DDR von A-Z, Band 1985

Kulturpolitik (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979

 

I. Ideologische Voraussetzungen und allgemeine Tendenz

 

 

Auch in der K. gilt das Dogma von der „führenden Rolle der Partei“. Folgerichtig fordert daher die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) „die Verwirklichung der sozialistischen Revolution auf dem Gebiet der Ideologie und Kultur und die Herausbildung einer der Arbeiterklasse, dem schaffenden Volk und der Sache des Sozialismus ergebenen zahlreichen Intelligenz“.

 

[S. 768]Diese Definition der K. findet sich bereits in der „Erklärung der Kommunistischen und Arbeiterparteien“ von 1957 und wird gegenwärtig als „allgemeine Gesetzmäßigkeit des sozialistischen Aufbaus in allen Ländern“ verstanden (Kleines Politisches Wörterbuch, Berlin [Ost], 3. Aufl., 1978, S. 511). Die K. soll der Durchführung einer „sozialistischen Kulturrevolution“ dienen. Sie soll sich in Etappen vollziehen und hat „alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zu durchdringen“. Eine derart umfangreiche Aufgabenstellung ordnet die K. in den Prozeß der allgemeinen sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft ein. Objektive Grundlage der K. soll die Beachtung der Einheit von Politik, Ökonomie und Kultur bilden. Wie in den Bereichen Politik und Ökonomie beansprucht die SED auch in der Kultur die Planung und Leitung der allgemeinen Entwicklung. „Inhalt und Aufgaben der Kulturpolitik der SED sind bestimmt vom strategischen Ziel, das mit dem Programm der SED vom IX. Parteitag beschlossen wurde, in der DDR weiterhin die entwickelte sozialistische Gesellschaft zu gestalten und so grundlegende Voraussetzungen für den allmählichen Übergang zum Kommunismus zu schaffen; von der weiteren Vertiefung der Freundschaft und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den anderen Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft; von den Erfordernissen der verschärften Klassenauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus.“ (Kulturpolitisches Wörterbuch, Berlin [Ost], 2. Aufl., 1978, S. 403)

 

Die Durchsetzung der K. erfolgt über die Parteiorganisationen auf den verschiedenen Ebenen, die staatlichen Organe, kulturelle Institutionen und gesellschaftliche Organisationen sowie die einzelnen Künstlerverbände.

 

Die einzelnen Bereiche der K. werden im „Programm der SED“ von 1976 umschrieben. Die Partei, so heißt es darin, „setzt sich dafür ein, den Reichtum materieller und geistiger Werte der sozialistischen Kultur umfassend zu mehren und ein vielseitiges anregendes kulturelles Leben zu entfalten. Ein wichtiges Anliegen ist die systematische Erhöhung der sozialistischen Arbeitskultur in allen Stätten der Arbeit und des Lernens. Die Partei tritt dafür ein, alle Möglichkeiten und vielfältigen Formen für die Entwicklung eines kulturvollen sozialistischen Gemeinschaftslebens in den Städten, Dörfern und Erholungsgebieten zu nutzen. Es gilt, mehr Voraussetzungen für kulturelle Gemeinschaftserlebnisse, für niveauvolle Geselligkeit, Unterhaltung und Tanz sowie für sportliches Wetteifern zu schaffen.“

 

Als „die verschiedenen Elemente der sozialistischen Kultur“ nannte der zuständige Sekretär im ZK der SED, Kurt Hager, auf der 6. Tagung des ZK der SED am 6./7. 7. 1972 „die sozialistische Arbeitskultur, den Schutz und die Gestaltung der Umwelt, die Kultur in den menschlichen Beziehungen und im persönlichen Lebensstil, die Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Weltanschauung und ihre Verbreitung im Volk, die Förderung von Wissenschaft und Bildung, die Pflege des humanistischen Kulturerbes (Kulturelles Erbe) und seine Aneignung durch die Werktätigen, den Aufschwung der Kunst und ihre gesellschaftliche Wirksamkeit, die Entwicklung aller schöpferischen Begabungen und Talente des Volkes“.

 

Die sozialistische Kulturrevolution versteht sich nach Lenin als „Entwicklung der besten Vorbilder, Traditionen und Ergebnisse der bestehenden Kultur vom Standpunkt der marxistischen Weltanschauung“; sie zielt in der DDR auf die Herausbildung einer sozialistischen Nationalkultur, die sich als legitimer Erbe aller demokratischen und humanistischen Traditionen der deutschen Geschichte betrachtet (Nationale Geschichtsbetrachtung). Seit 1961 wird der These von einer fortbestehenden „Einheit der deutschen Kultur“ entgegengetreten und die Abgrenzung von der in der Bundesrepublik Deutschland herrschenden „imperialistischen Kultur“ auch historisch mit dem Hinweis begründet, daß es eine „außerhalb der Bestrebungen der Klassen stehende einheitliche deutsche Kultur nie gegeben“ habe (Hager). Im Verhältnis zu den kulturellen Erscheinungen in der Bundesrepublik Deutschland soll genau unterschieden werden „zwischen den Produkten kapitalistischer Kulturindustrie, die dem Imperialismus unmittelbar dienen, und jenen künstlerischen Anstrengungen, die humanistische und demokratische Positionen, aber auch noch verschwommene Wünsche, Gedanken, Forderungen nach Frieden, Entspannung, sozialer Sicherheit zum Ausdruck bringen“. Das gleiche gilt auch für den kulturellen Kontakt und Austausch mit anderen kapitalistischen Staaten; so wird z.B. von entsprechenden Kriterien die Auswahl von dort übernommener literarischer, filmischer und anderer künstlerischer Werke bestimmt.

 

Unter den geschilderten Aspekten hat seit jeher ein Spannungsverhältnis zwischen der staatlichen K. auf der einen und den Künstlern und Schriftstellern auf der anderen Seite bestanden. Die Durchsetzung der K. der Partei bleibt ein widerspruchsvoller Prozeß, der sich sowohl in verordneten Maßnahmen, als auch im nachträglichen Reagieren auf künstlerische Entwicklungen vollzieht. Die innere und die äußere Situation der DDR bleiben maßgebend für die Art und Weise, in der die Konflikte zwischen den Künstlern und der Obrigkeit ausgetragen werden.

 

Die angestrebte verstärkte Integration der sozialistischen Staaten auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet führte auch zu einer Intensivierung der kulturellen Beziehungen der DDR zu diesen Staaten, wie dies vor allem mit der Sowjetunion seit langem praktiziert wird. Ihren Ausdruck findet diese Entwicklung in regelmäßigen Beratungen der Kultur-, [S. 769]Hochschul- und Volksbildungsminister und zwischen den entsprechenden Künstlerverbänden sowie in zwischenstaatlichen Arbeitsvereinbarungen und Abkommen auf allen Gebieten der K. In Berlin (Ost) bestehen Kulturhäuser der Sowjetunion, der ČSSR, Polens, Ungarns und Bulgariens, die durch Ausstellungen, Film-, Musik- und Vortragsveranstaltungen, Sprachkurse sowie den Verkauf einheimischer Kulturwaren Informationen über die Kultur ihrer Länder liefern und z. T. auch entsprechende Veranstaltungen in den Bezirken der DDR durchführen. Kulturellem Austausch dienen auch meist auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit durchgeführte Kulturtage der einzelnen sozialistischen Länder.

 

II. Etappen der Kulturpolitik

 

 

Wie die politische Geschichte der DDR vollzog sich auch die K. in verschiedenen Etappen (Periodisierung). Dabei ergaben sich durchaus zeitliche und inhaltliche Abweichungen in der Durchsetzung der K. in den unterschiedlichen Kulturbereichen. Die „antifaschistisch-demokratische“ Phase der K. von 1945 bis 1951 war vor allem gekennzeichnet durch 1. die Aufklärung über die NS-Vergangenheit, 2. die Anknüpfung an die humanistischen Traditionen des Bürgertums in der Kunst, 3. die durch soziale und materielle Vergünstigungen unterstützte Einbeziehung der bürgerlichen Intelligenz in den Aufbauprozeß bei gleichzeitiger Besetzung der Schlüsselpositionen des Kulturapparats mit Kommunisten und 4. die Anfänge einer Schul- und Hochschulreform, die einmal der Entnazifizierung des Bildungswesens und zum anderen seiner Öffnung für Arbeiter- und Bauernkinder diente. Zur schnellen Heranbildung einer neuen Intelligenz aus der Arbeiterklasse wurden insbesondere 1946 die später in Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten (ABF) umbenannten Vorstudienanstalten eingerichtet, die jungen Arbeitern und Bauern den Zugang zum Universitäts- und Hochschulstudium ermöglichten.

 

Die eigentliche „sozialistische Kulturrevolution“ wurde 1951 durch eine Zentralisierung der Lenkung der gesamten K. eingeleitet. So wurden in diesem Jahr das „Amt für Literatur und Verlagswesen“ und die „Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten“ eingerichtet; 1952 folgte die Gründung des „Staatlichen Komitees für Filmwesen“ und des „Staatlichen Rundfunkkomitees“. Die von diesen Institutionen betriebene Ausrichtung der K. auf die Aufgaben des Fünfjahrplanes und die durch den kalten Krieg verschärfte Auseinandersetzung mit dem Westen erfolgten vorwiegend durch administrative Maßnahmen und wurden bestimmt durch den auf der 5. Tagung des ZK der SED vom 17. 3. 1951 gefaßten Beschluß „Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur“ und die Orientierung auf den „Sozialistischen Realismus“ (Ästhetik; Bildende Kunst; Literatur und Literaturpolitik). Die davon ausgehende, sich vor allem an politischen, nicht aber an künstlerischen Maßstäben orientierende Kritik traf selbst prominente Vertreter des Kulturlebens in der DDR und allgemein anerkannte Kunstwerke. Beispiele dafür sind: Die Oper „Das Verhör des Lukullus“ von B. Brecht und P. Dessau, die nach ihrer Uraufführung 1951 von den Autoren umgearbeitet und in „Die Verurteilung des Lukullus“ umbenannt werden mußte; der nach dem gleichnamigen Roman von A. Zweig gedrehte DEFA-Film „Das Beil von Wandsbek“, der nach der Premiere zurückgezogen wurde; eine Barlach-Ausstellung, die 1952 nach vorausgegangener Kritik an dem „düsteren, bedrückenden, pessimistischen Charakter“ der Kunst des Bildhauers vorzeitig geschlossen wurde. Die dogmatische Auslegung der Begriffe „Formalismus“ und „Sozialistischer Realismus“ war beeinflußt durch die damalige stalinistische K. der Sowjetunion und stieß ebenso wie die zur Durchsetzung entsprechender kulturpolitischer Richtlinien angewandten Praktiken der staatlichen Organe nach Proklamierung des „Neuen Kurses“ am 9. 6. 1953 auf die offene Kritik der betroffenen Künstler, insbesondere der Deutschen Akademie der Künste der DDR (AdK) in Berlin (Ost). Die Folgen waren eine Auflösung der 1951/52 etablierten Institutionen (mit Ausnahme des „Staatlichen Rundfunkkomitees“) und die Übernahme ihrer Funktionen durch ein am 7. 1. 1954 gebildetes Ministerium für Kultur. In der dazu erlassenen VO hieß es u.a.: „Verständnisloses Administrieren darf nicht an Stelle des Überzeugens und der Selbstverständigung der Künstler treten“, die DDR „wird alle Möglichkeiten einer gesamtdeutschen Zusammenarbeit zur Pflege und Erhaltung einer humanistischen deutschen Kultur wahrnehmen“.

 

Nachdem die auf dem XX. Parteitag der KPdSU geübte Stalin-Kritik kulturpolitischen Liberalisierungstendenzen in der DDR und Kritik der Künstler an bürokratischen und schematischen Leitungsmethoden neuen Auftrieb gegeben hatte, wies eine vom ZK der SED zum 23./24. 10. 1957 einberufene Kulturkonferenz solche Erscheinungen auch unter dem Eindruck der Ereignisse in Ungarn zurück. Schon vorher hatten kulturpolitische Repressionen gegen antistalinistische Kräfte eingesetzt, wobei insbesondere die Inhaftierung und Verurteilung der Gruppe um den Ost-Berliner Philosophie-Dozenten W. Harich und Auseinandersetzungen um die revisionistischer Ideologie beschuldigte Philosophie des von 1948 bis zur Zwangsemeritierung 1957 in Leipzig lehrenden E. Bloch eine Rolle spielten. Die SED orientierte sich jetzt wieder verstärkt auf die Erfordernisse der sozialistischen Kulturrevolution im Zusammenhang mit den politischen und ökonomischen Aufgaben des zweiten Fünfjahrplanes. In der Bil[S. 770]dungspolitik bedeutete dies die Einführung der polytechnischen Bildung in den Unterricht, die 1959 mit der Errichtung der 10klassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule für alle Schüler Gesetz wurde. In der Kunstpolitik hieß das die Herstellung engerer Verbindungen zwischen Kunstproduzenten und -konsumenten, die Schriftsteller und Künstler dadurch realisieren sollten, daß sie sich mit Leben und Arbeit an den Schwerpunkten industriellen und landwirtschaftlichen Aufbaus vertraut machen.

 

Besonders forciert wurde diese K. mit der Zielvorstellung einer Überwindung der „noch vorhandenen Trennung von Kunst und Leben, der Entfremdung zwischen Künstler und Volk“ durch die als 1. Bitterfelder Konferenz bekanntgewordene Autorenkonferenz des Mitteldeutschen Verlages Halle vom 24. 4. 1959 im Kulturpalast des VEB Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld. Die hier von W. Ulbricht ausgegebenen kulturpolitischen Direktiven wurden in der Folgezeit als Bitterfelder Weg popularisiert. Sie beinhalteten u.a. Bestrebungen zur Erhöhung des Kulturniveaus der Arbeiter, wie die Einbeziehung von „Kultur- und Bildungsplänen“ der Arbeitskollektive in den sozialistischen Wettbewerb und eine starke Förderung des künstlerischen Volksschaffens, z.B. durch die „Bewegung Schreibender Arbeiter“ und „Junger Talente“ sowie die Bildung von Arbeiter- und Bauerntheatern aus Laien.

 

Auf der 2. Bitterfelder Konferenz am 24./25. 4. 1964 wurde u.a. auf den Zusammenhang der Kulturrevolution mit der wissenschaftlich-technischen Revolution hingewiesen; die durch diese aufgeworfenen Probleme standen besonders Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre auch im Mittelpunkt verschiedener literarischer Werke, Theaterstücke, Filme und Fernsehspiele. 1965 wurde mit dem Gesetz über das Einheitliche sozialistische Bildungssystem in Fortführung der Schulreform von 1959 nunmehr der gesamte Bildungs- und Ausbildungsbereich neu geregelt. Zu seinen Bestandteilen gehören die Einrichtungen der Vorschulerziehung (Kinderkrippen und Kindergärten), die 10klassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule, die Einrichtungen der Berufsausbildung, die zur Hochschulreife führenden Bildungseinrichtungen, die Ingenieur- und Fachschulen, die Universitäten und Hochschulen, die Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung der Berufstätigen sowie die Sonderschuleinrichtungen. In allen Bildungseinrichtungen wird auf der Grundlage staatlicher Lehrpläne gearbeitet, für die das Ministerium für Volksbildung bzw. für Hoch- und Fachschulwesen verantwortlich ist. Die 3. Hochschulreform, deren Inhalte und Ziele vom VII. Parteitag der SED 1967 präzisiert wurden, koordinierte Lehre und Forschung mit den Bedürfnissen und den planmäßigen Veränderungen in den Betrieben.

 

Der „Bitterfelder Weg“ führte in der Praxis zeitweise zu einer Nivellierung kunstästhetischer Maßstäbe. Kontroversen zwischen Vertretern der SED-K. und verschiedenen Künstlern entstanden auch aus unterschiedlichen Meinungen über die kritische Funktion der Kunst. Die nach der äußeren Abgrenzung durch die Maßnahmen des 13. 8. 1961 in Berlin erreichte innere Konsolidierung der DDR erlaubte nach Meinung dieser Künstler und einiger Kulturpolitiker eine offenere Auseinandersetzung mit Mängeln der eigenen Gesellschaft. Verschiedene Werke der Literatur, des Theaters und des Films, in denen diese Einstellung zum Ausdruck kam, wurden Mitte der 60er Jahre offizieller Kritik unterzogen, teilweise vom Spielplan abgesetzt bzw. durften nicht erscheinen. Davon betroffen waren u.a. Schriftsteller wie V. Braun, P. Hacks, St. Heym und Ch. Wolf. Waren die entsprechenden Differenzen vor allem durch das 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 offenkundig und beeinflußt worden, so markierte der VIII. Parteitag der SED im Juni 1971 den Beginn eines positiveren Verhältnisses zwischen Künstlern und Partei, das seitdem mehrfach durch Begriffe wie „gegenseitiges Vertrauen“ und „schöpferische Atmosphäre“ gekennzeichnet wurde.

 

Auf dem VIII. Parteitag der SED (1971) wurden Schriftsteller und Künstler zum „offenen, sachlichen, schöpferischen Meinungsstreit“ ermuntert und ihrer „schöpferischen Suche nach neuen Formen volles Verständnis“ zugesichert. E. Honecker ergänzte bald darauf diese Ankündigungen einer „offeneren“ K. durch die Feststellung, daß, „wenn man von festen Positionen des Sozialismus ausgeht, … es … auf dem Gebiet von Kunst und Literatur keine Tabus geben“ könne. Die für die durch den VIII. Parteitag der SED eingeleitete neue Phase der K. gültigen Richtlinien wurden auf der 6. Tagung des ZK der SED am 6./7. 7. 1972 präzisiert. K. Hager erklärte im Grundsatzreferat, daß es in der K. „um die Befriedigung sehr differenzierter kultureller und künstlerischer Bedürfnisse“ gehe und „in der Kunst des sozialistischen Realismus … eine reiche Vielfalt der Themen, Inhalte, Stile, Formen und Gestaltungsweisen zu erschließen“ sei. Die in den letzten Jahren bei der Auslegung des Begriffs „Sozialistischer Realismus“ gewonnene zunehmende Variationsbreite wurde noch einmal durch den ausdrücklichen Hinweis auf „Weite und Vielfalt aller Möglichkeiten des sozialistischen Realismus“ unterstrichen, gleichzeitig aber betont, daß dies „jede Konzession an bürgerliche Ideologien und imperialistische Kunstauffassungen“ ausschließe.

 

Die Gestaltung von Widersprüchen und Konflikten in Kunstwerken sollte zukünftig auch dann legitim sein, wenn dabei keine fertigen Lösungen angeboten würden. „Das ‚Kritische Element‘“ erweise sich aber „nur produktiv in seinem dialektischen Verhältnis zur konstruktiven Funktion der Kunst in der [S. 771]sozialistischen Gesellschaft“. Besonders hervorgehoben wurde ferner die künstlerische und gesellschaftliche Bedeutung des Heiteren. Schließlich hieß es: „Der Arbeitsstil aller leitenden Organe der Partei, des Staates und der gesellschaftlichen Organisationen muß durch Sachlichkeit und Sachkenntnis, durch das verständnisvolle Verhalten zu den Künstlern und Künsten, durch das umsichtige Fördern aller Talente geprägt sein. In ihm verbinden sich Prinzipienfestigkeit mit Feinfühligkeit für die vielschichtigen und komplizierten kulturell-künstlerischen Prozesse, die das für das weitere Erblühen der Kunst und Kultur gedeihliche Klima gewährleisten.“ Daß sich der so umrissene neue „verwissenschaftlichte“ und von den administrativ-dogmatischen Methoden der 50er und 60er Jahre unterscheidende Führungsstil der Partei auf dem Gebiet der K. allmählich durchsetzte, ist auch eine Folge der in den 60er Jahren begonnenen Ausbildung von „Kulturkadern“ in speziell konzipierten Hochschulstudiengängen und Sonderlehrgängen.

 

Die sich in diesen theoretischen Äußerungen dokumentierenden Modifikationen in der K. seit dem VIII. Parteitag blieben auf dem Gebiet der Kunst nicht ohne Konsequenzen. Einige bislang unterdrückte Werke durften erscheinen; zeitweise repressiv behandelte Künstler erfuhren eine Aufwertung; bessere Möglichkeiten zur Entfaltung formaler und inhaltlicher Eigenarten führten zu höherer Qualität künstlerischer Produkte; die Rolle des Individuums in der sozialistischen Gesellschaft rückte stärker in den Mittelpunkt künstlerischer Gestaltung; bisher durch ideologische Bedenken eingeschränkte Möglichkeiten zum Kennenlernen und zur Auseinandersetzung mit künstlerischen Werken der Vergangenheit und Gegenwart aus dem sozialistischen und kapitalistischen Ausland wurden erweitert.

 

Unter Spezialisten wurden in Fachzeitschriften mit geringer Auflage („Sinn und Form“, „Weimarer Beiträge“) kontroverse Diskussionen über die Funktion der Literatur geführt; gegen den Widerstand führender Funktionäre wurden der Druck und die Aufführung des Theaterstückes über den jugendlichen Außenseiter Edgar Wibeau „Die neuen Leiden des jungen W.“ von Ulrich Plenzdorf ermöglicht. Zunächst schien die SED-Führung diesen Kurs weiter steuern zu wollen. Sie verband Mitte der 70er Jahre mit der vorläufigen Absage an die Einheit der deutschen Nation eine stärkere Betonung der „sozialistischen Nationalkultur“ und bemühte sich um eine Erweiterung des Begriffs Kulturelles Erbe. Das „Programm der SED“, vom IX. Parteitag (1976) verabschiedet, forderte für die künstlerische Entwicklung „eine [S. 772]Atmosphäre, die durch hohe ideelle, moralische und ästhetische Ansprüche an die Kunstschaffenden, durch verständnisvolles Verhalten gegenüber den Künstlern sowie durch die Förderung aller Talente charakterisiert wird“. Diese Politik lief parallel zu den politischen Auswirkungen, die die DDR-Führung nach der Sicherheitskonferenz von Helsinki (1975) (Außenpolitik, IV.) und der Berliner Konferenz kommunistischer und Arbeiterparteien vom Juni 1976 (Eurokommunismus) zu bewältigen hatte. Künstler und Schriftsteller diskutierten und gestalteten immer stärker nicht nur die Vorzüge, sondern auch die Nachteile des „realen Sozialismus“. Ein Eklat bahnte sich am 29. 10. 1976 an. An diesem Tag schloß der Bezirksverband Erfurt des DDR-Schriftstellerverbandes den Autor des Buches „Die wunderbaren Jahre“, Reiner Kunze, aus seinen Reihen aus. Am 3. 11. bestätigte das Verbandspräsidium diesen Beschluß. 13 Tage später, am 16. 11. 1976, wurde der „Liedermacher“ Wolf Biermann nach einem Konzert-Auftritt in Köln, der ihm von den Behörden in Berlin (Ost) zuvor genehmigt worden war, von der DDR durch Aberkennung der Staatsbürgerschaft in Abwesenheit ausgebürgert. Unmittelbar darauf begann eine bis dahin einmalige Solidaritäts-Aktion führender Schriftsteller und Künstler aus der DDR, der sich über hundert Künstler aller Kunstrichtungen anschlossen. Sie wandten sich in einem westlichen Presse-Agenturen übergebenen Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung und baten die Parteiführung, „die beschlossenen Maßnahmen zu überdenken“. Eine von der SED-Führung in den Medien im Gegenzug inszenierte Zustimmungskampagne zu ihrem Beschluß vertiefte allerdings nur die Kluft zwischen parteikonformen Künstlern und denen, die gleichzeitig Solidarität mit Biermann üben und die seit Anfang der 70er Jahre errungenen künstlerischen Freiräume verteidigen wollten. Das Mitglied des Politbüros der SED Kurt Hager beschuldigte Ende November 1976 die „gegnerische Propaganda“, den Eindruck zu erwecken, „daß die Intelligenz der DDR mit dem Kurs des VIII. und IX. Parteitags unzufrieden sei und einen anderen, einen Dritten Weg suche“. Gleichzeitig kündigte er an, daß mit denjenigen Genossen, die gegen die Ausbürgerung protestiert hatten, „die Auseinandersetzung in ihrer Parteiorganisation“ erfolgen werde.

 

Am 25. 1. 1977 faßte das SED-Politbüro einen Beschluß „über die politisch-ideologische Führung des geistig-kulturellen Lebens“. Sein Wortlaut wurde bisher nicht veröffentlicht. Lediglich Kernsätze daraus wurden von Generalsekretär Honecker auf dem 5. ZK-Plenum zitiert. Sie finden sich auch im „Kulturpolitischen Wörterbuch“, Berlin (Ost), 1978, 2., überarb. Aufl., S. 404: „Jeder Künstler, dessen Werke dem Frieden, dem Humanismus, der Demokratie, der antiimperialistischen Solidarität und dem realen Sozialismus verpflichtet sind, hat reiche Wirkungsmöglichkeiten. Die Grundfrage ist und bleibt die künstlerische Verantwortung im und für den Sozialismus. Durch ihre Kulturpolitik fördert die SED die Entwicklung einer schöpferischen Atmosphäre, die durch hohe ideelle, moralische und ästhetische Ansprüche und durch prinzipienfestes und zugleich vertrauensvolles Verhalten gegenüber den Schriftstellern und Künstlern gekennzeichnet ist.“

 

Die praktische Umsetzung dieser widersprüchlichen Politik hinterließ tiefe Spuren in der Kulturlandschaft der DDR. Die angekündigte „Auseinandersetzung“ mit den Biermann-Sympathisanten hatte weitreichende psychologische Folgen. Enge Freunde des „Liedermachers“ sowie Organisatoren von Protest-Resolutionen in der Provinz wurden wenige Tage nach dem Ausbürgerungs-Beschluß verhaftet und Monate später in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben. Einigen Schriftstellern und Schauspielern erfüllte man den Ausreisewunsch sofort. Für die Mehrzahl jedoch begannen langwierige und vielfach unerträgliche Diskussionen mit der Parteiführung und den Funktionären in den Künstlerverbänden. In ihrem Verlauf zog eine Reihe der prominentesten Künstler der DDR ein ungewisses Schicksal im Westen der ständigen Bevormundung durch die Kulturfunktionäre der SED vor. Schriftsteller (Manfred Jentzsch, Reiner Kunze, Sarah Kirsch, Jurek Becker, Hans-Joachim Schädlich), Schauspieler (Manfred Krug), Regisseure (Adolf Dresen), Komponisten (Thilo Medek), um nur die wichtigsten zu nennen, wurden im Lauf des Jahres 1977 aus der DDR-Staatsbürgerschaft entlassen oder erhielten für einen längeren „Urlaub“ die Ausreisegenehmigung aus der DDR. Unter dem Eindruck ihres Weggangs begannen zahlreiche der Biermann-Sympathisanten, die aus Überzeugung entschlossen waren in der DDR zu bleiben, mit Hilfe westlicher Medien, vor allem des Fernsehens, eine Diskussion über die Rolle des Künstlers und das Wesen der sozialistischen Gesellschaft zu führen. Die bei diesen Gelegenheiten geäußerten Zweifel fielen zeitlich und inhaltlich mit der Veröffentlichung des Buches „Die Alternative“ des DDR-Ingenieurökonomen Rudolf Bahro in der Bundesrepublik Deutschland zusammen, in dem ebenfalls von einer sozialistischen Position aus Möglichkeiten zur Überwindung des Widerspruchs zwischen Ideal und Wirklichkeit im „real existierenden Sozialismus“ gesucht wurden.

 

Selbst führende SED-Politiker warnten in dieser Zeit vor dem behaupteten „Austrocknen der DDR-Kulturlandschaft“. Die VIII. Kunstausstellung der DDR in Dresden im Herbst 1977 ließ wenigstens in der Bildenden Kunst noch Raum für Kritik erkennen. Auf dem Theater bedienten sich einige Regisseure des Umwegs über die Inszenierung ausländischer, zumeist sowjetischer Stücke, um einer Erstarrung künstlerischer Ausdrucksformen zu entgehen und neue stilistische und inhaltliche Darstellungsmittel ausprobieren zu können. Die nach dem VIII. Parteitag der SED (1971) eingeleitete vorsichtige Erweiterung des Buch- und Filmangebots aus dem westlichen Ausland wurde weitgehend aufrechterhalten.

 

Die meisten veröffentlichten Werke von schreibenden Biermann-Sympathisanten blieben, unabhängig davon, ob diese die DDR verlassen hatten oder nicht, auch weiterhin im Angebot der Buchhandlungen in der DDR. Einige neue Werke dieser Schriftsteller erschienen allerdings nur noch im Westen.

 

Diese widersprüchlichen Tendenzen waren auch auf dem IX. Kongreß des Kulturbundes der DDR (KB) im September 1977 zu erkennen. Während sein neugewählter Präsident Hans Pischner einräumte, „auf unserem Weg auch Fehler gemacht“ zu haben, vermochte Kurt Hager „nicht, irgendwelche Schwankungen“ der Kulturpolitik der SED zu erkennen. Geradezu beschwörend meinte er, daß es „niemandem und niemals gelingen (werde), das Vertrauensverhältnis zwischen unserer Partei und den Kulturkunstschaffenden zu zerstören“.

 

Der veröffentlichte Politbüro-Beschluß über die „Aufgaben der Literatur- und Kunstkritik“ vom November 1977 versuchte, zerstörtes Vertrauen wiederherzustellen. Danach sollen „Probleme nicht verwischt oder verschwiegen werden, Fehler oder Schwächen einzelner Kunstwerke sollten mit Verständnis für die Kompliziertheit künstlerischer Schaffensprobleme offen besprochen werden“. Der kulturpolitische Alltag allerdings sah, besonders bei der Vorbereitung des VIII. Schriftstellerkongresses der DDR im Mai 1978, anders aus. Durch Manipulationen bei der Nominierung wurden einige der bedeutendsten Schriftsteller der DDR nicht zum Kongreß delegiert. Andere verzichteten aus Solidarität mit gemaßregelten Kollegen von sich aus auf eine Teilnahme.

 

Die Kluft zwischen den Biermann-Sympathisanten und der Parteiführung konnte auf diese Weise nicht geschlossen werden. Sie wurde weiter aufgerissen, als Politbüro-Mitglied Konrad Naumann wenige Tage vor Beginn des Schriftstellerkongresses auf dem 8. ZK-Plenum im Mai 1978 Erinnerungen an das berüchtigte 11. Plenum des ZK der SED im Jahr 1965 weckte. Er hielt „einigen wenigen“ Schriftstellern, die im westlichen Ausland publiziert hatten, ihre Deviseneinnahmen vor und diffamierte sie als „bürgerliche Künstler“. Daraufhin sprach Stephan Hermlin, einer der Initiatoren der Protesterklärung für Biermann, auf dem Kongreß von „Demagogie“ und bezeichnete sich selbst als einen „spätbürgerlichen Schriftsteller“. Nach dieser öffentlichen Kontroverse schienen sich beide Seiten intern zunächst um einen Ausgleich zu bemühen. Das kulturpolitische Klima blieb jedoch von schwer überbrückbaren Gegensätzen zwischen der Mehrzahl der Künstler und den Kultur-„Apparatschiks“ der Partei bestimmt.

 

Ende 1978 wurden Theaterstücke vor der Urauffüh[S. 773]rung abgesetzt („Die Flüsterparty“ von Rudi Strahl), die Ausstrahlung von Fernsehspielen aus politischen Gründen verschoben („Geschlossene Gesellschaft“ von Klaus Poche). Anfang 1979 erschienen 2 Romane von DDR-Autoren, die sich kritisch mit den herrschenden Zuständen in ihrem Land auseinandersetzten, nur im Westen: Stefan Heyms „Collin“ über die stalinistische Vergangenheit der DDR, Rolf Schneiders „November“ über die Biermann-Ausbürgerung. Erich Honecker, der sich bis dahin mit richtungweisenden Erklärungen zur K. eher zurückgehalten hatte, stellte sich zur selben Zeit hinter den scharfen kulturpolitischen Kurs Konrad Naumanns.

 

Die unmittelbaren Folgen ließen nicht lange auf sich warten. Zunächst erließ die DDR-Führung eine neue „Durchführungsbestimmung über die Tätigkeit auswärtiger Korrespondenten in der DDR“, die „Interviews und Befragungen jeder Art“ genehmigungspflichtig machte. Damit wurde für kritische Künstler die direkte Äußerung über westliche Medien unmöglich gemacht. Als Stefan Heym gegen diese Vorschrift verstieß, wurde der ZDF-Korrespondent Peter van Loyen umgehend ausgewiesen. Wegen der Veröffentlichung von „Collin“ im Westen wurde Heym kurz darauf unter dem Vorwand des Verstoßes gegen die Devisengesetze der DDR zu 9.000 Mark Geldstrafe verurteilt. Gegen diese Art der Maßregelung wandten sich am 16. 5. 1979 acht DDR-Autoren in einem Brief an Honecker, dessen Wortlaut im Westen allerdings nie bekannt wurde. Im Gegenzug bezeichnete der Schriftsteller Dieter Noll („Kippenberg“) in einem Schreiben an das „Neue Deutschland“ seine Kollegen Heym, Seyppel und Schneider als „kaputte Typen“. Die Auseinandersetzung erreichte einen neuen Höhepunkt, als der Bezirksverband Berlin des DDR-Schriftstellerverbandes am 7. 6. 1979 beschloß, Kurt Bartzsch, Adolf Endler, Stefan Heym, Karl-Heinz Jakob, Klaus Poche, Klaus Schlesinger, Rolf Schneider, Dieter Schubart und Joachim Seyppel „aus seinen Reihen auszuschließen“. Die am 1. 8. 1979 in Kraft getretene 3. Strafrechts-Änderung stellt in § 21 die Weitergabe von „Nachrichten, Schrift-Manuskripten und anderen Materialien, die geeignet sind, den Interessen der DDR zu schaden“, unter Strafe (Staatsverbrechen), um vor allem die unerwünschten Westverbindungen der Künstler zu unterbinden.

 

Die Folgezeit war von dem Bemühen der Parteiführung gekennzeichnet, innerhalb der nunmehr eng gezogenen Grenzen erneut um Ausgleich und Verständigung zu werben. Einige der gemaßregelten Autoren wie Poche, Schlesinger, Jakobs und Seyppel erhielten mehrjährige Ausreisevisa zum Verbleib im Westen. Andere, obwohl nicht direkt attackiert, gingen den gleichen Weg, unter ihnen der Schauspieler Armin Müller-Stahl und der Schriftsteller Günter Kunert. Eine gewisse Lockerung zeigte sich in der Theater- und Verlagspolitik. Im Jahre 1980 wurde Heiner Müllers Stück „Der Bau“ 15 Jahre nach seiner Fertigstellung uraufgeführt. Von Stefan Heym erschien eine Neuauflage seines Romans „Goldsborough“. Ende des Jahres wurden 3 junge DDR-Schriftsteller, Thomas Erwin, Lutz Rathenow und Frank-Wolf Matthies wegen der Veröffentlichung von kritischen Werken im Westen zwar verhaftet, jedoch nach kurzer Zeit wieder freigelassen. Erwin und Matthies übersiedelten kurz darauf in die Bundesrepublik. Der X. Parteitag der SED blieb mit seinen kulturpolitischen Aussagen eher unverbindlich. Zwar gab es unterschiedliche Meinungen, gemäßigt wie die des Akademie-Präsidenten Konrad Wolf und dogmatisch wie die des Vorsitzenden des Bezirksverbandes Berlin (Ost) des DDR-Schriftstellerverbandes Günter Görlich; Konsequenzen wurden aus ihnen jedoch nicht gezogen. Einen neuen Akzent erhielt die K. der DDR Mitte Dezember 1981 durch die „Berliner Begegnung zur Friedensförderung“. Unmittelbar im Anschluß an das Schmidt/Honecker-Treffen vom Werbellinsee (Dez. 1981), führte der Schriftsteller Stephan Hermlin auf private Initiative, aber mit allerhöchster Genehmigung, Autoren aus Ost und West, vor allem aber aus beiden deutschen Staaten, zusammen, um über den Frieden zu diskutieren. Unter den Teilnehmern fanden sich auch Autoren, die die DDR vor nicht allzu langer Zeit in der Folge der Auseinandersetzungen im Schriftstellerverband verlassen hatten (Friedensbewegung). Die Diskussionen auf dieser Veranstaltung vor Kameras und Mikrofonen offenbarte Gegnerschaft zwischen den nicht immer nach Ost- bzw. Westherkunft politisch einander gegenüberstehenden Künstlern und Wissenschaftlern, aber nicht Feindschaft. Im Ergebnis leistete sie u.a. einen Beitrag zur teilweisen Wiederherstellung des nach der Biermann-Ausbürgerung so schwer ramponierten kulturellen Rufs der DDR. Die Fortsetzung des Treffens im Mai 1982 in Den Haag ging über das in Ost-Berlin bereits Gesagte kaum hinaus; es fehlte ihr nicht zuletzt die Brisanz, die der „Berliner Bewegung“ aus der Wahl des Tagungsortes erwuchs. War es in Berlin (Ost) noch möglich gewesen, Teilnehmer und Beobachter der Tagung gegenseitig von dem ehrlichen Friedenswillen zu überzeugen, taten sich im Laufe des Jahres 1982 tiefe Konflikte zwischen Initiatoren und Teilnehmern auf den Konferenzen der einen und Skeptikern bzw. Nicht-Eingeladenen auf der anderen Seite auf. Der hoffnungsvoll begonnene Dialog versandete in gegenseitigen Vorwürfen. Etwa zur gleichen Zeit schien sich der offizielle kulturpolitische Kurs Ost-Berlins wieder zu verschärfen. Auf einer „Kulturkonferenz der FDJ“ im Oktober 1982 wurde heftige Kritik geübt an der Tatsache, daß mit einem DDR-Paß ausgereiste Autoren sich im Westen nach wie [S. 774]vor kritisch über ihren Staat äußerten. Ihnen wurde „fortgesetzter Verrat an unserer Heimat und unseren Idealen“ vorgeworfen, namentlich genannt wurden Rolf Schneider, Klaus Poche und Karl-Heinz Jakobs.

 

Befürchtungen, daß solche Schelte auch interne Auswirkungen haben würde, bewahrheiteten sich indessen nicht. Der IX. Schriftstellerkongreß der DDR Ende Mai 1983 verlief, anders als der fünf Jahre zuvor, sowohl in der Vorbereitung als auch bei der Durchführung in geregelten Bahnen. Der wiedergewählte Verbandspräsident Hermann Kant gab die Losung aus, daß „über manche Angelegenheit, die uns zu ihrer Zeit sehr in Rage gebracht hat, inzwischen Gras gewachsen“ sei.

 

Man bemühte sich um Konsolidierung, es fehlten die namentlichen Attacken. Es fehlten unter den Rednern mit Ausnahme Stephan Hermlins aber auch die großen Namen der DDR-Literatur: Christa Wolf, Franz Fühmann, Günter de Bruyn.

 

Die auch nach Beginn der Raketenstationierung Ende 1983 von Honecker betriebene Politik der „Schadensbegrenzung“, die verbunden war mit mehr Flexibilität gegenüber der Bundesrepublik, blieb auch auf die Kulturpolitik nicht ohne Auswirkungen. Am Ostberliner Maxim Gorki-Theater wurde das Stück „Der Georgsberg“ von Rainer Kerndl nach drei Aufführungen abgesetzt, vermutlich deshalb, weil sich der Autor allzu kritisch mit dem Ausverkauf sozialistischer Ideale durch westliche Valuta — Stichwort: Milliardenkredit — auseinandergesetzt hatte. Im Frühjahr 1984, auf dem Höhepunkt der Ausreisewelle, erschienen in der Zeitschrift „Sinn und Form“ zwei „Tonbandprotokolle aus dem Havelgrund“, in denen offen die mangelnden Reisemöglichkeiten beklagt wurden.

 

III. Kulturapparat, Institutionen und Organisationen

 

 

Die Anleitung und Kontrolle der K. erfolgt zentral über entsprechende Abteilungen im Zentralkomitee (ZK) der SED und die Ministerien für Kultur, für Volksbildung und für Hoch- und Fachschulwesen, das Staatssekretariat für Körperkultur und Sport, das Staatssekretariat für Berufsbildung, das Amt für Jugendfragen beim Ministerrat und die mit diesen Fragen befaßten Ausschüsse der Volkskammer. Bei den Räten der Bezirke, Kreise, Städte, Stadtbezirke und Gemeinden bestehen Abteilungen für Kultur, für Volksbildung, für Arbeit und Berufsausbildung und für Jugendfragen sowie ständige Kommissionen für Kultur, denen Abgeordnete der Volksvertretungen und kulturell interessierte Mitglieder gesellschaftlicher Organisationen angehören. Eine wichtige Rolle bei der Kulturvermittlung — entweder durch die Organisierung von Veranstaltungen in Klub- und Kulturhäusern oder als Anreger kultureller Bildung — spielen Kulturbund, Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB) (mit rd. 250.000 Kulturobleuten in den Betriebsgewerkschaftsgruppen); Kulturarbeit des FDGB), Freie Deutsche Jugend (FDJ), Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) und Urania (Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse). Für die Durchführung der den Kulturschaffenden gestellten kulturpolitischen Aufgaben mitverantwortlich sind die Akademie der Künste der DDR (AdK), die Gewerkschaft Kunst im FDGB (mit rd. 70.000 Mitgliedern = etwa 94 v.H. aller im kulturellen Bereich Tätigen) und die verschiedenen Künstlerverbände: Schriftstellerverband der DDR, Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR (VKM), Verband Bildender Künstler (VBK) der DDR, Verband der Theaterschaffenden der DDR, Verband der Film- und Fernsehschaffenden der DDR und Bund der Architekten der DDR (Architekten; Architektur). Diese Institutionen und Organisationen üben auch beratende Funktionen bei der Konzipierung der K. aus.

 

Die überwiegend volks- bzw. organisationseigenen Verlage sowie die wenigen kleinen privaten Verlage unterstehen mit ihrer Buch- und Zeitschriftenproduktion genauso wie das gesamte Filmwesen und die Staatstheater dem Ministerium für Kultur (Filmwesen; Theater; Verlagswesen); städtische Bühnen und Kabaretts unterstehen den örtlichen Staatsorganen, ebenso die in jedem Bezirk bestehenden Konzert- und Gastspieldirektionen, denen Organisierung und Durchführung aller übrigen künstlerischen Veranstaltungen ernster und unterhaltender Art obliegen. Das alleinige Recht zur Vermittlung von Künstlern und künstlerischen Ensembles aus der DDR ins Ausland und umgekehrt besitzt die Künstler-Agentur der DDR.

 

Zu Beginn der 80er Jahre machte die DDR verstärkt den Kulturaustausch mit westlichen Ländern zum Mittel der Politik (Kulturelle Zusammenarbeit). In Vorbereitung und in der Folge von Reisen des Staatsratsvorsitzenden Honecker nach Österreich, Japan und Mexiko nahmen die gegenseitigen Gastspiele von Künstlergruppen, Theatern und Orchestern beträchtlich zu. Auffallend war das Bemühen der DDR, sich im Sinne ihrer Definition des Kulturellen Erbes als Bewahrerin der „besten Traditionen deutscher Geschichte und Kultur“ darzustellen. Trotz Fehlens eines Kulturabkommens kam Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre auch der offizielle Kulturaustausch zwischen beiden deutschen Staaten in Gang. Er begann mit Foto-Ausstellungen und Film-Wochen und fand Ende 1982 seinen bisherigen Höhepunkt in einer westdeutschen Architekturausstellung, die in Ost-Berlin, Karl-Marx-Stadt und Magdeburg gezeigt wurde, sowie im Gegenzug in einer großen Schinkel-Ausstellung der DDR in Hamburg, die beim Schmidt/Honecker-Treffen am [S. 775]Werbellinsee im Dezember 1981 vereinbart worden war. Unmittelbar vor dem Regierungswechsel in Bonn im Herbst 1982 bot die DDR die Wiederaufnahme der Verhandlungen über ein Kulturabkommen zwischen beiden deutschen Staaten an und schlug vor, die strittige Frage der von ihr geforderten Herausgabe von Kunstwerken aus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz auszuklammern.

 

IV. Finanzierung kultureller Aufgaben und materielle Lage der Kulturschaffenden

 

 

Zum Teil durch Subventionierung aus dem Staatshaushalt sind die Kosten für Kulturgüter für den Konsumenten relativ niedrig; z.B. betragen die Preise für Bücher oft nur etwa ein Drittel vergleichbarer Ausgaben in der Bundesrepublik, Schallplatten kosten zwischen 4,10 Mark (Singles) und 16,10 Mark (LP), die Eintrittspreise der Kinos bewegen sich zwischen 0,50 und 3 Mark. Durch einen Aufschlag von 0,05 bzw. 0,10 Mark auf Eintrittspreise bei Kulturveranstaltungen, Rundfunkgebühren und Schallplattenpreise wird der 1949 gegründete Kulturfonds der DDR finanziert. Er untersteht dem Ministerium für Kultur und wird durch ein Kuratorium verwaltet, dem u.a. die Präsidenten der Künstlerverbände, der Akademie der Künste, der Vorsitzende der Gewerkschaft Kunst und der 1. Bundessekretär des Kulturbundes der DDR angehören. Es entscheidet aufgrund staatlicher Richtlinien über die Verwendung der Mittel zur Förderung sozialistischer Kunst, z.B. für die Finanzierung bestimmter in Auftrag gegebener Kunstwerke und für die „Verbesserung der Lebens- und Schaffensbedingungen der Schriftsteller und Künstler“.

 

Auftraggeber für Künstler, vor allem in den Bereichen der bildenden Kunst, der Dramatik, der Musik, des Films, aber auch in der Literatur, sind neben entsprechenden Kultureinrichtungen, wie Theater, Orchester, DEFA u.a., staatliche Institutionen, Betriebe und gesellschaftliche Organisationen. Zum Teil bestimmen die Aufträge als unmittelbare Partner der Künstler Arbeitskollektive aus den Betrieben, um auf diese Weise engere Beziehungen zwischen Kunstproduzenten und -konsumenten zu fördern. Die aus unterschiedlichen Auffassungen von Künstlern und Auftraggebern resultierenden Konflikte führten immer wieder zu Aufforderungen seitens kulturpolitischer Leitungsorgane, den individuellen künstlerischen Schaffensprozessen größeres Verständnis entgegenzubringen. Kulturminister Hans-Joachim Hoffmann und der Sekretär des Rates für Kultur beim Minister für Kultur, Dr. Werner Kühn, betonten im theoretischen Organ des ZK der SED „Einheit“ (Nr. 6/1974), daß es bei der Auftragserteilung „nicht allein um Pläne und Beschlüsse“ gehe. Der „gesellschaftliche Auftrag“ sei nicht nur als „das Bestellen von Kunstwerken“, sondern „als eine produktiv-geistige Anregung, als Formulierung gesellschaftlicher Erwartung, als Ausdruck von Bedürfnis nach Kunsterlebnis“ zu verstehen. Man dürfe „unter keinen Umständen jenen Auftrag zurückstellen oder vergessen, den sich der Künstler selbst erteilt“. Vier Jahre später („Einheit“, Nr. 7/8, 1978) schrieben dieselben Autoren, „die Freiheit des künstlerischen Schaffens“ erweise sich „als eine spezifische Verflechtung der Absichten und des Schaffens der Künstler und der sozialen Bedürfnisse und Erfordernisse der Gesellschaft, von Kunst und Volk“.

 

 

Ein umfangreiches System in der Regel mit steuerfreien Geldzuwendungen verbundener Preise und Auszeichnungen auf dem Gebiete der Kultur, Wissenschaft und Pädagogik sowie Stipendien, bevorzugte Wohnraumbeschaffung und Reisemöglichkeiten bieten zusätzliche materielle Anreize für Leistungen im Sinne der K. Bildende Kunst; Laienkunst; Literatur und Literaturpolitik; Musik; Unterhaltungskunst.

 

(Heinz Kersten)/Harald Kleinschmid

 

Literaturangaben

  • Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED. Hrsgg. v. Elimar Schubbe. Stuttgart: Seewald 1972.
  • Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED 1971–1974. Hrsgg. v. Gisela Rüß. Stuttgart: Seewald 1976.
  • Hager, Kurt: Beiträge zur Kulturpolitik. Reden und Aufsätze 1972–1981. Berlin (Ost): Dietz 1981. (Studienbibliothek der marxistisch-leninistischen Kultur- und Kunstwissenschaften.)
  • Jäger, Manfred: Kultur und Politik in der DDR. Köln: Wissenschaft u. Politik 1982.
  • Die geistige Kultur der sozialistischen Gesellschaft. Berlin (Ost): Dietz 1976.
  • Kultur in den Kämpfen unserer Zeit. Zur ideologischen Klassenauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus auf dem Gebiet von Kultur und Kunst. Leiter d. Autorenkoll. Dieter Ulle. Berlin (Ost): Dietz 1981.
  • Literaturpolitik und Literaturkritik in der DDR. Eine Dokumentation. Hrsgg. von Helmut Fischbeck. 2., durchges. u. erw. Aufl. Frankfurt a. M., Berlin, München: Diesterweg 1979. (Texte und Materialien zum Literaturunterricht.)
  • [S. 776]Raddatz, Fritz Joachim: Traditionen und Tendenzen. Materialien zur Literatur der DDR. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1972.
  • Schriftsteller der DDR. Ltg. d. Autorenkoll. u. Gesamtredaktion Kurt Böttcher, in Zusammenarbeit mit Herbert Greiner-Mai. Leipzig: Bibliographisches Institut 1974. (Meyers Taschenlexikon.)
  • Streisand, Joachim: Kultur in der DDR. Studien zu ihren hist. Grundlagen und ihren Entwicklungsetappen. Berlin (Ost): Deutscher Verl. d. Wissenschaften 1981.

 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 767–776


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.