunehmen. Der BKV be[S. 211]gründet, bestätigt durch eine Belegschafts- oder Vertrauensleutevollversammlung, auch die „moralischen“ Verpflichtungen der Belegschaft bzw. bestimmter Belegschaftsgruppen (Abteilung, Brigade) eines Volkseigenen oder ihm gleichgestellten Betriebes für die Planerfüllung.

 

Ebenso schließen die Betriebe, die zu einem Kombinat zusammengefaßt sind, sowie territorial getrennte Betriebsteile Volkseigener Betriebe, soweit sie über eigene Betriebsgewerkschaftsorganisationen (BGO) sowie über bestimmte eigene finanzielle Fonds verfügen, eigene BKV ab. Unter genau festgelegten Voraussetzungen können auch für die Betriebsabteilungen gesonderte Abteilungskollektivverträge abgeschlossen werden. Behörden und andere staatliche Einrichtungen erarbeiten einen ihren spezifischen Bedingungen angepaßten BKV.

 

Während im Betriebsplan die staatlichen Ziele festgelegt sind, werden mit dem BKV — bei grundsätzlicher Ausklammerung der Lohnfragen (Lohnformen und Lohnsystem; Rahmenkollektivverträge [RKV]) — in umfassender Weise die stärker auf den Betrieb abgestellten Formen, Wege und Methoden zur Realisierung der Planziele vorgegeben, zu deren Einsatz und Anwendung sich Betriebsleiter, BGO und Belegschaft gemeinsam verpflichten. Insofern dient der BKV sowohl als wichtiges Instrument zur Förderung der Masseninitiative und des Sozialistischen Wettbewerbs als auch als entscheidendes Mittel zur Aufrechterhaltung bzw. Herstellung einer straffen Betriebsordnung und Arbeitsdisziplin (Bewegung für vorbildliche Ordnung und Sicherheit; GBl. I, 1974, S. 314).

 

Alle gegenwärtig geltenden grundsätzlichen Bestimmungen des BKV sind sowohl durch gemeinsamen Beschluß und eine Richtlinie des Ministerrates der DDR und des Bundesvorstandes des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) von 1975 (GBl. I, 1975, S. 581 ff.) festgelegt als auch in verschiedenen Vorschriften des AGB verankert worden, wobei vor allem sozialpolitische Aufgaben vergleichsweise stärker als früher berücksichtigt wurden. Unter juristischen Aspekten wird der BKV als eine der wesentlichen betrieblichen Grundsatzvereinbarungen gem. Art. 45 der DDR-Verfassung zwischen Betriebsleitung und Gewerkschaft verstanden.

 

Der BKV weicht in seiner Anlage und Ausgestaltung erheblich von der nach dem Betriebsverfassungsgesetz zu schließenden Betriebsvereinbarung in der Bundesrepublik Deutschland ab, die im Rahmen der tariflichen Bestimmungen auch weitgehend Raum für autonome Regelungen läßt. — Der Ursprung des BKV ist im sowjetischen Arbeitsrecht seit 1922 begründet; BKV werden seit 1947 regelmäßig in der UdSSR abgeschlossen. In der DDR entwickelte sich für das Planjahr 1951 der Vorläufer des heutigen BKV aus dem Betriebsvertrag gemäß Gesetz der Arbeit vom April 1950 (GBl., S. 349) mit der VO über Kollektivverträge vom 8. 6. 1950 (GBl. I, S. 493); ein erster BKV wurde im Stahl- und Walzwerk Riesa unterzeichnet.

 

Der Abschluß des BKV hat jeweils bis zum Jahresende vor dem neuen Planjahr zu erfolgen. Eine Richtlinie von 1970 (GBl. II, S. 431), die eine neue Geltungsdauer des BKV von 5 Jahren vorsah (1971–1975), wurde 1971 wieder zugunsten der jährlichen Regelung geändert.

 

Die neuen, veränderten und auf eine rationellere Anwendung abzielenden Bestimmungen vom 10. 7. 1975 (GBl. I, S. 581 ff.) setzten die bisherigen Regelungen vom 18. 4. 1973 (GBl. I, S. 213 ff.) außer Kraft. Derzeit werden in der DDR jährlich rd. 25.000 BKV abgeschlossen.

 

Die inhaltliche Ausgestaltung der zentral vorgegebenen Rahmenbedingungen des BKV richtet sich nach den Hauptaufgaben des laufenden Fünfjahrplans und des jeweiligen Jahresplans sowie der wichtigsten spezifischen Anforderungen in den einzelnen Wirtschaftszweigen. Gemäß der Richtlinie für die Ausarbeitung der BKV von 1975 sind für den BKV inhaltlich 5 Hauptabschnitte und offiziell nur noch eine generelle Anlage vorgegeben. Die Anlage soll die „Betrieblichen Festlegungen für den Zeitraum des Fünfjahrplans“ sowie die sich jährlich wiederholenden Aufgabenstellungen und Stimulierungsbedingungen enthalten (u.a. Wettbewerbs- und Betriebsprämienordnung, Katalog der Arbeitserschwernisse einschl. Zuschläge und Zusatzurlaub, Erläuterungen zum Schichtsystem sowie zur Abrechnung und Kontrolle des BKV): Diese Aufgabenstellungen sind im Fünfjahrplanverlauf entsprechend den Anforderungen des jeweiligen Planjahres zu verändern oder zu ergänzen. In der betrieblichen Praxis des Jahres 1982 wurden jedoch diese Vorschriften von 1975 anscheinend keineswegs immer genau eingehalten.

 

Der Hauptteil des BKV umfaßt:

 

1. Einen Katalog von Verpflichtungen (Werkleiter und BGL) zur Gestaltung des sozialistischen Wettbewerbs (z.B. Vorgabe differenzierter und abrechenbarer Wettbewerbsziele, Bestimmungen zur Förderung und Durchsetzung bestimmter, als besonders wirksam erachteter Wettbewerbsformen, Methoden der Neuerer- und Rationalisierungsbewegung, Vorhaben zur Erschließung von Materialreserven, Vorschläge zur Qualitätssteigerung und zu Kostensenkungen usw.). Längerfristig gleichbleibende Verpflichtungen und Regelungen müssen in der Anlage aufgeführt werden.

 

2. Verpflichtungen zur Durchsetzung des „Leistungsprinzips“ in seiner Bedeutung für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Belegschaft (u.a. zur Durchsetzung der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation (WAO) nach dem Grundsatz „Neue Technik — Neue Normen“, zur optimalen Verwendung des Lohnfonds unter besonderer Berücksichtigung „neuer leistungsfördernder Lohnformen“, Festlegungen über Prämienmittel, Verpflichtungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Bestimmungen zur sozialen und gesundheitlichen Betreuung sowie anderen Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen).

 

3. Die Verpflichtungen zur „Entwicklung eines hohen Kultur- und Bildungsniveaus der Werktätigen“ (u.a. durch Qualifizierung, politische Schulung, durch „sinnvolle“ Freizeit- und Feriengestaltung, Organisa[S. 212]tion von Betriebsfestspielen, Sportfesten und -meisterschaften und ökonomisch-kulturelle Leistungsvergleiche) (Kulturarbeit des FDGB).

 

4. Die Verpflichtungen hinsichtlich der Verwendung der „jährlich verfügbaren Mittel“ des Prämienfonds (Lohnformen und Lohnsystem, V.), des Kultur- und Sozialfonds und des Leistungsfonds.

 

5. Den „Frauenförderungsplan“ (u.a. Einbeziehung in Leitung und Planung, Aus- und Weiterbildung, Arbeits- und Lebensbedingungen) nach § 30, Abs. 2 AGB (Frauen).

 

Ausdrücklich wird von der Staats- und Wirtschaftsführung der DDR immer wieder eine „Einheit von Plan, BKV und Wettbewerbsbeschluß“ gefordert.

 

Über die Erfüllung der Verpflichtungen der BKV soll durch Betriebsleiter und BGL vierteljährlich (vor 1975: halbjährlich) auf einer Belegschaftsversammlung oder Vertrauensleutevollversammlung Rechenschaft abgelegt werden. Die Gewerkschaft hat das Recht der Kontrolle (§ 29 Abs. 2 AGB).

 

Kritische Äußerungen in der DDR richten sich sowohl gegen eine häufig nur unvollkommene Realisierung übernommener Verpflichtungen als auch gegen eine anscheinend immer wieder festgestellte Verletzung gesetzlicher Bestimmungen (z.B. eigenmächtig vereinbarte Vergünstigungen für bestimmte Beschäftigungsgruppen eines Betriebes). Die Richtlinie von 1975 erklärte derartige Verstöße ausdrücklich für „rechtsunwirksam“ (Anlage I. 6). Solche „Verstöße“ sind jedoch unverändert Gegenstand häufiger Kritik; auch Leitlinien für den BKV 1983 gehen auf derartige Erscheinungen ein.

 

Für Privatbetriebe ist analog zum BKV der Abschluß einer Betriebsvereinbarung, für Betriebe mit staatlicher Beteiligung ein dem BKV entsprechender Betriebsvertrag vorgeschrieben. In der LPG regeln anstelle des BKV innerbetriebliche Verträge die entsprechenden arbeitsökonomischen und sozialpolitischen Belange. Betriebsformen und Kooperation; Planung.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 210–212


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.