Agitation und Propaganda (1985)
Siehe auch:
I. Funktion
AuP. — im Selbstverständnis der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) „untrennbar miteinander verbunden“ — spielen in der Theorie und Praxis kommunistischer Parteien sowjetischen Typs eine besondere Rolle. Sie sind „unlöslicher“ Bestandteil der Partei- und Staatspolitik zur per[S. 6]manenten, systematischen Beeinflussung und Lenkung des Denkens (Bewußtseins) und Handelns (Verhaltens) der Bevölkerung im Sinne der Ideologie des Marxismus-Leninismus : „Das Grundanliegen von Agitation und Propaganda der Partei ist es, die Arbeiterklasse und alle Werktätigen mit den revolutionären Ideen des Marxismus-Leninismus auszurüsten, ihnen die erfolgreiche Verwirklichung unserer Ideen in der Welt vor Augen zu führen, sie im Geiste der kommunistischen Ideale zu standhaften und streitbaren Kämpfern zu erziehen, sie zur Erfüllung der Parteibeschlüsse zu mobilisieren und sie noch besser zum Kampf gegen die Politik und Ideologie des Imperialismus zu befähigen.“ (Beschluß des Politbüros des ZK der SED vom 7. 11. 1972 über die Aufgaben der AuP. bei der weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des VIII. Parteitages) Zur Indoktrinierungsfunktion tritt die Abschirmungsfunktion: „Agitation und Propaganda haben die Aufgabe, den Antikommunismus, dieses politisch-ideologische Hauptinstrument der imperialistischen Bourgeoisie, den bürgerlichen Nationalismus, den Sozialdemokratismus, den Revisionismus und den ‚linken‘ Opportunismus mit unseren überlegenen geistigen Waffen aus dem Felde zu schlagen. Die Einheit und Reinheit des Marxismus-Leninismus ist gegen alle Angriffe konsequent zu verteidigen.“ (a.a.O.) Die „überragende Bedeutung“, die der AuP. im gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß beigemessen wird, ergibt sich aus der leninistischen Theorie von der Rolle der kommunistischen Partei („Partei neuen Typus“) als der politisch-ideologischen und organisatorischen Kraft, die die Ideen des Klassenkampfes und seine politische Zielsetzung in die Arbeitermassen trägt. Aus Lenins Analyse der russischen Situation und seinen Schlußfolgerungen für die Rolle der Partei wurde — von Stalin in der Lehre von der „aktiven revolutionären Rolle des Überbaus“ weiterentwickelt und in der politischen Praxis ausgebaut — die gegenwärtig noch geltende dogmatisierte These abgeleitet, „daß sozialistisches Bewußtsein nicht spontan, außerhalb der lenkenden politisch-ideologischen Arbeit der Partei entstehen kann“ (dagegen Marx: „Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewußtsein“). Diese Erkenntnis verlange „die sozialistische Erziehung der Massen, eine breite mündliche und schriftliche Massenpropaganda und -agitation“, die in unserer Zeit „einer nie dagewesenen Verschärfung des ideologischen Kampfes im internationalen Maßstab“ besonders aktuell sei.
II. Inhalte
Die jeweils zu vermittelnden Inhalte setzt die Partei fest (Ausschließlichkeitsanspruch): „Die allgemeinen Einsichten in den Gang der gesellschaftlichen Entwicklung werden für den einzelnen durch die Programme, Beschlüsse und Dokumente der marxistisch-leninistischen Partei und des sozialistischen Staates konkretisiert. Sie setzen sich über diesen Weg in Normen und Handlungsappelle um.“ (G. Heyden, Direktor des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED [IML]) Erst in der Art und Weise der Vermittlung wird zwischen Agitation (A.) und Propaganda (P.) unterschieden:
P. vermittelt die „allgemeinen Einsichten“, die Theorie („wissenschaftliche Weltanschauung“) des Marxismus-Leninismus sowie die Strategie und Taktik der kommunistischen Parteien und Staaten auf der Grundlage der Werke der „Klassiker“ (Marx, Engels, Lenin, früher auch Stalin) in der jeweiligen Interpretation der „Dokumente und Beschlüsse“ der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und der SED. Sie erläutert systematisch die marxistisch-leninistischen „Grundwahrheiten“; von zentraler Bedeutung ist hierbei die Schulung der Parteimitglieder und speziell der Propagandisten und Agitatoren der Partei. A. soll dagegen die daraus abgeleiteten konkreten, tagesaktuellen „Normen und Handlungsappelle“ auf der Grundlage der jüngsten Beschlüsse von Partei und Regierung verbreiten: „Im Mittelpunkt der Agitation steht die weitere Herausbildung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung bei den Werktätigen, ihre Erziehung zum sozialistischen Patriotismus und proletarischen ➝Internationalismus, zur sozialistischen Einstellung zur Arbeit und zum Haß gegen die Feinde des Friedens und des Sozialismus.“ Begriffliche und inhaltliche Überschneidungen ergeben sich dabei zwangsläufig.
Hauptinhalt der politischen AuP. ist seit dem VIII. Parteitag der SED (1971) die „allseitige Stärkung der DDR für ihre immer festere Verankerung in die sozialistische Staatengemeinschaft“ unter besonderer Berücksichtigung der „führenden Kraft der KPdSU“, der Führungs-, Vorbild- und Pionierrolle der Sowjetunion; die politische, sozialökonomische, kulturelle und geistige Abgrenzung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und die „unversöhnliche Auseinandersetzung“, der „Kampf gegen alle Erscheinungsformen der bürgerlichen Ideologie“. Zu diesem Zweck wird auch eine verstärkte Koordinierung der AuP. der von Moskau geführten kommunistischen Staaten u.a. durch regelmäßige Treffen der ZK-Sekretäre für AuP. vorgenommen. An diesen AuP.-Grundsätzen wird auch in den 80er Jahren festgehalten. Als Linie für die deutschlandpolitische (Friedliche Koexistenz) AuP. gilt die Rede Honeckers vor Parteiaktivisten in Gera zur Eröffnung des Parteilehrjahres 1980/81 (ND 14. 10. 1980); sie wurde von ihm im Rechenschaftsbericht an den X. Parteitag der SED im April 1981 als prinzipielle Stellungnahme „für heute und alle Zukunft“ zur Innen- und Außenpolitik der DDR gewertet. In der internationalen kommunistischen AuP. liegen die Schwerpunkte auf dem Verdikt [S. 7]gegen „konterrevolutionäre“ Bestrebungen (Polen), auf dem Kampf gegen neue, „pluralistische“ Gesellschaftsmodelle des Sozialismus und gegen den Antisowjetismus Antikommunismus; Deutschlandpolitik der SED; Eurokommunismus; Maoismus.
III. Organisation und Schulungssystem
Da AuP. alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringen und alle Bevölkerungsschichten erreichen soll, ist ein umfangreiches Organisations- und Schulungssystem aufgebaut worden:
Oberstes Lenkungs- und Leitungsorgan ist das Politbüro der SED („die politisch-ideologische Arbeit ist wichtigster Bestandteil der Führungstätigkeit der Partei“). Direkt verantwortlich sind 2 Politbüromitglieder, die gleichzeitig hauptamtlich Sekretäre des ZK (Sekretariat des Zentralkomitees (ZK) der SED) sind:
Kurt Hager für Ideologie, „wissenschaftliche Weltanschauung“, Wissenschaft, Kultur, Volksbildung. Joachim Herrmann, seit März 1978 als Nachfolger des in Libyen tödlich verunglückten Werner Lamberz Sekretär für AuP., zuständig auch für die Medienpolitik (Presse, Rundfunk und Fernsehen als „kollektive Agitatoren und Propagandisten“, die die „kollektive Weisheit der Partei regelmäßig und in kürzester Frist in alle Schichten des Volkes tragen“).
Zum AuP.-Bereich gehören u.a. die ZK-Abteilungen: Propaganda unter Dr. Klaus Gäbler, Agitation unter Heinz Geggel, die Agitationskommission beim Politbüro und die West-Abteilung unter Prof. Herbert Häber.
Zentrale Institute, die eine wesentliche Funktion in der AuP. ausüben, sind:
Die Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED (AfG), Rektor: Prof. Dr. Otto Reinhold;
das IML, Direktor: Prof. Dr. Günter Heyden;
die Parteihochschule „Karl Marx“ beim ZK der SED (PHS), Rektor: Kurt Tiedke;
das Zentralinstitut für Sozialistische Wirtschaftsführung beim ZK der SED (ZSW), Direktor: Prof. Dr. Helmut Koziolek;
das Institut für Internationale Politik und Wirtschaft (IPW), Direktor: Prof. Dr. Max Schmidt.
In den SED-Bezirksleitungen gibt es unter dem zuständigen Sekretär eine Abteilung AuP., in den Kreisleitungen den Sekretär für AuP.
Das Parteischulungssystem umfaßt neben dem Parteilehrjahr (Parteischulung der SED) die marxistisch-leninistische Aus- und Weiterbildung von Funktionären, Propagandisten und Agitatoren der Partei an den Zentralinstituten in Drei-, Zwei- und Einjahrlehrgängen sowie das Fernstudium und mehrmonatige Lehrgänge an den Sonderschulen des ZK in Kleinmachnow (z.B. Agitprop-Lehrgänge für Abteilungsleiter der Bezirksleitungen und AuP.-Kreissekretäre) und in Woltersdorf (für Kulturfunktionäre) sowie an den Bezirksparteischulen und Sonderschulen und den Kreis- und Betriebsschulen des Marxismus-Leninismus. Die Partei- und Sonderschulen der SED unterweisen auch die Funktionäre der Massenorganisationen auf dem Gebiet der AuP.
Spezielle AuP.-Publikationen sind, neben den marxistisch-leninistischen Standardwerken und Lehrbüchern sowie Studienmaterialien des Parteilehrjahres der Abteilung P. des ZK, die Schriftenreihen: „ABC des Marxismus-Leninismus“ der AfG; „Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie“ der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) und „Der Parteiarbeiter“ des SED-eigenen Dietz-Verlages.
Interne AuP.-Argumentationsanleitungen des ZK sind die vertraulichen „Informationen“ (zentrale Sprach- und Unterweisungsregeln für Funktionäre). Die Abteilung A. des ZK gibt daneben die monatliche Publikation „Was und Wie — Informationen, Argumente, Übersichten für den Agitator“ über den 1975 gegründeten „Verlag für Agitations- und Anschauungsmittel“ heraus, der auch Plakate, Fotos, Dia-Serien (vertont) usw. für die AuP.-Arbeit von SED und Massenorganisationen vertreibt.
Als Lehrbuch für Agitatoren und Propagandisten (über die Parteilichkeit und Kunst der P.) gilt das aus dem Russischen übersetzte, von der Abteilung des ZK der SED herausgegebene Buch „Methodik der politischen Bildung“, Dietz Verlag, Berlin (Ost), 1974.
Eine den Richtlinien der SED für AuP. angepaßte Parteischulung bzw. Studienjahre gibt es auch in den sog. bürgerlichen Parteien der DDR.
IV. Massenagitation und Massenpropaganda
Neben den Parteien und Massenorganisationen sind die Nationale Front, die Urania, die Kammer der Technik, die Künstler-Verbände, staatliche Einrichtungen und universitäre Fachbereiche sowie die Massenmedien zu ständiger AuP. verpflichtet.
Die wichtigsten Formen und Mittel sind: Bücher und Broschüren; Film, Flugblätter; Ausstellungen, Transparente, Plakate, Fotos (Sicht-A.). Nach Meinung der Partei ist jedoch die mündliche A. „Hunderttausender Agitatoren und Propagandisten, die täglich mit Leidenschaft und Können die Politik der SED im ganzen Volk verbreiten … durch nichts zu ersetzen“. Als Schwerpunkte gelten der Betrieb, das angestrebte „tägliche politische Gespräch im Arbeitskollektiv“, in der Abteilung, in der Brigade mit Tages-A. und Produktions-P. zum Sozialistischen Wettbewerb, unterstützt durch Betriebsfunk, Betriebszeitung, Wandzeitung, Kommentatorengruppen und zeitweilige A.-Gruppen zu aktuellen Problemen des Betriebes.
[S. 8]Zur Organisierung des von der SED geforderten „Massenstudiums des Marxismus-Leninismus“ in den Arbeitskollektiven sind nach dem Vorbild der sowjetischen „Schulen der kommunistischen Arbeit“ vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) die Schulen der sozialistischen Arbeit eingerichtet worden.
In den Wohngebieten sollen vor allem die Ausschüsse der Nationalen Front eine „offensive politische Massenarbeit bis in die Hausgemeinschaften und Familien hinein“ leisten.
Verantwortlich für die gesamte A. und Massen-P. sind die Parteileitungen der SED. Auch staatliche und wirtschaftsleitende Organe sind angehalten, in Beschlüssen festzulegen, „durch wen, in welcher Weise und mit welchen Argumenten“ die Bürger zur Unterstützung bereits beschlossener Maßnahmen gewonnen werden können.
An den Universitäten (Universitäten und Hochschulen) und Fachschulen der DDR sind z. T. (1978) „Schulen der Propagandisten“ eingerichtet worden, um FDJ-Studenten für AuP.-Einsätze in Betrieben und in den 9. und 10. Klassen der Polytechnischen Oberschulen auszubilden.
Orientierungsrichtlinie für die Massen-AuP. ist der Beschluß des Politbüros des ZK der SED vom 18. 5. 1977 über „Die weiteren Aufgaben der politischen Massenarbeit der Partei“ (ND 21. 5. 1977). Einige Zielsetzungen lauten: 1. Massenverbundenheit: „Die Partei lehrt die Massen den revolutionären Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse zu vollziehen. Zugleich lernt sie von den Massen.“ 2. „Die brüderliche Verbundenheit mit der Sowjetunion ist und bleibt der Prüfstein internationalistischer Haltung.“ 3. „Es kommt darauf an, solche Denk- und Verhaltensweisen zu fördern wie: gute Einstellung zur Arbeit und zum sozialistischen Eigentum, hohes gesellschaftliches Verantwortungsbewußtsein, Schöpfertum, Leistungswille, Sparsamkeit, bewußte Disziplin, Verteidigungsbereitschaft, Gemeinschaftssinn, Unduldsamkeit gegenüber Mängeln und Mißständen.“ 4. Offensiv und streitbar sollen alle antikommunistischen Angriffe zerschlagen werden: „Das verlangt die Erziehung von Staatsbürgern, die gegen alle Einflüsse der imperialistischen Politik und bürgerlicher Ideologie gewappnet sind“ (gegen „nationalistische Demagogie“ und „Verbesserer des Sozialismus“).
Aktuelle Ausformungen dieser grundsätzlichen Forderungen an die Massen-AuP. der 80er Jahre lauten: „Die Überlegenheit unserer marxistisch-leninistischen Ideologie [ist] anhand unserer erfolgreichen Innen- und Außenpolitik zu beweisen“; dabei wird von den Agitatoren und Propagandisten „ideologische Wachsamkeit, Standhaftigkeit und die Fähigkeit“ westlichen Anschauungen „unseren Klassenstandpunkt entgegenzusetzen“ erwartet.
Vorrangig ist die Massen-A. auf die ökonomische Leistungssteigerung gerichtet; die „Werktätigen [sind] mit dem Inhalt unserer Wirtschaftsstrategie zu rüsten, um sie für einen hohen ökonomischen Leistungsanstieg zu motivieren und zu mobilisieren“ (Rechenschaftsbericht, X. Parteitag 1981 und folgende ZK-Tagungen).
Eine Variante der Massen-AuP. ist die gezielte Geschichtspropaganda, z.B. Preußen, Luther, gestützt auf eine bewußte Pflege des „historischen Erbes“, der „sozialistischen“ Traditionen und eines Heimatgefühls (z.B. die „Pionierexpedition — Meine Heimat DDR“). Heimatgeschichte; Kulturelles Erbe; Nationale Geschichtsbetrachtung.
Verstärkt wurde die Friedens- und Wehr-AuP. in der Ost-West-Auseinandersetzung um die Nachrüstungen, z.B. 7. ZK-Tagung und Kurt Hager auf der Gesellschaftswissenschaftlichen Konferenz des ZK der SED am 15./16. 12. 1983: „Angesichts der Bedrohung des Friedens durch den Imperialismus sind Optimismus, Zuversicht. Mut der Werktätigen in den sozialistischen Ländern im Kampf um den Frieden besonders wichtig … Hand in Hand damit geht die notwendige Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit unserer Republik und der sozialistischen Gemeinschaft … Wie jede andere sozialistische Grundhaltung, so entwickelt sich auch die Verteidigungsbereitschaft nicht spontan. Sie bei jeder heranwachsenden Generation zu wecken und zu festigen, die Wehrerziehung als untrennbaren Bestandteil der kommunistischen Erziehung der jungen Generation zu verwirklichen, ist Aufgabe aller Erziehungsträger in unserer Gesellschaft“ (ND 16. 12. 1983).
V. Wertung
Kritisches zur Wirkung von AuP. hat aus systemimmanenter Sicht der Philosoph Georg Klaus in seiner Monographie „Sprache der Politik“, Berlin (Ost) 1971, geäußert. Zur grundsätzlichen Auseinandersetzung über die Politik der SED im ideologisch-propagandistischen Bereich ist es zwischen Robert Havemann („Dialektik ohne Dogma?“, Hamburg 1964, u.a. S. 109 ff. und 153 ff.) und der Parteiführung gekommen. Selbstkritisches zur Wirksamkeit von AuP. findet sich auch bei Werner Lamberz, in „Einheit“ Nr. 11/1974: „Zwar ist es richtig, daß Masseneinfluß und Überzeugungskraft von Agitation und Propaganda eingeschränkt werden, wenn ihre Aussagen im Gegensatz zu den Erfahrungen der Menschen zu stehen scheinen. Aber Agitation und Propaganda wirken auch dann nicht in die Tiefe und Breite, wenn ihre Aussagen lediglich das enthalten, was man schon aus Erfahrung weiß.“
Die Entwicklung von AuP. in den letzten Jahren zeigt, daß sie bisher trotz eines stets hohen personellen, finanziellen und materiellen Aufwandes die Kluft zwischen Ideologie und Wirklichkeit in der DDR weder überwinden noch verdecken können (Mauerbau). Die zur Rechtfertigung des absoluten [S. 9]Machtanspruches der Partei in dogmatischer Form vertretene These, daß sozialistisches Bewußtsein nicht spontan entstehen, sondern nur durch die leninistische Partei den „werktätigen Massen“ vermittelt werden kann, teilt von vornherein die Gesellschaft in Wissende und Unwissende, schließlich in Gläubige und Ungläubige. Letztere sind von der marxistisch-leninistischen Partei, die sich allein im Besitz der Kenntnis vom „richtigen“ gesellschaftspolitischen Entwicklungsprozeß glaubt, zu bekehren. P. wird damit oft zur Verkündung von Glaubenssätzen, A. zur Zwangsbekehrung (Agitationskampagne zur Vollkollektivierung der Landwirtschaft 1960). Andersdenkende werden zu Ketzern, zu „Feinden“ gestempelt. Obwohl der AuP.-Stil in den letzten Jahren im Werben um die Loyalität der Bevölkerung differenzierter wurde, sind die Grundwidersprüche dieselben geblieben. Die SED-Führung offenbarte dies selbst durch eine Reihe administrativer Maßregelungen von Schriftstellern, durch politische Strafprozesse und Verurteilungen, durch SSD- und Polizeieinsätze gegen Kritiker aus den eigenen Reihen (Biermann, Havemann, Bahro) wie gegen Protestaktionen von Jugendlichen und Erwachsenen aller Schichten der Bevölkerung, die sich auf die Schlußakte von Helsinki beriefen und gegen politische Bevormundung sowie die Unterdrückung von Bürgerrechtlern und aktiven Anhängern einer kritischen Friedensbewegung.
Wilfried Schulz
Literaturangaben
- Massenwirksame Agitation und Propaganda für hohen ökonomischen Leistungsanstieg, erarb. auf der Grundlage von Erfahrungen im VEB Kombinat Carl-Zeiss Jena. Berlin (Ost): Dietz 1983. (Der Parteiarbeiter)
- Dasbach-Mallinckrodt, Anita: Propaganda hinter der Mauer. Stuttgart: Kohlhammer 1971.
- Loeser, Franz: Interessieren — Überzeugen — Begeistern. Anregungen für massenwirksames Schreiben. Berlin (Ost): Die Wirtschaft 1982.
- Picaper, Jean Paul: Kommunikation und Propaganda in der DDR. Stuttgart: Bonn Aktuell GmbH 1976.
- Kleines Politisches Wörterbuch. 4., überarb. und erg. Aufl. Berlin (Ost): Dietz 1983.
Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 5–9
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