DDR von A-Z, Band 1985

Sozialistisches Weltsystem (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1965 1966 1969 1975 1979


 

Seit Mitte der 50er Jahre in der DDR verwendete Formel für die Gesamtheit kommunistisch regierter Staaten, für deren Beziehungen die Prinzipien des Proletarischen bzw. sozialistischen Internationalismus gelten. Als „objektive Grundlagen“ des SW. werden u.a. bezeichnet: die „gleichartige sozialökonomische und politische Ordnung“, die „Übereinstimmung der Grundinteressen und -ziele der Völker“ der sozialistischen Länder, die „gleiche Ideologie, d.h. der Marxismus-Leninismus“, die „Gemeinsamkeit der Aufgaben beim Aufbau des Sozialismus und Kommunismus“.

 

Während bis zum Ausbruch des sowjetisch-chinesischen Konflikts (1960) der UdSSR uneingeschränkt die „führende Rolle“ im SW. zugesprochen wurde, wird sie gegenwärtig nur noch als „Hauptkraft“ charakterisiert. Welche Staaten die SED konkret zum SW. rechnet, wird nicht gesagt. Neben UdSSR, Polen, DDR, ČSSR, Ungarn, Rumänien und Bulgarien dürfen sicherlich die Mongolei, Korea und Kuba dazugezählt werden. Trotz erheblicher politisch-ideologischer Differenzen mit ihnen müssen wohl auch, zumindest in einem weiteren Sinne, Jugoslawien, Albanien und die VR China als Mitglieder des SW. angesehen werden. Der SR Vietnam, der VDR Laos, der VDR Jemen, aber seit Ende der 70er Jahre auch Angola, Äthiopien und Moçambique, werden eine besondere, wenn auch abgestufte, Nähe zum SW. bescheinigt. Trotz der dort herrschenden besonderen Bedingungen (Teilbesetzung durch vietnamesische bzw. sowjetische Truppen) sind auch Kampuchea und Afghanistan als Mitglieder dieser Staatengruppe anzusprechen.

 

Seit Anfang der 70er Jahre wird neben dem Begriff SW. die Bezeichnung „Sozialistische Staatengemeinschaft“ gebraucht, womit als Kerngruppe des SW. die sieben Staaten des Warschauer Vertrages gemeint sind. Die früher häufig benutzte Formel vom „Sozialistischen Lager“ ist dagegen im politischen Sprachgebrauch der DDR nicht mehr anzutreffen, hat sich jedoch in der westlichen Presse als Kurzformel für „Staaten des Warschauer Vertrages“ eingebürgert.

 

Die Entwicklung des SW. zu einer „wahrhaft sozialen, [S. 1209]wirtschaftlichen und politischen Gemeinschaft freier, souveräner sozialistischer Völker“ weist keineswegs in Richtung monolithische Einheit, wie sie gelegentlich von westlichen Politikern zur Rechtfertigung der eigenen Bündnispolitik behauptet wird. Wenn die SED von „keinem glatten, widerspruchsfreien Prozeß“ spricht, so werden damit u.a. sowohl die Auseinandersetzung mit dem chinesischen Kommunismus als auch das Aufbrechen reform- wie nationalkommunistischer Strömungen im osteuropäischen Raum (in Polen und Ungarn 1956, in Rumänien seit 1962, in der ČSSR 1968) und die Existenz eines unabhängigen Jugoslawiens umschrieben.

 

Dieses nur scheinbar unbedeutende Wortspiel kennzeichnet gleichermaßen die gegenwärtig bestehenden Spannungen im Weltkommunismus, den neuen Pluralismus im ideologisch-politischen Bereich und die Unsicherheit der SED in der Analyse dieser historischen Prozesse.

 

Die ständigen Beschwörungen des SW. in den Medien der DDR haben jedoch einen realen Hintergrund: Nur die Einbindung in dieses System gewährleistet die Existenz der DDR als eigenständiges Staatsgebilde. Außenpolitik; Eurokommunismus; Nationalkommunismus; Warschauer Pakt.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 1208–1209


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.