DDR von A-Z, Band 1985

Militärpolitik (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979

 

Im Selbstverständnis der DDR dient die M. der Sicherung und Verwirklichung der Interessen der Arbeiterklasse und ihrer Partei sowie des Staates mit militärischen Mitteln. In dieser Eingrenzung auf die militärischen Aspekte unterscheidet sie sich von der Sicherheitspolitik.

 

I. Ideologische Grundlagen

 

 

Als sozialistische M. beruht sie auf dem Marxismus-Leninismus, insbesondere auf der Lehre vom Klassenkampf, der Lehre vom sozialistischen Staat, der Lehre von der sozialistischen Revolution, der Lehre vom Krieg und den Streitkräften und vor allem auf der Lehre von der Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes. Der Klassenkampf als Ausdruck des Klassenantagonismus behält für die M. auch nach dem Verschwinden des Klassenkampfes in den sozialistischen Staaten seine Bedeutung, weil er im Weltmaßstab als Gegensatz zwischen sozialistischen und kapitalistischen Staaten erhalten bleibt, bzw. sich sogar noch weiter zuspitzen soll. Die ständige militärische Stärkung der sozialistischen Staaten soll verhindern, daß sich das inzwischen durch die Rüstungsanstrengungen des Warschauer Vertrages erreichte annähernde militärische Gleichgewicht zuungunsten des Sozialismus verändert und der Imperialismus bei der Durchsetzung seiner „aggressiven“ Ziele mit militärischem Druck oder durch Gewaltanwendung erfolgreich sein könnte (Antikommunismus). Dem gleichen Ziel diene auch die militärische Unterstützung („antiimperialistische Solidarität“) von Befreiungsbewegungen und sozialistischen Regimen in außereuropäischen Ländern. Die gegenwärtige Hauptform des Klassenkampfes sei der ideologische; dieser nehme erst dann militärische Formen an, wenn eine andere Möglichkeit zur Abwehr der „aggressiven Politik des Imperialismus“ nicht mehr möglich sei.

 

Gemäß der Lehre vom Krieg, wie sie von Lenin entwickelt wurde, wäre eine derartige Auseinandersetzung für die sozialistischen Staaten ein „gerechter“ Krieg, da sein Ziel, die Vernichtung des Imperialismus, mit den Zielen der revolutionären Arbeiterbewegung übereinstimmen würde. Als ungerechte Kriege werden in diesem Verständnis solche betrachtet, die diesen Zielen zuwiderlaufen. In seiner Charakterisierung des Krieges und dessen politischer Dimension griff Lenin u.a. auch auf Thesen von Clausewitz zurück. Die Ansichten der vorleninistischen Klassiker des Marxismus-Leninismus über die Streitkräfte bzw. die Rolle des bewaffneten Volksheeres wurden jedoch relativiert: Heute sei ein stehendes Heer nach dem Prinzip der Kaderarmee notwendig, d.h. ein Bestand von Berufsoffizieren und -unteroffizieren in den Streitkräften, die politisch und militärisch zur Ausübung von Führungsfunktionen geeignet sind, während das Gros der Streitkräfte aus Wehrpflichtigen besteht.

 

Unter den „gerechten“ Kriegen nimmt der Krieg zur Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes eine besondere Stellung ein. Diese Lehre, die als ein allgemeingültiges Gesetz des Aufbaus von Sozialismus und Kommunismus bezeichnet wird, begründet die Verteidigung als internationale und kollektive Angelegenheit aller sozialistischen Staaten. Sie dient u.a. zur ideologischen Begründung von multilateralen und bilateralen Beistandsverträgen.

 

Die Lehre von der Verteidigung beinhaltet ferner die durch die M. zu verwirklichende moralische Komponente. Danach ist es notwendig, einen Soldaten mit hohen kommunistischen Idealen, Treue zur Partei und zum ganzen Volk sowie zur Bereitschaft, alle Kräfte und Fähigkeiten für den Schutz der Interessen der sozialistischen Staatengemeinschaft einzusetzen, zu erziehen. Dieses Ziel, das auch für die Gestaltung der Wehrmoral als Aufgabe der sozialistischen Wehrerziehung gilt, ist im Fahneneid der Nationalen Volksarmee (NVA) verankert.

 

II. Politische Grundlagen

 

 

Die ideologische Basis der M. findet sich in der jeweiligen politischen Begründung ihrer Ziele und Maßnahmen. Diese sind im Militärprogramm der SED, in der Militärdoktrin und in aktuellen Beschlüssen zur M. der Partei- und Staatsführung niedergelegt. Das Militärprogramm der SED enthält die von der Partei formulierten militärpolitischen Grundsätze und Ziele. Seine einzelnen Bestandteile bilden bestimmte Schlußfolgerungen, die aus der [S. 894]Einschätzung der internationalen Lage, dem Charakter der möglichen Kriege und der Erkenntnisse der Militärwissenschaften gezogen werden. Es enthält ferner Aussagen zu Problemen der Herstellung der Verteidigungsbereitschaft, zu Bündnisverpflichtungen, über die Einstellung zum angenommenen Gegner und dessen militärischen Kräften sowie die allgemeinen Festlegungen der militärpolitischen Aufgaben und Ziele und die grundlegenden Prinzipien der Wehrerziehung.

 

Das Militärprogramm beruht z. T. auf der Militärdoktrin. Die Militärdoktrin ist nicht festgeschrieben, sondern wird den jeweiligen politischen, militärstrategischen und rüstungstechnischen Bedingungen entsprechend formuliert. Sie umfaßt eine politisch-soziale und eine militärisch-technische Komponente. Erstere enthält die Aussagen über den politischen Charakter des zukünftigen möglichen Krieges, seine politische Zielsetzung und die Prinzipien seiner Führung sowie die politische Funktion der Streitkräfte.

 

Die militärisch-technische Komponente enthält die Grundzüge für die Vorbereitung der Streitkräfte, der Bevölkerung und des ganzen Landes auf den Krieg und die im Kriegsfall zu erfüllenden Aufgaben in den einzelnen Bereichen von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Diese Festlegungen schlagen sich in gesetzlichen Vorschriften, militärischen Befehlen und den Führungsprinzipien der Streitkräfte nieder. Die Vorbereitung und Durchführung des Krieges sowie seiner einzelnen strategischen Operationen gehören zum Bereich der Militärstrategie.

 

Die DDR hat keine eigene nationale Militärdoktrin entwickelt; gemäß ihrer internationalistischen M. ist für sie die einheitliche Militärdoktrin der Warschauer Vertragsstaaten, die auf der sowjetischen Militärdoktrin beruht, verbindlich (Warschauer Pakt). Eine denkbare militärische Konfrontation der beiden deutschen Staaten wird vor diesem politisch-ideologischen Hintergrund nicht als Besonderheit gewertet, da davon ausgegangen wird, daß dieser Krieg ein Krieg des „Imperialismus“ gegen den „Sozialismus“ sein würde, der Kampf Deutscher gegen Deutsche also kein qualitatives politisches Merkmal eines derartigen Krieges sein könne, zumal dieser entsprechend der marxistisch-leninistischen Lehre vom „gerechten Krieg“ und der korrespondierenden Revolutionstheorie für die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland Merkmale eines nationalen Befreiungskriegs annehmen müßte.

 

III. Entwicklung der Militärpolitik

 

 

Eine eigenständige und durch nationale Besonderheiten gekennzeichnete M. der DDR gibt es im engeren Sinne erst seit 1952 bzw. 1955. Zwar gab es seit 1948 den Aufbau von Einheiten der Kasernierten Volkspolizei (KVP); auch Verbände der Grenztruppen der DDR und der Transportpolizei wurden frühzeitig aufgestellt. Zweifellos setzten damit erste militärpolitische Überlegungen der SED-Führung ein. Aber ihre Entstehung war das Ergebnis sowjetischer Politik; ihre Bewaffnung, Stärke und Führungsgrundsätze ließen sie als vornehmlich für Polizeiaufgaben geeignet erscheinen. Erst mit dem Aufbau der „Nationalen Streitkräfte“ wurde 1952 begonnen, den Grundstock für eine nach militärischen Prinzipien organisierte Streitkraft zu schaffen. Die Rolle der „Nationalen Streitkräfte“, mit denen die Einheiten der KVP gemeint waren, wurde auf der II. Parteikonferenz der SED (1952) definiert. Sie sollten sowohl die Grundlagen des Staates stärken als auch den Willen zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands verkörpern.

 

Die Erfahrungen der folgenden Jahre, insbesondere des Jahres 1953, veranlaßte die SED, ihre M. nicht nur auf die KVP auszurichten, sondern die Bereitschaft zur Verteidigung der DDR unter den Bürgern durch gezielte militärpropagandistische Arbeit zu verstärken, die militärische Basis durch die Gründung der Kampfgruppen zu verbreitern und die Arbeit der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) auf die Propagierung des Wehrdienstes zu konzentrieren. Die politisch-ideologische Arbeit in der KVP sollte sie als Machtsicherungsinstrument im Sinne der SED stabilisieren. Es gelang, wenn auch unter Schwierigkeiten, mit der Entwicklung der KVP den Grundstock für die 1956 gegründete NVA zu schaffen. Die Mehrzahl ihrer Offiziere entstammte der Arbeiterklasse und war fachlich kaum geschult. Personelle Schwierigkeiten gab es auch im Bereich der Unterführer und Mannschaften, da das Prinzip der Freiwilligkeit einen planmäßigen personellen Ausbau der Armee beträchtlich erschwerte. Diese Schwierigkeiten wurden mit der Einführung der Wehrpflicht 1962 beseitigt, während die fachliche Ausbildung der Angehörigen der NVA durch intensive Beratungstätigkeit sowjetischer Offiziere sowie den Ausbau der Ausbildungsinstitutionen verbessert wurde.

 

Neben dem Auf- und Ausbau der NVA und deren Einbeziehung in die Streitkräfte des Warschauer Vertrags galt die M. der SED aber auch den anderen bewaffneten Kräften: den Bereitschaften der VP, der Transportpolizei, den Einheiten des Ministeriums für Staatssicherheit, den Grenztruppen (bis 1961 Deutsche Grenzpolizei, von 1961 bis 1974 in die NVA eingegliedert, seither eigenständig) und den Kampfgruppen. Seit 1958 ist der Luft- und Katastrophenschutz — jetzt Zivilverteidigung — Teilbereich der M. der SED. Das Ziel der M. bestand darin, alle diese Bereiche personell und materiell zu stärken und zu einem umfassenden, gut organisierten System der militärischen Sicherung zu entwickeln.

 

Die Eingliederung der NVA in die Vereinigten Streitkräfte des Warschauer Paktes wurde seit 1961 [S. 895]durch eine Reihe von Manövern mit sowjetischen Truppen und Stäben, aber auch Verbänden anderer Vertragsstaaten forciert. Nur unzureichend gelang es jedoch, die Wehrbereitschaft in der Bevölkerung zu fördern. Das Verteidigungsgesetz vom September 1961 bildete die staatsrechtliche Grundlage für den Aufbau der Landesverteidigung, nachdem bereits im Februar 1960 zur einheitlichen Leitung dieser Politik auf der zentralen staatlichen Ebene der Nationale Verteidigungsrat der DDR (NVR) geschaffen worden war.

 

Im Januar 1962 wurde die Wehrpflicht eingeführt. Das Gesetz wurde von einer Reihe weiterer Maßnahmen zum Ausbau der Streitkräfte begleitet: Anordnungen des Nationalen Verteidigungsrates regelten die Erfassung und Musterung von Wehrpflichtigen, den Reservistenstatus und die Förderungsmaßnahmen für aus dem aktiven Wehrdienst entlassene Soldaten; eine Dienstlaufbahnordnung wurde erlassen und ein „Militärstrafgesetz“ verkündet. Mit diesem Gesetz und der im April 1963 folgenden „Militärgerichtsordnung“ wurden die Voraussetzungen für die Militärgerichtsbarkeit geschaffen. Eine im März 1963 erlassene „Lieferordnung“ (letzte Fassung 1975, GBl. I, S. 689) schuf die gesetzliche Grundlage für die Sicherung des militärischen Bedarfs der Streitkräfte durch die Volkswirtschaft der DDR; die Mehrzahl der Rüstungslieferungen erfolgte und erfolgt allerdings aus der Sowjetunion. 1964 war die Ausrüstung der NVA mit der Erstausstattung abgeschlossen; die M. der SED hatte ihr Ziel, eine kampfkräftige Armee aufzubauen, erreicht. Die Integration der NVA in die Streitkräfte des Warschauer Vertrags, die ab 1961/62 verstärkt wurde, führte 1965 zur Eingliederung der mobilen Teile in die „erste strategische Staffel“. Das bedeutete nicht nur die militärische Anerkennung durch die Sowjetunion, sondern auch, daß die DDR nunmehr einen erhöhten militärischen Beitrag im Rahmen des Warschauer Vertrags zu leisten hatte.

 

Seit dem 3. Kongreß der GST im August 1964 wurde auch eine verstärkte wehrpolitische Agitation unter der Jugend durch die GST eingeleitet, um für die Führungsstellen ausreichenden Nachwuchs an Freiwilligen zu erhalten und durch die Mitarbeit in der GST die vormilitärische Ausbildung zu fördern.

 

Neben der Festigung und Entwicklung der sozialistischen Wehrmoral und der Förderung der politischen Arbeit in der NVA bestimmten intensive Vorbereitungen zur Schaffung eines Systems der Landesverteidigung die M. der SED bis 1970. Die Beteiligung an der militärischen Intervention in der ČSSR war aus ihrer Sicht konsequent, denn sie bedeutete die Abwehr einer für ihre Politik gefährlichen Entwicklung. Die Aktion im August 1968 wurde darüber hinaus als Bestätigung der M. der SED und der NVA als eines voll einsatzbereiten militärischen Instruments gewertet.

 

1968/69 wurde mit dem Aufbau eines Zivilverteidigungssystems begonnen. Die gesetzliche Grundlage dazu bildet das „Gesetz über die Zivilverteidigung“ vom September 1970. 1978 wurde erneut ein Verteidigungsgesetz (Gesetz über die Landesverteidigung der DDR vom 13. 10. 1978, GBl. I, S. 377) verabschiedet. Es fixiert den erreichten Stand des Landesverteidigungssystems, bestimmt die Aufgaben der Staats- und Wirtschaftsorgane sowie die Rechte und Pflichten der Bürger in der Landesverteidigung und legt die ökonomischen und sonstigen Maßnahmen zur Sicherstellung der Landesverteidigung fest. Im März 1982 wurden ein neues Wehrdienstgesetz (Gesetz über den Wehrdienst vom 25. 3. 1982, GBl. I, S. 221) und eine Reihe von Beschlüssen und Anordnungen verabschiedet, bzw. erlassen. Bereits das Wehrdienstgesetz von 1962 hatte den Einsatz von Frauen in bestimmten Verwendungen während eines Krieges vorgesehen; das neue Gesetz führte für Frauen zwischen dem 18. und dem 50. Lebensjahr die allgemeine Wehrpflicht im Fall der Mobilmachung und im Verteidigungszustand ein. (Zu den Einzelheiten der gegenwärtig geltenden Regelungen vgl. die speziellen Stichworte: Bausoldaten; Friedensbewegung; Militarisierung; Nationale Volksarmee [NVA]; Verteidigungsgesetz; Verteidigungshaushalt; Wehrdienst; Wehrerziehung.)

 

IV. Gegenwärtige Aufgaben und Inhalte der Militärpolitik

 

 

Im Selbstverständnis der SED hat ihre M. internationalistischen Charakter, da die Verteidigung der Warschauer Vertragsstaaten kollektiv durch alle Länder des Bündnisses erfolgt. Die SED ist bemüht, die nationalen Voraussetzungen für die Erfüllung der Bündnisverpflichtungen zu schaffen. Im militärischen Bereich wurde dementsprechend die Zusammenarbeit von Einheiten der NVA und der Sowjetarmee z.B. in Form von gemeinsamen Manövern (Nationale Volksarmee (NVA), II.) intensiviert. Gestiegen ist der Anteil der DDR an den rüstungswirtschaftlichen Kosten (Verteidigungshaushalt).

 

Im Mittelpunkt der gegenwärtigen M. der SED steht die „unablässige Stärkung der Verteidigungsbereitschaft“ (Erich Honecker) als „eine® entscheidende(n) Garantie dafür, den Frieden dauerhaft zu sichern und günstige Bedingungen für die weitere Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und die Schaffung grundlegender Voraussetzungen für den Übergang zum Kommunismus zu gewährleisten“.

 

Kernstück des Landesverteidigungssystems ist die Nationale Volksarmee; sie hat den Auftrag, die Grenzen des Territoriums der DDR und der anderen sozialistischen Staaten gemeinsam mit der Sowjetarmee und den Streitkräften des Warschauer Vertrags zu schützen. Dies gilt vor allem für die [S. 896]mobilen Truppen und Verbände der NVA, die in die Vereinten Streitkräfte integriert sind. Nach den Grundsätzen der sowjetischen Militärstrategie heißt das, daß im Kriegsfall die Verteidigung offensiv, d.h. auf dem Territorium des Gegners, erfolgen soll.

 

Die Grenztruppen der DDR zählen nicht zur NVA, sind aber dem Ministerium für Nationale Verteidigung unterstellt und dem Kern der Landesverteidigung zuzurechnen. Einen weiteren Bereich bilden diejenigen bewaffneten Kräfte, die Aufgaben der inneren Sicherheit erfüllen und bei der Vorbereitung und Durchführung von Kampfhandlungen im Falle eines militärischen Konflikts die regulären Streitkräfte zu unterstützen haben. Diese Aufgabenstellung gilt in bestimmtem Maße auch für die Einheiten des Ministeriums für Staatssicherheit.

 

Einen weiteren Bereich der Landesverteidigung stellen die Institutionen und Einrichtungen dar, die sowohl der Aus- und Weiterbildung als auch der militärwissenschaftlichen Arbeit dienen. Dazu gehören z.B. die Militärakademie „Friedrich Engels“ der NVA in Dresden, die Offiziershochschulen der Teilstreitkräfte und der Grenztruppen, die Hochschule der Deutschen Volkspolizei (DVP) in Berlin (Ost), aber auch andere Institutionen, wie das Militärgeschichtliche Institut der DDR, das einen Beitrag zur Traditionspflege der NVA leisten sowie Militärpropaganda betreiben soll. In diesem Zusammenhang hat dieses Institut die Aufgabe, Informationen über die M. der Bundesrepublik Deutschland zu sammeln, aufzubereiten und durch Veröffentlichungen über den Gegner und dessen politisch-militärische Maßnahmen die militärwissenschaftliche, -propagandistische und -politische Arbeit zu unterstützen.

 

Einen weiteren Teil der sozialistischen Landesverteidigung bildet die Zivilverteidigung. Sie ist ein eigenständiger Bereich und wird nicht zu den Streitkräften und den anderen bewaffneten Organen gerechnet. Die Zivilverteidigung verfügt über eine eigene Dienstlaufbahnordnung sowie ein eigenes Dienstverhältnis der Offiziere und Unteroffiziere. Ihre zentralen Aufgaben sind weiterhin der Luftschutz und der Katastrophenschutz. Mit der Unterstellung der Zivilverteidigung unter das MfNV (vorher war sie dem Ministerium des Inneren zugeordnet) hat sich die DDR dem Verfahren der übrigen sozialistischen Staaten angeschlossen. Seit dem 1. 1. 1978 gilt eine neue Dienstlaufbahnordnung für die Zivilverteidigung. Sie ist Grundlage für die Rekrutierung, den Einsatz und die Ausbildung von Kadern (GBl. I, 1977, S. 365). Mit dieser Vorschrift hat man die Grundlage dafür geschaffen, daß im Fall eines Einsatzes in geringerem Umfang auch wehrpflichtige Bürger einberufen werden können, um den Schutz der Bevölkerung und der Volkswirtschaft zu gewährleisten. Gemäß dem Wehrdienstgesetz von 1982 können Wehrpflichtige in der Zivilverteidigung den Wehrersatzdienst (Wehrdienst) leisten. Die Mitarbeit ist ansonsten freiwillig.

 

Die Organisationen und Institutionen, die mit der sozialistischen Wehrerziehung befaßt sind, gehören ebenfalls zur sozialistischen Landesverteidigung. Im weiteren Sinne ist hierzu auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) der DDR zu zählen, sofern es Aufgaben im Rahmen der Zivilverteidigung wahrnimmt.

 

Zur ökonomischen Sicherung der Landesverteidigung wird bereits in Friedenszeiten auf internationalem wie nationalem Gebiet eine Reihe von Maßnahmen getroffen, die Bestandteil der nationalen Wirtschaftsplanung sind (militärischer Bedarf der NVA und anderer Bereiche der Landesverteidigung, militärökonomische Integration, Rüstungsforschung und -entwicklung, Ausbau des militärischen Transport- und Sicherungswesens).

 

Nach der Interpretation der internationalen Lage durch die SED wird der Frieden ständig durch den „aggressiven Imperialismus“ bedroht bzw. kann nur, solange keine militärische Entspannung durch Abrüstung eintritt, durch weitere Stärkung der sozialistischen Staatengemeinschaft gesichert werden. Die Partei sieht daher keinen Anlaß, ihre militärpolitischen Maßnahmen abzuschwächen oder den weiteren Ausbau der Landesverteidigung zu vernachlässigen. Die behauptete Permanenz der Bedrohung durch den Imperialismus dient der SED als Argument, um von den Streitkräften wie von der Bevölkerung verstärkt Anstrengungen zur Erfüllung der militärpolitischen Aufgaben zu verlangen.

 

In jüngster Zeit stößt die SED besonders unter jüngeren Bevölkerungsgruppen mit ihren militärpolitischen und -propagandistischen Aktivitäten, wie beispielsweise der sozialistischen Wehrerziehung, die sowohl Probleme der Rekrutierung militärischer Nachwuchskader lösen als auch einen Beitrag zur ideologischen Erziehung und zur Legitimation der M. leisten soll, auf Widerspruch. Dieser Widerspruch kommt besonders aus den Reihen der nichtstaatlichen Friedensbewegung, die z. T. von den evangelischen Kirchen in der DDR unterstützt wird. Die SED versucht dieser Entwicklung und deren Ausbreitung u.a. durch verstärkte Aktivitäten des Friedensrates der DDR, der FDJ und des FDGB, vor allem aber durch eine intensivierte Wehrerziehung in Schulen und Betrieben entgegenzuwirken. Insbesondere wendet sie sich gegen die These, daß in der gegenwärtigen Situation Abrüstung möglich oder notwendig sei („Der Friede muß bewaffnet sein“). Positiv verweist die SED in diesem Zusammenhang auf die Aktivitäten der Staaten des Warschauer Vertrages im Rahmen ihrer Sicherheitspolitik. Sie wehrt sich auch gegen den Vorwurf, daß ihre M. die Militarisierung in der DDR fördere, indem z.B. durch die sozialistische Wehr[S. 897]erziehung militärische Normen einen hohen Stellenwert im Erziehungsprozeß erhielten, durch die Rüstung der Volkswirtschaft Mittel für Investitionen und für die Steigerung des Verbrauchsgüterangebots entzogen werden, militärische Kategorien im politischen Entscheidungsprozeß eine zu große Bedeutung hätten und der Ausbau des militärischen Bereichs zum Verzicht auf gesellschaftspolitische Reformen führe. Militarismus, so die SED, könne es in sozialistischen Gesellschaften jedoch nicht geben; er sei mit deren Wesen unvereinbar, da er sich nur auf der Basis der kapitalistischen Eigentumsordnung entwickele und Ausdruck des aggressiven Imperialismus sei.

 

Diese Argumentation bezieht sich auf einen spezifischen Begriff des Militarismus, der keine Allgemeingültigkeit besitzt. Sie befreit die SED nicht von der Tatsache, daß ihre M. Voraussetzungen für eine partielle Militarisierung der DDR-Gesellschaft schafft. Diese Entwicklung wird von verschiedenen, miteinander in Verbindung stehenden innen- und außenpolitischen Faktoren beeinflußt; auf sie wirken sich sowohl die internationalen Konfliktlagen als auch die komplizierten innergesellschaftlichen Bedingungen in der DDR aus.

 

Gero Neugebauer

 

Literaturangaben

  • Eisenfeld, Bernd: Kriegsdienstverweigerung in der DDR, ein Friedensdienst? Genesis, Befragung, Analyse, Dokumente. Frankfurt a. M.: Haag u. Herchen 1978.
  • Hoffmann, Heinz: Sozialistische Landesverteidigung. Aus Reden und Aufsätzen. 4 Bde. Berlin (Ost): Militärverl. der DDR 1970, 1974 und 1979.
  • Hoffmann, Heinz: Warschauer Vertrag. Schutz des Sozialismus — Sicherung des Friedens. Berlin (Ost): Militärverl. der DDR 1980. (Serie Politik und Landesverteidigung.)
  • Hoffmann, Heinz: Zur imperialistischen Kriegsideologie. Berlin (Ost): Militärverl. der DDR 1982. (Serie Politik und Landesverteidigung.)
  • Nawrocki, Joachim: Bewaffnete Organe in der DDR. Nationale Volksarmee und andere militärische sowie paramilitärische Verbände. Berlin (West): Holzapfel 1979.
  • Tiedtke, Stephan: Die Warschauer Vertragsorganisation. Zum Verhältnis von Militär- und Entspannungspolitik in Osteuropa. München/Wien: Oldenbourg 1978.
  • Die Nationale Volksarmee. Ein Anti-Weißbuch zum Militär in der DDR. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1976. (rororo-aktuell. 4.059.)
  • Wissensspeicher Wehrausbildung. Das wichtigste in Stichworten und Übersichten. 2. Auflage, Berlin (Ost): Volk und Wissen 1981.

 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 893–897


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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