
Ministerium für Staatssicherheit (1985)
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Das MfS, auch als Staatssicherheitsdienst der DDR bezeichnet, ist ein konstitutives Herrschaftsinstrument der SED. Es vereinigt in sich DDR-interne Schutz- und Sicherungsfunktionen mit offensiven Aufklärungsfunktionen nach außen. In ihm bündeln sich die Kompetenzen einer politischen Geheimpolizei, einer mit exekutiven Befugnissen ausgestatteten Untersuchungsbehörde für politische Strafsachen und eines geheimen Nachrichtendienstes, während der Verfügungstruppe des MfS, dem Wachregiment „Feliks Dzierzynski“, spezielle Repressions- und Objektsicherungsaufgaben obliegen.
Das MfS wurde durch Gesetz vom 8. 2. 1950 (GBl. S. 95) geschaffen. Kern des neuen MfS bildete die bis dahin im Ministerium des Innern bestehende Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft, die jedoch zu einem weitverzweigten Sicherheitsapparat ausgebaut wurde. Nach dem Juni-Aufstand wurde das MfS durch Beschluß des Ministerrats vom 23. 7. 1953 dem MdI als Staatssekretariat für Staatssicherheit eingegliedert. Der Beschluß vom 24. 11. 1955 machte das SfS erneut zu einem eigenständigen Ministerium.
Eine Definition seiner Aufgaben und Zuständigkeiten enthält das zitierte Gesetz nicht. Nach offiziöser Darstellung versteht sich das MfS als „ein Organ des Ministerrates der DDR, dem spezielle Sicherheits- und Rechtspflegeaufgaben für den zuverlässigen Schutz der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung gegen alle feindlichen Anschläge auf die Souveränität und territoriale Integrität der DDR, auf die sozialistischen Errungenschaften und das friedliche Leben des Volkes übertragen wurden“ (Kleines Politisches Wörterbuch, 3. Aufl., Berlin [Ost] 1978, S. 877). In einer Grußadresse des ZK der SED wurde das MfS zu seinem 30jährigen Bestehen als „ein spezielles Organ der Diktatur des Proletariats“ charakterisiert.
Seit Bestehen leiteten das MfS die Minister Wilhelm Zaisser (1950–1953; zugleich Mitglied des Politbüros des ZK der SED); Ernst Wollweber (1953–1957; zugleich 1954–1958 Mitglied des ZK der SED), davon 1953–1955 als Leiter und Staatssekretär des SfS, und Erich Mielke (seit 1957). Mielke ist zugleich Mitglied des Politbüros (seit 1976, 1971–1976 Kandidat des Politbüros) und seit 1980 Armeegeneral. Als „beratendes Organ“ besteht beim MfS ein Kollegium, dem außer dem Minister, dessen Stellvertretern (1982 Generaloberst Markus Wolf, Chef der Hauptverwaltung Aufklärung; Generalleutnant Rudolf Mittig und Generalmajor Dr. Gerhard Neiber), weitere hohe Offiziere und Generäle der Staatssicherheit sowie der Chef der Parteiorganisation der SED im MfS (seit 1980 Generalmajor Dr. Horst Felber) angehören. Die politische Anleitung und Kontrolle des MfS liegt bei der Abteilung Sicherheitsfragen im Zentralkomitee (ZK) der SED (Leiter 1982: Generaloberst Herbert Scheibe) und dem seit 1983 für den Bereich Sicherheit verantwortlichen Sekretär des ZK der SED Egon Krenz (Mitglied des Politbüros).
Horizontal gliedert sich das MfS mit seiner Zentrale in Berlin-Lichtenberg, Normannenstraße 22, in die Hauptabteilungen und Abteilungen des „Abwehrsektors“ sowie in die Hauptabteilungen Aufklärung und Bewirtschaftung. Vertikal stützt sich das MfS auf die Verwaltung Berlin sowie auf 14 Bezirksverwaltungen (BV) und die „Objektverwaltung Wismut“. Auf Kreisebene sind den BV des MfS in Stadt- und Landkreisen sowie in Großbetrieben ca. 250 Kreis- und Objektdienststellen nachgeordnet. Budget und Personalbestand des MfS sind Staatsgeheimnis. Als gesichert gilt die Erkenntnis, daß im MfS und seinen Organen nach dem Stand von 1982 ca. 20.000 hauptamtliche Mitarbeiter (Generäle, Offiziere, Unteroffiziere und Zivilbeschäftigte) tätig sind. Dazu kommen die 4.000 bis 6.000 Mann des Wachregiments. Der Dienst im MfS und seinen Organen ist dem Wehrdienst gleichgestellt (§ 21 Wehrdienstgesetz).
Abschirmung und Überwachung, wie sie im MfS begriffen werden, setzen die Existenz eines umfassenden, weitverzweigten Informations- und Spitzelwesens voraus. Seine im Dienstsprachgebrauch sogenannten „Inoffiziellen Mitarbeiter“ (IM) und „Gesellschaftlichen Mitarbeiter Sicherheit“ (GMS) werden auf 60.000 bis 80.000 geschätzt. Spitzel, die in allen Bereichen von Staat und Gesellschaft zu vermuten sind, werden teils auf „materieller Basis“ (Bezahlung, berufliche Förderung usw.), teils durch politische Überzeugung, vielfach aber auch durch Nötigung oder durch eine Kombination aller drei Anwerbungsformen gewonnen und zu regelmäßiger Mitarbeit verpflichtet. In internen Dienstanweisungen wie dem MfS-Befehl Nr. 13/74 wird ausdrücklich von „IM/GMS-Systemen“, die zur „politisch-operativen Arbeit“ heranzuziehen seien, gesprochen. Zur Abschir[S. 910]mung und Überwachung gehört ferner die planmäßige und gezielte Kontrolle des Post- und Fernmeldeverkehrs in der DDR durch spezielle Diensteinheiten des MfS. Die Untersuchungsorgane des MfS, die über 2 zentrale Untersuchungsgefängnisse in Berlin-Lichtenberg und in Berlin-Hohenschönhausen sowie über weitere Gefängnisse in Ost-Berlin und den 14 Bezirksstädten der DDR verfügen, sind für das Ermittlungsverfahren bei Staatsverbrechen und in politischen Militärstrafsachen zuständig. Zwar unterliegen sie der Aufsicht durch den Staatsanwalt (Staatsanwaltschaft) sowie den Bestimmungen der Strafprozeßordnung (Strafverfahren), praktisch steht jedoch diesen formalen Beschränkungen die reale Unumschränktheit der Untersuchungsorgane des MfS gegenüber.
Namentlich in den fünfziger Jahren hat das MfS vielfach durch spektakuläre Menschenraubaktionen von sich reden gemacht. Mehrere hundert Fälle sind aus dieser Zeit registriert. Sie betrafen DDR-Flüchtlinge, „Verräter“ aus den Reihen der SED, Überläufer aus den bewaffneten Organen einschließlich des MfS, Mitarbeiter der Ostbüros westlicher Parteien und westlicher Geheimdienste sowie nicht zuletzt politisch unbequeme Journalisten. Besonders eklatante Fälle:
Dr. Walter Linse, Leiter der Abteilung Wirtschaftsrecht beim Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen wurde 1952 auf offener Straße in West-Berlin überfallen und gewaltsam in die DDR entführt; er verstarb 1953 in der Sowjetunion. MfS-Agenten verschleppten Sylvester Murau, ehemaliger Major des MfS in Schwerin, nach seiner Flucht in die Bundesrepublik 1955 aus Heubach bei Darmstadt in die DDR; er wurde mit großer Wahrscheinlichkeit zum Tode verurteilt und hingerichtet. Robert Bialek, ehemaliger Generalinspekteur der Volkspolizei, wurde nach seiner Flucht 1956 aus West-Berlin durch Beibringung eines Betäubungsmittels in Getränken bewußtlos gemacht und nach Ost-Berlin verschleppt; er ist dort in der Haft verstorben. Ferner entführten Mitarbeiter des MfS Heinz Brandt, ehemals Sekretär der Berliner Bezirksleitung der SED, nach seiner Flucht Redakteur einer Gewerkschaftszeitung in Frankfurt/Main, 1961 aus West-Berlin. Das Oberste Gericht der DDR verurteilte H. Brandt zu 13 Jahren Zuchthaus wegen oppositioneller Kontakte; er wurde nach internationalen Protesten 1964 „begnadigt“ und in die Bundesrepublik entlassen.
Schwerpunkt der hauptsächlich von der Hauptverwaltung Aufklärung (HV A.) getragenen DDR-externen Aktivitäten des MfS ist die gegen die Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin gerichtete Spionage, die keineswegs verheimlicht, sondern als „Tätigkeit sozialistischer Kundschafter an der unsichtbaren Front“ (E. Mielke), als „wichtige Parteiarbeit an vorderster Front des Klassenkampfes“ (E. Honecker) offen gerechtfertigt wird. Nach Ermittlungen der Verfassungsschutzbehörden entfallen in der Bundesrepublik im Durchschnitt 80 bis 85 v.H. aller erkannten Spionageaufträge auf die geheimen Nachrichtendienste der DDR, und zwar weitaus überwiegend auf die HV A. Dem militärischen Nachrichtendienst der DDR, der als „Verwaltung Aufklärung“ beim Ministerium für Nationale Verteidigung ressortiert, kommt nur hinsichtlich der Militärspionage Bedeutung zu. Hauptziele der DDR-Spionage sind seit Jahren unverändert die Bundesministerien, Länderverwaltungen, Parteien und Gewerkschaften, aber auch Wirtschaftsbetriebe und Forschungseinrichtungen. Dementsprechend lassen sich „politische Spionage“, die Militärspionage sowie die Industrie- und Wissenschaftsspionage unterscheiden. Aufsehenerregendste Spionageaffäre der 70er Jahre war der Fall Günter Guillaume, des „Spions im Kanzleramt“, dessen Entlarvung 1974 den Rücktritt von Bundeskanzler Willy Brandt auslöste; 1975 zu 13 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, ist G. 1981 gegen DDR-Häftlinge ausgetauscht worden. Schwerwiegender Schaden entstand der Bundeswehr durch das Agenten-Ehepaar Lothar und Renate Lutze, die gemeinsam mit ihrem Komplizen Jürgen Wiegel unentdeckt jahrelang im Bonner Verteidigungsministerium militärische Geheimnisse von hohem Wert für die HV A. sammelten, bis sie 1976 verhaftet werden konnten. 1979 vor Gericht gestellt, lautete die Strafe für den Hauptangeklagten auf 12 Jahre Freiheitsentzug. Durch den Übertritt des MfS-Oberleutnants Werner Stiller, bis 1979 Führungsoffizier der HV A. im Sektor Wissenschaft/Technik, wurden mehr als 2 Dutzend MfS-Agenten enttarnt, die hauptsächlich in Zentren der bundesdeutschen Kernforschung tätig waren.
Zur fachlichen Qualifizierung seiner hauptamtlichen Mitarbeiter unterhält das MfS als zentrale Schulungseinrichtung die „Juristische Hochschule Potsdam“ unter Leitung von Generalmajor Prof. Dr. jur. habil. W. Pösel, die konspirativ abgeschirmt sowohl ein Direkt- als auch ein Fernstudium mit einem Abschluß als „Diplom-Jurist“ ermöglicht. Voraussetzung für die Zulassung zu diesem Studium ist eine mindestens 3jährige „operative Arbeit in den Organen des MfS“. Zur qualitativen Verbesserung und zur ständigen Ergänzung seiner führenden Kader ist das MfS planmäßig bemüht, Nachwuchskräfte unter Studenten oder jungen Wissenschaftlern zu gewinnen.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 909–910
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