DDR von A-Z, Band 1985

Unternehmenskooperation, Grenzüberschreitende (1985)

 

 

1. Begriffe, Formen und Ziele der GU. Bei der GU der DDR sind zu unterscheiden die intrasystemare, die intersystemare und die Drittlandkooperation (Dreieckskooperation). Die intrasystemare GU. betrifft die Zusammenarbeit mit Partnern aus Mitgliedsländern des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), die intersystemare die Kooperation mit Unternehmen aus allen anderen Ländern, speziell westlichen Industriestaaten. In beiden Fällen kann das Projekt entweder in der DDR selbst, im Partnerland oder auch in beiden beteiligten Ländern gemeinsam durchgeführt werden. Die Drittlandkooperation schließlich erstreckt sich auf Vorhaben in Entwicklungsländern, an denen sich Betriebe aus der DDR und westliche Unternehmen gleichermaßen beteiligen.

 

Der Begriff der GU. wird in der DDR (wie überhaupt in den sozialistischen Ländern) sehr weit ausgelegt und umfaßt praktisch sämtliche Außenwirtschaftsaktivitäten, die über den reinen Außenhandel (Ware gegen Geld) hinausgehen (Außenwirtschaft und Außenhandel). Diese weite Definition dient u.a. dazu, den Solidaritätsaspekt bei der RGW-Integration publizistisch hervorzuheben (Komplexprogramm 1971) und der Entspannungspolitik mit dem Westen eine wirtschaftliche Unterfütterung zu geben (Friedliche Koexistenz).

 

Gleichzeitig sollen die überholten Formen des Tauschhandels, die aus Mangel an Devisen praktiziert werden müssen, sowie Lizenzkäufe mit einem fortschrittlichen Anstrich versehen werden (Lizenzen). Außerdem können westliche Importrestriktionen ggf. unterlaufen werden, wenn Kompensationsgeschäfte mit branchenfremden Produkten als GU. deklariert werden.

 

Eine weite Definition hat sich auch die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (ECE) unter dem Einfluß ihrer östlichen Mitglieder zu eigen gemacht; sie geht in ihren Veröffentlichungen zur industriellen Kooperation davon aus, daß eine Kooperation dann vorliegt, wenn die Partner über einen längeren Zeitraum ein gemeinsames Interesse an bedeutenden technologischen oder fertigungstechnischen Vorhaben besitzen. Dazu ist jedoch kritisch anzumerken, daß das gemeinsame Interesse allein nicht ausreicht, sondern daß es darum geht, auf vertraglicher Grundlage gemeinsam auf einen bestimmten Zweck hin zu handeln.

 

Kooperation sollte nach der Definition des Rationalisierungskuratoriums der Deutschen Wirtschaft (RKW) verstanden werden als eine Verbundform, bei der je nach Intensitätsgrad eigene Betriebsfunktionen mit denen anderer Unternehmen verbunden oder ausgetauscht werden. Diese Definition konnte sich jedoch in der vorherrschenden Literatur zur GU. Ost-West nicht durchsetzen. Es darf somit nicht überraschen, wenn in Veröffentlichungen der ECE, der DDR und anderer RGW-Länder die beiden folgenden „Kooperationsformen“ gleich an zweiter und dritter Stelle hinter der Spezialisierungskooperation rangieren: Lieferung kompletter Betriebe gegen die Abtretung eines Teils der späteren Produktion und Übergabe von Technologien gegen die Abtretung eines Teils der später erzeugten Lizenzwaren. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um zeitlich gestreckte Tauschgeschäfte, die den Devisenmangel und die Vorfinanzierungsproblematik entschärfen sollen.

 

2. Intrasystemare GU. Das Schwergewicht der intrasystemaren Kooperation der DDR liegt auf Investitionsbeteiligungen bei der Rohstofferschließung in der Sowjetunion. Z.B. werden Maschinen, Anlagen und Arbeitskräfte zum Pipelinebau in der Sowjetunion durch die DDR zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise sichert sich die DDR einen bestimmten Anteil an den sowjetischen Rohstoffen zu Vorzugspreisen (etwa für Erdöl; vgl. DIW-Wochenbericht 7/1980, S. 74, sowie die dort angegebenen Quellen; Energiewirtschaft). Diese Investitionsbeteiligungen stellen im Kern wiederum langfristige Kompensationsgeschäfte dar, bei denen nicht errechnet werden kann, ob die gewährte Versorgungssicherheit zu günstigen Preisen die Wohlfahrtsverluste der DDR-Volkswirtschaft ausgleicht. Die gesamten Investitionsbeteiligungen der DDR innerhalb des RGW sind von 1966 (55 Mill. Mark) bis 1978 (1700 Mill. Mark) gewachsen und fallen seit 1979 (1080 Mill. Mark) wieder ab. Im Maximum (1978) betrug der Anteil derartiger Investitionsbeteiligungen der DDR an den Gesamtinvestitionen der DDR 3,3 v.H. und am produzierten Nationaleinkommen 1,1 v.H. (Quelle: Statistisches Jahrbuch der DDR, div. Jahrgänge; eigene Berechnungen des Verf.).

 

Nach Angaben von DDR-Autoren hat sich der auf Spezialisierungs- und Kooperationsvereinbarungen beruhende RGW-Handel der DDR von fast 0 v.H. (1970) über rd. 21 v.H. (1975) auf etwa 33 v.H. (1980) am gesamten Intrablockhandel der DDR erhöht. Es fällt jedoch schwer, diese Anteile unter der Rubrik Kooperation zu verbuchen. Offensichtlich handelt es sich lediglich um die vertragliche Fixierung der gewachsenen Austauschbeziehungen entsprechend dem Komplexprogramm des RGW von 1971.

 

3. Intersystemare GU. Bezüglich der intersystemaren [S. 1397]Kooperation verhalten sich die DDR-Unternehmen trotz zahlreicher staatlicher Kooperationsabkommen bemerkenswert reserviert. Gemessen an der Zahl der Kooperationsprojekte rangiert die DDR permanent an letzter Stelle der beteiligten RGW-Länder, obwohl sie über ein bedeutendes Kooperationspotential verfügt, wie etwa die Zusammenarbeit mit VW (Bundesrepublik Deutschland) und österreichischen Firmen beweist. Für 1977 ermittelte die ECE für die DDR einen Anteil von nur 2,6 v.H. an der Gesamtzahl der geschlossenen Ost-West-Kooperationsverträge (vgl. ECE Trade/R 355/Add. 2 vom 15. 11. 1977); an dieser Schlußlichtposition dürfte sich bis heute nicht viel geändert haben.

 

Als wichtige Gründe für diese Zurückhaltung der DDR im Vergleich etwa zur UdSSR und zu Ungarn werden angeführt:

  • die angespannte Arbeitskräftesituation in der DDR (Arbeitskräfte),
  • die Resorption des vorhandenen Kooperationspotentials durch RGW-Länder, insbesondere die Sowjetunion (vgl. Pkt. 2),
  • die Furcht vor Souveränitätseinbußen bzw. dem Entstehen wirtschaftlicher Abhängigkeiten durch längerfristige wirtschaftliche Bindungen,
  • Bedenken, daß westliche Unternehmen zu tiefe Einblicke in die Betriebsabläufe in der DDR erhalten,
  • die Dominanz der Abgrenzungspolitik (Abgrenzung) gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, dem potentiell ergiebigsten Kooperationspartner der DDR. (Während die DDR nur 17 von insgesamt erfaßten 658 Kooperationsverträgen abgeschlossen hatte — das sind die oben genannten 2,6 v.H. —, führte die Bundesrepublik Deutschland die Rangliste westlicher Länder mit 21,4 v.H., das sind 141 der erfaßten 658 Fälle, an.)

 

In der Praxis handelt es sich fast ausschließlich um Vorhaben, die unter Beteiligung westlicher Unternehmen in der DDR durchgeführt werden.

 

4. Drittlandkooperation. Exakte Angaben über die Zahl der Drittlandkooperationen liegen nicht vor. An den rund 300 zwischen RGW-Ländern und westlichen Ländern geschlossenen derartigen Verträgen ist die DDR wiederum nur in geringem Maße beteiligt. Hauptpartner der DDR in Entwicklungsländern ist Österreich mit etwa 10 Projekten, gefolgt von Frankreich, Japan und der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Ost-West-Zusammenarbeit in dritten Ländern, hrsgg. vom Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., Köln 1982, S. 30 f.).

 

Als Hauptmotive für die Dreieckskooperation nennen DDR-Ökonomen die Erschließung neuer Finanzierungsquellen sowie die Sicherung von Roh- und Brennstoffimporten (vgl. P. Freiberg, J. Nitz, G. Scharschmidt, Zum Charakter der dreiseitigen Wirtschaftskooperation, in: IPW-Berichte 2/1979, S. 19 f.). Auf westlicher Seite spielen die komplementäre Leistungs- und Kostenstruktur, der Zugang zu neuen Märkten sowie die Erfüllung von Kompensationsverpflichtungen eine wichtige Rolle. In diesem Lichte ist z.B. die Lieferung von Karosseriepressenstraßen des VEB-Kombinat Umformtechnik Herbert Warnke, Erfurt, an das mexikanische VW-Werk in Puebla zu betrachten — nämlich als Teil-Kompensationsleistung für die Lieferung von 10.000 Golf-Pkw durch das westdeutsche VW-Unternehmen.

 

Das Volumen der Drittlandkooperation entspricht bisher in keiner Weise dem publizistischen Aufwand, der mit ihr verbunden wird. Die ECE bezog 1977 bei ihren Berechnungen die „tripartite cooperation“ in die intersystemare Kooperation mit ein und errechnete auf diese Weise lediglich einen Anteil von 1,1 v.H. aller untersuchten Fälle.

 

Ohne Zweifel ist die Dreieckskooperation eine ökonomisch und politisch gleichermaßen interessante Zusammenarbeitsform, werden durch sie doch sowohl die sensiblen Punkte der Ost-West- als auch die der Entwicklungspolitik berührt. Doch sind darin auch die retardierenden Momente begründet: die entwicklungspolitischen Grundauffassungen in der DDR und in den westlichen Industrieländern sind zu unterschiedlich, um der Dreieckskooperation für die überschaubare Zukunft eine große Chance einräumen zu können. Entwicklungshilfe.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 1396–1397


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.