
Syndikalismus (1985)
Siehe auch die Jahre 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979
Aus dem französischen Wort „syndicalisme“ (Gewerkschaftswesen) entstandenen Bezeichnung für jene Richtungen in der Arbeiterbewegung, die Parteien und die Beteiligung an den politischen Institutionen (Wahlen, Parlament, Regierung) entweder völlig ablehnen oder als unwichtig sehr gering bewerten. Der S. geht davon aus, daß der Klassengegensatz in der Ökonomie seine Ursache habe. Die ökonomische Auseinandersetzung sei daher die eigentliche „direkte Aktion“, auf die es sich zu konzentrieren gelte. Parteien, Regierungen usw., also „Politik“ im engeren Sinne, seien nur abgeleitete Phänomene; Handeln in diesem Bereich gilt dem S. daher nur als „indirekte Aktion“. Dementsprechend sieht der S. in den ökonomischen Organisationen der Arbeiterklasse, den Gewerkschaften, die eigentlichen Träger der sozialen und revolutionären Auseinandersetzungen. Der Kampf um die Verbesserung der Lebensbedingungen und zur Überwindung des kapitalistischen Gesellschaftssystems wird vom S. als ein einheitlicher Prozeß gesehen. Kampfinstrumente des S. sind Boykott, Sabotage, Massendemonstrationen, Streiks und als letzte bzw. höchste Kampfform der revolutionäre Generalstreik. Der S. hatte und hat in Restbeständen noch heute — z. T. in Form des auf föderative Strukturen und direkte Demokratie verpflichteten Anarchosyndikalismus — vor allem in Frankreich, Italien, Spanien und einzelnen Ländern Lateinamerikas Bedeutung.
Kommunistische Parteien haben den S. immer in gleicher Weise wie den Anarchismus bekämpft. Für den Marxismus-Leninismus ist die Partei die höchste Organisationsform, der die Gewerkschaften untergeordnet sind. — In der UdSSR wurde die „Arbeiteropposition“, die sich für die Übernahme der Volkswirtschaft durch die Gewerkschaften und die Einführung der Arbeiterselbstverwaltung einsetzte (A. G. Schljapnikow, Alexandra M. Kollontai), von W. I. Lenin 1921 als „syndikalistische und bis zu einem gewissen Grad halbanarchistische Abweichung“ gebrandmarkt (W. I. Lenin, Werke, Bd. 32, Berlin [Ost], 1961, S. 176).
In der DDR ist der Vorwurf des S. dann von seiten der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) erhoben worden, wenn betriebliche Gewerkschaftskommissionen oder Arbeitskollektive versuchten — in sehr begrenzter Weise —, in die Kompetenzen des Betriebsleiters einzugreifen (Einzelleitung; Demokratischer Zentralismus). Das war z.B. der Fall, als einige Ständige Produktionsberatungen 1959/60 versuchten, ihren Beschlüssen gegenüber den Werkleitern größeres Gewicht zu geben und als einzelne Brigaden der sozialistischen Arbeit (Sozialistischer Wettbewerb) etwa zur gleichen Zeit Prämien selbst aufteilen, Urlaubspläne in eigener Verantwortung aufstellen wollten usw.
Auch im internationalen Feld sehen die kommunistischen Parteien nur in Ausnahmefällen die Möglichkeit, mit syndikalistischen Organisationen kurzfristige Bündnisse (Bündnispolitik) einzugehen. Der S. ist in aller Regel antisowjetisch orientiert und gehört zu den energischsten Kritikern der Herrschaftssysteme sowjetischen Typs.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 1347
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