DDR von A-Z, Band 1985

Friedensvertrag (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1963 1965 1966 1969 1975 1979


 

Da seit Beendigung des II. Weltkrieges das Deutsche Reich zwar als Völkerrechtssubjekt fortbesteht, aber mangels zentraler Organe, d.h. ohne eine effektive oberste Staatsgewalt, nicht handlungsfähig ist, konnte schon aus diesem Grunde ein F. bisher nicht verhandelt werden. Nach herrschender westlicher Völkerrechtslehre blieben und bleiben damit — auch nach Eintritt eines faktischen Friedenszustandes zwischen Deutschland und den Alliierten nach 1945 — die territorialen und politischen Fragen in bezug auf Deutschland als Ganzes, insbesondere seines Gebietes, ungeregelt, d.h. unter diesem Aspekt ist die deutsche Frage solange offen, wie kein F. zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Kriegsgegnern abgeschlossen worden ist. Weder die Niederwerfung (debellatio) noch die bedingungslose Kapitulation und die kriegerische Besetzung (occupatio bellica) Deutschlands konnten zunächst im völkerrechtlichen Sinne, d.h. z.B. im Rahmen eines F., den Kriegszustand beenden; dies geschah erst am 9. 7. bzw. 19. 10. 1951, als die 3 Westmächte einseitig den Kriegszustand mit Deutschland für beendet erklärten. Eine ähnliche Erklärung erfolgte am 25. 1. 1955 durch den Obersten Sowjet der UdSSR. In diesen Erklärungen ist jedoch kein Ersatz für einen F. zu erblicken, da mit ihnen nur ein Teil der in einem F. zu regelnden Fragen gelöst wurde. Aufgrund der Spaltung Deutschlands kam es nicht mehr zur Rekonstituierung einer obersten Staatsgewalt in Deutschland, die nach westlicher Auffassung allein dazu berechtigt wäre, im Auftrag des ganzen deutschen Volkes einen F. mit den Alliierten auszuhandeln. Alle Regierungen der Bundesrepublik Deutschland haben daher aus Anlaß oder im Zusammenhang mit vertraglichen Regelungen, die Deutschland als Ganzes berühren, diesen Standpunkt in völkerrechtlich wirksamer Weise geltend gemacht.

 

Art. 7 Abs. 1 Satz 2 des Deutschlandvertrages vom 26. 5. 1952 i. d. F. vom 23. 10. 1954 bestimmt ausdrücklich, daß „die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands“ bis zu einer frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelung für ganz Deutschland aufgeschoben werden muß. Art. 10 sieht die Überprüfung des Vertrages [S. 482]u.a. „im Falle der Wiedervereinigung Deutschlands“ vor. Beim Abschluß der Ostverträge ging die Bundesregierung in einer für die Vertragspartner erkennbaren Weise davon aus, daß sie nicht befugt sei, eine Verfügung über den rechtlichen Status Deutschlands im Sinne einer friedensvertraglichen Regelung zu treffen. Sie hat sich dabei auf die Gesamtverantwortung bezogen, welche die Vier Mächte für Deutschland als Ganzes tragen. Die 3 Westmächte haben auf diese gemeinsame Verantwortung auch in ihren Noten zum Moskauer (vom 12. 8. 1970) und zum Warschauer Vertrag (vom 7. 12. 1970) hingewiesen. Darüber hinaus hat anläßlich der Ratifizierung der Ostverträge die „Gemeinsame Entschließung von Bundestag und Bundesrat“ (vom 10. 5. 1972) expressis verbis unterstrichen, daß „die Verträge eine friedensvertragliche Regelung nicht vorweg(nehmen) und keine Rechtsgrundlage für heute bestehende Grenzen (schaffen)“.

 

Diese Entschließung ist der UdSSR und der VR Polen durch die Bundesregierung in völkerrechtserheblicher Weise notifiziert worden, ohne daß diese widersprochen hätten. Der Entschließungstext gehört damit zum Kontext der Verträge im Sinne von Art. 31 Abs. 2 der Wiener Vertragskonvention.

 

Die Haltung der DDR zur Frage des F. hat im Laufe der Zeit eine bestimmte Entwicklung erfahren. Die von der SED-Führung bis etwa 1963 erhobene Forderung nach Abschluß eines F. mit beiden deutschen Staaten traf auf den entschlossenen Widerstand aller Bundesregierungen und der Westmächte, nach deren Auffassung nur ein aus freien Wahlen hervorgegangener gesamtdeutscher Souverän zum Abschluß eines F. berechtigt gewesen wäre. Nach Chruschtschows Berlin-Ultimatum vom November 1958 (Berlin) drohte die Sowjetunion, von der DDR unterstützt, mit dem Abschluß eines Separat-F. allein mit der DDR, wenn der Westen seinen Standpunkt in der F.-Frage nicht ändere. Dies wurde von den Westmächten als ernste Drohung verstanden, da die Sowjets als Folge dieses Schrittes die Übergabe ihrer Kontrollbefugnisse auf den Zufahrtswegen nach Berlin (West) an die DDR ankündigten.

 

Seit 1965 ist die Forderung nach Abschluß eines F. aus dem politischen Sprachgebrauch der SED fast völlig verschwunden. Statt dessen wurde die Errichtung eines kollektiven Sicherheitssystems in Europa unter Beteiligung beider deutscher Staaten vorgeschlagen. Seit Unterzeichnung der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) 1975 in Helsinki durch den Ersten Sekretär des ZK der SED, E. Honecker, bezeichnet die SED die Frage eines F. als „überholt“ (Außenpolitik; Deutschlandpolitik der SED; Frieden; Krieg).


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 481–482


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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