
Mathematik (1985)
Siehe auch die Jahre 1969 1975 1979
Die Anwendung der M. vor allem in den Gesellschaftswissenschaften wurde bis zum Beginn der 60er Jahre von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) skeptisch beurteilt bzw. abgelehnt. Sie befürchtete eine Formalisierung bzw. Objektivierung (Formalismus; Objektivismus) politischer Zusammenhänge und Entscheidungen (Politik) und dadurch eine Minderung ihrer eigenen Rolle. Obwohl seitdem in der DDR ein Prozeß der Mathematisierung (d.h.: „Prozeß des fortschreitenden Eindringens mathematischer Methoden in andere einzelwissenschaftliche Disziplinen“) in allen Wissenschaften zu beobachten ist, gibt es »gegenwärtig … noch keine einheitliche Auffassung über die prinzipiellen Möglichkeiten der M., insbesondere über die Grenzen der Mathematisierbarkeit der Wissenschaften. Das gilt vor allem auch bezüglich gesellschaftswissenschaftlicher Disziplinen und Untersuchungsgegenstände.
Unter den verschiedenen Vorurteilen gegenüber der Anwendung mathematischer Methoden in manchen Gebieten (darunter in gesellschaftswissenschaftlichen Teildisziplinen und in solchen der Biologie) erscheint für einen raschen Fortschritt die Vorstellung besonders hinderlich, daß es die M. angeblich nicht gestatte, dialektische Beziehungen und Prozesse zu erfassen, wie sie Untersuchungsgegenstand der verschiedenartigen einzelwissenschaftlichen Disziplinen sind. Offensichtlich ist aber, daß die mathematische Durchdringung verschiedener Natur-, Gesellschafts- und technischer Wissenschaften zu Resultaten geführt hat, die ohne Anwendung mathematischer Methoden nur sehr schwer oder gar nicht zu erlangen gewesen wären.« (Philosophie und Naturwissenschaften. Wörterbuch zu den philosophischen Fragen der Naturwissenschaften, Hrsgg. v. Herbert Hörz, Rolf Löther u. Siegfried Wollgast, Berlin [Ost] 1978, S. 562)
Besondere Bedeutung hat die Anwendung der M. zur Lösung ökonomischer Probleme erlangt. Sie setzte jedoch erst mit dem VI. Parteitag der SED (1963) und den von diesem eingeleiteten Reformen (Neues Ökonomisches System [NÖS]) ein. Neben der M. im engeren Sinne gewannen die Kybernetik und die Operationsforschung an Gewicht. Ziel des Einsatzes der M. in der Ökonomie war es, mit deren Hilfe tiefer in die quantitativen ökonomischen Zusammenhänge und Wechselbeziehungen einzudringen, um die sich vollziehenden Prozesse in mathematischen Modellen darzustellen oder zu simulieren. Die davon erhofften, verbesserten Planungs- und Leitungsmethoden sollten zur Erhöhung der Effektivität in der Wirtschaft entscheidend beitragen. Damit avancierte die M. zu einem „modernen wissenschaftlichen Leitungsinstrument“ neben Kybernetik und Elektronischer ➝Datenverarbei[S. 879]tung (EDV); sie nimmt gegenwärtig sowohl im Rahmen der Sozialistischen Leitungswissenschaft als auch innerhalb der Sozialistischen Betriebswirtschaftslehre eine nicht unbedeutende Stellung ein.
M. und EDV gelten als unerläßliche Instrumente bei der Umsetzung der ökonomischen Strategie der SED für die 80er Jahre.
Trotz der nachdrücklichen staatlichen Förderung der M. als eines Mittels der Intensivierung wurden auf der VII. Wissenschaftlichen Tagung „Mathematik und Kybernetik in der Ökonomie“ im Oktober 1982 in Halle vom Direktor des Zentralinstituts für Sozialistische Wirtschaftsführung beim ZK der SED (ZSW), Prof. Dr. H. Koziolek, das erreichte Niveau und die Breitenwirksamkeit von M. und Rechentechnik als „keinesfalls befriedigend“ bezeichnet (H. Koziolek: „Ökonomische Strategie, wissenschaftlich-technischer Fortschritt und höherer Wirkungsgrad von Mathematik und Rechentechnik für die Effektivität der Wirtschaft der DDR“, in: Wirtschaftswissenschaft, 2/1983, S. 169, sowie W. Lassmann: „Reaktionsschnell und flexibler mit Optimierungsrechnungen“, in: Die Wirtschaft, 12/1982, S. 13). Angesichts der Bedeutung, die M. und EDV für die Verwirklichung der wirtschaftspolitischen Ziele zukommen, werden diese stärker als in den letzten Jahrzehnten gefördert werden müssen, sollen sie die ihnen zugedachten Aufgaben erfüllen und den Rückstand gegenüber westlichen Industriestaaten aufholen können.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 878–879
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