DDR von A-Z, Band 1985

 

Staatsapparat (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979

 

Der St. stellt den Teil des Staates dar, der als vollziehend-verfügender Apparat der Volksvertretungen diesen die Ausübung staatlicher Macht ermöglicht. Gemäß dem Verständnis der marxistisch-leninistischen Staatslehre von der „Gewalteneinheit“ (gegenüber der „Gewaltenteilung“ in bürgerlich-parlamentarischen Systemen) wird der St. nicht als eigenständige „exekutive“ Gewalt gesehen. Seine Existenz und seine organisatorische Gestaltung werden mit funktionalen Erfordernissen, die aus der Rolle und den Funktionen des Staates bei der Entwicklung der Gesellschaft resultieren, begründet.

 

I. Organisation

 

 

Das grundlegende Organisationsprinzip des St. ist der Demokratische Zentralismus. Es besagt, daß die Grundfragen der staatlichen Leitung und Planung zentral entschieden werden, daß diese Entscheidungen für die nachgeordneten Organe verbindlich sind, daß die Durchführung dieser Entscheidungen in eigener Verantwortung der nachgeordneten Organe erfolgt, daß eine strenge Staatsdisziplin durchgesetzt und die Mitwirkung der Bürger an der Ausarbeitung und Durchführung staatlicher Entscheidungen gewährleistet werden muß. Der demokratische Zentralismus regelt somit das Verhältnis der hierarchisch geordneten Ebenen im St. zueinander und bestimmt damit auch den jeweiligen Grad der Zentralisation, konstituiert aber auch die Mitwirkung der Bürger an den staatlichen Aufgaben als Ausdruck der Sozialistischen ➝Demokratie.

 

 

Zum St. gehören: der Staatsrat, der Ministerrat mit den Ministerien, Staatssekretariaten, Ämtern, Kollegien der Ministerien, Verwaltungen [S. 1272]und anderen Organen, wie z. B. der Nationale Verteidigungsrat der DDR (NVR), die örtlichen Räte auf der Ebene der Bezirke, Kreise, Städte, Stadtbezirke und Gemeinden mit ihren Fachabteilungen und Kommissionen der örtlichen Volksvertretungen, das Oberste Gericht mit den Bezirks- und Kreisgerichten (Gerichtsverfassung) sowie der Generalstaatsanwalt und die Bezirks- und Kreisstaatsanwälte (Staatsanwaltschaft), die Nationale Volksarmee (NVA), die Deutsche Volkspolizei (DVP) und die Organe der Staatssicherheit (Ministerium für Staatssicherheit). Generaldirektoren der Kombinate und der VEB gehören ebenfalls zum St. (Betriebsformen und Kooperation), nicht aber die Leiter anderer staatlicher Institutionen und Einrichtungen, wie z. B. Rektoren von Universitäten und Hochschulen. Die Arbeiter-und-Bauern-Inspektion (ABI) ist staatlich strukturiertes Organ der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED); ihr Leiter ist Mitglied des Ministerrates.

 

Die Spitze des St. bildet die Regierung als das höchste Exekutivorgan des Staates. Von 1949 bis 1960/61 und seit 1970/71 wurde bzw. wird die Regierungsfunktion vom Ministerrat wahrgenommen. Zwischen 1961 und 1969/70 hat der im September 1960 gegründete Staatsrat Regierungsfunktionen ausgeübt. In der Verfassung der DDR (in der Fassung vom 7. 10. 1974) heißt es: „Der Ministerrat ist als Organ der Volkskammer die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik.“ Er setzt sich aus dem Vorsitzenden, seinen Stellvertretern und den übrigen Mitgliedern zusammen.

 

II. Die Ministerien (M.)

 

 

Die M. sind staatliche Organe, die für die zentrale Anleitung und Durchführung der staatlichen Aufgaben in den verschiedenen Gebieten (Wirtschaft; Industrieministerien), Innen-, Außen- und Sozialpolitik verantwortlich sind. Verantwortungsbereich und Kompetenzen sind im Statut des M. festgelegt. Die M. sind für die planmäßige Entwicklung der von ihnen geleiteten Industriezweige bzw. anderen Bereiche verantwortlich und verpflichtet, Beschlüsse der SED, die Gesetze sowie andere staatliche Rechtsnormen durchzuführen und die dafür notwendigen Entscheidungen zu treffen. Zu diesem Zweck haben sie das Recht, eigenverantwortlich am Rechtsverkehr teilzunehmen und vermögensrechtliche Beziehungen einzugehen, wozu ihnen durch den Staatshaushalt der DDR jährlich finanzielle Mittel in Form eines Haushalts übertragen werden.

 

Zur Verwirklichung der dem M. übertragenen Leitungsaufgaben erläßt das M. Erlasse und Verordnungen. Die Beschäftigung der Mitarbeiter wird nach arbeitsrechtlichen, in bestimmten Fällen nach verwaltungsrechtlichen Vorschriften gestaltet (Staatsfunktionär). Als Sitz aller M. ist Berlin (Ost) festgelegt. Die Bildung der M. als zweig- und bereichsleitende Organe wird durch die existierende Spezialisierung und Arbeitsteilung in der Gesellschaft im St. bedingt, wobei das Prinzip der Zweigleitung Ausdruck der zentralisierten staatlichen Leitung ist. Veränderungen der Zahl und der Art von M. erfolgen vor allem dann, wenn durch die Entwicklung der Produktion und der Struktur der Bereiche und Zweige, aber auch durch veränderte staatliche Leitungsaufgaben neue Strukturen erforderlich werden. Der Ministerrat legt die Grundsätze für die Tätigkeit der M. fest, bestimmt deren Aufgaben und übt die Kontrolle über ihre Verwirklichung aus. Er schafft die Voraussetzungen für die Koordination der M. untereinander bzw. mit den örtlichen Räten.

 

A. Aufgaben der Ministerien

 

 

Die Aufgaben sowie die Struktur der M. sind in einem Rahmenstatut (für Industrie-M. vgl. GBl. I, 1975, Nr. 7) bzw. in einem für das jeweilige Ressort geltenden Statut festgelegt. Die M. sollen ihre Aufgaben „in Verwirklichung der Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse, auf der Grundlage der Verfassung der DDR, der Gesetze und anderer Rechtsvorschriften“ (Statut des M. der Justiz vom 25. 3. 1976, GBl. I, S. 185) erfüllen. Sie sind verpflichtet, mit anderen M. sowie zentralen staatlichen Instanzen zusammenzuarbeiten. Bei der Erfüllung ihrer fachspezifischen Leitungsaufgaben sind sie berechtigt, im Rahmen der ihnen übertragenen Kompetenzen im System der doppelten Unterstellung (Anleitung und Kontrolle) den nachgeordneten Apparaten auf der örtlichen Ebene Weisungen zu erteilen.

 

B. Die Leitung der Ministerien

 

 

Die M. werden vom Minister nach dem Prinzip der Einzelleitung geleitet. Er hat die Befugnis, zur Wahrnehmung seiner Verantwortung rechtlich bindende Entscheidungen zu treffen.

 

Die dem Minister als Mitglied des Ministerrates übertragenen Rechte und Pflichten kann dieser nicht auf seine Stellvertreter übertragen. Die wichtigsten dieser Rechte und Pflichten sind: die kollektive Beratung und Beschlußfassung im Ministerrat; die Vorbereitung von Entscheidungen des Ministerrates und das Einbringen von Vorlagen; die Ausübung der Rechtsetzungsbefugnis; die Wahrnehmung von Regierungsverantwortung in auswärtigen Beziehungen, internationalen Gremien und Ausschüssen (z. B. des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe [RGW]). Der Minister ist ferner höchster Disziplinarvorgesetzter seines Verantwortungsbereiches.

 

Die Praxis zeigt jedoch, daß bei Verhinderung des Ministers diese Rechte und Pflichten von seinem 1. Stellvertreter wahrgenommen werden.

 

C. Stellvertreter des Ministers

 

 

Der Minister verfügt über mehrere Stellvertreter; ihre Zahl ist abhängig vom Umfang der vom M. [S. 1273]wahrzunehmenden Aufgaben und Außenbeziehungen.

 

Der 1. Stellvertreter im Range eines Staatssekretärs ist verantwortlich für den Geschäftsbetrieb des M. Er vertritt den Minister.

 

Die weiteren Stellvertreter sind für einzelne Bereiche des M. verantwortlich, haben aber gegenüber den Struktureinheiten der ihnen zugeordneten Bereiche (Abteilungen und Sektoren) kein leitungsbezogenes, sondern nur ein aufgabenbezogenes Weisungsrecht. Die Bereiche sind nach inhaltlichen (z. B. Weiterbildung, internationale Beziehungen), funktionalen (z. B. im Sicherheitsbereich) oder regionalen (z. B. im Außenwirtschafts- und Außenministerium) Kriterien organisiert.

 

D. Organisationsstruktur der Ministerien

 

 

Eine für alle M. verbindliche Organisationsstruktur gibt es nicht; der Ministerrat entscheidet nur über die Hauptstruktur. M. gliedern sich in der Regel in Hauptabteilungen (Hauptverwaltungen), Abteilungen (Verwaltungen) und Sektoren, wobei nur in großen M. Hauptabteilungen bzw. -verwaltungen bestehen. Durch Spezialisierung, Kooperation, Bildung von Kombinaten und Entwicklung neuer Industriezweige werden die inneren Strukturen der M. verändert; sie müssen den neuen Erfordernissen jeweils angepaßt werden.

 

Die Struktureinheiten sind entweder dem funktionalen oder dem linearen Typ zuzuordnen. Bei dem funktionalen Strukturtyp werden die unterstellten Bereiche und Zweige durch den Minister und seine Stellvertreter mit Hilfe von Fachstäben geleitet, die für alle unterstellten Einheiten jeweils einen funktional bestimmten Bereich (Planung, Bilanzierung, Technik, Außenhandel usw.) bearbeiten.

 

Bei dem linearen Typ der Leitung werden die jeweils unterstellten Industriezweige vom M. in allen Fragen komplex geleitet. Die Aufgabenstellungen der Abteilungen des M. sind zweigbezogen; ihre Leiter können im Auftrag des Ministers bzw. seines Stellvertreters gegenüber den Leitern der unterstellten wirtschaftsleitenden Organe, Kombinate, Betriebe und Einrichtungen anleitend tätig werden. In den meisten M. findet sich ein gemischter Typ der Organisationsstruktur, d.h. die gleichzeitige Existenz von zweigbezogenen neben funktional aufgebauten Abteilungen und Sektoren.

 

Die Stabsabteilungen des M. sind diesen Typen nicht zuzuordnen. Sie stehen vor allem dem Minister als Spezialistengruppen für bestimmte Fragen (grundsätzliche Probleme der Perspektiv- und Jahresplanung, des wissenschaftlich-technischen Fortschritts) zur Verfügung, leisten analytische und prognostische Arbeit, ziehen aus wissenschaftlich-technischen sowie organisatorischen Entwicklungen Schlußfolgerungen und legen diese dem Minister zur Entscheidung vor.

 

Die Entscheidungen des Ministers ergehen in der Form von Anordnungen, Durchführungsbestimmungen, Verfügungen, Richtlinien und Dienstanweisungen. Sie unterscheiden sich nach Dauer, Umfang, Inhalt und Adressatenkreis.

 

E. Beratungsorgan

 

 

Zur Vorbereitung seiner Entscheidungen stehen dem Minister das Kollegium des Ministeriums und bestimmte Einrichtungen (Stäbe) zur Verfügung. Außerdem existieren als Beratungsorgane bei den meisten M. wissenschaftliche Beiräte für bestimmte Fachgebiete, wissenschaftliche Räte für den gesamten Bereich des Ministeriums und andere Beratungsgremien, wie z. B. der Hoch- und Fachschulrat beim Ministerium für das Hoch- und Fachschulwesen.

 

Diese Gremien, deren Mitglieder vom Minister berufen und die häufig von leitenden Mitarbeitern des M. oder ihm unterstellten Einrichtungen geleitet werden, setzen sich aus Vertretern des St., Wissenschaftlern, Praktikern und Funktionären der im jeweiligen Bereich tätigen Massenorganisationen (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund [FDGB]; Kammer der Technik [KDT]) sowie der SED zusammen. Sie werden über anstehende Entscheidungen informiert, diskutieren Vorlagen, informieren über bereichsbezogene Aspekte und Aktivitäten, geben fachspezifische Informationen und erstellen selbst, soweit sie dazu geeignet sind und beauftragt werden, Entscheidungsunterlagen. Sie können sich in Arbeitsgruppen und -kreise untergliedern und arbeiten nach einem mit dem Ministerium abgestimmten Arbeitsplan.

 

F. Zusammenwirken von Ministerien

 

 

Das Zusammenwirken von M. dient der Vorbereitung von Ministerrats-Entscheidungen und vollzieht sich meist in Form gemeinsamer Arbeitsgruppen. Bei der Durchführung komplexer Aufgaben kann der Ministerrat ein M. mit Koordinierungsaufgaben betrauen, wodurch dieses Leitungsfunktionen auch gegenüber ihm nicht unterstellten Einrichtungen wahrnehmen kann.

 

G. Zusammenarbeit der Ministerien mit den Räten der Bezirke

 

 

Die Beziehungen zwischen den M. und den örtlichen Räten sind nach dem Prinzip des Demokratischen Zentralismus gestaltet und sollen auf einer klaren Abgrenzung der Kompetenzen beruhen. Die Formen der Zusammenarbeit reichen von gegenseitiger Information und Abstimmung, gemeinsamer Erarbeitung von Entscheidungsvorlagen bis zur arbeitsteiligen Durchführung bestimmter Vorhaben (Investitionsmaßnahmen). Diese Zusammenarbeit findet in der Hauptsache zwischen den Räten der Bezirke und den M. in sog. Komplexberatungen, z. B. bei vorbereitenden Plandiskussionen im Be[S. 1274]zirk, statt. Das Prinzip der doppelten Unterstellung erlaubt es dem Minister, dem Leiter des entsprechenden Fachorgans des Rats des Bezirks Anweisungen zu erteilen; Beschlüsse der Räte können unter bestimmten Voraussetzungen durch den Ministerrat aufgehoben werden (§ 8 Abs. 4 Gesetz über den Ministerrat, GBl. I, 1972, S. 253).

 

III. Andere zentrale Organe des Ministerrats

 

 

Die anderen zentralen Organe des Ministerrats, wie die Staatssekretariate oder die zentralen Ämter, unterscheiden sich von den Ministerien hinsichtlich ihrer Aufgaben und der Führung z. T. dadurch, daß sie Querschnittsaufgaben wahrnehmen (Amt für Preise), nicht über mehrere Leitungsebenen verfügen und ihre Leiter in der Regel nicht Mitglied des Ministerrates sind (Ausnahmen: Amt für Preise, SPK, Staatl. Vertragsgericht, Staatsbank, Staatssekretariat für Arbeit und Löhne, Amt für Jugendfragen). Sie sind ansonsten den gleichen Prinzipien der Leitung und Organisation unterworfen.

 

IV. Der Staatsapparat auf der örtlichen Ebene

 

 

Die Räte und deren Fachabteilungen bilden den St. auf der örtlichen Ebene. Die Mitglieder der Räte werden durch die Volksvertretung gewählt, die Leiter der Fachabteilungen durch den Rat in Abstimmung mit dem Leiter des übergeordneten Fachorgans (im Falle des Bezirkes mit dem zuständigen Fachminister) berufen. Die Volksvertretung bestätigt die Entscheidung.

 

Der Vorsitzende leitet den Rat; er ist berechtigt, den Mitgliedern des Rates, den Leitern der Fachorgane und den dem Rat unterstellten Einrichtungen und Betrieben Weisungen zu erteilen und deren Durchführung zu kontrollieren. Weisungen an den Vorsitzenden dürfen nur vom Vorsitzenden des übergeordneten Rates bzw. dem Vorsitzenden des Ministerrates erteilt werden. Die Leiter der Fachabteilungen haben das Recht, im Rahmen ihrer Kompetenzen im System der doppelten Unterstellung Weisungen an Leiter von Fachabteilungen nachgeordneter Räte zu erteilen, wovon der Ratsvorsitzende unterrichtet werden muß. Weisungen dürfen nicht in die von den örtlichen Volksvertretungen beschlossenen Pläne eingreifen, Entscheidungen der Räte können durch die Volksvertretung, den übergeordneten Rat und den Ministerrat aufgehoben werden.

 

Die Beziehungen der verschiedenen Ebenen des St. werden durch rechtliche Regelungen fixiert. Sie sollen dem gesellschaftlichen Entwicklungsstand, den Anforderungen an die staatliche Leitung und den jeweiligen politischen und ökonomischen Zielsetzungen und Dringlichkeiten (z.B. rasche Umsetzung von wissenschaftlichen Ergebnissen in die Produktion) entsprechen. Das Prinzip des Demokratischen Zentralismus läßt die Regelung der Beziehungen auch dann zu, wenn eine rechtliche Fixierung noch nicht stattgefunden hat bzw. bestehende Regelungen durch neue Entwicklungen überholt worden sind. Deshalb sind die in der Verfassung und in einzelnen Gesetzen formulierten Vorschriften über Rolle und Funktion der Organe des St. nur bedingt geeignet, verbindliche Aussagen über deren jeweilige Bedeutung und Stellung zu machen.

 

V. Partei und Staatsapparat

 

 

Die marxistisch-leninistische Staatslehre definiert den sozialistischen Staat als wichtigstes Instrument der Arbeiterklasse und ihrer Partei zur Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung. Das Verhältnis von Partei und St. verdeutlicht die instrumentale Rolle des Staates.

 

Die Beschlüsse der Partei sind die Grundlagen der staatlichen Normsetzung und verbindlich für die Arbeit des St. Seine Entscheidungen konkretisieren die Vorgaben der Partei, soweit diese nicht bereits detaillierte Durchführungsbestimmungen enthalten. Die Umsetzung der Parteibeschlüsse in die staatliche Tätigkeit erfolgt sowohl auf der zentralen wie auf der örtlichen Ebene durch verschiedene Methoden und Mechanismen.

 

Gemeinsame Beschlüsse von Politbüro des ZK der SED und Präsidium des Ministerrats oder des Zentralkomitees (ZK) der SED und des Ministerrats, in sozialpolitischen Angelegenheiten auch unter Beteiligung des Präsidiums des Bundesvorstandes des FDGB, werden ohne Umsetzung direkt vom St. durchgeführt. Das Politbüro gibt dem Ministerrat Hinweise, Empfehlungen oder Anweisungen, in bestimmten Angelegenheiten tätig zu werden bzw. Vorlagen für Gesetze auszuarbeiten; diese werden dann über das Präsidium der Volkskammer der Volkskammer vorgelegt.

 

Partei- und St. bilden gemeinsame Kommissionen bzw. Arbeitsgruppen zur Vorbereitung, operativen Durchführung und Kontrolle von Entscheidungen. Die Parteileitungen, d.h. die Sekretariate, geben dem St. der entsprechenden Ebene „Hinweise“ zur Erfüllung bestimmter Aufgaben. Sie legen die Grundzüge der Tätigkeit der Parteikader im St. fest. Mitglieder der hauptamtlichen Leitungen der SED sind befugt, an Sitzungen der Leitungsgremien des St. teilzunehmen, Konsultationen mit Staatsfunktionären durchzuführen und grundsätzliche Fragen der Durchführung der staatlichen Politik zu erörtern.

 

Leitende Funktionen im St. werden von Mitgliedern der SED wahrgenommen, die faktisch als Beauftragte der Partei staatliche Funktionen ausüben. Die Vorsitzenden der Räte und anderer Einheiten des St. sind Mitglieder der Sekretariate der Parteileitungen der örtlichen Ebenen. Auf der zentralen Ebene sind z.B. der Vorsitzende des Ministerrates, seine beiden Ersten Stellvertreter sowie zwei Minister [S. 1275]Mitglieder des Politbüros des ZK der SED; die Vorsitzenden der Räte der Bezirke, der Bezirksplankommissionen und -wirtschaftsräte sind stets Mitglieder der Sekretariate der Bezirksleitung der SED.

 

Die Partei besitzt das Recht, die von ihr als wichtig angesehenen Positionen im St. nach ihren Vorstellungen zu besetzen. Dies geschieht mit Hilfe des Nomenklatursystems (Kaderpolitik; Nomenklatur).

 

Die Mitglieder der SED im St. werden in nach besonderen Vorschriften des Statuts arbeitenden Parteiorganisationen zusammengefaßt. Sie bzw. ihre Leitungen leisten politisch-ideologische Erziehungsarbeit, kontrollieren die Tätigkeit der Mitarbeiter und Institutionen bezüglich der Durchführung der Parteibeschlüsse, organisieren gemeinsam mit den Gewerkschaftsleitungen Kampagnen und Wettbewerbe, sorgen für die Schulung von Mitgliedern, Kandidaten und Parteilosen im Parteilehrjahr und die marxistisch-leninistische Weiterbildung mit Hilfe der Kreis- und Betriebsschulen des Marxismus-Leninismus, informieren die übergeordneten Parteileitungen über die Probleme der Organisationsbereiche und sind bemüht, neben politisch-ideologischen auch fachliche Anforderungen zu erfüllen, um so die — früher häufig zu beobachtende unzureichende — Autorität der Parteifunktionäre zu stärken.

 

Die SED geht davon aus, daß der Parteiapparat die Funktionen des St. nicht übernehmen kann und darf. Er soll den St. als das wichtigste Instrument der Partei gemäß deren Beschlüssen anleiten. Entwicklungen kontrollieren und, falls notwendig, entstehende Konflikte rechtzeitig kanalisieren bzw. lösen. Zwischen Partei- und St. bestehen zahlreiche strukturelle Ähnlichkeiten. Die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder beider Apparate führen jedoch zu einer Reihe von Konflikten. Die wachsende Komplexität des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, die sich daraus ergebenden, rasch wechselnden Aufgabenstellungen, die Forderungen nach erhöhter Effektivität von Leitungsprozessen, sowie die Tatsache, daß der St. stets unmittelbarer Adressat der Wünsche der Bevölkerung ist, wirken sich in besonderer Weise auf die Formen staatlicher Leitungstätigkeit aus und bedingen deren rascheren Wandel. Insofern bedeutet die Anweisung der Parteiführung an die örtlichen Parteileitungen, sich nicht in die Arbeit des St. im Sinne der Übernahme seiner Funktionen einzumischen, auch eine Anerkennung der Tatsache, daß die Tätigkeiten von Partei und St. sich gegenseitig bedingen und die Vermischung der Aufgaben die notwendige Arbeitsteilung durchbricht. So führen die Kooperationsformen zwischen Partei- und St. im Rahmen der Entscheidungsprozesse (Einleitung, Ausarbeitung und Durchführung von Entscheidungen für das Gesamtsystem DDR) zu einer weitgehenden fachlichen Abhängigkeit der Partei vom St. Die Kritik an Mängeln der staatlichen Leitungstätigkeit, der gelegentlich dem St. gegenüber erhobene Vorwurf des Bürokratismus und andere kritische Stellungnahmen seitens der SED richten sich vor allem gegen Einzelpersonen und Verfahrensweisen; sie markieren zugleich das Selbstverständnis der SED hinsichtlich des St. Eine Änderung im Verhältnis von Partei und St. als den beiden bedeutendsten Teilen des politischen Systems wird von der SED-Führung gegenwärtig als unmöglich erklärt, da damit die Machtfrage entscheidend berührt würde.

 

Gero Neugebauer

 

Literaturangaben

  • Brandt, Hans-Jürgen: Die Kandidatenaufstellung zu den Volkskammerwahlen in der DDR. Entscheidungsprozesse und Auswahlkriterien. Baden- Baden: Nomos 1983.
  • Glaeßner, Gerd: Herrschaft durch Kader. Leitung der Gesellschaft und Kaderpolitik in der DDR am Beispiel des Staatsapparates. Opladen: Westdeutscher Verl. 1977.
  • Lapp, Peter Joachim: Der Staatsrat im politischen System der DDR (1960–1971). Opladen: Westdeutscher Verl. 1972.
  • Lapp, Peter Joachim: Wahlen in der DDR. Wählt die Kandidaten der Nationalen Front. Berlin: Holzapfel 1982.
  • Staatliche Leitung bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Berlin (Ost): Staatsverl. d. DDR 1982.
  • Neugebauer, Gero: Partei und Staatsapparat in der DDR. Aspekte der Instrumentalisierung des Staatsapparates durch die SED. Opladen: Westdeutscher Verl. 1978.
  • Wissenschaftliche Organisation der staatlichen Leitung. Grundriß. Berlin (Ost): Staatsverl. d. DDR 1981.
  • Marxistisch-leninistische Partei und sozialistischer Staat. Gesamtherstellung: Gerhard Schüßler. Berlin (Ost): Dietz 1978.
  • Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der DDR. Studientexte für die politische Bildung. 2., verb. u. erw. Aufl., Opladen: Westdeutscher Verl. 1980.
  • Sorgenicht, Klaus: Unser Staat in den achtziger Jahren. Berlin (Ost): Dietz 1982.
  • Marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie. Lehrbuch. 3., bearb. Aufl. Berlin (Ost): Staatsverl. d. DDR 1980.

 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 1270–1275


 

Staatsanwaltschaft A, B, C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U, V, W, Z Staatsarchive

 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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