
Staatsbürgerschaft (1985)
Siehe auch die Jahre 1965 1966 1969 1975 1979
Nach gegenwärtiger Auffassung der SED-Führung ist mit der Gründung der DDR in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht auch die St. der DDR entstanden. Sie soll Ausdruck der Souveränität der DDR sein und zur weiteren allseitigen Stärkung des sozialistischen Staates beitragen. Demgegenüber ging die Verfassung vom 7. 10. 1949 noch von einer einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit aus. Indessen wurden die Begriffe „Bürger der DDR“ oder „Staatsbürger der DDR“ bereits seit 1957 in gesetzlichen Bestimmungen verwendet. Daneben gab es aber weiterhin wie z. B. im Wahlgesetz 1958 den Begriff „Deutsche Staatsangehörigkeit“. Der Staatsratserlaß vom 21. 8. 1964 (GBl. I, S. 128), der allen vor dem 13. 8. 1961 Geflüchteten Straffreiheit versprach, bezeichnet die Flüchtlinge und alle legal in den Westen übergesiedelten Bürger als „Bürger der DDR, die außerhalb der DDR wohnen“. Auch das Staatsbürgerrechtsschutzgesetz vom 13. 10. 1966 (GBl. I, S. 81) gebraucht den Begriff „Bürger der DDR“.
Mit dem Gesetz über die St. der Deutschen Demokratischen Republik (St.-Gesetz) vom 20. 2. 1967 (GBl. I, S. 3) erging erstmals zu dieser Frage ein Regelungsgesetz. Das Gesetz legt zunächst fest, wen die DDR als Staatsbürger in Anspruch nimmt. Es sind dies alle [S. 1278]Personen, a) die zum Zeitpunkt der Gründung der DDR deutsche Staatsangehörige waren, in der DDR ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt hatten und die St. der DDR nicht verloren haben, b) die zum Zeitpunkt der Gründung der DDR deutsche Staatsangehörige waren, ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt außerhalb der DDR hatten, danach keine andere St. erworben haben und entsprechend ihrem Willen durch Registrierung bei einem dafür zuständigen Organ der DDR als Bürger der DDR geführt werden, c) die nach den geltenden Bestimmungen die St. der DDR erworben und sie seitdem nicht verloren haben.
Die St. der DDR wird erworben a) durch Abstammung, b) Geburt auf dem Territorium der DDR oder c) Verleihung. Ein Kind erwirbt mit seiner Geburt die St. der DDR, wenn die Eltern oder ein Elternteil Staatsbürger der DDR sind. Ein auf dem Territorium der DDR geborenes Kind erwirbt die St. der DDR, wenn es durch seine Geburt eine andere St. nicht erworben hat. Ein Findelkind auf dem Territorium der DDR ist Staatsbürger der DDR, sofern der Besitz einer anderen St. nicht nachgewiesen wird. Auf Antrag kann einem Bürger eines anderen Staates oder einem Staatenlosen die St. der DDR verliehen werden, „wenn er sich durch sein persönliches Verhalten und seine Einstellung zur Staats- und Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik der Verleihung der St. der Deutschen Demokratischen Republik würdig erweist und der Verleihung keine zwingenden Gründe entgegenstehen“. Der Antragsteller soll in der Regel seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt in der DDR haben. Minderjährige erwerben mit der Verleihung der St. der DDR an die Eltern die St. der DDR, wenn der Antrag auch für sie gestellt ist. Das gilt auch, wenn nur ein Elternteil durch Verleihung Staatsbürger der DDR wird. Hat der Minderjährige das 14. Lebensjahr vollendet, ist seine Einwilligung erforderlich.
Die St. der DDR geht verloren durch a) Entlassung, b) Widerruf der Verleihung oder c) Aberkennung. Ein Staatsbürger der DDR kann auf seinen Antrag aus der St. der DDR entlassen werden, wenn er seinen Wohnsitz mit Genehmigung der zuständigen staatlichen Organe der DDR außerhalb der DDR hat oder nehmen will, er eine andere St. besitzt oder zu erwerben beabsichtigt und der Entlassung aus der St. der DDR keine zwingenden Gründe entgegenstehen. Darüber ist eine Urkunde auszuhändigen. Werden Eltern aus der St. der DDR entlassen, so erstreckt sich die Entlassung auch auf ihre minderjährigen Kinder, wenn der Antrag für sie gestellt war. Wird der Antrag nur von einem Elternteil gestellt, ist der andere Elternteil zu hören. Hat der Minderjährige das 14. Lebensjahr vollendet, ist seine Einwilligung erforderlich.
Die Verleihung der St. kann widerrufen werden, wenn der Bürger bei der Antragstellung falsche Angaben gemacht oder Tatsachen verschwiegen hat, welche die Verleihung der St. der DDR ausgeschlossen hätten, oder sich der Bürger der St. der DDR durch grobe Mißachtung der mit ihrer Verleihung übernommenen Verpflichtung nicht würdig erweist. Die St. kann Bürgern, die ihren Wohnsitz oder Aufenthalt außerhalb der DDR haben, wegen grober Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten aberkannt werden.
Durch Gesetz zur Regelung von Fragen der St. vom 16. 10. 1972 verloren die Flüchtlinge aus der DDR, welche die DDR nach dem St.-Gesetz für sich in Anspruch genommen hatte, mit dem 17. 10. 1972 die St. der DDR. Der Verlust wurde auch für Abkömmlinge der Flüchtlinge, die als Abkömmlinge von DDR-Bürgern ursprünglich in Anspruch genommen worden waren, angeordnet. Durch VO vom 21. 6. 1982 (GBl. I, S. 348) wurde darüber hinaus auch Flüchtlingen sowie ihren Abkömmlingen, die die DDR vor dem 1. 1. 1982 verlassen hatten, die St. mit Wirkung vom 1. 7. 1982 an aberkannt. Wegen des „ungesetzlichen“ Verlassens der DDR sollen diese Personen nicht mehr strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Wegen anderer Delikte, z.B. Fahnenflucht (§ 254 StGB-DDR; Staatsverbrechen) oder anderer Straftaten gegen die staatliche Ordnung (Strafrecht, VII.) geht indessen die Strafverfolgung weiter.
Die Bundesrepublik Deutschland hält an einer einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit fest. Eine Möglichkeit, die St. der DDR mit der einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit zu vereinen, ist, die St. der DDR als eine Regelungsform der einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit anzusehen. Voraussetzung für diese Vorstellung ist, daß an einem Relikt staatlicher deutscher Einheit festgehalten wird. Das entspricht den Vorstellungen des Bundesverfassungsgerichtes in seinem Urteil vom 31. 7. 1973 — 2 BvF 1/73 — (BVerfGE 36, S. 1 ff.). Die DDR lehnt diese Auffassung noch ab.
Die DDR hat mit der UdSSR, mit der Ungarischen Volksrepublik, der Volksrepublik Bulgarien, der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik und der Mongolischen Volksrepublik Verträge zur Regelung von Fragen der doppelten St. abgeschlossen. Diese Verträge dienen der Vermeidung doppelter St. Danach behalten Personen, die am Tage des Inkrafttretens der Verträge aufgrund der Gesetzgebung der vertragschließenden Staaten deren Staatsbürger sind, nur die St. eines der vertragschließenden Staaten. Diese Personen können innerhalb eines Jahres vom Tage des Inkrafttretens der Verträge an optieren, welche St. sie behalten wollen. Personen, die eine Option nicht ausüben, behalten die St. des vertragschließenden Staates, auf dessen Hoheitsgebiet sie am Tage des Ablaufs der Frist ihren Wohnsitz haben. Für Minderjährige können die Eltern die Option ausüben. Kommt keine übereinstimmende Erklärung der Eltern zustande, behalten die Minderjährigen die St. des vertragschließenden Staates, auf dessen Hoheitsgebiet die Eltern am Tage des Ablaufes der genannten Frist ihren Wohnsitz hatten.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 1277–1278
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