DDR von A-Z, Band 1985

Staatsfunktionär (1985)

 

 

Siehe auch:


 

Bezeichnung für die Leiter und Mitarbeiter in den zentralen und örtlichen Staatsorganen (Staatsapparat), für Richter und Staatsanwälte (Staatsanwaltschaft) sowie für die Leiter staatlicher Institutionen und Einrichtungen sowie deren Stellvertreter. Zu den St. werden ferner die Offiziere in den [S. 1279]bewaffneten Organen (Deutsche Volkspolizei [DVP]; Grenztruppen der DDR; Nationale Volksarmee [NVA]) sowie die Leiter in der sozialistischen Volkswirtschaft (z. B. Direktoren von Kombinaten und VEB) gezählt. Ihre Aufgaben, Pflichten und Rechte sollen in jedem Fall genau umschrieben sein; zu ihrer Ausübung sind ihnen staatliche Befugnisse übertragen. Die Tätigkeit der St. wird als Staatsdienst bezeichnet. An die St. werden besondere Anforderungen gerichtet, die für die Kaderpolitik generell kennzeichnend sind. Als „Beauftragte der Arbeiter-und-Bauern-Macht“ sollen sie über gesellschaftswissenschaftliche sowie über Grundkenntnisse in marxistisch-leninistischer Philosophie (Marxismus-Leninismus; Politische Ökonomie) und im Wissenschaftlichen Kommunismus verfügen. Daneben wird erwartet, daß sie das entsprechende Fachwissen für die Wahrnehmung ihrer Aufgabe besitzen und sich sowohl politisch-ideologisch als auch fachspezifisch ständig weiterbilden.

 

Eine besondere Gruppe innerhalb der St. bilden die Staatlichen Leiter (StL.). StL. sind mit der Leitung staatlich organisierter Kollektive (z.B. Ministerium, Vorsitzender eines Rates, Betrieb, Schule, Theater) beauftragt. Der StL. wird in seine Position entweder entsprechend den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen berufen oder gewählt. Entsprechend endet sein Arbeitsverhältnis entweder mit dem Ablauf der jeweiligen Wahlperiode oder durch Abberufung. Wie für alle St. gilt für die StL. — für diese aber in besonderem Maße —, daß sie ihre Funktionen auf der Grundlage der Beschlüsse der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) sowie der staatlichen Gesetze ausüben. Für ihre Tätigkeit tragen sie die volle persönliche Verantwortung und verfügen über die für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben notwendigen Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse (Demokratischer Zentralismus; Einzelleitung). Sie sollen ihre Mitarbeiter aktiv in die Entscheidungsfindung und -durchführung einbeziehen und zugleich auf die ihnen unterstellten Kollektive erzieherisch einwirken.

 

Entsprechend der Bedeutung, die dem Staat als dem „Hauptinstrument beim Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ (Staatslehre) zugemessen wird, gilt für die St. eine besondere VO „über die Pflichten, die Rechte und die Verantwortlichkeit der Mitarbeiter in den Staatsorganen“ vom 19. 2. 1969 (GBl. II, S. 163). Die Arbeit der St. wird darin als „eine Ehre und hohe gesellschaftliche Verpflichtung“ bezeichnet. Die VO verpflichtet die St. insbesondere zur Unterstützung der Abgeordneten, zur Wahrung der Staatsdisziplin, zur Mehrung und zum Schutz des sozialistischen Eigentums, zur Gewährleistung der Gesetzlichkeit und zur Wachsamkeit vor allem durch Wahrung der Schweigepflicht. Ferner sind in dieser VO die Grundsätze für die besondere disziplinarische und materielle Verantwortlichkeit der St. festgelegt. — Neben den Mitgliedern des Staatsrates und des Ministerrates der DDR, den Richtern und Staatsanwälten sowie den ehrenamtlichen Mitarbeitern von Staatsorganen sind lediglich „Sekretärinnen, Stenotypistinnen, Fernschreiberinnen, Kraftfahrer, …, Pflege-, Hilfs- und Wartungspersonal und mit ähnlichen Arbeiten Beschäftigte“ von den Bestimmungen der „Mitarbeiter-VO“ ausgenommen. — Für verschiedene Bereiche des Staatsapparates gelten weitere besondere VO, die die speziellen Arbeitsverhältnisse ausgestalten. Grundsätzlich gelten aber auch für die St. die Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches (AGB) (insbesondere §§ 61–66), soweit die speziellen Rechtsnormen nichts anderes vorsehen.

 

Ihrem arbeitsrechtlichen Status nach sind St. in der DDR Angestellte. — Der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Staates ließ am 8. 5. 1945 — auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes (Urteile vom 17. 12. 1953) — alle Beamtenverhältnisse (Beamte) erlöschen. Im Unterschied zu der Entwicklung in den Westzonen bzw. der Bundesrepublik Deutschland wurde das Berufsbeamtentum (B.) in der SBZ/DDR jedoch nicht wiederhergestellt. Der Befehl des Obersten Chefs der SMAD Nr. 66 vom 17. 9. 1945 hob — nachdem schon vorher leitende Funktionäre der KPD zu erkennen gegeben hatten, daß an eine Wiederherstellung des B. nicht zu denken sei — das Deutsche Beamtengesetz vom 26. 1. 1937 ausdrücklich auf. Trotzdem gab es in einzelnen Ländern der SBZ (z. B. Thüringen, Sachsen-Anhalt) Ansätze zu einer Wiedereinführung des B. Verschiedene VO und Maßnahmen der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) 1948/49 sowie der Tarifvertrag vom 1. 2. 1949 zwischen der DWK und der seinerzeitigen Gewerkschaft Öffentliche Betriebe und Verwaltungen des FDGB beseitigte die letzten noch fortgeltenden beamtenrechtlichen Regelungen.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 1278–1279


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.