DDR von A-Z, Band 1985

Westorientierung (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1969 1975 1979


 

Ein Begriff der politischen Alltagssprache der DDR. — W. bezieht ihre Bedeutungsinhalte aus der Ost-West-Konfrontation und der, marxistisch-leninistisch gesprochen, weltgeschichtlichen Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus/Imperialismus (West) und Sozialismus/Kommunismus (Ost). Hinter dem Begriff verbirgt sich ein Bündel von ideologischen und gesellschaftspolitischen Problemen. Denn „Westen“ ist für die SED kein eindeutiger Feindbegriff; W. kann daher nicht in allen Aspekten ausnahmslos verdammt werden.

 

Eine W. wird zwar, wann immer man sie identifiziert, kritisiert. Doch lassen sich in der Politik der SED durchaus Vorstellungs- und Handlungsweisen erkennen, die auf eine Orientierung am oder nach Westen hindeuten. Nicht nur ist „der“ Westen genauestens zu beobachten (Imperialismus) und als Gegner zu bekämpfen (Agitation und Propaganda; Antikommunismus). Vielmehr richtet man sich auch nach Standards und Mustern, die der Westen vorgibt: Wenn im wissenschaftlichen und technologischen Bereich das „Weltniveau“ angestrebt wird, ist dieses nicht notwendigerweise durch den Entwicklungsstand der UdSSR definiert. Ebenso orientiert sich die Produktion „devisenrentabler Erzeugnisse“ durchaus an dem von den westlichen Ländern beherrschten „Weltmarkt“. Ferner sind Leistungs- und Wachstumsdenken, die den kapitalistischen Wirtschaftstheorien entstammen, in der DDR ungebrochener als inzwischen in westlichen Industriestaaten Bestandteil der eigenen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Darüber hinaus bildet der westliche, besonders der bundesdeutsche Lebensstandard ein wichtiges Maß für die Politik der SED und für die Bevölkerung der DDR (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), IX., Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), XV.).

 

Kritisiert wird als W. die Bewußtseinshaltung derjenigen DDR-Bürger, die für westliche Einflüsse (von Ideen bis zu Produkten des täglichen Gebrauchs) zu anfällig sind. Ihnen wird entgegengehalten, ihre W. sei mit den Prinzipien der Sozialistischen ➝Moral nicht vereinbar; ihnen fehle das notwendige Gesellschaftliche ➝Bewußtsein und Sozialistische ➝Staatsbewußtsein. Solch innenpolitischer Kampf gegen die W. hängt eng mit der Politik der Abgrenzung zusammen.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 1482


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.