DDR von A-Z, Band 1985

Konsumtion, Gesellschaftliche (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1975 1979


 

1. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung sozialistischer Staaten (Gesellschaftliches ➝Gesamtprodukt) wird der Teil des im Inland verwendeten Nationaleinkommens als GK. bezeichnet, der nicht in die Akkumulation und den privaten Verbrauch eingeht. Im Vergleich zum Staatsverbrauch in westlichen Sozialproduktberechnungen ist dieser Begriff zugleich enger und weiter abgegrenzt: enger, weil die GK. allein die Sachausgaben, den Verbrauch von Material und produktiven Leistungen beinhaltet — umfangreicher, da über die staatlichen Verwaltungen hinaus der gesamte Dienstleistungssektor erfaßt wird. Diesen untergliedert die Statistik nach seiner Zielrichtung in (a) GK. zur kulturellen und sozialen Betreuung der Bevölkerung und (b) GK. zur Befriedigung gesamtgesellschaftlicher Bedürfnisse.

 

Zu (a) — bis 1971 als lebensstandardwirksame GK. bezeichnet — zählen die Dienstleistungsbetriebe (z.B. Friseure, Kosmetik, Hotels, Bäder, Wohnungs-, Stadt- und Gemeindewirtschaft) und die staatlichen Einrichtungen von Kultur (Kulturstätten), Kunst (Bildende Kunst), Körperkultur, Sport und Tourismus sowie des Erholungs-, Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesens (Einheitliches sozialistisches Bildungssystem; Freizeit; Gesundheitswesen; Sozialversicherungs- und Versorgungswesen).

 

Unter (b) — bis 1971: nicht lebensstandardwirksame GK. — werden die materiellen Ausgaben der staatlichen Verwaltungen, Parteien, gesellschaftlichen Organisationen, Wissenschaft und Forschung, des Geld- und Kre[S. 739]ditwesens verbucht. Die DDR-Statistik weist für die Nationaleinkommensverwendung allein die Struktur (GK.: 13,1 v.H.; darunter GK. [a]: 6,0 v.H. und demnach GK. [b]: 7,1 v.H.) (1982) sowie die Entwicklungstendenz aus. Letztere deutet darauf hin, daß bis 1974 die als GK. (a) verrechneten Sachausgaben rascher gestiegen sind als GK. (b). Um eine Größenordnung zu vermitteln, läßt sich das Volumen der GK. als Verwendungsposition des Nationaleinkommens für 1982 auf ca. 25 Mrd. Mark schätzen, von denen ca. 14 Mrd. Mark (54 v.H.) als GK. (b) und ca. 11 Mrd. Mark als GK. (a) verbraucht wurden.

 

2. In der Verteilungspolitik kommt der GK. seit den 70er Jahren eine zentrale Bedeutung als Instrument der Sozialpolitik und Kennziffer zur Planung des Lebensniveaus bzw. Lebensstandards zu. Über die Sachaufwendungen hinaus werden in dieser Abgrenzung dem Fonds der GK. — auch als „Gesellschaftlicher Konsumtionsfonds“ (GKF.) oder „gesellschaftlicher Fonds“ bezeichnet — gleichfalls die Personalausgaben und Transferzahlungen für die unter (1) angedeuteten sozialen und kulturellen Zwecke der Betriebe, gesellschaftlichen Organisationen und des Staates zugerechnet. Über diesen Gesamtfonds der GK., der zumindest in Teilbereichen dem Sozialbudget westlicher Industrieländer ähnelt, liegen keine statistischen Angaben hinsichtlich Volumen und Struktur vor. Offensichtlich aber ist der GKF. des Staates am wichtigsten, aus dem neben den erwähnten Leistungen auch die Öffentlichen ➝Sozialleistungen gezahlt werden.

 

Über den GKF. sind bisher nur fragmentarische Angaben veröffentlicht worden, so über die Kultur- und Sozialfonds der Betriebe (1982: 4,2 Mrd. Mark), vergleichbare Ausgaben des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) und seit 1971 die Leistungen für die Bevölkerung aus den gesellschaftlichen Fonds. Letztere enthalten neben den Nettoausgaben des Sozial- und Bildungsbereiches auch Subventionen des Staatshaushalts zur Stützung der Konsumgüterpreise und Leistungstarife, die jedoch theoretisch anderen Finanzhilfen für die Betriebe entsprechen und somit der Wirtschaftsförderung zuzurechnen sind. Ihre Entwicklung verdeutlicht die bau- und preispolitischen Schwerpunkte der sozialpolitischen Programme:

 

 

3. Die hier aufgeführten Leistungen aus dem GKF. des Staates sind wesentliche Bestandteile der Planung und sollen im Fünfjahrplan 1981–1985 insgesamt 295 Mrd. Mark erreichen (1976–1980: 234 Mrd. Mark). Aufgrund dieses Volumens wie aber auch der stets betonten praktischen Bedeutung des GKF. überrascht, daß die DDR-Statistik zumindest in dreifacher Hinsicht viele Fragen der GK. offenläßt. Einmal fehlt eine Untergliederung nach Sach- und Personalaufwendungen, Sozialtransfers und Subventionen, zu denen auch Steuervergünstigungen zu rechnen wären. Zum zweiten werden zwar die Zuwendungen aus dem GKF. für eine 4köpfige Familie ausgewiesen (1971: 399 Mark, 1980: 760 Mark; 1982: 938 Mark) und als „zweite Lohntüte“ der Arbeitnehmer bezeichnet; unklar ist jedoch, welche Zahlungen in dieser Berechnung berücksichtigt werden. Für 1982 läßt sich aus dem mit 61 Mrd. Mark ausgewiesenen Volumen des staatlichen GKF. ein monatlicher Betrag von 305 Mark pro Kopf der Bevölkerung errechnen. Die als „monatlich durchschnittliche Zuwendungen aus den gesellschaftlichen Fonds aus Mitteln des Staates — berechnet auf eine 4köpfige Familie —“ für 1982 genannten 938 Mark sind somit entweder den Einkommenserhebungen des privaten Haushaltsbudgets entnommen oder aber als Durchschnittswert eines um 25 v.H. niedrigeren Gesamtvolumens ermittelt. Insofern ist es auch völlig unklar, welche Staatsausgaben durch den für 1984 vorgesehenen Beitrag für gesellschaftliche Fonds (VO über den Beitrag für gesellschaftliche Fonds vom 14. 4. 1983, GBl. I, 1983, S. 105 f.) finanziert werden sollen. Diese Zweckbindung ist jedoch unerheblich, wenn dieser Aufschlag, wie in der VO vorgesehen, in Höhe von 70 v.H. auf die Lohnfonds als eine Steuer auf die Lohnsumme der zentralgeleiteten Industrie betrachtet wird, durch die nicht zusätzliche Einnahmen, sondern eine bessere Nutzung des Arbeitsvermögens erreicht werden soll.

 

Drittens wäre eine exakte Ausweisung der GK. Voraussetzung für eine zutreffende Ermittlung des Realeinkommens. Diese „zusammenfassende Kennziffer des Lebensniveaus“ erarbeitet die Staatliche Plankommission nach den Vorschriften der Planungsordnung (GBl., SDr. 1020 q, S. 21 ff.) für den Fünfjahrplan und die Jahresvolkswirtschaftspläne. Sie beinhaltet die als Nettogeldeinnahmen ausgewiesenen direkten Einkommen, die indirekten Einkommen aus dem GKF., Naturaleinkommen sowie Subventionen für die Verbraucherpreise und Tarife. Dieser Einkommensrechnung liegt offensichtlich wiederum eine andere Abgrenzung des GKF. zugrunde: So zählen zu den Geldeinnahmen nicht die Löhne und Gehälter der im sozial-kulturellen Sektor Beschäftigten, sondern lediglich die staatlichen Sozialtransferzahlungen wie z.B. Renten, Krankengeld, Kinderbeihilfen und die Finanzmittel für die Ausbildungsförderung und den Mutterschutz (Mutterschutz/Fürsorge für Mutter und Kind). Dazu kommen die Geldzuwendungen der Parteien, des FDGB und der Betriebe (z.B. Renten für langjährige Betriebszugehörigkeit, Lohnnebenkosten, Zahlungen außerhalb zweckgebundener Fonds sowie Rückvergü[S. 740]tungen der Konsumgenossenschaften). Als indirekte Einkommen aus dem GKF. bzw. unentgeltlicher Verbrauch wird der Geldausdruck für die Realtransfers verbucht. Darunter fallen die Sachaufwendungen des Staates — abzüglich der von der Bevölkerung geleisteten Beiträge sowie wiederum ohne Personalkosten — für den sozial-kulturellen Bereich. Darüber hinaus werden die von den staatlichen Organen, gesellschaftlichen Organisationen und den Betrieben zur Verfügung gestellten Mittel für die Arbeiterversorgung, die sportliche und kulturelle Betätigung, gemeinschaftliche Betreuung, Ferien-, Erholungs-, Wohnungs-, Aus- und Weiterbildungskosten der Beschäftigten angerechnet.

 

Für die hier genannten Einkommenskategorien lassen sich auf Grundlage der auf der 5. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) publizierten Angaben (ND 27./28. 11. 1982, S. 3 f.) folgende Größenordnungen schätzen: Das Realeinkommen pro Kopf der Bevölkerung wurde für 1982 mit monatlich 855 Mark (1970: 486 Mark) angegeben, woraus sich ein Realeinkommen der Bevölkerung von 172 Mrd. Mark (1970: 100 Mrd. Mark; Zuwachs: 72 v.H.) ermitteln läßt. Davon entfielen 128 Mrd. Mark (1970: 79 Mrd. Mark; Zuwachs: 62 v.H.) auf die Nettogeldeinnahmen der Bevölkerung. Unter Vernachlässigung des Naturalverbrauchs belief sich der unentgeltliche Verbrauch auf 44 Mrd. Mark (1970: 21 Mrd. Mark; Zuwachs: 110 v.H.). Die Realeinkommensentwicklung wurde somit wesentlich von den Sachausgaben beeinflußt, in denen sich aber auch die Kostensteigerungen widerspiegeln. Während es unklar bleibt, ob die Preissubventionen in diesen Angaben enthalten sind, werden sie in der Bilanz des Realeinkommens der Arbeiter- und Angestelltenhaushalte eindeutig ausgeklammert. Aber auch hier schlägt sich die gleiche Tendenz eines überproportionalen Anstiegs der Einkommen aus dem GKF. von 1970 (389 Mark; Anteil: 26,2 v.H.) bis 1982 (789 Mark; Anteil: 30,7 v.H.) nieder. Wegen der angedeuteten Probleme sollte die komparative Analyse Sozialindikatoren stärker berücksichtigen als die Zuwendungen aus der GK.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 738–740


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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