
Entwicklungshilfe (1985)
Siehe auch:
Der Begriff E. wird in der DDR offiziell nicht verwendet. Statt dessen spricht man gelegentlich von „sozialistischer Wirtschaftshilfe“ als „einer besonderen Form der Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern“, die langfristig auch der DDR „ökonomischen Nutzen“ bringen muß.
Bis zum Zeitpunkt der weltweiten völkerrechtlichen Anerkennung der DDR nach Abschluß des Grundlagenvertrages 1972 bestand die Funktion ihrer E. vor allem darin, die Empfängerländer zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR zu bewegen. Erfolge konnte die SED auf diesem Wege jedoch nicht erzielen. Darüber hinaus verfolgt sie aber mit ihrer E.-Politik stets auch das Ziel, einzelne Entwicklungsländer für das „sozialistische Lager“ zu gewinnen, um auf diese Weise — entsprechend ihrer ideologisch bestimmten außenpolitischen Doktrin — die „Basis des Imperialismus“ in den Ländern der Dritten Welt zu schwächen. In der Bewertung dieses Aspektes im Rahmen der gesamten Außenpolitik der DDR gab es allerdings in den letzten Jahren einen Wandel. Auf dem IX. Parteitag der SED (1976) rangierte die „aktive Unterstützung für die progressiven und revolutionären Kräfte der Welt im Geiste des Proletarischen ➝Internationalismus“ nach der umfassenden Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den anderen Staaten der sozialistischen Staatengemeinschaft an zweiter Stelle im außenpolitischen Zielkatalog der DDR. Auf dem X. Parteitag (1981) rutschte sie hinter die „Sicherung des Friedens“ auf den dritten Rang ab. Nun ging es auch weniger um die Förderung revolutionärer Tendenzen in der Dritten Welt, sondern um die „Entwicklung einer vielseitigen Zusammenarbeit mit den Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas“ sowie um „Unterstützung des Kampfes um eine neue internationale Wirtschaftsordnung auf der Grundlage der Gleichberechtigung“. Für die zwischen 1976 und 1981 von Generalsekretär Honecker unternommenen Auslandsreisen ist daher charakteristisch, daß verstärkt Vorstellungen der „sozialistischen Staatengemeinschaft“ zur europäischen Abrüstungspolitik in die Dritte Welt hineingetragen wurden.
Unverändert wird dagegen von der SED dem Außenhandel der DDR mit Entwicklungsländern auch die Bedeutung von E. zugemessen. Dabei geht es ihr freilich auch darum, sowohl Zugang zu den Rohstoffmärkten der Dritten Welt zu bekommen, als auch auf dem Wege langfristiger handelspolitischer Vereinbarungen jene auf dem („kapitalistischen“) Weltmarkt schwer verkaufbaren Erzeugnisse der Industrie der DDR günstig abzusetzen. Insbesondere wird auch von der DDR, wie von allen Verbündeten der UdSSR, die Verpflichtung zu besonderer Hilfeleistung durch die europäischen Industriestaaten — unabhängig von ihrer Einbindung in verschiedene politische Lager — aufgrund eines drohenden „Nord-Süd-Konfliktes“ abgelehnt. Sie gibt E. ausschließlich im Kontext des Ost-West-Konfliktes, also im Rahmen der weltweiten Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus.
Potentielle Empfänger von E. der DDR sind:
Staaten, die den „nichtkapitalistischen Entwicklungsweg“ eingeschlagen haben und sich auch politisch an das „sozialistische Lager“ anlehnen;
Staaten, die sich (noch) auf dem kapitalistischen Entwicklungsweg befinden, aber eine „antiimperialistische“ Außenpolitik betreiben, wobei auch positiv bewertet wird, wenn dieser Entwicklungsweg wenigstens „national-kapitalistisch“, d.h. „unabhängig“ verläuft;
[S. 361]die nationalen Befreiungsbewegungen PLO, SWAPO (Namibia) und ANC (Südafrika).
Der materielle Umfang der E. ist u.a. aufgrund der vergleichsweise (zur Bundesrepublik Deutschland) geringeren Liefer- und Leistungskapazität der Wirtschaft der DDR entsprechend kleiner.
Der Anteil des Außenhandelsumsatzes mit den Entwicklungsländern am gesamten Außenhandel der DDR ist von 1969 bis 1973 von 4,2 v.H. auf 3,4 v.H. gesunken. Seitdem ist jedoch wieder ein stetiger Anstieg zu beobachten; seit 1977 beträgt der Anteil unverändert rd. 4,9 v.H. Dieser Warenaustausch ist damit nur etwa halb so groß wie der z.B. Polens und der ČSSR und insgesamt der niedrigste aller RGW-Staaten.
Der Umfang der E. im engeren Sinne, also der Kapitalhilfe, läßt sich nicht genau angeben, da zwischen angebotener und tatsächlich erfolgter Leistung nicht unterschieden werden kann. Westliche Schätzungen der von der DDR vergebenen langfristigen Regierungskredite einschl. (geringfügiger) kostenloser Zuwendungen und kommerzieller Handelskredite im Rahmen von Handelsabkommen und Vertragsabschlüssen der Außenhandelsorganisationen und -betriebe schwanken zwischen 1 und 3 Mrd. Mark an Kreditzusagen bis zum Jahr 1970. Nach Angaben der OECD dürften für den Zeitraum 1970–1980 etwa 3 Mrd. Mark an Krediten hinzugekommen sein. Damit lag die Netto-Kapitalhilfe der DDR in der letzten Dekade bei ca. 0,14 v.H. ihres (umgerechneten) Bruttosozialproduktes zu Marktpreisen (RGW insges.: 0,2 v.H.). Die Vereinten Nationen fordern einen Transfer an öffentlicher Hilfe von 0,7 v.H.
Die E. erfolgt vor allem im Rahmen von langfristigen Abkommen über „wirtschaftliche und technische“ bzw. „wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit“ (bisher ca. 150 derartige Abkommen mit rd. 40 Entwicklungsländern) und wird zu Konditionen gewährt, die z.T. ungünstiger sind als die der Bundesrepublik Deutschland: 10–15jährige Laufzeit, 2–4jährige Karenzzeit, 2,5 v.H. Jahreszinsen (Bundesrepublik Deutschland: 30jährige Laufzeit, 7–8 Jahre Karenzzeit, 2,5 v.H. Zinsen).
In der Regel offeriert die DDR keine Kredite in konvertibler Währung, sondern bietet Waren- bzw. Lieferkredite an. Im Rahmen der Außenwirtschaftsbeziehungen mit E.-Charakter hat die DDR nach eigenen Angaben bisher bei der Fertigstellung bzw. Inbetriebnahme von 650 industriellen Objekten (davon 80 Getreidemühlen, 70 Transformatorstationen und 28 Druckereien) Hilfe geleistet.
Ferner sind hier E.-Maßnahmen der DDR zu nennen, deren vermutlich hohe Kosten sich nicht genau beziffern lassen:
Einrichtung von sog. technisch-wissenschaftlichen (nicht kommerziellen) Informationsbüros vor allem in den arabischen Staaten und Entsendung von Fachberatern der verschiedensten Qualifikationen (nach DDR-Angaben von 1970 bis 1981 insges. rd. 15.000; in Afrika allein sind stets ca. 200 Lehrkräfte tätig);
Abwicklung eines meist auf Einladung der DDR stattfindenden umfangreichen Besucherverkehrs, der Vertreter staatlicher und gesellschaftlicher Organisationen aus den Entwicklungsländern in die DDR führt;
berufliche Aus- und Weiterbildung von ungelernten Arbeitern und Facharbeitern aus der Dritten Welt in der DDR (nach DDR-Angaben von 1970 bis 1981 fast 40.000) und von Studenten und Fachschülern (im gleichen Zeitraum ca. 10.000 Studienabschlüsse), von denen jeweils ca. 25 v.H. aus Vietnam kamen;
berufliche Ausbildung, im Zusammenhang mit der Lieferung von Industrieanlagen in den Entwicklungsländern (von 1970 bis 1979: 55.000);
Solidaritätsspenden (vom Solidaritätskomitee der DDR und vom FDGB), zumeist Arzneimittel, medizinische Güter, Nahrungsmittel, Fahrzeuge und Bekleidung in einer Höhe von 1 bis 2 Mrd. Mark (seit 1970). Aus derartigen Spenden wurden ferner der Aufbau eines Berufsbildungszentrums in Nicaragua und eines Orthopädie-technischen Zentrums in Vietnam finanziert. Mit Spendenmitteln ist die Nationaldruckerei in Vientiane (Laos) „rekonstruiert und erweitert“ worden;
die Entsendung von sog. FDJ-„Brigaden der Freundschaft“ (1983 waren es 17 mit ca. 300 Mitgliedern) nach Angola (6 „Brigaden“), Äthiopien (1), Moçambique (3), Guinea (1), Guinea-Bissau (1), VDR Jemen (1), Kuba (2), Laos (1), Nicaragua (1), deren Mitglieder aufgrund ihrer Fachausbildung (Agronomen, Landmaschinentechniker usw.) am Aufbau infrastruktureller Projekte anleitend und ausbildend beteiligt sind.
Obwohl es sich nicht um E. im engeren Sinne handelt, müssen hier doch auch die 1983 in 22 Länder geleiteten 26 Hilfssendungen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) der DDR erwähnt werden, weil damit in erster Linie Angola, Äthiopien, Moçambique, Vietnam, Laos, Kampuchea und Nicaragua unterstützt wurden.
Die regionalen Schwerpunkte der E. der DDR haben sich in den letzten 30 Jahren mehrfach verschoben. Gegenwärtig konzentriert sie ihre über reine Außenwirtschaftsbeziehungen hinausgehende E. auf jene sozialistisch orientierten Länder der Dritten Welt, mit denen sie Freundschaftsverträge abgeschlossen hat, d.h. deren — sozialistischer — Entwicklungsweg als unumkehrbar angesehen wird. Dazu gehören in Afrika: Angola, Äthiopien und Moçambique; in Asien: Vietnam, Laos, Afghanistan, Mongolei, Kampuchea und die VDR Jemen; in Lateinamerika: Kuba. Hinzu kommen jedoch eine Reihe von Staaten, die entweder bereits den „nichtkapitalistischen Entwicklungsweg“ eingeschlagen haben oder aber in denen aufgrund ihrer innenpolitischen Transformationsprozesse bzw. ihrer „progressiven“ Außenpolitik Hilfe durch Länder der sozialistischen Staatengemeinschaft als lohnend und als Instrument zur Unterstützung politischer Veränderungen angesehen wird. Hierzu gehören u.a. in Afrika: Tansania, die VR Kongo, Guinea, Guinea-Bissau, Sambia, Algerien, Libyen, Kapverden, Ägypten; in Asien: Irak, Syrien, Indien, DVR Korea; in Lateinamerika: Nicaragua, Grenada (1979–1983), Peru, Kolumbien und Mexiko.
Zu einigen nichtpaktgebundenen Staaten der Dritten [S. 362]Welt pflegt die DDR Außenhandelsbeziehungen, ohne daß hier von E. im engeren Sinne gesprochen werden kann. Dazu gehören u.a. seit langem in Europa: Jugoslawien; in Afrika: Nigeria und künftig wohl verstärkt Kuwait (nach dem Besuch von E. Honecker im Oktober 1982); in Asien: (seit 1978) Iran; in Lateinamerika: Brasilien und Argentinien.
Die außenpolitische Dimension der E. der DDR hat sich mit deren weltweiter diplomatischer Anerkennung seit 1972/73 verändert. Sie ist jetzt Teil der „koordinierten Außenpolitik“ der sozialistischen Staatengemeinschaft und dient neben den Interessen der DDR vor allem der Stabilisierung jener Staaten, die in der globalen Ost-West-Auseinandersetzung vermutlich oder tatsächlich an der Seite des Ostens stehen. Dabei sind in erster Linie die z.T. vertraglich geregelten Parteibeziehungen der SED zu marxistisch-leninistisch orientierten Parteien in einigen Staaten der Dritten Welt zu nennen, zu denen es etwas Vergleichbares in der E. westlicher Länder nicht gibt. Derartige Beziehungen bestehen u.a. zur MPLA Angolas, zur COPWE (Commission to organize the party of the working people of Ethiopia) in Äthiopien, zur FRELIMO in Moçambique (Afrika insges. 15 Kooperationsabkommen), aber auch zu den kommunistisch-sozialistischen Parteien in der VDR Jemen, in Syrien (Baa'th), in Vietnam, Laos, Kampuchea und selbstverständlich in Kuba. In Angola z.B. hat die SED erhebliche organisatorische und materielle Hilfe bei der Umwandlung der MPLA aus einer Befreiungsorganisation in eine Kaderpartei geleistet, u.a. durch Beteiligung beim Aufbau einer zentralen und von ca. 12 Bezirksparteischulen.
Die Abstimmung der E. der RGW-Staaten in einzelnen Ländern der Dritten Welt, z.B. bei größeren E.-Projekten, ist bisher über Ansätze nicht hinausgekommen. Im militärischen Bereich scheint es dagegen die erforderliche Koordination zu geben. Seit kurzem wird in der DDR auch offiziell zugegeben, daß militärische E. geleistet wird. Sie ist zwar ein Element ihrer Außenpolitik gegenüber der Dritten Welt, steht jedoch nach Umfang und Charakter erheblich hinter den anderen E.-Leistungen der DDR zurück.
Nur in relativ wenige Staaten der Dritten Welt hat die DDR inzwischen Militärattachés entsandt, so u.a. nach Ägypten, Algerien, Äthiopien, die VR Kongo, Marokko, die VDR Jemen, Syrien, Vietnam, Indien, die DVR Korea, nach Kuba und Mexiko.
Von politischer Bedeutung sind jene Verträge über militärische Kooperation, die z.B. mit Angola, Äthiopien, den Kapverden, der VR Kongo, Moçambique und der VDR Jemen unterzeichnet wurden. Der personelle und materielle Umfang der militärischen E. der DDR ist nur schwer abzuschätzen. Fest steht, daß an Offiziers- und Unteroffiziersschulen der bewaffneten Organe der DDR militärisches Personal aus den genannten Staaten (ohne Kapverden) sowie Angehörige der PLO, der SWAPO und des ANC Lehrgänge (von nicht feststellbarer Dauer) besucht haben. Als realistisch hat sich ferner die Annahme erwiesen, daß ca. 2.500 bis 3.000 Angehörige der Nationalen Volksarmee (NVA) und des Staatssicherheitsdienstes (Ministerium für Staatssicherheit) als Ausbilder und Instrukteure in der Dritten Welt, vor allem in einigen Staaten Afrikas tätig sind. Keine Klarheit besteht darüber, ob die geringen Waffenlieferungen der DDR in die Dritte Welt auf kommerzieller Basis oder als kostenloser Transfer erfolgen. Als Großwaffenexporteur ist die DDR bisher nicht in Erscheinung getreten (SIPRI-Yearbook 1980). Der finanzielle Umfang dieser Lieferungen dürfte — nach Angaben der amerikanischen Rüstungskontrollbehörde — von 1979 bis 1980 50 Mill. US-$ pro Jahr nicht überschritten haben und damit z.B. weniger als 10 v.H. der tschechoslowakischen Waffenexporte betragen.
Im industriellen Bereich ist es bisher zu konkreten gemeinsamen E.-Maßnahmen der RGW-Staaten nur in wenigen Fällen gekommen. Allerdings scheint es im Ausbildungssektor eine gewisse Koordination zu geben. Nach Angaben aus der DDR hat der RGW bisher insgesamt rd. 500.000 „nationale Kader“ aus Entwicklungsländern ausgebildet, 25.000 befinden sich gegenwärtig (1983) noch in der Ausbildung.
Unter „Mitwirkung der RGW-Länder“ sollen „26 Hoch- und Fachschulen sowie fast 100 Ausbildungszentren“ in Entwicklungsländern errichtet worden sein. Weitere 70 Lehranstalten befänden sich im Bau.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 360–362
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