DDR von A-Z, Band 1985

Arbeitsbefreiung (1985)

 

 

Siehe auch die Jahre 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979


 

An die Stelle der einfachen ärztlichen Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit, wie sie in der deutschen Krankenversicherung üblich war, ist bereits 1947 das Prinzip der A. gesetzt worden. Rechtlich greift der Arzt damit direkt in die arbeitsvertragliche Beziehung zwischen abhängig Beschäftigtem und Unternehmen ein, statt ihm mit der Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit lediglich das Beweismittel über sein Unvermögen zur Erfüllung des Arbeitsvertrages in die Hand zu geben (Arbeitsrecht). Praktische Bedeutung kommt dieser unterschiedlichen Rechtskonstruktion nicht zu. — Die Befugnisse der behandelnden Ärzte sind wiederholt tiefgreifend geändert worden, um Häufigkeit und Dauer der krankheitsbegründeten Arbeitsausfälle (Krankenstand) einzuschränken. Lange Zeit durfte der behandelnde Arzt die A. nur für jeweils 3 und insgesamt nur für 10 Tage aussprechen. Darüber hinaus war die A. Sache besonderer Kommissionen. Später war sie nach jeweils 7 Tagen ausdrücklich zu erneuern. Die Kontrolle dieser A. sollte und soll stets die Form „kollektiver Beratung“ des Versicherten wie des Arztes haben. Sie ist Aufgabe der Ärzteberatungskommissionen (ÄBK), bestehend aus nebenamtlich für diese Aufgabe herangezogenen Ärzten. Aufsichts- und Beschwerdeinstanz ist die Kreisstelle für ärztliche Begutachtungen bei der Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen des Rates des Kreises unter der Verantwortung des Kreisarztes, bei der alle ärztlichen Begutachtungen — für Renten- und Unfallversicherung, Sozialwesen usw. — zusammengefaßt sind.

 

1959 wurde die A. aus Krankheitsgründen den Ärzten des Betriebsgesundheitswesens übertragen; auch die ÄBK wurden dort verankert. Diese Regelung hat sich jedoch nicht aufrechterhalten lassen. — Seit September 1974 ist die A. bei Arbeitsunfähigkeit neu geregelt. Die Vorstellung bei der ÄBK ist jetzt erstmals nach dem 35. Tag der Arbeitsunfähigkeit erforderlich, es sei denn, der behandelnde Arzt wünsche eine „kollektive Beurteilung“ bei „häufig erkrankten Werktätigen“ oder in anderen, besonderen Fällen. Die ÄBK kann aber auch von der Betriebsleitung „nach gemeinsamer Beratung mit der Betriebsgewerkschaftsleitung, dem Rat für Sozialversicherung und dem Betriebsarzt“ und vom Beschäftigten selbst in Anspruch genommen werden. 1974 ist zugleich die Zuordnung der ÄBK zum Betrieb entfallen. Ihre Zuständigkeit bestimmt sich nunmehr nach der Behandlungsstelle des Kranken. Nur große Einrichtungen des Betriebsgesundheitswesens haben noch eigene ÄBK. Diese dürfen nur dann tätig werden, wenn keine größeren Wegebelastungen für den Kranken entstehen. Statt dessen können die Betriebsärzte „zur Klärung arbeitsmedizinischer und arbeitshygienischer Fragen“ arbeitsbefreite Beschäftigte des Betriebes „zur betriebsärztlichen Beratung und Untersuchung einladen“, also die Kontrolle der Arbeitsunfähigkeit an sich ziehen.

 

Die „Arbeitsbefreiungsscheine“ sind vom (leitenden) Betriebsarzt jedes Betriebes gemeinsam mit einem persönlichen Beauftragten des Betriebsleiters sowie dem Vorsitzenden des Rates der Sozialversicherung (Betriebsgewerkschaftsorganisation [BGO]) grundsätzlich täglich auszuwerten. Mit diesen regelmäßigen Beratungen soll eine „exakte Erfassung und Analyse der Hauptfaktoren, die das unterschiedliche Niveau der Höhe des Krankenstandes der Betriebe und Kreise bedingen“, erreicht werden. Die „Diagnostikzeiten für arbeitsbefreite Werktätige in den ambulanten und stationären Einrichtungen des Gesundheitswesens sollen verkürzt, die Möglichkeit von Kurzarbeitsbefreiungen und der Verordnung und Realisierung von Schonarbeit stärker genutzt werden. (Dazu soll) eine hohe Qualität der Tätigkeit der ÄBK durch die Besetzung mit erfahrenen Fachärzten“ gewährleistet, in den Betrieben ÄBK zusätzlich gebildet und eine „vorzeitige Vorstellung vor der ÄBK“ veranlaßt werden (Empfehlungen des Kollegiums des Ministeriums für Gesundheitswesen [MfG] vom 31. 10. 1978). Das an diesen Empfehlungen ausgerichtete Vorgehen hat bisher nicht zum Erfolg geführt. Es wird versucht, den einzelnen Arzt in den Einrichtungen der ambulanten Versorgung unter Kontrolle zu nehmen, indem die „Basiswerte“ seiner A. statistisch erfaßt und ausgewertet werden (Anteil der A. an seinen neu in Behandlung kommenden Patienten, gegliedert nach Diagnosen, Dauer der A. u.ä.).

 

Den Krankenstand mit einem derartigen Kontrollverfahren auf einer Höhe zu halten, die der tatsächlich [S. 56]krankheitsbegründeten Arbeitsunfähigkeit bzw. den Planvorgaben entspricht, ist bisher nicht gelungen. Gesundheitswesen; Sozialversicherungs- und Versorgungswesen.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1985: S. 55–56


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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