
Lehrplanreform (1985)
Siehe auch die Jahre 1975 1979
Kernstück jeder Bildungs- bzw. Schulreform ist nicht nur die strukturelle, sondern vor allem die intentional-inhaltliche Reform, also die L.; dies gilt besonders für das gesamte Bildungssystem der DDR. 1970 hatte in der DDR mit dem VII. Pädagogischen Kongreß ein bestimmter, für das Bildungswesen wichtiger Entwicklungsabschnitt im wesentlichen seinen Abschluß gefunden. Mit dem neuesten, umfangreichen Lehrplanwerk für die Vorschulerziehung, für die allgemeinbildenden Schulen, für die Berufsausbildung und für die Aus- und Weiterbildung der Lehrer und Erzieher sowie mit der neuen Aufgabenstellung für die staatsbürgerliche Erziehung (Politisch-Ideologische bzw. Staatsbürgerliche ➝Erziehung) waren die Ziele und Inhalte einer DDR-spezifischen, sozialistischen Bildungs- und Erziehungspolitik einschließlich der Grundlinien ihrer unterrichtlichen Verwirklichung für die nächste Zukunft festgelegt worden.
Nach Abschluß einiger Ergänzungen und Korrekturen der Lehrplanneugestaltung in den Jahren 1971–1975 sehen die Bildungspolitiker und Pädagogen der DDR ihre vordringliche Aufgabe gegenwärtig vor allem darin, diese Ziele und Inhalte nach Möglichkeit in die Praxis umzusetzen. In den ersten Jahren der Entwicklung der allgemeinbildenden Schule in der SBZ bzw. DDR wurden nur wenig miteinander verbundene Lehrpläne erstellt, die von Jahr zu Jahr revidiert werden mußten, auch wenn bei den im Jahre 1951 veröffentlichten Lehrplänen rückblickend zuweilen von einem „Lehrplanwerk“ gesprochen wird. Tatsächlich wurde jedoch erst 1959 das erste geschlossene Lehrplanwerk für die allgemeinbildende Schule vorgelegt, das dazu beitragen sollte, entsprechend dem Gesetz über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens in der DDR vom 2. 12. 1959, die „sozialistische“ Schule in der DDR endgültig zu etablieren.
Im Zusammenhang mit der Ausarbeitung und Verkündigung des Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem vom 25. 2. 1965 erfolgten dann auf der Grundlage des Lehrplanwerkes von 1959 in den folgenden Jahren die Erarbeitung und Einführung eines neuen Lehrplanwerkes, von dem die Schulpolitiker und Pädagogen erwarten, daß es die Schule in den Stand setzt, die ihr übertragene gesellschaftliche „Schrittmacherfunktion“ durch die Schaffung des erforderlichen Bildungsvorlaufes zu erfüllen. Die neuen Lehrpläne legen demnach sowohl ein neues, mit den prognostisch ermittelten Anforderungen von Gesellschaft und Volkswirtschaft übereinstimmendes Persönlichkeitsziel als auch den Inhalt einer dementsprechenden schulischen Allgemeinbildung fest; dies wird jedoch als eine wesentliche Umgestaltung angesehen. Was die Umsetzung der neuen Lehrpläne in die Unterrichtswirklichkeit als die wichtigste schulpolitische und schulpädagogische Aufgabe der 70er Jahre anging, so wurde gefordert, Stabilität und Flexibilität in der Arbeit mit den neuen Lehrplä[S. 823]nen miteinander zu verbinden. Dabei wurden gewisse Unterschiede in der Auffassung der Schulpädagogen und der Bildungspolitiker deutlich. Während die Pädagogen das Schwergewicht auf die Flexibilität, und zwar als permanente Lehrplanrevision legen, zumindest aber für ein Gleichgewicht von Flexibilität und Stabilität eintreten, betonen die Bildungspolitiker die Stabilität, d.h. die langfristige Gültigkeit der Lehrpläne.
Die Erarbeitung und Einführung der neugestalteten Lehrpläne für die allgemeinbildenden Schulen erfolgte von wenigen Ausnahmen abgesehen
1. schulstufenweise, d.h. getrennt für die Klassen 1–4, für die Klassen 5–10 sowie für die Vorbereitungsklassen 9 und 10 und die Klassen 11 und 12,
2. in 2 Etappen, d.h. zunächst als präzisierte Lehrpläne, dann als neue Lehrpläne,
3. jahrgangsweise, d.h. die Lehrpläne wurden jeweils für eine Klasse in einem Jahr, für die nächstfolgende Klasse im nächstfolgenden Jahr usw. erarbeitet und eingeführt und
4. blockweise, d.h. so, daß die präzisierten bzw. die neuen Lehrpläne eines Faches für mehrere Klassen oder für mehrere Fächer einer Klasse erarbeitet und eingeführt wurden.
Als besonderes Charakteristikum der neugestalteten Lehrpläne wird hervorgehoben, daß mit der Strukturierung der Inhalte der Fachlehrpläne nicht nur nach fachlichen, sondern auch nach den politisch-ideologischen Leitlinien „die Potenzen des Unterrichtsstoffes für die politisch-ideologische Erziehung deutlicher herausgearbeitet“ wurden. Damit genüge das neue Lehrplanwerk besser den gesellschaftlichen Anforderungen und Möglichkeiten der Zeit. Auf dem VIII. Parteitag der SED (1971) wies E. Honecker jedoch darauf hin, daß die volle inhaltliche Ausgestaltung der Oberschule eine Aufgabe ist, deren Lösung mit der vollen Einführung der neuen Lehrpläne im Grunde erst in Angriff genommen worden sei. Diese grundsätzliche Auffassung wurde auch auf dem IX. (1976) und dem X. (1981) Parteitag der SED bestätigt und dadurch unterstrichen, daß seit 1981 einige Lehrpläne, z.B. für den polytechnischen Unterricht der Oberschule und für die Abiturstufe, erneut überarbeitet wurden.
Unbeschadet einer Reihe von Schwächen der inhaltlichen und strukturellen Gestaltung der neuen Lehrpläne muß jedoch festgestellt werden, daß mit der Erarbeitung und Einführung des neuen Lehrplanwerks für die allgemeinbildenden Schulen in der DDR eine umfangreiche lehrplanreformerische Arbeit geleistet wurde, die beachtenswert ist; denn mit den neuen Lehrplänen — allein für die allgemeinbildenden Schulen handelt es sich um rund 150 neu geschaffene Einzellehrpläne — wurden jeweils auch die entsprechenden curricularen Nachfolgematerialien wie Schul- und Lehrbücher, Unterrichtshilfen für die Lehrer (Unterrichtsmittel und programmierter Unterricht) erarbeitet. Die damit erbrachte Leistung wird noch größer, wenn man berücksichtigt, daß in der gleichen Zeit für die Vorschulerziehung der „Bildungs- und Erziehungsplan für den Kindergarten“, für den Schulhort der „Plan für die Bildung und Erziehung im Schulhort“, vor allem aber für 315 Ausbildungsberufe, darunter 28 Grundberufe, die entsprechenden Rahmenausbildungsunterlagen (zum Teil zweimal: 1969–1977 und 1977/78), für die Aus- und Weiterbildung der Lehrer die mit den neu gestalteten Lehrplänen entsprechend abgestimmten Studien- und Weiterbildungsprogramme sowie jeweils dazu die entsprechenden Nachfolgematerialien vorgelegt wurden. Diese Leistung war nur durch eine große, konzentrierte kooperative Anstrengung aller beteiligten Kräfte möglich. Ob die Ergebnisse der Arbeit nach den neuen Lehrplänen auch den unternommenen Anstrengungen entsprechen werden, ist noch nicht abzusehen. Zumindest für die besonders ideologieintensiven Lehrpläne, so insbesondere für den Staatsbürgerkunde- und den Geschichtsunterricht, ist bis 1984 festzustellen, daß sie wesentlich häufiger überarbeitet werden mußten als die Lehrpläne für andere Fächer. Einheitliches sozialistisches Bildungssystem.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 822–823
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