DDR von A-Z, Band 1985

Gesellschaftswissenschaften (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979


 

Bezeichnung für alle Wissenschaften, die sich auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus mit der Entwicklung und den Strukturen von Gesellschaften sowie dem Menschen als gesellschaftlichem Wesen befassen.

 

Unter Berufung auf die von Karl Marx und Friedrich Engels als „Gesetzeswissenschaft“ begründete „Gesellschaftswissenschaft“ streben die G. die Erkenntnis „sozialer Gesetzmäßigkeiten“ an, und zwar „vom Standpunkt der Arbeiterklasse“ aus. Entsprechend sollen die Erkenntnisse der G. „der marxistisch-leninistischen Partei als theoretische Grundlage für die Ausarbeitung ihrer Politik beim Kampf um die Eroberung der politischen Macht und beim Aufbau des Sozialismus und Kommunismus“ dienen (Stichwort „Wissenschaft“, in: Kleines politisches Wörterbuch. 3., überarb. Aufl., Berlin [Ost] 1978, S. 1025).

 

Zu den wichtigsten G. gehören die marxistisch-leninistische Philosophie (die allerdings eine die G. übergreifende Sonderrolle einnimmt; Marxismus-Leninismus, II. A.), die Wirtschaftswissenschaften (Politische Ökonomie), die marxistisch-leninistische Soziologie und Empirische Sozialforschung, die Geschichtswissenschaft (Nationale Geschichtsbetrachtung), die Staats- und Rechtswissenschaft (Rechtswesen), die Pädagogische Wissenschaft und Forschung, die Psychologie sowie die Kultur- und Kunstwissenschaften (Ästhetik; Kulturpolitik; Literatur und Literaturpolitik).

 

Von den G. werden die Natur- und die Technikwissenschaften unterschieden. Diese Unterscheidung ist jedoch nicht prinzipieller Art. Gemäß der marxistisch-leninistischen Lehre vom „Gesamtsystem des Wissens“ (Wissenschaft) werden sowohl von den G. wie von den Natur- und Technikwissenschaften Gesetzmäßigkeiten untersucht und erklärt. Die marxistisch-leninistischen Philosophen sprechen in diesem Zusammenhang von der (wachsenden) „Einheit der Wissenschaft“. Nur unterhalb dieser prinzipiellen Ebene existieren Differenzierungen. Unterschiede ergeben sich zum einen daraus, daß die Gesetze in Natur und Gesellschaft sich zumindest in ihrer „Wirkungsweise“ verschieden darstellen. Zum anderen wurden hinsichtlich der Einwirkung der Ideologie bzw. Weltanschauung auf die verschiedenen Zweige von Wissenschaft Differenzen gesehen: „Während in den Gesellschafts-W. die Ideologie der Klassen bereits in der Sammlung und Erklärung der Tatsachen zum Ausdruck kommt, weil diese W. die Klasseninteressen unmittelbar berühren, sind die Natur-W. und die technischen W. vor allem durch ihre philosophischen Grundlagen und Schlußfolgerungen mit der Ideologie verbunden. Infolge ihrer engen Verbindung mit den Klasseninteressen haben die Gesellschafts-W. Klassencharakter, während der theoretische und empirische Inhalt der Natur-W. und der technischen W., mit Ausnahme der philosophischen Elemente, keinen Klassencharakter besitzt.“ (Ebd.)

 

Die gesellschaftswissenschaftliche Forschung in der DDR wird von der SED zentral gesteuert. „Die Leitung, Planung und Kontrolle“, heißt es offiziell (Einheit, H. 12/1980, S. 1228), „erfolgt durch die Partei auf der Grundlage der Beschlüsse des ZK.“ Instrument der Steuerung ist seit den siebziger Jahren ein parallel zu den Fünfjahrplänen terminierter „zentraler Forschungsplan“ mit untergeordneten Jahresplänen usw. Ähnlich wie in der Wirtschaft erfolgt auch in der gesellschaftswissenschaftlichen Forschung die Planung in einem komplizierten Prozeß, an dem alle zuständigen Institutionen beteiligt sind (Forschung; Wissenschaftliche Räte). Federführend sind der ZK-Sekretär für Kultur und Wissenschaft (seit 1955: Kurt Hager) und in seinem Bereich besonders die Abteilung Wissenschaften (Sekretariat des Zentralkomitees (ZK) der SED) sowie die Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED. Das Politbüro bestätigt den Plan; er wird veröffentlicht, und seine Erfüllung/Nichterfüllung wird bekanntgegeben. Z. Z. gilt der (3.) „Zentrale Forschungsplan der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften der DDR 1981–1985“ (Einheit, H. 12/1980).


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 553


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.