DDR von A-Z, Band 1985

Neuer Kurs (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979


 

Der Beschluß der 2. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) (Juli 1952), den beschleunigten Aufbau des Sozialismus durchzuführen, mußte durch den vom Politbüro des ZK der SED am 9. 6. 1953 verkündeten NK. taktisch gemildert werden. Das Politbüro sah sich zu diesem Schritt veranlaßt, als das Parteipräsidium der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) am 3. 6. 1953 seine (schon am 15. April geäußerte) Aufforderung zur Änderung der Taktik wiederholte. Es war keine grundsätzliche Abkehr von der bisherigen Generallinie, sondern nur eine Verlangsamung des Entwicklungstempos beabsichtigt. Eine Wirtschaftskatastrophe, die als Folge der „Verschärfung des Klassenkampfes“ (Beginn der Kollektivierung in der Landwirtschaft, Enteignungen in Industrie, Handel und Handwerk, Zuspitzung der Auseinandersetzung mit den Kirchen), von Fehlplanung und Bürokratie bevorzustehen schien, sollte vermieden, einem Verzweiflungsausbruch der Bevölkerung vorgebeugt werden. Der NK. fiel zeitlich mit ähnlichen Maßnahmen in der UdSSR und in anderen osteuropäischen Staaten zusammen.

 

Das Politbüro der SED empfahl am 9. 6. 1953 der Regierung: 1. Im Fünfjahrplan Verminderung der Aufwendungen für die Schwerindustrie; 2. den (angeblich nicht nur vorläufigen) Verzicht auf die Ausschaltung der noch vorhandenen privatwirtschaftlichen Unternehmen, Anregung der Privatinitiative des bisher „vernachlässigten“ Mittelstandes durch Steuernachlässe, kurzfristige Kredite und vermehrte Rohstoffzuteilung; 3. Milderung des Klassenkampfes gegen die Bauern, der mit Zwangseintreibung von Ablieferungsrückständen und Steuern geführt wurde; Herabsetzung des landwirtschaftlichen Ablieferungssolls, um die private Erzeugung zu steigern; 4. Verzicht auf Ausschließung des gewerblichen Mittelstandes von der Zuteilung von Lebensmittelkarten; 5. Rücknahme der Erhöhung der Arbeitsnormen; 6. Erleichterung der Rückkehr republikflüchtiger Personen, Rückgabe ihres beschlagnahmten Eigentums; 7. Erleichterung des Interzonen-Reiseverkehrs; 8. Aufhebung einiger Maßnahmen gegen die Kirchen.

 

Außerdem wurden Erhöhung der Rechtssicherheit, beschränkte Amnestie, Zulassung offener Kritik und wahrheitsgemäßer Presseberichterstattung angekündigt. Diese Absichtserklärungen kamen jedoch zu spät, zumal entsprechende konkrete Maßnahmen nur halbherzig getroffen, andere gar nicht in Angriff genommen wurden. Sie vermochten den Juni-Aufstand nicht mehr zu verhindern. Trotz der mit dem NK. verbundenen, vorübergehenden, geringfügigen Erleichterungen erwies sich dieser sehr bald als eine lediglich zeitweilig verwendete Taktik im Rahmen einer grundsätzlich unveränderten Strategie.

 

Am 1. 6. 1955 gab Ulbricht auf dem 24. ZK-Plenum unumwunden zu: „Wir hatten niemals die Absicht, einen solchen falschen Kurs einzuschlagen, und wir werden ihn niemals einschlagen.“

 

Auch in der Justiz ist die innenpolitische Entspannung, die ihren Niederschlag in einigen Richtlinien des Obersten Gerichts gefunden hatte, rasch wieder gestoppt worden. Insbesondere in der politischen Strafjustiz, in der Behandlung der Rechtsanwaltschaft und in der Handhabung der Strafprozeßordnung (Strafverfahren) verschärfte sich der Kurs erneut. So mußten SED und Regierung auf der 3. Parteikonferenz der SED im März 1956 von neuem erhebliche Verletzungen der Sozialistischen Gesetzlichkeit einräumen.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 944


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.