DDR von A-Z, Band 1985

Bildende Kunst (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979

 

I. Kunsttheorie

 

 

Die BK. ist kunsttheoretisch an die marxistische Ästhetik gebunden, nach der sie zusammen mit den anderen Kunstarten höchster Ausdruck des ästhetischen Bewußtseins ist, das sich in der bildhaftkünstlerischen Aneignung der Wirklichkeit vollzieht.

 

Als allgemeine Methode dieser Aneignung gilt der sozialistische Realismus, der „vom Künstler eine wahrheitsgetreue, konkret-historische Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung erfordert“ (Definition des 1. Kongresses der Schriftsteller der UdSSR 1934). Die Kategorie der „künstlerischen Wahrheit“ meint dabei die Übereinstimmung des künstlerischen Abbildes mit dem abgebildeten Sachverhalt in seiner objektiven, sinnlich wahrnehmbaren Erscheinung. Allerdings muß es stets das Abbild eines größeren gesellschaftlichen Zusammenhanges sein. In diesem Sinne meint die „künstlerische Konkretheit“, als zweite Kategorie, die Widerspiegelung einer im historischen Entwicklungsprozeß eingebetteten Wirklichkeit in ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Ausprägung, wobei deren Beurteilung und Bewertung vom Standpunkt vermeintlich erkannter Gesetzmäßigkeiten des Geschichtsverlaufs ausgeht.

 

Der Realismus wird bei dieser Art Realitätswiderspiegelung als adäquate künstlerische Methode angesehen, weil in ihm die Erscheinungen erkennbar bleiben. Der Inhalt, nach dem die Form sich zu richten hat, dominiert. Abgelehnt werden deshalb in der marxistischen Kunsttheorie Ausdrucksweisen, die entweder die Form über den konkret fixierbaren Inhalt stellen (Formalismus) oder den historisch „falschen“ Inhalt widerspiegeln (Dekadenz). Die Forderung nach harmonischer, d.h. historisch „rich[S. 228]tiger“ Übereinstimmung von Inhalt und Form ist dann gewährleistet, wenn die Arbeiterklasse als Held und Subjekt der Geschichte den neuen sozialistischen Inhalt ausmacht und zugleich zur Rezeption der formalen Gestaltung befähigt wird. Oberstes Kriterium der sozialistischen Kunst ist deshalb die Volksverbundenheit des Kunstwerks im allgemeinen und die Volksverständlichkeit der Form im besonderen. Als Beispiel und Vorbild für die angestrebte Einheit von Inhalt und Form gilt die sowjetische BK.

 

In der Kategorie des „Typischen“ erfaßt der sozialistische Realismus den „Sinn“ oder das „Wesen“ der Erscheinungen. Über das Typische artikuliert sich sinnlich anschaulich der historische Wahrheitsgehalt im Kunstwerk, in ihm kommt die dialektische Verbindung von Besonderem und Allgemeinem, von Individuellem und Gesellschaftlichem zum Ausdruck. Diese im Typischen konzentrierte Verallgemeinerung ermöglicht eine wahrheitsgetreue adäquate Darstellung gesellschaftlicher Prozesse und der Gesamtwirklichkeit der sozialistischen Gesellschaft. Der „typische Charakter“ in seiner klassenmäßig sozialen Bestimmung erscheint im Sozialismus als Protagonist neuer sozialer Beziehungen der sozialistischen Gesellschaft, als „positiver Held“. Die normative Ausprägung des Typischen führt zu symbolhafter, emblematischer oder zu monumentaler Kunstform.

 

Die Kunst trägt Klassencharakter, denn die künstlerische Widerspiegelung kann nach dieser Auffassung nur vom parteilichen Standpunkt aus erfolgen. Der soll seinerseits bewirken, daß die Kunst erkenntnisvermittelnde, bewußtseinsbestimmende und handlungsanleitende Funktionen erfüllt.

 

Parteilichkeit und Volksverbundenheit in Form und Inhalt, Gegenständlichkeit, Typisierung und Optimismus der Darstellung sind die feststehenden Kriterien des sozialistischen Realismus als künstlerische Arbeitsmethode, mit der die gesellschaftspolitischen Aufgaben der BK. — Erziehung der Menschen zu sozialistischem Bewußtsein — am wirkungsvollsten erfüllt werden sollen.

 

In Zusammenhang mit der weniger dogmatisch konzipierten Kunstpolitik der 70er Jahre (s. u.) verlieren diese Maßstäbe jedoch an normativer Kraft: sie weichen zunehmend von der Kunstpraxis ab; dadurch ist die Kunsttheorie zu einer Modifikation der Begriffsbestimmung des sozialistischen Realismus gezwungen worden. Die u.a. aus diesem Grunde intensivierten kunsttheoretischen Diskussionen (seit 1976 im Rahmen der Sektion Kunstwissenschaft des Verbandes Bildender Künstler der DDR (VBK) sowie in der führenden Kunstzeitschrift der DDR „Bildende Kunst“) versuchen unter Beibehaltung der o.g. Kriterien, einer der Kunstpraxis angeglichenen erweiterten Realismusauffassung gerecht zu werden. So wird die Widerspiegelungstheorie inzwischen so interpretiert, daß sie sowohl Formen indirekter Bildaussage wie Metaphern, Symbole usw. als auch nichtgegenständliche Darstellungsweisen zu integrieren vermag. Dies kommt faktisch einer Eliminierung der Formalismusabgrenzung gleich.

 

Da man jedoch an dem Begriff des „sozialistischen Realismus“ zur Kennzeichnung des parteilichen Standpunktes der eigenen Kunst in bewußter Abgrenzung zur westlichen Kunstauffassung festhalten will, werden auch die Kriterien „Parteilichkeit“ und „Volksverbundenheit“ der heutigen Kunstpraxis in der DDR angepaßt. Im Gegensatz zu ihren früheren stilformalen und inhaltlichen Richtlinien bezeichnen sie heute nur noch die gesellschaftliche Verantwortung der Kunst im Sozialismus. Eine solch flexible Begriffsauslegung legitimiert den Wandel der Kunstfiguren von der Heldenpose der 50er Jahre zu einer alltäglichen Wirklichkeitsnähe.

 

Zentrale Aspekte der derzeit herrschenden kunsttheoretischen Auseinandersetzungen sind einerseits die noch konsequentere Verfolgung einer „historisch-dialektischen“ Kunstbetrachtung und andererseits die Abkehr von Lukács' Postulat einer bestimmten, der sozialistischen Kunst gemäßen Stilnorm. Diese Abkehr ist verbunden mit der Forderung, Brechts Auffassung von einer auch dem sozialistischen Realismus eigenen formalästhetischen Ausdrucksvielfalt stärker zu berücksichtigen.

 

Dabei lassen sich verschiedene Ansätze beobachten: Während einige Kunstwissenschaftler den Realismusbegriff im Brechtschen Verständnis benutzen, das den künstlerischen Ausdruck grundsätzlich nicht an Stilprinzipien festmacht, sondern an seiner Wahrhaftigkeit gegenüber der Wirklichkeit mißt, behilft sich der Kunstwissenschaftler Peter H. Feist mit einer typologischen Differenzierung, die vier realistische Darstellungskategorien unterscheidet: „1. den Gestaltungstyp des unmittelbaren Realismus, dessen stilistische Spannweite von der impressiven Darstellung bis zur veristischen reicht. 2. den Typ des expressiven Realismus, der mit verschiedenen Graden der Formintensivierung, auch dem Verfahren des Archaismus, operiert. 3. den … gegenwärtig weniger anzutreffenden Typ des konstruktiven Realismus, dessen Frühgeschichte in den 20er Jahren aber seit kurzem intensiv erforscht wird. 4. den Gestaltungstyp eines metaphorischen oder imaginativen Realismus, in dem auch ausgesprochen phantastische Züge auftreten können.“ (Bildende Kunst, H. 8/1976. S. 410)

 

Die hier begonnene Diskussion um den Realismusbegriff setzt sich in der Folgezeit im Rahmen einer lebhaften Debatte weiter fort. Dabei versucht der Leipziger Kunstwissenschaftler Karl Max Kober experimentelle und avantgardistische Ausdrucksweisen moderner Kunst, die durch eine „traditionelle, reine Bilderkunstvorstellung“ nicht erfaßt werden kann, aus dem Kunstbegriff überhaupt auszugren[S. 229]zen und dem Bereich der „ästhetischen Kommunikation“ zuzuweisen. Die spezifische Ausdruckssprache solcher Aneignung von Wirklichkeit solle durch eine Art „ästhetische Kommunikationswissenschaft“ oder „Animationskunde“ geleistet werden (Bildende Kunst, H. 2/1980, S. 59).

 

Diese Form des Zurückweichens vor der kunsttheoretisch problematischen Herausforderung, die „einige Grenzüberschreitungen“ innerhalb der DDR-Kunstproduktion seit 1975 im Hinblick auf die traditionelle Konzeption des „sozialistischen Realismus“ darstellen, wird 1980 von den Kunstwissenschaftlern Peter Pachnicke und Andreas Hüneke als unzureichend verworfen, weil sie die „besondere Leistung der nicht-gegenständlichen Bereiche“ keineswegs angemessen würdigt. Die Legitimation nicht-realistischer Kunst wird dabei aus dem Hinweis abgeleitet, „daß künstlerisches Schaffen, das sich vom sozialistischen Realismus entfernt, sich mit der Abkehr vom Realismus nicht notwendig auch vom Sozialismus entfernen muß“. Hüneke deutet die nicht-realistische Kunst vielmehr als einen „Nebenweg“ zum „Hauptweg“ Realismus, der durchaus ein engagiertes Verhältnis zu „Politik und Gesellschaft“ haben kann (Bildende Kunst. H. 11/1980, S. 567). Literatur und Literaturpolitik, I., Literatur und Literaturpolitik, II.

 

II. Kunstpolitik

 

 

Die Kunstpolitik in der DDR ist bestrebt, die gesellschaftspolitische Funktion der BK. zu erhalten bzw. auszubauen. Die Kriterien des sozialistischen Realismus sind deshalb auf dem 5. Plenum des ZK der SED 1951 in einer Grundsatzerklärung für jegliches bildkünstlerische Schaffen zur verbindlichen Maxime erklärt worden. Gleichwohl ist die Kunstpolitik, als Teil der Kulturpolitik, durch Entwicklungsphasen gekennzeichnet, in denen diese Kriterien unterschiedlich interpretiert worden sind. Dabei standen die folgenden Aspekte der Kulturpolitik im Mittelpunkt der Auseinandersetzung:

 

a) Hinsichtlich der künstlerischen Form gab es eine dogmatischere (2. und 4. Kongreß des Verbandes Bildender Künstler Deutschlands [VBK], 1951 und 1959) und eine liberalere Auffassung des Realismus- und Formalismusbegriffs (3. und 7. Kongreß des VBK, 1955 und 1974). Bis 1971 spielte dabei die sowjetische BK. als ideologisches wie als stilistisches Vorbild eine wichtige Rolle. Die Möglichkeit, über den bürgerlichen Realismus und Naturalismus des 19. Jh. hinaus moderne Strömungen gegenständlicher Kunst zu rezipieren, ist erst im Verlauf der 70er Jahre durch zunehmende Informationsmöglichkeiten der Künstler im Anschluß an punktuelle Ausstellungsbesuche im westlichen Ausland und durch vereinzelte Pressenotizen in der DDR über westliche Kunstereignisse in beschränktem Umfang geboten worden.

 

b) Hinsichtlich der Thematik geht es in erster Linie um die Darstellung des Arbeiters und der Arbeitswelt als gleichbleibend zentrales Thema und darüber hinaus um eine Reduktion auf die bildkünstlerische Vermittlung politischer Losungen und ideologischer Normen (vorherrschend in den 50er Jahren) oder aber um eine Erweiterung der Themenbereiche auf die Widerspiegelung aller — gesellschaftlicher wie privater — Lebensbereiche (etwa seit Anfang der 70er Jahre vertretene Linie: „… jeder Bürger unserer Republik … will auch durch die Kunst als ein ganzer Mensch erfaßt werden, in allen seinen Beziehungen und Lebensäußerungen“, Kurt Hager 1972).

 

c) Hinsichtlich der gesellschaftlichen Gebundenheit der Kunst wurde die „Schließung der Kluft von Kunst und Leben“ unter zwei Aspekten erörtert: der Integration des Künstlers in die Arbeitswelt (Bitterfelder Weg 1959) und der Integration der Kunst in die Lebensumwelt des Menschen in der DDR (Programme des 6. und 7. Kongresses des VBK, 1970 bzw. 1974).

 

Für Kunstpolitik ist das Ministerium für Kultur zuständig. An der Vermittlung ist der Verband Bildender Künstler der DDR beteiligt. Der Verband sieht seine Hauptaufgaben in der Pflege des klassischen künstlerischen Erbes, in der Anknüpfung an die Kunsttradition des Realismus und im Beitrag zur Bildung einer „sozialistischen deutschen Nationalkultur“ durch Förderung sozialistisch-realistischer Kunst (Kulturelles Erbe; Nationale Geschichtsbetrachtung).

 

Wesentlicher Teil der Verbandsarbeit ist die Auftragspolitik, in der Einzel- oder Kollektivaufträge für gesellschaftspolitisch wichtige Kunstwerke (Wandbilder, Denkmäler) vergeben werden bzw. in Zusammenarbeit mit Massenorganisationen (Kulturarbeit des FDGB) Arbeitsvereinbarungen in Form von Werkverträgen zwischen Künstlern und Betrieben in Industrie und Landwirtschaft getroffen werden. Letztere sollen stärkere Volksverbundenheit und Massenwirksamkeit der Kunst erzielen und der Bevölkerung zum Kunstverständnis verhelfen. Ebenfalls der „Förderung, Popularisierung und Verbreitung sozialistisch-realistischer Kunst“ dienen die zwei Hauptformen des Kunsthandels in der DDR: 1. der Staatliche Kunsthandel und 2. der Genossenschaftliche Kunsthandel in Gestalt von Verkaufsgenossenschaften des Verbandes Bildender Künstler in der DDR sowie kunsthandwerklicher Produktionsgenossenschaften, die dem wachsenden Bedürfnis nach Kunstkonsum Rechnung tragen. Einer erwünschten, möglichst intensiven Kunstrezeption der Bevölkerung genügen die „Deutschen Kunstausstellungen“ (1977/78: „VIII. Kunstausstellung der DDR“ mit über 1 Mill. Besucher; 1982/83: „IX. Kunstausstellung der DDR“) des VBK in Dresden, die als repräsentative „Leistungsschauen“ im vierjährlichen Turnus eine Über[S. 230]sicht über die gesamte Kunstproduktion der DDR bieten. Neben großangelegten Jubiläums- oder Übersichtsausstellungen (z.B. seit 1967 „Intergrafik“) machen zahlreiche „Rechenschaftsausstellungen“ in den Bezirken mit zeitgenössischer Kunst bekannt.

 

In den Beschlüssen des VBK lassen sich die Haupttendenzen der kunstpolitischen Entwicklung ablesen: In seiner Gründungszeit (1950; 1. Präs. Otto Nagel) bemühte sich der VBK um eine nationale, demokratisch-antifaschistische Kunst unter Berufung auf die deutsche Realismustradition von Dürer bis Käthe Kollwitz. „Ohne dem Künstler Vorschriften per Stil und Inhalt zu machen“, werden die Akzente dennoch auf eine „reale, wirklichkeitsnahe und volksverbundene Kunst“ (Ulbricht auf der I. Kulturkonferenz 1948) gesetzt. Zu einem politischen Bekenntnis unter der Formel der „demokratischen Erneuerung“ und zur „ideell-erzieherischen Rolle der Kunst … für die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen“ sollte die ältere bürgerliche Kunstgeneration bekehrt werden. Unmißverständlich bekämpft wurden moderne Strömungen auch gegenständlicher Malerei unter dem Schlagwort Formalismus. Höhepunkt war die Auseinandersetzung um das Werk der deutschen Expressionisten.

 

Den Vorwurf des „Formalismus“ traf auch die großformatige, kollektiv ausgeführte Wandbildgestaltung, der sich einige Künstler (Horst Strempel, Arno Mohr, René Graetz) mit dem gesellschaftspolitischen Ziel einer Annäherung von Kunst und sozialistischer Aufbauarbeit gewidmet hatten. Im direkten Anschluß an die Konzepte revolutionärer Wandbildgestaltung, wie sie in den 20er Jahren von progressiven Künstlern als populäres Agitationsinstrument in der UdSSR, aber auch in Mexiko (monumentale Freskenmalerei von Rivera und Siqueiros) entwickelt worden waren, entwarfen und realisierten diese Malerkollektive in den ausgehenden 40er Jahren für großstädtische Gebäudeanlagen (Bahnhöfe in Berlin und Dresden) riesige Figurenkompositionen und Bilderfolgen zur Geschichte der internationalen sozialistischen Idee und als Zielvorstellung einer neuen sozialistischen deutschen Kultur. Die Kritik an dieser kollektiven Wandmalerei, die in den frühen 50er Jahren in Demontagen und Übertünchungen einzelner Werke gipfelte, richtete sich formal auf deren expressive Symbolsprache (die stark an Barlach und Käthe Kollwitz erinnerte) und antinaturalistische, holzschnitthaftstrenge Stilisierung, die man als Übernahme westlicher Formdekadenz abqualifizierte.

 

Der 2. Kongreß des VBK (Juni 1952) stellte das ideologische Bekenntnis zur DDR und zum sozialistischen Realismus nach dem verbindlichen Vorbild der sowjetischen Kunst in den Vordergrund, während der 3. Kongreß des VBK (Jan. 1955) im Zeichen des „Neuen Kurses“ eine differenziertere Bewertung moderner Kunstrichtungen und noch eine gesamtdeutsche Kunstdiskussion anstrebte.

 

Das auf dem V. Parteitag 1958 aufgestellte und auf der I. Bitterfelder Konferenz 1959 propagierte kulturpolitische Ziel, das „sozialistische Menschenbild“ zu schaffen, war für die Kunstpolitik der 60er Jahre entscheidend. Neue Akzente, die auf dem 4. Kongreß des VBK (Dez. 1959) beschlossen wurden, betrafen die Bindung der künstlerischen Betätigung an den Produktionsprozeß in Form von Werkverträgen mit „sozialistischen Brigaden“, die die Entwicklung einer spezifisch sozialistischen Kunst beschleunigen sollten. Darunter wurde die lebensnahe Darstellung des Arbeiters und der Arbeitswelt sowie die der „typischen“ Züge des „neuen Menschen“ verstanden. Die Teilnahme des Arbeiters am künstlerischen Schaffensprozeß und die damit verbundene Kunsterziehung sollten die bisher vermißte massenwirksame Vermittlung und effektive Rezeption gewährleisten. Darüber hinaus wurde das Laienschaffen als Massenbewegung initiiert in Form von „Zirkeln“ unter Betreuung professioneller Künstler (1978 existierten 3.000 Zirkel der bildenden und angewandten Kunst; z.Z. gibt es 40.000 in Kunstzirkeln organisierte Arbeiter). Die Verbindung von materieller und kultureller Sphäre wird als wesentlicher Bestandteil der „sozialistischen Nationalkultur“ angesehen und der sich im „bildnerischen Volksschaffen“ schöpferisch betätigende Arbeiter als soziales Leitbild des „allseitig gebildeten“ Menschen aufgefaßt.

 

Die weitere Kunstpolitik versuchte die bildkünstlerische Entwicklung auf den proklamierten „umfassenden Aufbau des Sozialismus“ (VI. Parteitag der SED, 1963) unter den durch die Wissenschaftlich-technische Revolution (WTR) geschaffenen Bedingungen und Erfordernissen des Bewußtseins, des Alltags, der menschlichen Beziehungen und der Kunstbedürfnisse auszurichten.

 

Der 5. Kongreß des VBK (März 1964) thematisierte aktuelle Gegenwartsprobleme („Ankunft im Alltag“), insbesondere Konflikte und Widersprüche zwischen individueller und gesellschaftlicher Ebene und deren Überwindung. Er diskutierte in diesem Zusammenhang die gesellschaftspolitische Wirksamkeit der Bildkunst sowie Qualitäts- und Formfragen. Auf dem VII. Parteitag der SED (1967) und der 5. Staatsratssitzung 1967 wurde dann von der BK. gefordert, die ästhetische Gestaltung qualitativer „typischer“ Merkmale des sozialistischen „Planers und Leiters“ zu meistern.

 

Motivationshorizont hierfür bildete die spezifische Programmatik der DDR-Politik in der 2. Hälfte der 60er Jahre. In der DDR wurde seinerzeit eine fortschritts- und wissenschaftsgläubige Wirtschaftspolitik verfolgt, die meinte, mit Hilfe modernster Technologie könne der Sozialismus den Kapitalismus [S. 231]überholen, ohne ihn erst einholen zu müssen. Das neue Menschenbild der Kunst orientierte sich dementsprechend an einem technologisch und ideologisch umfassend gebildeten „homo universalis“, der wie eine sozialistisch-modernistische Version des genialischen Menschenbildes aus der Renaissancezeit wirkte (Willi Sitte, Werner Tübke). Parallel dazu galt das Augenmerk ab Mitte der 60er Jahre der künstlerischen Durchdringung aller Lebenssphären, also der Erzeugung eines „sozialistischen Lebensstils“. Der angewandten Kunst wurde dabei stärkere Bedeutung zugesprochen (Plakat, Gebrauchsgrafik, Design), wobei die Integration von Kunsthandwerk und Technik sowohl den künstlerischen Formenkanon bereicherte als auch neue Produktionsweisen schuf (z.B. VEB Bildende Kunst Neubrandenburg). Schwerpunkte dieser Periode bildeten — auf dem 6. Kongreß des VBK (April 1970) formuliert — die mit dem forcierten Ausbau der Stadtzentren (Städtebau) aufkommenden Probleme der Ausgestaltung der sozialen Umwelt, der sich die Ausstellung „Architektur und bildende Kunst“ 1969 widmete. Angestrebt wurde eine organische, d.h. ästhetischen, funktionalen und ethischen Bedürfnissen gerecht werdende Synthese von Architektur, bildender und angewandter Kunst, die Konzentration auf die Monumentalkunst als die der Architektur adäquateste Form und die Zusammenarbeit von Künstlern, Architekten, Soziologen, Handwerkern usw. bereits bei der Bauprojektierung (realisiert am „Palast der Republik“, erbaut in Berlin [Ost] von 1973 bis 1976) (Architektur).

 

Der 7. Kongreß des VBK (Mai 1974) übernahm den mit dem VIII. Parteitag der SED (1971) eingeschlagenen kulturpolitischen Kurs auch für die BK. und bekräftigte die zum programmatischen Slogan erhobene Formel von der „Weite und Vielfalt des Kunstschaffens“. Die nun erfolgende Ausprägung eigenständiger, stilistischer Handschriften innerhalb der BK. der DDR verbindet sich mit einer wachsenden Problemorientierung im Inhaltlichen.

 

Diese kunstpolitische Wende der 70er Jahre, die auf dem 8. Kongreß des VBK-DDR im November 1978 bestätigt worden ist, bewirkte eine Umorientierung. Sie initiierte bzw. unterstützte:

 

a) eine von agitatorischer Zweckgebundenheit relativ freie Kunstproduktion, die spezifische Formen des Schaffensprozesses nicht länger negiert und damit zu einem Aufschwung insbesondere der Malerei und der Grafik führte;

 

b) eine uneingeschränkte, nunmehr alle Stilepochen einschließende Rezeption des künstlerischen „Erbes“, die die Moderne des 20. Jh. bewußt einbezieht und so den Anschluß und die Verbindung des künstlerischen Schaffens in der DDR mit der internationalen Entwicklung anstrebt;

 

c) eine auf den Funktionszusammenhang von Kunst und Gesellschaft konzentrierte Theoriediskussion, die durch kunstsoziologische Forschungen die Bedingungen und Determinanten des gesamten Kunstprozesses zu analysieren beabsichtigt und dabei vor allem auf die empirische Erforschung der tatsächlichen individuellen Bedürfnisse der Kunstproduzenten wie der -konsumenten gerichtet ist;

 

d) eine aus der Einsicht in die komplexen Produktions- wie Wirkungsbedingungen von Kunst resultierende größere ideologische Toleranzspanne, die zum einen dem künstlerischen Ausdrucksbedürfnis Rechnung trägt, zum anderen kunstpolitische Entscheidungen tendenziell von der Partei- auf die Verbandsebene verlagert;

 

e) eine zwischen Kunst und Publikum stärker vermittelnde Kunstaufklärung und -propaganda mit dem Ziel, ein angemessenes Kunstverständnis zu entwickeln und damit die Kunstverbreitung in weiteren Schichten der Bevölkerung der DDR zu fördern.

 

Als konkrete Schritte zu der geplanten umfassenden ästhetischen Erziehung, die gleichermaßen auch zu einer gesteigerten gesellschaftspolitischen Wirksamkeit der BK. beitragen soll, wurden folgende Maßnahmen ergriffen:

 

a) die intensivere Nutzung der Massenmedien (eigene Sendereihen im Fernsehen) und des Verlagswesens (z.B. Kunstreproduktionen, populäre Kunstpublikationen) für die Kunstpropaganda;

 

b) stärkere Beteiligung der Kunstkritik an der Kunstvermittlung (z.B. in der Tagespresse; vgl. dazu auch den Beschluß des ZK der SED über die „Aufgaben der Literatur- und Kunstkritik“ vom Dezember 1977);

 

c) eine gezielte pädagogisch-didaktische Ausstellungs- und Museumsarbeit, die auf der Konferenz der Museumsdirektoren 1976 beschlossen worden ist und auf der VIII. Kunstausstellung der DDR 1977/78 in Dresden vor allem im Hinblick auf die dort zahlreich gezeigten, konfliktorientierten Bilder konkrete Anwendung gefunden hat;

 

d) die Verstärkung des staatlichen Auftragswesens und die engere Zusammenarbeit gesellschaftlicher Institutionen (z.B. verstehen sich einzelne Volkseigene Betriebe zunehmend als „sozialistische Mäzene“, indem sie Aufträge an einzelne Künstler vergeben) mit dem VBK mit dem Ziel optimaler Kunstagitation (vgl. dazu die Beratung des VBK mit dem FDGB im Jahre 1978);

 

e) der Kunstpopularisierung dienende und den privaten Kunsterwerb anregende Einrichtung von Kunst- bzw. Verkaufsgalerien des Staatlichen Kunsthandels;

 

f) eine vorsichtig vollzogene, allmählich wachsende Repräsentanz auf der westlichen Kunstszene (Beteiligung an der Documenta 6, 1977, Einzel- und Gruppenvorstellungen von DDR-Künstlern in Hannover, Hamburg, Bremen und Paris, Teilnahme an der Biennale Venedig 1982);

 

[S. 232]g) die Beteiligung der BK. an der Umweltgestaltung, bei der Designaufgaben für eine ästhetische Kultur im privaten Wohnbereich und in der Arbeitsplatzgestaltung ebenso wie umfassende Denkmals- und Stadtteilrestaurationen in allen Bezirken der DDR einen besonderen Platz einnehmen (1977 erfolgte die Gründung eines Rates für Denkmalpflege beim Ministerium für Kultur; Denkmalschutz).

 

III. Entwicklung der Bildenden Kunst

 

 

Ausgelöst durch diese neuen kunstpolitischen Konzeptionen gelangte die BK. in den 70er Jahren zu einem beachtlichen Aufschwung, der vor allem durch stilistische wie thematische Vielfalt und durch hohes handwerkliches Niveau gekennzeichnet ist.

 

Voraus gingen 2 Entwicklungsphasen, von denen die erste durch die Emigrantengeneration mit Künstlern wie Hans und Lea Grundig, Otto Nagel, Rudolf Bergander und dem Grafiker Arno Mohr geprägt war. Sie knüpften im Malstil an den kritischen Realismus der 20er Jahre an und formulierten thematisch die Auseinandersetzung mit dem Faschismus. In den 50er Jahren bewirkte die dogmatische Auffassung vom „sozialistischen Realismus“ eine thematische Einengung auf explizit politisch-ideologische Momente des gesellschaftlichen Lebens (Aufmärsche, Kundgebungen, Aufbauarbeit, Sport, NVA, Agitationsbilder zu aktuellen Kampagnen). Naturalistisches Illustrieren, ornamental-dekorative oder monumentale Formgebung unter Verwendung stereotyper Symbole (Friedenstaube, Fahnen, verschlungene Hände …) kennzeichnen die bildnerische Kunstproduktion dieser Zeit (II. Deutsche Kunstausstellung 1953). Stilistisch orientierte man sich nunmehr eher am Realismus des ausgehenden 19. Jh., wobei vor allem die Repräsentationsmalerei von Menzel und Hübner als vorbildlich apostrophiert wurde. Erst in den 60er Jahren bilden sich individuelle Ausdrucksformen der realistischen Malweise heraus; Hauptvertreter dieser 2. Generation sind die Hochschullehrer Bernhard Heisig (Jg. 1925, Leipzig), Willi Sitte (Jg. 1921, Halle), Werner Tübke (Jg. 1929, Leipzig), die die BK. der DDR in den 70er Jahren auch im Ausland offiziell repräsentiert haben.

 

Neben einer noch überwiegend abbildhaft-naturalistischen Malweise zeichnen sich 3 Stilrichtungen ab: 1. die stark verbreitete impressionistische, vertreten z.B. durch Frank Ruddigkeit (Jg. 1939), Karl-Heinz Jakob (Jg. 1929), Karl-Erich Müller (Jg. 1926), Fritz Eisel (Jg. 1929); 2. die dekorative, vertreten z.B. durch Willi Neubert (Jg. 1920), Walter Womacka (Jg. 1925), Bert Heller (1920–1970) und 3. die expressionistische, vertreten z.B. durch Heinz Zander (Jg. 1939) und Ronald Paris (Jg. 1933). Während die monumentalen Farbtafeln von Heisig („Pariser Kommune“, 1970/71) und Sitte („Leuna 1969“, 1968, „Höllensturz in Vietnam“, 1966/67, „Mensch, Ritter, Tod und Teufel“ 1969/70) mit simultan gesetzten Symbolen und Versatzstücken in impressionistisch bewegter, fleckenhafter Pinselführung und stark expressiver Farbgebung eine sinnlich-aktivierende kritische Analyse gesellschaftlicher Zustände darstellen, sind Tübkes manieristisch-stilisierte Arbeiten (Wandfries „Intelligenz und Arbeiterklasse“ in der Leipziger Universität, 1973; „Bildnis eines sizilianischen Großgrundbesitzers mit Marionetten“, 1972) durch die Rezeption der Renaissance- und Barockmalerei geprägt.

 

Auf der Bezirksausstellung des VBK in Leipzig 1969 trat erstmals ein am Stil der „Neuen Sachlichkeit“ der 20er Jahre orientierter Malerkreis der jüngsten Generation unter dem Dozenten Wolfgang Mattheuer (Jg. 1927; „Liebespaar“, 1970; „Leipzig“, 1971) hervor. Die Künstler (Hachulla, Stelzmann, Rink u.a.) arbeiten in einem relativ einheitlichen, für die DDR-Malerei völlig neuen Formenkanon („veristisch“ klare Bildkomposition, glatte Pinselführung, satte leuchtende Farbgebung, hintergründige Dingsymbolik) und mit einem uneingeschränkten Themenkreis (Porträtbildnisse privater Personen, Stilleben, Landschaften). Auf der VII. Kunstausstellung der DDR in Dresden 1972 erzielte diese Richtung ihren Durchbruch und ihre offizielle Anerkennung.

 

Die VIII. Kunstausstellung der DDR in Dresden 1977/78 bestätigte den Trend zur versachlichten, kühl-distanzierten Darstellungsweise, die mit der zunehmend bevorzugten Thematisierung des Lebensalltags korrespondiert. Dies verrät auf seiten der Künstler eine veränderte, konfliktbewußte Haltung gegenüber der gesellschaftspolitischen Umwelt (U. Hachulla: „Erster Rentnertag“, 1977; S. Gille: „Brigadefeier-Gerüstbauer“, 1975/79; H. Hegewald: „Kind mit Eltern“, 1976). In den Mittelpunkt des Interesses rücken außerdem immer stärker Sujets aus der privaten Erlebnissphäre (Porträts, Selbst- und Familienbildnisse, Akt- und Paardarstellungen, Landschaftsimpressionen).

 

Dieser Betonung einer subjektiven Realitätssicht, die gleichwohl gesellschaftliches Engagement keineswegs ausschließt, entspricht das Streben der Künstler nach individueller malerischer Handschrift. Vor allem die jüngere Malergeneration neigt zur indirekten, verfremdeten Bildaussage, wobei vielfältige Kunstgriffe wie das bewußte Zitieren von Motiven, die Übernahme ikonographischer Muster, die Adaption und Mischung unterschiedlichster Stilelemente vergangener Kunstepochen verwendet werden. Bei einzelnen Malern (Werner Tübke, Heinz Zander) sind Manierismen und Eklektizismen sogar stilbestimmend.

 

Eine sinnbildhafte Wiedergabe wird besonders mit dem zu neuer Blüte gelangten Genre des Historienbildes und seiner gegenwartsbezogenen Variante, dem Epochenbild, versucht. Mit Hilfe von Symbo[S. 233]len, Allegorien und Motiven aus antiken und christlichen Mythen, aber vor allem auch aus der Mythologie der deutschen und europäischen Geschichte, einschließlich ihrer Sagen und Märchen, wollen einzelne Künstler Ereignisse und Entwicklungen im Sinne der marxistischen Geschichtsauffassung bildlich überzeugend gestalten.

 

IV. Entwicklungsstand der Bildenden Kunst in der Gegenwart

 

 

Insgesamt ist für den derzeitigen Entwicklungsstand der Kunst in der DDR die Abkehr vom Abbildrealismus zugunsten eines „metaphorischen Realismus“ charakteristisch.

 

Als spezifisches Genre im Bereich der Monumentalkunst hat die stark geförderte „Kunst am Bau“ das großformatige Wandbild als Ausschmückung von Innen- oder Außenflächen repräsentativer Gebäude hervorgebracht. Die allegorisch-symbolischen Darstellungen mit gesellschaftspolitischem Themengehalt haben jedoch im Gegensatz zur Wandbildkonzeption der 40er Jahre meist nur dekorativen Schauwert. Beispiele: Walter Womacka, Fassadenverkleidung „Unser Leben“ am Haus des Lehrers, Berlin (Ost), 1964; Gerhard Bondzin, Betonplatten-Wandbild „Der Weg der Roten Fahne“ am Kulturpalast, Dresden, 1969; Ronald Paris, Wandfries „Lob des Kommunismus“ im Haus der Statistik, Berlin (Ost), 1969.

 

Neben dem im letzten Jahrzehnt stark entwickelten Zweig der Formgestaltung (Gebrauchs- und Produktionskunst) und des Kunsthandwerks bleiben Malerei, Grafik und Plastik die Hauptgenres, jedoch entsprechend ihrer veränderten gesellschaftlichen Funktionen mit neuen Themen. In der Porträtmalerei steht — abgesehen von Bildnissen politischer und historischer Persönlichkeiten (Hauptporträtist: Bert Heller) — das Arbeiterporträt im Zentrum, zunächst als befreiter Proletarier oder Landarbeiter gestaltet (Otto Nagel, Curt Querner), seit den 50er Jahren als Gestalter des Neuaufbaus und Repräsentant seiner Klasse gezeichnet (K. H. Jakob: „Bergmann“, 1961; O. Schutzmeister: „Tagebauleiter Kurt Jakob“, 1960; die Stahlwerkerdarstellungen von W. Neubert). Hierher gehören auch die Typenporträts von Lea Grundig in der Folge „Genossen“ (1966–1970). Die Auffassung, daß der sozialistische Mensch sich die Wirklichkeit über den Arbeitsprozeß aneignet und sich in ihm verwirklicht, erklärt die zentrale Stellung des Themas Arbeit in der BK. Allerdings ist eine dynamische Gestaltung der Arbeit, vor allem als wissenschaftlich-technologischer Prozeß, ein bis heute nicht gelöstes Problem der Bildkunst.

 

In der 1. Hälfte der 70er Jahre präsentiert die Malerei den Arbeiter durchweg in selbstbewußter, optimistischer Geste als Beherrscher seiner ideologisch-gesellschaftlichen Aufgabe, wobei die klassische Repräsentationspose des Dreiviertelbildnisses bevorzugt wird (B. Heisig: „Brigadier“, 1970; F. Ruddigkeit: „Meister Heyne“, 1971; V. Stelzmann: „Schweißer“, 1971).

 

Seit Mitte der 70er Jahre läßt sich beim Arbeiterbild eine Akzentverschiebung verfolgen: Ähnlich wie in der Alltags- und Freizeitthematik überwiegt anstelle eines repräsentativ-exemplarischen Verständnisses des Arbeiters die individualisierende und psychologisierende Arbeiterdarstellung (M. Peuker: „Arbeiter aus dem Plattenwerk Halle-West“, 1974; W. Mattheuer: „Die Ausgezeichnete“, 1974; D. Ziegler: „Brigade Rosa Luxemburg“, 1975; H. Sakulowski: „Porträt nach Dienst“, 1976). Während das Porträt bis in die ausgehenden 60er Jahre weitgehend nur ideologisch-repräsentative Funktionen besitzt, etabliert sich in den 70er Jahren daneben eine Tendenz zur privaten Bildnismalerei, die sich in zahlreichen Selbstporträts, Familienbildnissen und Freundesdarstellungen äußert (T. Ziegler: „Selbstbildnis im Atelier“, 1977/78; H. Metzkes: „Familienbild“, 1973; B. Heisig: „Vaclav Neumann“, 1973). Wie das Porträt ist auch das Gruppenbildnis bis in die frühen 70er Jahre eine Domäne der Arbeitsthematik, zumeist als repräsentatives Konterfei von „Neuererbrigaden“, das das Selbstbewußtsein des Leistungskollektivs vermitteln soll, die Darstellung des Arbeitsvorgangs selbst jedoch meist meidet (ca. 10 Tafelbilder dieser Art auf der VII. Kunstausstellung der DDR 1972, u.a. in neusachlicher Manier wie W. Tübke: „Gruppenbild“; S. Gille, Jg. 1941: „Brigade Heinrich Rau“; G. Brüne, Jg. 1941: „Die Neuerer“). In den 70er Jahren erhält auch dieses Genre private Akzente in Gestalt von Künstlergruppenbildern (H. Blume: „Gruppenporträt Sektionsleitung der Maler und Grafiker Leipzig“, 1977) sowie von Paar- und Gruppendarstellungen, die Liebe, Freundschaft, Familie und Freizeit thematisieren.

 

Die technisch-industrielle Organisierung des Lebens spiegelt sich — allerdings nicht bedrohlich, sondern als positiver Ausdruck der menschlichen Produktivkraft — als Thema auch in der Landschaftsmalerei mit überwiegend Industrie- und Städtebildern wider.

 

Seit den 70er Jahren läßt sich allerdings auch neben zahlreichen stilpluralistischen Landschaftsimpressionen eine veristische (im Anschluß an den magischen Realismus der 20er Jahre) und eine surreale Landschafts- und Städtebildmalerei mit dingsymbolisch verschlüsselter Aussage beobachten.

 

Innerhalb der jungen Malergeneration in der DDR zeichnet sich heute eine Art Alternativtendenz zum offiziellen Realismus ab, die nach neuen, noch unverbrauchten und nicht nur figurativen Ausdrucksweisen sucht, um den eigenen Erlebnishorizont spontan oder verschlüsselt durch Symbole zu artikulieren. Während es in den 60er Jahren eine abstrakte (lyrische und konstruktive) Bildsprache hoher Qualität nur in den sehr persönlichen Notationen von [S. 235]Gerhard Altenbourg, A. R. Penck (Ralph Winkler) und Carlfriedrich Claus sowie in den konkreten Zeichen von Hermann Glöckner und in den Collagen von Willy Wolff gab, die im Westen wesentlich bekannter als in der DDR waren, bieten die 70er Jahre zahlreiche Stilexperimente im Bereich abstrakter Malerei, aber auch mit der Collage, der Fotomontage und mit der Aktionskunst (Max Uhlig, Jürgen Schieferdecker, Hartwig Ebersbach, Peter Sylvester, Wolfgang Petrovsky).

 

Darüber hinaus kristallisiert sich seit 1979 sowohl in Dresden als auch in Karl-Marx-Stadt (Herta Günther, Peter Graf, Ralf Kerbach (1983 ausgebürgert), Helge Leiberg, Michael Morgner, Thomas Ranft, Gregor Torsten Schade, Dagmar Ranft-Schinke) eine eigenwillige Avantgarde heraus, die sich mit phantastischen Figurationen und mit psychogrammhaften Niederschriften ganz persönlicher Erfahrungen und Reflexionen bewußt von den Realismuskonzepten der anderen Malerschulen in der DDR absetzt.

 

Auf der IX. Kunstausstellung in Dresden 1982/83 zeichnete sich neben einer vor allem in der Leipziger Region praktizierten akademisch-mythologisierenden Gedankenmalerei eine auffallende Tendenz zur privaten Verinnerlichung ab, die besonders von Dresdner und Karl-Marx-Städter Künstlern getragen wird. Beide Richtungen bevorzugen eine allegorische Bildsprache, die sich der schnellen Deutung bewußt entzieht. Aus dem Rückzug auf die eigene Seelensituation ist auch eine neue Variante des Konfliktbildes hervorgegangen, die sich mit zwischenmenschlichen Problemen sowie mit dem Phänomen des Leidens beschäftigt (W. Peuker; Hans-Hendrik Grimmling). Zu dieser differenzierten Inhaltlichkeit korrespondiert zur Zeit ein Pluralismus in den persönlichen Handschriften, der noch nie so groß war wie zu Beginn der 80er Jahre. So sind die auf der VIII. Kunstausstellung in Dresden dominanten Stilaneignungen aus dem deutschen Impressionismus, Verismus und Expressionismus inzwischen durch zahlreiche poparthafte, konstruktivistische und tachistisch-informelle Elemente erweitert worden.

 

Bei vielen ungegenständlichen und aktionshaften Sprachformen der heutigen DDR-Kunstszene ist vorläufig jedoch ein Verharren im Eklektizismus nicht zu übersehen. Es wäre jedoch völlig falsch, diese Aktivitäten mit ihren westlichen Vorbildern zu vergleichen, denn in erster Linie sind diese Experimente für die jungen DDR-Künstler Eroberungen neuer Ausdrucksmedien, die man ebenso entdeckt, erprobt und schrittweise auswertet wie das kulturelle Erbe des Verismus oder des Expressionismus.

 

Grafik und Buchillustration (Max Schwimmer) gehören im thematischen Angebot und technischen Niveau zu den überzeugendsten Genres der Kunst in der DDR. Die ältere Generation knüpfte an die Realismus-Tradition des 19. Jh. an mit Porträt- und lyrischer Landschaftsgestaltung (Otto Paetz, Hans Theo Richter) oder setzte den sozialkritischen Stil der Weimarer Zeit (Lea Grundig als Schülerin von Käthe Kollwitz) sowie expressionistische Tendenzen (Joseph Hegenbarth, Wilhelm Rudolph) fort. Thematische Zyklen richten die Anklage gegen politische Mißstände der westlichen Welt (Faschismus, Imperialismus, Atomtod, Vietnamkrieg) oder sie dienen der aufklärenden Illustration historischer Vorgänge (Kurt Zimmermanns Blätter zur „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“; Karl Erich Müller: „Geschichte der KPD“). Die grafischen Arbeiten der jungen Generation sind durch individuelle Gestaltung und freien Gebrauch moderner Techniken (Siebdruck) charakterisiert, wobei vor allem in der Illustration von Kinderbüchern und bibliophilen Klassikerausgaben eine Vielzahl eigenständiger Handschriften zu beobachten ist (Egbert Herfurth, Werner Klemke, Karl-Georg Hirsch).

 

Einige junge Künstler (Ostberlin: Prenzlauer Berg, Dresden) pflegen zudem eine zyklische Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Poeten und Liedermachern in Gestalt sorgsam gedruckter Mappenwerke für den privaten Freundeskreis (Ralf Kerbach, Sascha Anderson).

 

Auch die Plastik entwickelte sich aus der engagierten realistischen deutschen Bildhauertradition, in der die frühen typisierenden Arbeiten des Bildhauers Fritz Cremer (Jg. 1906, „Aufbauhelfer“, „Aufbauhelferin“) stehen, dessen künstlerische Entwicklung über vielfältige Porträt- und Aktgestaltungen zu diffiziler Ausdrucksfähigkeit des Widerstreits zwischen individuellen und gesellschaftlichen Zügen des Menschlichen führt (Figur des Galilei „Und sie bewegt sich doch“, 1970/71).

 

Die Skulpturengruppe Cremers für das Ehrenmal des ehem. Konzentrationslagers Buchenwald (1956–1958) stellt Anklage wie Überwindung des Faschismus durch psychologische Konstellation und Haltung der Figuren dar und ist ein überzeugendes Beispiel der für die Themen der sozialistischen Bildhauerkunst zentralen Gattung politischer Mahnmale.

 

Der jüngeren Bildhauergeneration (Joachim Jastram, Jg. 1928; Wieland Förster, Jg. 1930; Werner Stötzer, Jg. 1931), die sich vor allem im Berliner Raum konzentriert, gelang eine Erweiterung ihres Spektrums, wobei die Vorliebe für das privat-intime Sujet (Kleinplastik, Aktfiguren) ebenso auffallend ist wie die zunehmende Experimentierfreude im Bereich der Form (Torsi) und in der Anwendung neuer Materialien, aber im Vergleich zu den Entwicklungen in der Malerei und Grafik der DDR ist die Plastik stilistisch auffallend konservativ geblieben.

 

Die Fotografie hat sich als eigenständige Kunstgattung bisher in der DDR nur langsam durchsetzen [S. 235]können, obwohl fototechnische Experimente zunehmend sowohl im Bereich des Tafelbildes wie auch in der Grafik zu finden sind. Kulturpolitik.

 

Wilfriede Werner (†) / Karin Thomas

 

Literaturangaben

  • Hütt, Wolfgang: Grafik in der DDR. Dresden: Verl. d. Kunst 1979.
  • Kultur und Kunst in der DDR seit 1970. Hrsg.: Hubertus Gassner u. Eckhart Gillen. Lahn-Gießen: Anabas 1977.
  • Kunst der DDR. Hrsg.: Ullrich Kuhirt. Bd. 1: 1945–1959; Bd. 2: 1960–1980. Leipzig, Seemann 1982/83.
  • Kunst heute in der Deutschen Demokratischen Republik. Katalog. Aachen Neue Galerie, Sammlung Ludwig 1979.
  • Künstler in der DDR. Dresden: Verl. d. Kunst 1981.
  • Lang, Lothar: Malerei und Graphik in der DDR. Leipzig: Edition Leipzig 1978. Lizenzausg.: 2. Aufl. Luzern u. Frankfurt a. M.: Bucher 1981.
  • Lexikon der Kunst. Architektur, Bildende Kunst, Angewandte Kunst, Industrieformgebung, Kunsttheorie. 5 Bde. Leipzig: Seemann 1968 ff.
  • Schumann, Henry: Ateliergespräche. Leipzig: Seemann 1976.
  • Thomas, Karin: Die Malerei in der DDR 1949–1979. Köln: DuMont Buchverl. 1980. (Dumont-Taschenbücher. 97.)
  • Wegbereiter. 25 Künstler der DDR. Dresden: Verl. d. Kunst 1976.
  • Weggefährten — Zeitgenossen. Bildende Kunst aus drei Jahrzehnten. Katalog. Altes Museum. Berlin (Ost) 1979.

 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 227–235


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.